Zoomposium mit Prof. Dr. Thomas Fuchs: „Das verkörperte Bewusstsein“
Es ist uns eine große Ehre und Freude, dass wir den sehr bekannten und international renommierten deutschen Psychiater und Philosophen Prof. Dr. Thomas Fuchs für ein Zoomposium-Interview gewinnen konnten. Herr Prof. Fuchs ist Leiter der Sektion „Phänomenologische Psychopathologie und Psychotherapie“ der Klinik für Allgemeine Psychiatrie am Universitätsklinikum Heidelberg, Forschungsstellenleiter der Karl Jaspers-Gesamtausgabe der Heidelberger Akademie der Wissenschaften und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Phänomenologische Anthropologie, Psychiatrie und Psychotherapie (DGAP).
Ein besonderer Forschungsschwerpunkt liegt auf der Untersuchung des Verhältnisses zwischen Phänomenologie und kognitiven Neurowissenschaften, besonders im Hinblick auf Theorien der Verkörperung (Embodiment) und des Enaktivismus. Im Zusammenhang zu dieser Thematik wird Herr Prof. Fuchs häufig zu Kongressen und Seminaren der Psychopathologie und Psychotherapie eingeladen, um zu seinem vorgeschlagenen Paradigmenwechsel als Kritik am zur Zeit herrschenden „Neurokonstruktivimsus“ hin zu einer „Verkörperung des Bewusstseins“ Vorträge und Fortbildungen zu halten.
Da mich diese Aspekte auch schon länger beschäftigen und die Literatur von Herrn Prof. Fuchs, wie zum Beispiel sein neu erschienenes Buch „Verteidigung des Menschen – Grundfragen einer verkörperten Anthropologie“ (2020) in meinen Essays verwendet hatte, habe ich mich besonders gefreut, dass er sich bereit erklärt hat meinem Kollegen Axel Stöcker vom „Blog der großen Fragen“ und mir in diesem Interview unsere Fragen zu beantworten.
Interviewfragen zu „Das verkörperte Bewusstsein“:
1. Herr Prof. Fuchs könnten Sie uns als ausgewiesener und sehr bekannter Fachmann auf dem Gebiet des „Verkörperungs-Paradigma‟ in den neueren Kognitionswissenschaften erläutern, inwiefern Ihr „Körper‟ oder besser gesagt Ihr „Leib‟ an der Entscheidung beteiligt war unsere Einladung zu diesem Interview anzunehmen?
2. In Ihrem Buch „Das Gehirn – ein Beziehungsorgan‟ (2008) gehen Sie von einem neuen Paradigma des „verkörperten Bewusstseins‟ aus.
- Welche Möglichkeiten sehen Sie hierin gegeben zu einer neuen Beschreibung des phänomenalen Bewusstseins zu gelangen oder das „hard problem of consciousness‟ zu lösen?
- Könnte dieses Paradigma helfen den zur Zeit herrschenden Neurokonstruktivismus in den Kognitionswissenschaften zu überwinden?
3. In Ihrem Buch „Verteidigung des Menschen – Grundfragen einer verkörperten Anthropologie‟ (2020) gehen Sie auf die Fortschritte der künstlichen Intelligenz, der Digitalisierung der Lebenswelt und der Reduzierung des Geistes auf neuronale Prozesse als ein Produkt aus Daten und Algorithmen ein.
- Können Sie sich vorstellen, dass auch Maschinen in näherer Zukunft ein Bewusstsein entwickeln könnten?
4. Yuval Harari stellt in seinem Buch „Homo Deus‟ (2016) die These auf, dass künstliche, aber unbewusste Intelligenz uns bald besser kennen wird, als wir selbst (Stichwort: Big Data) und stellt in diesem Zusammenhang die Frage, was wertvoller ist – Intelligenz oder Bewusstsein.
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- Wie stehen Sie zu dieser Frage?
- Welche möglichen Veränderungen könnte dies für zukünftige Gesellschaftsformen aus Ihrer Sicht nach sich ziehen oder gibt es hierzu Alternativen?
Das Interview ist auf unserem Youtube-Kanal „Zoomposium“ zu finden unter:
https://youtu.be/1ouxs6P3Enc
und den Wissenschaftsblogs der Moderatoren „Der Blog der großen Fragen“ und „philosophies.de“ zu finden.
© Axel Stöcker (Der Blog der großen Fragen), Dirk Boucsein (philosophies.de)
Ich denke, im menschlichen Bewusstsein beginnt das Gedächtnis aus der Potenz zu schöpfen, die es bereits mit sich bringt. Damit ich dieser Potenz in ihrer unbekannten Größe entsprechen kann, muss ich mich mit ihrem aktuellen Zustand auseinandersetzen, was mich auf ein Bewusstsein zurückwirft, dessen Herz mich mit ihr verbindet. Dieses Herz in seiner Kommunikationsform aufzunehmen, ohne die eigene Kommunikationsgrundlage zu verlieren, das ist die Herausforderung. Es ist mir nicht möglich, in meinem Bewusstsein für seine Potenz etwas zu finden, was nicht bereits darin enthalten ist. Im Gegenzug erhalte ich Informationen, die mir dabei helfen, aus der Einheit zu schöpfen, die ihre Endgültigkeit erfährt, indem sie einem Gedächtnis entspricht, das sein Herz mit sich bringt und für ihr Bewusstsein einsetzt. Dies hier wiederzugeben, das ist mir nur deshalb möglich, weil ich in seinem endgültigen Zustand bereits enthalten bin und damit einer Potenz entspreche, die ich einerseits noch nicht kenne, jedoch in ihrer Einheit akzeptiere.
Sehr interessant, vielen Dank! Ein paar Bemerkungen:
Der Beobachter ist nicht immer notwendig. Wir zweifeln nicht daran, dass die physikalischen Welt auch dann vorhanden wäre und ihre Gesetze auch dann gelten würden, wenn keine Menschen existieren würden und je existiert hätten. Was es nicht gäbe, wären unsere Beschreibungen der physikalischen Welt, die natürlich auf unseren Wahrnehmungen basieren. Aber die Wahrnehmung und Beschreibung eines Dinges ist nicht das Ding selbst. Deshalb können Wahrnehmungen und Beschreibungen auch falsch sein.
Repräsentationen: Aktuelle Wahrnehmungen, Vorstellungen (ohne direkten Sinnesbezug), Träume und auch Nahtod-Erfahrungen (die man als Nahtod-Träume betrachten kann) finden im demselben imaginären „Bewusstseinsraum“ im Kopf statt. Aktuelle Sinneswahrnehmungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie meistens deutlicher, detailreicher, lebendiger sind als Erinnerungen und Vorstellungen. Das dürfte daran liegen, dass tatsächlich Information (= strukturierte Energie, z.B. Licht- oder Schallwellen) von außen einwirken.
Trotzdem mussten die Menschen lernen, Träume und Halluzinationen von echte Wahrnehmungen zu unterscheiden – davon zeugen Mythen und Religionen. Die „objektive Realität“ entsteht für uns erstens dadurch, dass wir erstens die Informationen unserer verschiedenen Sinneskanäle vergleichen (wenn ich den Tisch sehen und tasten und, wenn ich darauf klopfe, hören kann überzeugt mich diese sensorische Kohärenz davon, dass er tatsächlich vorhanden ist), und zweitens dadurch, dass wir unsere Sinneseindrücke mit denen anderer Menschen verglichen: Wenn ich allein ein Einhorn sehe, vermute ich, dass ich halluziniere. Wenn aber mehrere andere vertrauenswürdige Personen sagen, dass auch sie dort ein Einhorn sehen, vermute ich, dass an der Sache irgendetwas dran ist.
Aus eigener Erfahrung bin ich überzeugt davon, dass ein Bewusstsein durch das Gedächtnis wächst, in dem gespeichert wird, was es bereits erkannt hat. Eine weiterführende Beschreibung aus der Erkenntnis wiederum, ist der Handlungsweise unterworfen, die sich aus der Einheit (also Gedächtnis und Bewusstsein) ergibt und eben diese Einheit auch anspricht. Naturgesetze aus ihrer physikalischen Natur als Mensch zu übersetzen muss, denke ich, in Übereinstimmung mit der Wissenschaft funktionieren, die eben diese Analogie und ihre Anatomie in einen Wert führt, der nachvollziehbar ist und weiter erforscht werden kann. Dadurch entsteht durch die Geburt eben dieses einen Menschen eine neue Wissenschaft, die auf der Basis von seinem Gedächtnis in das Bewusstsein führt, mit dem er schon immer arbeitet, da seine Einheit auf Basis ihrer Erkenntnis funktioniert.
Übrigens verlasse ich mich in Angaben zu äußeren Umständen einzig auf meine eigene Konstitution als Mensch, da sie mir gegeben ist. Andernfalls müsste ich einem Menschen mehr Vertrauen entgegenbringen als meinem Mitmenschen.
Lieber Herr Boucsein,
Mit dem Neurokonstruktivismus habe ich gar kein Problem. Dieses Wortungetüm bezeichnet tatsächlich im Grunde das, was Kant das „Ding an sich“ genannt hat. Die Unterscheidung zwischen „Wirklichkeit“ und „Realität“ unterscheidet zwischen dem, was auf unsere Sinne wirkt und dem, was wir uns darüber hinaus theoretisch erschließen. Die Röte der Mohnblüte ist für uns Wirklichkeit – in der Realität dagegen gibt es keine Farbkontraste wie Rot-Grün, sondern nur elektromagnetische Wellen verschiedener Länge.
Kants Ausdruck „Ding an sich“ ist allerdings insofern unpassend, als auch Dinge nur in unserer Wirklichkeit, nicht aber in der Realität existieren. Was für uns ein Ding ist, z.B. ein Stuhl, und was für uns kein Ding ist, z.B. die Luft drumherum, das hängt von unserer Wahrnehmung ab – davon, wo wir im Kontinuum der Realität Unterschiede wahrnehmen können, die wir als Objektqualitäten und Objektgrenzen interpretieren. Ich bin mir nicht sicher, ob bei Kant das „Ding an sich“ ein ontologisches Konzept ist, aber für mich ist die Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Realität nur epistemisch.
Mit Bewusstseinsraum meine ich keinen Global Workspace, sondern „den Raum der Gründe und Rechtfertigungen“ (Sellars), den Raum also, in dem unsere Gedanken und Vorstellungen spielen, in dem logische (und nicht kausale) Beziehungen herrschen, und in dem es den Unterschied zwischen Wahr und Falsch gibt. Diesen Unterschied gibt es in der Natur nicht – dort ist alles, was geschieht, „wahr“, einfach weil es geschieht, und es ist nicht durch Gründe, sondern durch physikalische Ursachen bestimmt.
Das soll aber kein Argument für den Dualismus sein. Ich bin Naturalist, glaube aber, dass man die Schwierigkeiten bei der „Naturalisierung des Geistes“ ernst nehmen muss. Mir scheint, dass der Embodiment-Ansatz – obwohl viel Richtiges darin ist – es sich zu leicht macht, weil er die Besonderheiten des Geistes zu wenig beachtet. Prof. Fuchs ist sich dieser Probleme offenbar bewusst, denn er behauptet ja nicht, dass das Konzept der Verkörperung das Leib-Seele-/Gehirn-Geist-Problem auflöst.
Nahtod-Erfahrungen: Wenn das Gehirn dabei wirklich tot wäre – wenn also die betreffenden Messungen und die Definition von „tot“ korrekt wären – dann wären Nahtod-Erfahrungen ein klarer Beweis für den Dualismus, nämlich dafür, dass der bewusste Geist vom Körper unabhängig existieren kann. Aber ich glaube nicht daran.
Viele Grüße
Torsten Hesse
“Kants Ausdruck „Ding an sich“ ist allerdings insofern unpassend, als auch Dinge nur in unserer Wirklichkeit, nicht aber in der Realität existieren.”
Bei Kant fallen Metaphysik/Ontologie und Epistemologie zusammen. Beides lässt sich bei Kant nicht mehr trennen. Kant sprach bewusst vom “Ding an sich” und nicht von „Dingen an sich” da er sich bei der Verwendung des Plurals selbst widerlegt hätte. Mit anderen Worten: Mit einem „Ding“ meinte er nicht eine oder eine bestimmte Entität von etwas.
Danke für die Richtigstellung. Dann wäre Kants „Ding an sich“ ungefähr das, was ich Realität genannt habe – die Welt „draußen“, deren Eigenschaften und Gesetzmäßigkeiten wir kollektiv (re-)konstruieren, die uns aber nicht unmittelbar gegeben ist. Unmittelbar gegeben ist jedem von uns die je eigene Wirklichkeit, zu der neben den aktuellen sinnlichen Wahrnehmungen auch Erinnerungen, Vorstellungen, Gedanken, Gefühle und Träume gehören.
“Danke für die Richtigstellung. Dann wäre Kants „Ding an sich“ ungefähr das, was ich Realität genannt habe…”
Eventuell kommt das hin.
“Unmittelbar gegeben ist jedem von uns die je eigene Wirklichkeit, zu der neben den aktuellen sinnlichen Wahrnehmungen auch Erinnerungen, Vorstellungen, Gedanken, Gefühle und Träume gehören.”
Dem stimme ich zu.
“Prof. Fuchs ist sich dieser Probleme offenbar bewusst, denn er behauptet ja nicht, dass das Konzept der Verkörperung das Leib-Seele-/Gehirn-Geist-Problem auflöst.“
Für Fuchs ist das Leib-Seele Problem ein Pseudoproblem. Das weiß ich aus erster Hand, da Fuchs es mir vor langer Zeit einmal gesagt hat.
Das Leib-Seele Problem basiert ja auf der Hypothese dass es einen Geist bzw. „das Bewusstsein“ gibt. Es beginnt also mit einer prinzipiellen Trennung zwischen dem Bewusstsein und dem Rest der Welt und des Körpers, selbst wenn man dann nachträglich wieder versucht beide Seiten unter ein Dach zu bekommen (und man so im Leib-Seele Problem landet).
Gerade die Phänomenologen lehnen diese Trennung ja größenteils ab. Deshalb sprechen viele phänomenologisch orientierte Philosophen manchmal vom body-body problem statt mind-body problem (u.a. Thomas Fuchs, Evan Thompson, etc.). Evan Thompson hat das body-body problem u.a. in seinem Buch “Mind in Life” behandelt.
Persönlich würde ich aber auch diesem body-body problem nicht folgen, ohne es an dieser Stelle begründen zu wollen.
Der Embodiment-Ansatz ist meines Erachtens ein Fortschritt insofern, als man nicht mehr versucht, den Geist aus dem Gehirn zu erklären. Nicht Gehirne, sondern Lebewesen besitzen Geist und ggf. Bewusstsein. Ich stimme Fuchs auch darin zu, dass wir Bakterien Subjektivität und Geist zusprechen müssen (Subjektivität = Mittelpunkt (s)einer Welt sein; Geist = die Fähigkeit, Informationen zu verstehen, d.h., sinnvoll auf sie zu reagieren). Ich halte das Leib-Seele- oder besser das Körper-Geist-Problem aber nicht für ein Scheinproblem.
Ich halte das Leib-Seele Problem und das gesamte Denkgebäude bzw. philosophische Paradigma das dahinter steht schon für ein Pseudoproblem (das daher auch unlösar ist da es auf meiner Meinung nach falschen Prämissen baut).
Es beruht auf bestimmten metaphysischen Prämissen, wie beispielweise die Existenz eines „Geistes“ oder des „Bewusstseins“, häufig in der Form einer „inneren Welt“ die dann einer angeblich äußeren „physikalischen Außenwelt“ gegenübergestellt wird. Auch Fuchs hat den letzteren Punkt in seinem Interview angemerkt.
Solche Prämissen sind zwar philosophisch-logisch denkbar, aber man kann sie niemals widerlegen noch beweisen.
In den kognitiven Neurowissenschaften sowie in der Philosophie des Geistes halte ich das Thema des Bewusstseins für die nächsten Jahrzehnte für verloren. Dafür ist die Szene zu „kaputt“ bzw. kompetitiv, aggressiv, jeder weiß es besser und die meisten denken noch im Leib-Seele Paradigma. Letzteres blockiert meiner Ansicht nach den theoretischen Fortschritt zum Thema. Wir werden erst weiter kommen wenn wir dieses Paradigma hinter uns lassen. Dafür ist die aktuelle Generation aber noch nicht bereit bzw. werden es vielleicht erst zukünftige Generationen schaffen.
Lieber Torsten Hesse,
das freut mich sehr etwas von Ihnen zu lesen. Vielen Dank für Ihren interessanten Kommentar, auf den ich hier kurz eingehen möchte.
Bei Ihrem Hinweis „Der Beobachter ist nicht immer notwendig.“ mache ich natürlich auch gerne mit, da sie die Basis für den wissenschaftlichen Realismus ist. Allerdings muss man an dieser Stelle sehr aufpassen, da man sich ansonsten ein „schlimmes Folgesymptom“ den Konstruktivismus (z. B. als „Neurokonstruktivismus“) als eine Beschreibung der Ontologie „einfängt“.
Die gleiche Argumentation hat nämlich zum Beispiel der ansonsten sehr geschätzte Professor Gerhard Roth in unserem Zoomposium-Interview „Wie wirklich ist das Bewusstsein“ (https://philosophies.de/index.php/2021/12/05/wie-wirklich-ist-bewusstsein/) als Begründung für die Trennung zwischen „Wirklichkeit“ und „Realität“ verwendet. Den Grund für diese Trennung habe ich allerdings bis heute nicht verstanden, was allerdings erst mal gar nicht schlimm ist, da dies eh schon Metaphysik und (leider) schwer belegbar ist.
Das ist allerdings auch richtig, dass das „Ding an sich“ mit Kant endgültig als „ollen Zopf“ aus dem philosophischen Diskurs „abgeschnitten“ gehört, da man von diesem ontologischen Konzept nichts Weiterführendes hat und nur Probleme in der Beweisbarkeit hat.
Wo ich allerdings schon als „leibhaftiges Bewusstsein“ „Bauchschmerzen“ bekomme, ist das Konzept der „Repräsentation“ in einem „Bewusstseinsraum“. Was oder wo soll dies sein? Ist damit vielleicht die „Global Workspace Theory“ nach Baars oder die „Projektion“ einer »geistigen Multimediashow« nach Tononi gemeint? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass diese „innere Repräsentation“ irgendwie „doppelgemoppelt“ ist. Warum muss ich etwas repräsentieren, was schon da ist?
Aus dem gleichen Grunde können daher „Nahtod-Erfahrungen (die man als Nahtod-Träume betrachten kann)“ nicht „im demselben imaginären „Bewusstseinsraum“ im Kopf statt[finden]“, da das Gehirn im Kopf messbar klinisch tot ist. Professor Godehard Brüntrup hat dies in unserem Zoomposium-Interview „Die Metaphysik des Bewusstseins“ (https://philosophies.de/index.php/2022/09/27/metaphysik-des-bewusstseins/) in einen schönen Vergleich gebracht. Die konstruktivistische Erklärung der Funktion des Gehirns in den „Nahtod-Erfahrungen“ wäre so ähnlich, wie mit einem „kaputten Motor“ noch einmal „Vollgas“ zu geben.
Ich muss aber auch nochmal Vollgas geben und würde mich freuen von Ihnen zu hören oder zu lesen.
Viele Grüße
Dirk Boucsein
1) Zu Lern- und Erinnerungsvorgängen gibt es zahlreiche Experimente – wo immer wieder erkennbar ist, dass beim Lernen bestimmte neuronale Netzwerke aktiv sind, beim Erinnern sind dann die gleichen neuronalen Netzwerke wieder aktiv.
2) Forschungen in Schlaflabors bzw. durch langsam gesteigerte Dosen von Narkosemitteln zeigen, dass eine bewusste Wahrnehmung nur möglich ist, wenn neuronale Netzwerke im Gehirn zusammenarbeiten und dabei eine bestimmte Intensitätsschwelle überschritten wird.
Man kann daher sagen, dass es für unsere Existenz vollkommen ausreicht, wenn unser Gehirn Reize vernetzt verarbeitet UND dabei eine bestimmte Wahrnehmungsschwelle überschritten wird – dann haben wir eine BEWUSSTE WAHRNEHMUNG. Diese ´bewusste Wahrnehmung´ reicht vollkommen aus, damit wir leben und überleben können.
Ein Extra-BEWUSSTEIN brauchen wir nicht.
Man muss für eine Diskussion deutlich unterscheiden zwischen ´bewusster Wahrnehmung´ und ´Bewusstsein´.
Weil wir kein ´Bewusstsein´ brauchen, machen Diskussionen zum Körper-Geist-/Leib-Seele-Problem keinen Sinn.
Denn mit Ideen wie ´Geist, Seele´ haben die Philosphen dem Körper/Leib etwas zugeschrieben, was es nicht wirklich gibt.
Diese Vorgehensweise ist ein Beschäftigungsprogramm für Philosophen: Man erfindet Zusammenhänge – und kann dann jahrzehntelang darüber diskutieren.
Das Bewusstsein ist kein leerer Behaälter, in den etwas hineingetan wird. Bewusste Wahrnehmungen, Gefühle, Gedanken, Erinnerungen, Vorstellungen, Träume haben – das IST Bewusstsein.
Wenn es allerdings ausreichen würde, dass Netzwerke etwas lernen, sich an Gelerntes erinnern und eine gewisse Aktivitätschwelle erreicht wird. dann sollten auch künstliche neuronale Netze Bewusstsein entwickeln. Ich glaube nicht, dass das der Fall ist. Ich denke also, es steckt mehr dahinter.
Ich glaube, ohne es beweisen zu können, dass Bewusstsein ein „biologisches“ Phänomen ist. Ich habe das Wort „biologisch“ in Anführungsstriche gesetzt da ich „biologisch“ nicht in einem wissenschaftlich-reduktionistischen Sinne meine. Genauer möchte ich damit ausdrücken dass es ich ontologisch für unmöglich (und sinnlos) halte unser Erleben auf beispielsweise neurophysiologische Prozesse der Dritten-Person-Perspektive zu reduzieren.
Was ich ausdrücken möchte ist dass das was wir erleben der physiologische Prozess selbst ist. Was wir erleben ist für mich daher NICHT „das Bewusstsein“, sondern der physische (um es neutral auszudrücken) Prozess selbst. Wenn man das annimmt, unabhängig davon ob es nun richtig oder falsch ist, kommt zumindest das metaphysische Leib-Seele Problem gar nicht mehr auf. Man käme dann gar nicht mehr auf die Idee hier eine Trennung vorzunehmen.
Deshalb bin ich davon überzeugt dass Maschinen prinzipell kein Bewusstsein haben können, da es sich bei unserem Erleben um ein biologisches Phänomen von Lebewesen handelt.
Was bleibt ist aus meiner Sicht eine primär empirische Frage: welche Prozesse sind beispielsweise notwendig und hinreichend für das was wir Erleben und „Bewusstsein“ nennen? Das verbleibt bisher nicht gut geklärt.
Insofern würde ich Richard Kinseher zustimmen, nämlich dass die metaphysische Diskussion um das Bewusstseinsthema sinnlos ist. Ich halte das ebenfalls für einen Kampf zwischen Luftschlössern (Materialismus vs. Idealismus. vs Dualismus vs. Panpsychismus vs. Funktionalismus vs. …). Meiner Meinung nach eine völlig leere und sinnlose Diskussion.
Lieber Philipp.
Auch ich nehme an, dass Bewusstsein ein biologisches Phänomen ist, und dass das was wir erleben der physiologische Prozess selbst ist. Und ich denke ebenfalls, dass die Erste-Person-Perspektive sich nicht auf die Dritte-Person-Perspektive reduzieren lässt (das wäre aber nur ein epistemisches, kein ontologisches Problem). Auch der These, dass dass Maschinen kein Bewusstsein haben können, da sie keine Lebewesen sind, stimme ich zu.
Was dann bleibt, ist aber nicht nur die empirische Frage, wie das Gehirn – oder besser: der Körper – Erleben erzeugt. Wenn wir sagen, wir erleben physiologische Prozesse, dann fragt es sich, welchen Sinn dieses Erleben hat – denn es sind zweifellos die physiologischen Prozesse, die uns steuern. Es könnte also sein, dass das Erleben dieser Prozesse ein reines Epiphänomen ist. Das hat Chalmers in seinem Zombie-Argument ausgedrückt. Die Frage ist also: Welche physiologische Funktion hat das Erleben?
Zweitens stellt sich die Frage: Wenn die Gedanken, die wir erleben, physiologische Prozesse im Gehirn sind, wie können sie dann wahr oder falsch sein? Denn Gehirnprozesse als Naturvorgänge sind nur die Folgen ihrer Ursachen, sind also immer „wahr“. Der Gedanke „Zweimalzwei ist Fünf“ und der Gedanke „Ein Wal ist ein Fisch“ sind jedoch falsch, und zwar falsch in sich, also unabhängig von jemandes Urteil.
Drittens stellt sich das Problem der Freiheit mit neuer Schärfe: Wenn die Gedanken, die wir erleben, physiologische Prozesse sind, dann können sie nicht frei sein (wie es in dem Lied so schön heißt). Physiologische Prozesse sind die Folgen ihrer natürlichen Ursachen – und keine Ursache kann frei wählen, was aus ihr folgt.
Ich halte diese Probleme nicht für unlösbar, doch es bleibt viel zu tun.
Hallo Torsten,
jetzt habe ich dir gerade eine lange Antwort geschrieben und dann schlug die Übertragung fehl, na super.
Ich versuche jetzt noch einmal alles halbwegs zu wiederholen.
Erst einmal danke für deine Antwort und Überlegungen. Ich gehe nachfolgend auf deine Punkte kurz ein.
Dein erster Punkt:
„Was dann bleibt, ist aber nicht nur die empirische Frage, wie das Gehirn – oder besser: der Körper – Erleben erzeugt.“
Ich würde nicht den Begriff „erzeugen“ wählen, da ich nicht glaube dass das Nervensystem oder der Körper das Bewusstsein kausal erzeugt. Es ist meiner Ansicht nach also nicht so dass A kausal B erzeugt. Im Gegenteil: ich glaube dass es keinen kausalen Zusammenhang zwischen „Bewusstsein“ und „physiologischen Prozessen“ gibt. Daher erledigt sich für mich auch gleich das Problem des Epiphänomenalismus den du angesprochen hast. Stattdessen gehe ich von einer Transformation bzw. Umwandlung oder phase transition aus. Das Nervensystem muss eine bestimmte Dynamik für Bewusstsein aufweisen. Als Analogie wähle ich gerne den Übergang von einem Gas über Wasser zu Eis. Bei Gas und Wasser haben die Moleküle keine Interaktionen oder nur über kurze Distanzen. Bei Eis entstehen Interaktionen über längere Distanzen. Deshalb können wir das Stück Eis an einem Ende mit dem Finger berühren und trotzdem bewegt sich das ganze Stück Eis. Bei Wasser und bei einem Gas wäre das möglich.
Für Bewusstsein muss die neuronale Aktivität des Nervensystems nun analog in einem gesunden und schmalen Mittelbereich der Kritikalität arbeiten. Beispielsweise Korrelationen des Signals dürfen nicht zu kurz und sein, d.h. das Signal darf nicht zu variabel sein, aber auch nicht zu lang, d.h. zu monoton und regulär. Eine Art gesunder aber schmaler Mittelbereich „zwischen Wasser und Eis“ ist für Bewusstsein notwendig.
Dabei handelt es sich auch nicht um eine Identitätstheorie. „Bewusstsein“ und „physiologische Prozesse“ sind für mich also NICHT identisch. Was wir erleben ist also für mich auch NICHT eigentlich ein „materieller Prozess“ der wissenschaftlichen Perspektive oder so etwas. Stattdessen wandeln sich nicht-bewusste physiologische Prozesse in bewusste um. Deshalb sind sie auch irreduzibel. Ferner ist deshalb ist auch die Identitätstheorie für mich Unsinn wenn sie Bewusstsein als Innenseite physiologischer Prozesse betrachtet etc.
Dein zweiter Punkt:
„Wenn wir sagen, wir erleben physiologische Prozesse, dann fragt es sich, welchen Sinn dieses Erleben hat – denn es sind zweifellos die physiologischen Prozesse, die uns steuern. Es könnte also sein, dass das Erleben dieser Prozesse ein reines Epiphänomen ist. Das hat Chalmers in seinem Zombie-Argument ausgedrückt.“
Siehe meine Antwort oben. Chalmers denkt im Paradigma des Leib-Seele Problems. Ich teile dieses Paradigma nicht. Dieses Paradigma beruht auf einer Trennung zwischen „Geist“ und „Körper“. Man postuliert dass es einen „Mind“ gibt, also beispielsweise den Mind des subjektiven Erlebens und trennt diesen von einem mechanistisch-objektiven Körper erst einmal ab (auch wenn man dann nachträglich natürlich über philosophische Ontologien versucht eine Einheit zu schmieden). Erst wenn man diese Prämissen annimmt könnte man überhaupt auf die Idee kommen so etwas wie den Epiphänomenalismus in den Raum zu werfen. Chalmers ist ein typisch analytischer Philosoph…
Ich glaube nicht das Chalmers jemals aus diesem Denkgebäude rauskommen wird. Im Gegenteil: wenn Chalmers auf einmal aussagen würde dass das gesamte Denkgebäude falsch ist würde er ja gewissermaßen seine akademische Karriere ruinieren. Philosophisch sind immer mehr logisch-mögliche Konzeptionen denkbar als in der natürlichen Welt. Hier besteht ohnehin eine Asymmetrie. Chalmers schlussfolgert von logisch-denkbaren Konzepten auf die natürliche Welt. Das sind philosophische Gedankenspiele über theoretisch mögliche Welten. Gerade hier wäre ich vorsichtig bzw. würde vieles nicht zu ernst nehmen…
Dein dritter Punkt:
„Drittens stellt sich das Problem der Freiheit mit neuer Schärfe: Wenn die Gedanken, die wir erleben, physiologische Prozesse sind, dann können sie nicht frei sein (wie es in dem Lied so schön heißt). Physiologische Prozesse sind die Folgen ihrer natürlichen Ursachen – und keine Ursache kann frei wählen, was aus ihr folgt.“
Ich glaube eher nicht dass die Welt einfach durch und durch determiniert ist. Das ist doch auch schon wieder eine tief metaphysische Hypothese, oder nicht? Benötigen wir diese? Führt uns das nicht wieder in unlösbare Probleme?
Aber gehen wir einfach mal davon aus dass es so ist wie du sagst. Betrachten wir es ferner kurz von einer empirischen Seite.
95% des Metabolismus des Gehirns gehen für die eigene Spontanaktivität drauf. Das Gehirn besitzt wie das Herz u.a. sogenannte HCN Channel in seinen Neuronen. Diese Channel ermöglichen es ohne extrinsische Inputs dass das Neuron sich selbst depolarisiert und Aktionspotentiale feuert, also autonom arbeitet. In der Summe ergibt die Spontanaktivität geordnete raumzeitliche Muster. Diese lassen sich beispielsweise in Form von Netzwerken etc. messen. Diese geordnete raumzeitliche Struktur der Spontanaktivität ist auch für Bewusstsein notwendig. Verlieren wir diese, so verlieren wir auch sofort das Bewusstsein.
Inputs aus der Umwelt machen gerade einmal 5% des Metaboslimus aus. Die Inputs müssen immer in Interaktion mit der Spontanaktivität treten. Sie werden nie einfach passiv „vearbeitet“. Deshalb erleben wir die Welt auch immer in Relation zu uns, und nicht wie sie an für sich sein mag, was auch immer das bedeutet.
Das Gehirn determiniert sich also selbst, genauso wie es die Umwelt determiniert. Gleichzeitig determiniert die Umwelt über Inputs das Gehirn. Es hebt sich am Ende alles selbst gewissermaßen auf. D.h. selbst wenn man von einem metaphysischen Determisnismus ausgeht sehe ich erst einmal kein großes Problem bezüglich unserer „Freiheit“.
Ich spreche hier lieber von Freiheitsgraden. Beispielsweise ein gesunder Mensch besitzt mehr Freiheitsgrade als ein schwer depressiver der nur noch darüber nachdenkt wie er sich am besten umbringen kann.
Deine folgende Überlegung ist für mich tief im Denkgebäude des Leib-Seele Problems verankert.
„Wenn die Gedanken, die wir erleben, physiologische Prozesse sind, dann können sie nicht frei sein (wie es in dem Lied so schön heißt). Physiologische Prozesse sind die Folgen ihrer natürlichen Ursachen – und keine Ursache kann frei wählen, was aus ihr folgt.“
Das ist für mich genau die oben angesprochene Trennung zwischen dem „subjektiven Bewusstsein“ und den „mechanistisch-objektiven natürlichen Prozessen“ der Welt. Es ist das gleiche Problem dass der metaphysische Materialismus/Physikalismus in der Philosophy of Mind hat (da er letztendlich genauso cartesianisch unterwandert ist und die Welt in zwei Seiten schneidet – die des Bewusstseins und dem Rest der Welt). Erst wenn man dieses metaphysische Postulat annimmt fällt man in die zahlreichen philosophischen Probleme die dann als natürlich Folge entstehen.
Die Neurowissenschaften können meiner Ansicht nach empirisch niemals philosophische Probleme wie das hard problem von Chalmers oder die von dir genannten Probleme lösen. Was wir benötigen ist eher eine neue Philosophie bzw. ein neues Paradigma in diesem Bereich. Chalmers hard problem (sowie viele weitere Probleme aus diesem Bereich der philosophy of mind) beruhen auf rein a priori entworfenen Konzepten die mitunter 2000 Jahre alt sind. Die Neurowissenschaften können diese aber nicht a posteriori „entwirren“ oder gar „lösen“. Sie können nur physiologische Prozesse beobachten, analysieren, und darauf neue Modelle und Theorien entwickeln. Und das sollten sie möglichst in neuen Paradigmen tun, nicht aber in den uralten der Philosophy of Mind bzw. von vielen Philosophen aus dieser Domäne der Philosophie.
Statt also in die vorgetrampelten Pfade der Philosophy of Mind zu treten sollte man besser eigene und neue Pfade hinterlassen. Diese lösen vielleicht am Ende des Tages auch nicht alles. Aber man kommt vielleicht zumindest etwas weiter und kann die Themen von frischen Perspektiven betrachten.
Um das Thema ´Bewusstsein´ ernsthaft diskutieren zu können – muss man sich gründlich mit der Arbeitsweise des Gehirns beschäftigen und mit dem Thema ´Zeit´.(Denn eine Fragestellung wäre z.B. Wie lange dauert ein Gedanke bzw unsere bewusste Existenz?)
Bei Nahtod-Erfahrungen(NTEs) kann man bewusst – Schritt-für-Schritt – erleben, wie das Gehirn einen einzelnen Reiz verarbeitet. Das ist der direkteste Zugang zum arbeitenden Gehirn, den es gibt!
Leider wird aber ausgerechnet das Thema NTE sowohl von Kognitionswissenschaftlern wie auch von Philosophen ignoriert – denn man hat dieses Thema den Esoterikern komplett überlassen. (z.B. habe ich Herrn Prof. Brüntrup zweimal eine PDF mit dem NTE-Erklärungsmodell zugemailt. Seine Reaktion war jedesmal sehr unhöflich. Aber solche Leute treten dann hier bei philosophies.de als ´Experten´ zum Thema NTE auf.)
Ich habe sowohl eine komplette Erklärung für NTEs erstellt, wie auch eine Definition für ´Zeit´.
Um meine Ideen prüfen und in eine Diskussion überführen zu können habe ich heute früh an philosophies.de meine 50-seitige PDF NTE_MODELL gemailt. Dieses Material darf gerne für Diskussionen verwendet werden (auf Seite 46 ist ein einseitiges Arbeitsblatt zu NTEs und auf Seite 47 eines für Zeit zu finden – um die Arbeit zu erleichtern)
Thorsten Hesse schrieb: „Bewusste Wahrnehmungen … … das IST Bewusstsein.“
In diesem Satz ist sehr schön das zentrale Problem und der größte bzw. schlimmste Fehler bei der ´Bewusstsein´-Diskussion erkennbar:
A) bewusste Wahrnehmung und B) Bewusstsein sind völlig verschiedene Begriffe, mit unterschiedlicher Bedeutung:
Wenn neuronale Netzwerke zusammenarbeiten UND eine bestimmte Aktivitätsschwelle überschreiten – dann ist eine bewusste Wahrnehmung möglich. Ein gesondertes zusätzliches Extra-Bewusstsein braucht es nicht.
Der Begriff ´Bewusstsein´ wird genauso wie ´Obst´ recht schlampig als sprachlicher Hilfsbegriff verwendet, um Unterhaltungen zu erleichtern. Aber ein ´Obst´ gibt es genausowenig wie ein ´Bewusstsein´: Auf dem Markt kann man kein einziges Stück Obst einkaufen – denn dort gibt es nachweisbar nur Früchte zu kaufen (Äpfel, Birnen, Orangen, Kirschen, Pflaumen, usw.). ´Obst´ ist ein erfundenes Wort, womit man ungenau mehrere Früchte meint.
Wenn diese Antwort heißen soll, dass der Mensch gerade beginnt, seine bereits verewigte Existenz durch ihr Bewusstsein wahrnehmen zu können, so kann ich mit ihnen gehen. Ich möchte mich auch für Prof. Brüntrup SJ einsetzen, da es im Umgang mit existierenden Schriftstücken immer auch einer konkreten Zugriffsberechtigung (Urheberrecht) bedarf, sodass der Entwicklungsprozess nicht durch voreilige Schlüsse gehemmt zum Stillstand kommt. Solange Wissen in seiner Form erhalten bleibt und durch Zugangsberechtigung einer gewissen Inflation unterliegt, die hier und jetzt Ihre Auffassung von Bewusstsein nicht nur nachlesen, sondern auch kommentieren kann, ist doch alles erreicht, was erreicht werden kann, oder? Damit bleibt der Wissensstand auf der einen Seite immer gegeben und ist auf der anderen Seite keinem anderen Urheber geschuldet, als dem seiner eigenen existenziellen Einheit. Das wiederum führt mich zurück zu Gott, dem ich als Person zwar nichts schulde, dennoch in meiner Verantwortung als Mensch dafür geradestehe, dass ich dieses Wort nicht einfach ignoriere, nur weil es mir zu anstrengend ist, mich damit auseinanderzusetzen. Dieses Wort gehört zu meinem Leben, wie das Amen in der Kirche, und die ist ja nun wirklich zur Genüge im Gespräch, sodass zumindest sie in dieser, meiner Gegenwart nicht ignoriert werden kann.
Verkörperung – ein Rückschritt
Verkörperung ist als embodiment mit den drei anderen E’s (extended mind, embeddedness, enactivism) ein Trend, der einst aus Übersee zu uns herübergeschwappt ist und den man hierzulande rechtfertigt mit der philosophischen Tradition der Phänomenologie.
Phänomenologen wie Merleau-Ponty zeichen sich dadurch aus, dass sie ihren Erkenntnisweg an den Erscheinungen beginnen und nicht deduktiv, von Theorien gelenkt, vorgehen. Ein Unterfangen, das sinnvoll ist, wenn man nicht in den Erscheinungen bereits die Regelhaftigkeiten sieht, welche hinter den Erscheinungen verborgen sind. Würde man also den vom Baum fallenden Apfel bereits mit der Regel seines Fallens identifizieren, müsste man den Schluss daraus ziehen, dass der Fall Ergebnis reinen Zufalls wäre. Stattdessen versucht die Physik beispielsweise, das Gesetz der Schwerkraft zu entwickeln, das ja nicht schon auf den Apfel aufgeprägt ist.
Genau das macht aber die Phänomenologie. Sie bewegt sich quasi an der Oberfläche der Dinge und sucht Gesetzmäßigkeiten anhand der Beziehungen zwischen den Erscheinungen. Sie setzt also Phänomene mit deren Ontologie gleich. Einzige Ausnahme: Edmund Husserl. Mit seiner Methode der eidetischen Reduktion will er den Erscheinungen auf den Grund gehen, indem er sie zunächst von allen konkreten Eigenschaften befreit, um auf die Prinzipien zu stoßen, die sie konstituieren.
Die vier E’s bleiben aber genau an dieser Oberfläche stehen und erschlagen damit alle hochdifferenzierten Prozesse, die in einem Organismus zwischen den einzelnen Regulationsebenen verlaufen. Es ist eine seltsame Naivität, die hier Platz greift. Vor allem aber scheint man nicht zu merken, dass man hier dem Dualismus zwischen Körper und Geist aufsitzt, den man ja gerade überwinden will.
Verkörperung bedeutet, dass die Kognition sich auf den ganzen Körper ausbreitet, somit nicht nur im Gehirn stattfindet. Mit anderen Worten wird die Kognition als eigene Entität angenommen, die sich nunmehr ausbreitet, so wie sich Wasser über eine Oberfläche ergießt – beides verschiedene Entitäten.
Gleiches gilt für die anderen E’s. Man tappt also in die mind-body Falle, ohne es zu merken.
Dabei wäre es so einfach, würde man das Gehirn als Spezialisierung für Orientierung sehen, die sich von der Unterscheidung von chemischen Gradienten bei Einzellern hin entwickelt hat zur hochkomplexen neuronalen Orientierung mittels zentraler Nervensysteme. Man könnte die Beziehungen zwischen den historisch entstandenen Regulationsebenen von der Zelle bis zum ZNS als Überlagerung sehen und ihre komplexen Feedbacks von ‚oben‘ nach ‚unten‘
und umgekehrt betrachten.
Damit lässt sich dann sowohl mentale Beeinflussung wie auch umgekehrt somatische Auswirkungen auf die Psyche gleichermaßen erklären. Diese Möglichkeit verpasst man mit den ‚Schlag‘-Worten der vier E’s.
Hinter diesen Konzepten steckt neben einem naiven Phänomenalismus sowie einem versteckten Dualismus aber noch jene einfältige Vorstellung, dass Organismus quasi direkt von außen determiniert sind, ganz ohne jegliche Freiheitsgrade. Man nennt diese epistemologische Idee auch mechanischen Materialismus. Extended mind bedeutet ja nichts anderes, dass Bewusstsein die Umwelt einschließt und somit Umwelt linear meinen mentalen Zustand ausmacht.
Und schließlich haben wir zu allem Überfluss mit einem banalen Physikalismus zu tun, indem das Subjekt nicht als zumindest teilautonom handlungsfähig ist, sondern Subjekt und Objekt eins werden. Teilautonome Subjekte integrieren multimodale Reize zu einem einzigen Erlebnis. Es entsteht eine Synthese dort, wo alle Reize zusammenfließen, nämlich im Gehirn.
Stattdessen geht man von einer einzelnen Reizverarbeitung aus, meint also, dass Erleben aus der Addition einzelner Reize entsteht. Hier verlässt man die Vorstellung, dass Leben nur als Struktur bzw. somit als Strukturbegriff denkbar ist und nicht als atomistisches Konglomerat von einzelnen Elementen.
Nun könnte man sagen, dass letztlich der theoretische Überbau eine untergeordnete Rolle für die Praxis spielt, den die meisten Theorien sind gegenüber den empirischen Daten sowie den praktischen Ansätzen unbestimmt.
Der theoretische Ansatz der vier E’s allerdings schließt bestimmte therapeutische Ansätze systematisch aus, z.B. alle diejenigen, die mit mentaler Beeinflussung einhergehen. Jene also, die etwa auf dem Placeboeffekt beruhen oder auf Meditation.
Die vier E’s knüpfen an den Alltagserfahrungen an, untersuchen sie aber nicht weiter in ihrer Vieldimensionalität. Es ist eine unzulässige Vereinfachung und damit ein wissenschaftlicher Rückschritt par excellence.
Hallo, Herr Dr. Stegmann,
Ihre Kritik an den „vier E’s“ finde ich sehr zutreffend. Es ist tatsächlich so, dass es sich um einen verkappten Dualismus handelt – um den Versuch, den Dualismus gewissermaßen unsichtbar zu machen, indem man ihn verschwimmen lässt und behauptet, auch der Körper und die Umgebung eines Lebewesens seien irgendwie geistig.
Sie schreiben:
„Der theoretische Ansatz der vier E’s allerdings schließt bestimmte therapeutische Ansätze systematisch aus, z.B. alle diejenigen, die mit mentaler Beeinflussung einhergehen. Jene also, die etwa auf dem Placeboeffekt beruhen oder auf Meditation.“
Wenn es nur Placeboeffekt und Meditation wären, wäre es nicht schlimm. Aber mentale Beeinflussung, z.B. durch Sprachregelungen und durch JournalistInnen, die sich als SozialpädagogInnen verstehen, erleben wir täglich, und dies lasset sich mit dem extended-mind-Konzept auch noch „wissenschaftlich“ rechtfertigen.
Noch eine kritische Bemerkung; Sie schreiben:
„Dabei wäre es so einfach, würde man das Gehirn als Spezialisierung für Orientierung sehen, die sich von der Unterscheidung von chemischen Gradienten bei Einzellern hin entwickelt hat zur hochkomplexen neuronalen Orientierung mittels zentraler Nervensysteme.“
Diese Entwicklung sehe ich genauso, nur nehme ich nicht an, dass Einzeller Bewusstsein besitzen. Der Entwicklungsgedanke allein erklärt noch nicht das Auftreten bewussten Erlebens – und dieses ist doch, was die vier E’s zu erklären suchen.
Zum Physikalismus:
In der Physik gibt es keine Bedeutung. In der Physik gibt es beispielsweise keine „Signale“ die ein „Empfänger“ aufnimmt und, jetzt kommt der wichtige Punkt, dessen Semantik der Empfänger versteht. Man könnte bewusste Prozesse des Nervensystems als deren Semantik (aus Sicht des Organismus) verstehen, denn bewusste Prozesse tragen für den Organismus eine Bedeutung. Dem Organismus wird die Semantik natürlich nicht kognitiv als solche unmittelbar bewusst – was der Organismus stattdessen erlebt ist die phänomenale Welt selbst. Aber diese phänomenale Welt hat eben eine Bedeutung für den Organismus, sie ist der semantische Träger.
Mit dieser Bedeutung beschäftigt sich die Psychologie, die Biologie, oder die Neurowissenschaften. Die Physik besitzt nicht einmal die Sprache bzw. Begriffe dafür.
Allein daran scheitert der Physikalismus bzw. die physikalische Reduktion. Den Physikalismus hatten wir in der Psychologie bereits, nämlich manifestiert als radikaler Behaviorismus im letzten Jahrhundert. Wohin das führt und wie weit das die Wissenschaft verarmen lässt hat man bereits gesehen.
Hallo Hdrr Hesse,
Sie schreiben, „…nur nehme ich nicht an, dass Einzeller Bewusstsein besitzen.“ Hätte ich Bewusstsein gesagt, wäre ich Panpsychist, ich hatte aber Orientierung gesagt, das ist der allgemeine Ausdruck, Bewusstsein ist davon ein Spezialfall.
@ Dr. Stegmann
Das ist klar. Aber wie kommt man von Orientierung zu Bewusstsein?
Ich empfehle zu dieser Frage einmal Jakob von Uexküll zu lesen. Nach Uexküll haben auch Einzeller Bewusstsein, aber er benutzt den Begriff des „Bewusstseins“ nicht, sondern denkt und erklärt die Thematik ganz anders als die allermeisten heutigen Philosophen.
Insbesondere folgende Werke sind auch heute noch von höchstem Interesse:
Erstens: Umwelt und Innenwelt der Tiere
Zweitens: Bedeutungslehre
Drittens: Theoretische Biologie
Seine Unterscheidung zwischen Merkwelt und Wirkwelt (und wie sich beide je nach Lebewesen bzw. Spezies unterschiedlich überlagern können und was genau das mit Bewusstsein zutun hat) ist ebenfalls sehr gut.
Viertens: ein gutes Übersichtswerk: Jakob von Uexküll: The Discovery of the Umwelt between Biosemiotics and Theoretical Biology (Biosemiotics, 9, Band 9)
Bei Uexküll entsteht das Leib-Seele Problem ebenfalls nicht. Er war zwar Vitalist (oder Neovitalist wie er es selbst sah) und gegen den Darwinismus, aber das ändert oder beeinflust nicht direkt seine Auffassungen zum Thema „Bewusstsein“.
PS: bezüglich Umwelt und Innenwelt der Tiere; hier ist es wichtig bzw. sehr empfehlenswert die zweite Ausgabe zu lesen (denn nur diese beinhaltet den Funktionskreis, ein bessere Zusammenfassung am Ende des Werks, etc.)
Hallo Philipp,
danke für die Tipps. Ich bin durchaus der Meinung, dass Bakterien Subjektivität besitzen. Ihre Umwelt „spiegelt“ sich gewissermaßen in ihrem Inneren – relevante Veränderungen der Umgebung haben Veränderungen des inneren Zustandes zur Folge. Das ist der Unterschied zu einem gewöhnlichen Spiegel: Er verändert sich nicht durch das, was sich in ihm spiegelt. Lebewesen spiegeln ihre Umwelt dadurch, dass ihr innerer Zustand und ihr Verhalten sich verändern. Rezeptoren und Sinnesorgane sind darauf spezialisiert, empfindlich auf eine äußere Veränderung mit einer spezifischen Änderung ihres inneren Zustandes zu reagieren. Und natürlich liegt hier die Quelle von Bewusstsein: An irgendeinem Punkt kommt es dazu, dass diese Veränderungen des inneren Zustandes (als Folge von Veränderungen der Umgebung) von dem Lebewesen bewusst wahrnehmen werden – dass ihnen das in ihrem Inneren „erscheint“.
Hallo Torsten,
Uexküll versucht, soweit das machbar ist, darzustellen dass jedes Lebewesen (also jede Spezies) in ihrer eigenen subjektiven Welt (Umwelt) lebt.
Mit dem Begriff der „Umwelt“ beschreibt Uexküll also nicht eine Umwelt um das Lebewesen herum die wir als Menschen wahrnehmen und erkennen, also das was er „Umgebung“ nennt. Uexküll meint stattdessen mit dem Begriff der „Umwelt“ letztendlich das Bewusstsein eines jeden Lebewesens, vom Einzeller, über Insekten, Tiere, bis zum Menschen.
Nun gibt es genauso viele Umwelten (=Bewusstseinsformen) wie Spezies bzw. Lebewesen. Und wir dürfen nicht den Fehler begehen uns das Bewusstsein bzw. die Umwelt einer Zecke auch nur im Ansatz so vorzustellen wie unsere – was ja eigentlich ohnehin klar ist.
Aber Uexküll beschreibt das alles so wunderbar dass es einleuchtet dass selbst einfachste Lebensformen eine Art „Bewusstsein“ oder Subjektivität besitzen, auch wenn es mit unserer Erlebensform praktisch nichts zutun hat.
Ferner, und darauf legte Uexküll großen Wert, meint er mit „Umwelt“ und „Innenwelt“ keine psychologische Innenwelt, sondern die Physiologie des Lebenwesens selbst die er als Bewusstsein ansah. Mit Innen ist also nicht gemeint dass die Nervenimpule eine „Innenseite“ hätten, sondern die Nervenimpulse selbst sind das „Innenleben“.
Gruß
Wenn Zeit den Zustand von bleibender Existenz ergibt, so steht sie im Umgang mit seinem Werdegang außen vor, bis dieser seine Endgültigkeit erreicht hat. Diese Gültigkeit aus ihrer Perspektive wahrnehmen zu können wiederum, ergibt sich aus dem Gedächtnis, das ihrer Einheit in seiner Sprache das Herz abgewinnt. Das Zusammenführen von Zeit und Bewusstsein entspricht der Würde, die ihre existenzielle Anwesenheit für die Einheit von Zeit und Raum einsetzt und damit als unser aller Existenzgrundlage sicherstellt.
Wie tut der Mensch das? Indem er sicherstellt, woraus seine Einheit mit Gott besteht und daran arbeitet, dass nicht verloren geht, was ihm sein Bewusstsein eröffnet, dem er erst durch Gott einen neuen Sinn abgewinnt. Wahrnehmbar ist diese Einheit der Zeit einzig durch das Leben aus dem Gedächtnis, das dem zugrunde liegt, der für die eintritt, die von ihrer Einheit aus der Gegenwart schöpft.
Dieser einzigartige Vorgang der Vereinigung von der Zeit mit ihrem Gedächtnis wird durch Gott von dem Herz verarbeitet, das aus der Substanz besteht, die ihrer endgültigen Form als Mensch entgegentritt. Das Vertrauen in dieses Herz besteht aus seinem Bewusstsein und dankt der Einheit, die sich dafür einsetzt, dass ihr Vater immer die zurücklässt, die ihm in ihrer Einheit an seinem Herz geboren ist.
So wächst aus Liebe zu Gott der Vater der Einheit, die aus ihm schlau wird und ihr Herz zu dem Namen erhebt, der sie zu erschöpfen vermochte, in dem, den es in ihr zu verewigen galt.
Ich verwende den Begriff Orientierung als Fähigkeit von Leben, sich in einer Umwelt ‚unfallfrei‘ bewegen zu können. Einzeller machen das anhand chemischer Gradienten, wir machen das mittels neuronaler Systeme, die die Eigenschaft haben, Bewusstsein zu erzeugen und somit ein sehr differenziertes Navigationssystem darstellen.
Die ist die Sicht eines Beobachtungsstandpunktes von außen. Mit dem phänomenalen Erleben hat das nichts zu tun.
Da kann ich nur zustimmen 🙂
Dear C.C.,
thank you very much for your remarkable comment, which I read with great interest. I am very glad that you had a look at the interview video with Thomas Fuchs.
I would also like to respond to your comments, if I may.
You write: „In the video, the cultural reasons for a non-receptiveness to embodiment are discussed.
I would not necessarily call this „cultural reasons“, but rather speak of an „incommensurability“ in the Kuhnian sense, which prevents a long overdue paradigm shift in the Philosophy of Mind and Cognitive Neuroscience.
You write: „I would to offer an inversion that would help make embodiment more coherent. I suggest that cognition (and consciousness) functions to serve the organism. This would be expressed in a reframing of the brains role such as; the neocortex is an organ whose function is to make information useful to the organism.“
A similar approach is described by Thomas Fuchs in his book „The brain – an organ of relationship : a phenomenological-ecological conception“ (2008):
„4.1.2 The body in the background.
In 3.1, the bodily basis of subjectivity was described from a phenomenological point of view. As it turns out, it finds a correspondence in the relations on the neurobiological level: consciousness emerges on the basis of the interaction of body and brain, and in such a way that the body does not only become its object secondarily, but is itself constitutive for its construction. This idea also underlies current neurobiological conceptions of consciousness such as that of Damasio (1995, 2000) or Panksepp (1998a, b).“ (ibid. p. 135)
However, there is no primacy of the organism over the brain or vice versa in the „embodiment“ approach. On the contrary, the paradigm shift consists precisely in overcoming the dualism between „mind vs. body“ or „brain vs. body“ and seeking the constitution of consciousness in the process itself. Therefore, per se, there is no „competition, and you don’t need to untangle a dialectic between the two.“
Thank you for your attention and
many greetings
Philo Sophies