Das neurozentristische Weltbild

Das neurozentristische Weltbild

Das neurozentristische Weltbild – bitte wenden !

„Weltbilder – alles nur eine Frage der Perspektive?“

„Die Annahme, daß wir einen externen, gewissermaßen göttlichen Standpunkt einnehmen könnten, von dem aus wir die Welt – einschließlich unserer selbst – befreit von den Bedingtheiten menschlichen Erfahrens und Denkens so sehen können, wie sie an sich ist, ist die epistemologische Ursünde, deren Resultat nur eine vernunftlose Sicht der Dinge sein kann. … der Objektivismus [scheitert] am notwendig subjektiven Charakter seelisch-geistiger Akte, Zustände und Vorgänge […]“ (Franz von Kutschera: „Die falsche Objektivität“ 1993, S. VI)

Die Anschlussstelle zum „Paradigmenwechsel“

Ich möchte mit diesem Artikel ausdrücklich an meinen vorherigen Essay Der Paradigmenwechsel anknüpfen, da ich nach der ganzen, dort beschriebenen Theorie noch die Praxis schuldig geblieben war. Dies möchte ich hiermit nachholen und dort weiter machen, wo ich aufgehört hatte; bei dem „no-statement-view“, oder in diesem Falle eher im „statement-view“. Der statement-view steht hier stellvertretend für eine Perspektive, die man in Bezug auf mögliche „Weltbilder“ als Repräsentanten der Realität/Wirklichkeit einnehmen kann.

Das naturwissenschaftliche vs. geisteswissenschaftliche Weltbild

In den derzeitigen Weltbildern spiegelt sich das alte Paradigma des Dualismus bereits wider. Das Paradigma des naturwissenschaftlichen Weltbildes wird hierbei nämlich stark von der phänomenalen Welt (Kuhn „phenomenal world“) gegrägt. Dem steht die noumenale Welt (Kant: „Noumenon“) des geisteswissenschaftlichen Weltbildes diametral gegenüber. Laut Kants transzendentaler Metaphysik:Der Gegenstand der Sinnlichkeit ist sensibel; was aber nichts enthält, als was man durch die Verstandesausstattung erkennen kann, ist intelligibel.“ (Kant: § 3 „De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis, Inaugural-Dissertation 1770) sind die naturwissenschaftlichen Disziplinen aber in ihrem Paradigma gefangen, da sie sich nur in ihrer phänomenalen Welt bewegen und nur das Empirisch-Sensible anerkennen und das Noumenal-Intelligible ausblenden.

„normal science vs. revolutionary science“

Auf dieses Problem hat schon Paul Hoyningen-Huene in seinem Buch „Die Wissenschaftsphilosophie Thomas S. Kuhns“ (https://www.springer.com/de/book/9783663079552) hingewiesen, dass aufgrund des gegebenen Paradigmas („normal science vs. revolutionary science“) die Naturwissenschaften für alles, das über die phänomenale Welt hinausgeht, blind seien. Wenn dem so wäre, dann hätte dies aber auch weitreichende Folgen hinsichtlich der begrenzten Möglichkeiten der Ausbildung von neuen, offeneren Wissenschaftlern, des wissenschaftlichen Fortschritts und der möglichen Strategien für noch nicht gelöste Probleme. Dies könnte auch mit einer der Gründe sein, warum die kognitiven Neurowissenschaften seit Jahrzehnten in einer Sackgasse stecken, da man ihnen ebenfalls dieses einseitige naturwissenschaftliche Weltbild unterstellen kann.

Weltbilder als Orientierungshilfen

Ein „Weltbild“ ist eben nicht nur ein Bild von der Welt, sondern immer zugleich auch ein Standpunkt, von dem aus die Welt als Bild betrachtet wird. Daher stehen „Weltbilder“ als Perspektiven auch im Zentrum von Anschauungen und Meinungen über die Beschaffenheit von „Welt“ und geben eine Orientierungshilfe, nicht nur für die Orientierung im Raum, sondern auch für die Orientierung hinsichtlich der jeweils aktuell gültigen Paradigmen der Erkenntnis.

Zum Beispiel hat sich der Klassiker „die Welt als Scheibe“ (abgesehen von ein paar, bis heute irre-geleiteten „Flachen-Erden-Verschwörungstheroretikern“ = „Flat-Earther“) als Gott sei Dank Weltbild nicht halten können. Die weitreichenden Folgen, die eine solche Anschauung allerdings nach sich gezogen hätte, brauchen an dieser Stelle – so glaube ich – nicht weiter erläutert werden (, nicht dass jemand bei einer Kreuzfahrt noch vom „Erdenteller“ fällt ;-).

Das Kopernikanische oder das Darwinsche Weltbild

Demgegenüber hat sich das Kopernikanische oder das Darwinsche Weltbild hier wohl als weitaus nachhaltigere Paradigmen erwiesen,  da sie bekanntermaßen jeweils zu „wissenschaftlichen Revolutionen“ im Kuhnschen Sinne geführt haben. Die diesbezüglichen Lektionen, die man in der Astronomie und der Biologie aus der Wende im heliozentrischen und im anthropozentrischen Weltbild gezogen hat, kann man auch stellvertretend für eine längst überfällige Wende für das neurozentristische Weltbild in den Neurowissenschaften, laut einer These des Neurophilosophen Georg Northoff „Lessons From Astronomy and Biology for the Mind – Copernican Revolution in Neuroscience“ (aus  „frontiers in Human Neuroscience“ 2019 oder ausführlicher in „The spontaneous brain – from the mind-body to the world-brain problem“ (2018 MIT Press), postulieren.

Der weitere Fahrplan

Ich möchte nun im Folgenden versuchen, anhand einzelner ausgewählter „Haltestellen“ die Wende für das neurozentristische Weltbild auf meiner „Route“ abzufahren und an diesen zu verdeutlichen. Die „1. Haltestelle“ bildet schon bereits das Ziel „Das Ende des dualistischen Weltbildes“, wobei ich hier nur kurz auf die Gründe für seine Entstehung, sein postuliertes Ende und die möglichen Alternativen eingehen möchte. An der „2. Haltestelle“ wird dann kurz Rast gemacht, um den „Wandel der alten, dualistischen, reduktionistischen Weltbilder in den Neurowissenschaften“ anhand der Genese der Bewusstseins-Modellen in den Neurowissenschaften abzuleiten. Dazu werde ich mich bei der Beschreibung des Phänomens im Wesentlichen auf den erwähnten Artikel von Georg Northoff beziehen.

An der „3. Haltestelle“ findet dann letztendlich der besagte Kurswechsel als „Die Wende im neurozentristischen Weltbild“ statt, da nun das alte „neuro-zentristische Weltbild“ durch ein neues „neuro-ökologisches Weltbild“ ersetzt werden soll. An diesem Beispiel soll zugleich dann auch die Arbeitsmethodik der Neurophilosophie als Paradigmenwechsel in den Neurowissenschaften verdeutlicht werden. Die dort entwickelten Hypothesen und Modelle zur Entstehung von Bewusstsein möchte ich dann rückwirkend als praktisches Beispiel auf meinen vorherigen Essay „Der Paradigmenwechsel übertragen wissen, um die dort postulierte Forderung nach einer allgemeinen „Sanierung der Wissenschaftstheorie“ und zu einer Ablösung des alten, dualistischen Weltbildes zu belegen. Dann wollen wir mal endlich losfahren.

 

Erste Haltestelle: „Das Ende des dualistischen Weltbildes“

Der Dualismus als evolutionäre Anpassungsstrategie

Aber bevor nun das dualistische Weltbild endgültig zu Grabe getragen werden kann, muss hier doch noch einmal kurz geklärt werden, wie es überhaupt zu einer solch reduktionistischen Sichtweise kommen konnte. Eine mögliche, nachvollziehbare Begründung für die Entstehung des Dualismus als epistemologische Ordnungsgröße liefert der Stammvater der evolutionären Erkenntnistheorie Rupert Riedl. Er sieht in dem Dualismus eine Anpassungsstrategie, die aus evolutionärer Sicht eine kognitive Erfassung der Welt durch Kategorisierungen erst ermöglicht hat. Riedls biologisch-evolutionärer Ansatz geht davon, dass die Dichotomien in unserem Weltbild:

„keineswegs zu Zwecken der Erkenntnis dieser Natur geschaffen worden, sondern zum „Zweck des Überlebens. Und für dieses Überleben genügt es, in diese Welt hinein gewisse Sinnesfenster zu besitzen… Und in derselben Weise besitzen wir offenbar auch eine Vorstellung von dem, was wir Materie nennen, und Strukturen gegenüber dem, was wir als Vorgänge erleben oder allgemein als Funktionen… Wir haben also für Strukturen und Vorgänge zweierlei, zunächst inkomparable Begriffe… So dass wir zwar offensichtlich vor einer einheitlichen Welt stehen, aber mit zwei erblich getrennten Sinnesfenstern und die Verbindung zwischen ihnen erst mit Mühe konstruieren müssen.

[…] Wir müssen unsere geteilten Anschauungsfenster zusammenführen und gewissermaßen probeweise beginnen mit einer Synthese, einer Zusammenfügung, unseres so lange gespaltenen Weltbildes“, um so die rationalen Fehler zu vermeiden, die wir aufgrund unseres ererbten dualistisch geprägten Anschauungssystems begehen. (Rupert Riedl: „Kultur – Spätzündung der Evolution? Antworten auf Fragen an die Evolutions- und Erkenntnistheorie.“ 1987, S. 79–85, 294 –200 Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Dualismus#cite_note-7)

Der dualistische Reduktionismus

Diese getrennten „Sinnesfenster“ waren vielleicht für unsere Altvorderen in ihrem Alltag recht hilfreich, stellen heutzutage allerdings ein nicht unerhebliches Problem hinsichtlich der Beschreibung einer sich immer weiter ausdifferenzierenden Welt mit ihren immer komplexer werdenden Zusammenhängen dar. Desweiteren bilden sie auch noch die Grundlage für die reduktionistische Sichtweise eines Naturalismus, der versucht diese Komplexität der Natur zu vereinfachen, um sie technologisch nutzbar zu machen. Der physikalische Reduktionismus geht sogar noch einen Schritt weiter, da er behauptet, dass alle Phänomene, also auch das Bewusstsein, sich auf eine rein physikalische Beschreibung reduzieren lassen, die aufgrund der kausalen Geschlossenheit (s. „Bieri-Trilemma„) sich letztendlich auch vollständig erklären lassen.

Die Vereinfachung des Dualismus als Orientierungshilfe

Der Dualismus vereinfacht aber die Welt und bietet hierdurch auch eine Orientierungshilfe; man denke nur an „links vs. rechts“. Alles das, was begrifflich dazwischen liegt, wie „halbrechts“ oder „halblinks“ (man denke nur an Navis) erschwert die Orientierung im Raum schon erheblich. Diese Vorliebe für Dichotomien darf man – meine ich – durchaus als „common-sense“ beschreiben. So beliebte, adjektivische Gegensatzpaare, wie „wahr-falsch“, „wirklich-unwirklich“ wären da allerdings schon schwieriger zu definieren.

Das Ende des Dualismus im „Geist-Materie“-Problem

Aber die „Orientierungshilfe“ hört definitiv dann auf, wenn es um solch komplexe, konzeptuelle Gegensätzlichkeiten, wie „Subjekt vs. Objekt“, „Geist vs. Materie“ oder „Realismus vs. Idealismus“ geht, die schon einen ganzen Begriffsapparat zur Erläuterung benötigen. Besonders bei dem Gegensatzpaar „innen vs. außen“ hinsichtlich des vermeintlichen Dualismus „Bewusstsein vs. physikalischer Außenwelt“ kann es schon einmal zu einem „phänomenologisch-ontologischen Fehlschluss“ kommen, da man hier von einer phänomenologische Erfahrung einfach auf eine ontologische Metaphysik schließt, die aber in dieser Form gar nicht überprüfbar ist.

Die „Erste-Person-Perspektive“

Mit diesem Thema setzt sich auch das schon häufiger erwähnte „Geist-Materie“-Problem auseinander, das ich hier einmal exemplarisch herausnehmen darf. Das scheinbar dualistische Problem „Geist vs. Materie“ bei dem Zustandekommen von so etwas wie Bewusstsein in der Erste-Person-Perspektive (Ich, Selbst, Identität, Qualia) ist bis heute nicht gelöst und es spricht sehr viel dafür, dass es bei der derzeitigen Dichotomie der Methodiken in „Philosophie vs. Neurowissenschaften“ auch weiterhin so bleiben wird.

Die Alternativen zum Dualismus

Durch den vermeintlichen Gegensatz „Geist vs. Materie“ wird das Gesamtproblem in einen punktförmigen Dualismus zerlegt: Sind es nun die mentalen Zustände oder die neuronalen Zustände oder vielleicht die funktionalen Zustände aus denen Bewusstsein hervorgeht? Oder emergiert oder superveniert das Mentale über dem Materiellen? Immer sind es die falschen Fragen, die zu den falschen Antworten führen. Der hier zur Erzeugung des Dualismus verwendete Reduktionismus abstrahiert zudem auch schon immer die inhärenten Relationen und zerstört somit die Strukturen des Ganzen. In entfernter Analogie gleicht das Problem Schrödingers Katze, bei dem die dualistische Abstraktion in „tot vs. lebendig“ zu einem ähnlichen Paradoxon führt:

„Das, was Geist genannt wird, ist wahrscheinlich in der Beziehung zwischen Gehirn, Körper und Umwelt, das heißt das „Geist-Gehirn-Problem“ wird auf die Frage der verschiedenen Formen der Relation zwischen Gehirn, Körper und Umwelt verlagert. Und damit ist die klassische Dichotomie „Geist und Gehirn“ unterminiert.“ (Georg Northoff: „Das disziplinlose Gehirn. Was nun, Herr Kant? Auf den Spuren des Bewusstseins mit der Neurophilosophie.“2012)

Strukturen und Relationen statt „entity-based metaphysics“

Dieser neue Ansatz von Northoff stellt somit einen klaren Unterschied zu dem alten Paradigma der „entity-based metaphysics“ (mentale, physikalische, materielle Entitäten mit intrinsischen Eigenschaften) in der Philosophie des Geistes und den kognitiven Neurowissenschaften dar, da nun nur noch von Strukturen oder Relationen ausgegangen werden kann. Insofern stellt sich das vermeintliche „Geist-Gehirn-Problem“ in dieser Form gar nicht mehr dar.

 

Zweite Haltestelle: „Der Wandel der alten, dualistischen, reduktionistischen Weltbilder in den Neurowissenschaften“

Die „geozentrischen Weltbilder“ der Neurowissenschaften

Der cartesische Dualismus

Im „vorkopernikanischen Zeitalter der Neurowissenschaften“ (Northoff) wird zu anfangs zunächst eine dualistische Sichtweise gemäß Descartes eingenommen. Auf der einen Seite steht die Welt mitsamt unseres Körpers und auf der anderen Seite wie in einer Vogelperspektive schwebt unser Geist, der alles erfasst; sogar sich selbst im „cogito ergo sum“. Man könnte meinen, dass derlei Positionen überholt seien, aber weit gefehlt. Sie kommen im Kleide des neuen, reduktiven Materialismus wieder daher:

„Klassisches Beispiel: DescartesIch denke, also bin ich“. Da ist mein Ich ein mentaler Inhalt. Und dieses wird heutzutage häufig auf das Gehirn übertragen und man sagt, das sind bestimmte Regionen oder bestimmte Netzwerke im Gehirn, die das machen und alle anderen Netzwerke sind nicht Ich. Ich halte das für problematisch.“(Georg Northoff: „Das disziplinlose Gehirn. Was nun, Herr Kant? Auf den Spuren des Bewusstseins mit der Neurophilosophie.“2012)

Der reduktionistische Funktionalismus

Dieser neue – eher alte – Standpunkt würde dann dem „geozentrischen Weltbild“ entsprechen, nur mit dem Unterschied, dass sich hier der „Körper um den Geist zu drehen“ hat, weil dieser im Mittelpunkt dieses „neurozentrischen Weltbildes“ (s. u.) steht. Mit diesem Standpunkt befindet man sich auch heutzutage in zahlreicher Gesellschaft, da es voll und ganz der common-sense-Vorstellung entspricht, dass der „Denkapparat“ unser Gehirn ist, dass auf einem Körper aufgeschraubt ist und diesen steuert. Dieser reduktionistische Funktionalismus findet sich auch in der oft kolportierten „Computer-Analogie“ zwischen „Hard- und Software“ wieder, was die Sache aber nicht richtiger macht.

Der „mereologischer Fehlschluss“

Ein Gehirn ohne Körper besitzt aber keine Schnittstellen und keinerlei Relationen zu seiner Umwelt, es wäre das berühmt-berüchtigte brain in the tank (Putnam). Mit Bewusstsein oder „Erste-Person-Perspektive“ hat dies aber rein gar nichts gemein und wäre ein „mereologischer Fehlschluss“. Künstliche Intelligenz ließe sich hiermit zwar zum Zwecke von Problemlösungen herstellen, aber keine selbst-referentielles, kognitiven Strukturen, die so etwas wie ein (Selbst)bewusstsein bilden könnten (zu KI vielleicht einmal später mehr in einem weiteren Essay).

Die Sackgassen des Dualismus/Monismus

In der aktuellen Debatte findet man Ansätze zu einem Paradigmenwechsel vom Dualismus hin zu einem Monismus. So postulieren Chalmers (2001) und Crick/Koch (2003) eher einen Monismus in Form des Materialismus/Physikalismus als „neural correlates of consciousness (NCC). Wohingegen Tononi und Koch (2015) eher von einem „Panpsychismus“ in Form eines Neo-Platonismus ausgehen. Beide Richtungen haben sich allerdings aus meiner Sicht als „Einbahnstraßen in Sackgassen“ in entgegengesetzte Richtung erwiesen, wie ich schon in meinen Essays zur Erkenntnistheorie zuvor versucht habe darzulegen.

Der materialistische/physikalistische Reduktionismus

Der NCC führt ebenfalls in eine Sackgasse mit dem Straßenschild „materialistischer/physikalistischer Reduktionismus“, weil die vorausgesetzten neuronalen Korrelate für die mentalen Zustände, wie zum Beispiel der „Erste-Person-Perspektive“ des Bewusstseins trotz intensiver bildgebender Untersuchungsmethoden (z. B. fMRI) einfach nicht auf dem Bildschirm erscheinen wollen. Die Sackgasse in die andere Richtung des Neo-Platonismus ist auch nicht besser, da diesem Ansatz ebenfalls keine belastbaren, empirischen Daten zugrunde liegen und wenn nun alles aus Bewusstsein besteht, kann man sich nun schnell auch in einer Spielart des Solipsismus verlieren.

Der Ausweg durch den moderaten, nicht-eliminativen, ontischen Strukturenrealismus

Einen Ausweg aus diesen Sackgassen sehe ich aber durchaus in dem moderaten, nicht-eliminativen, ontischen Strukturenrealismus zum Beispiel bei Esfeld/Lam (2008) gegeben, auf den ich später noch einmal explizit eingehen werde. Hier wird der strukturalen Einbettung der neuronalen Netzstrukturen in die Umwelt Rechnung getragen. Zudem besteht die Möglichkeit, die empirischen Daten der Neurowissenschaften auf phänomenologischer Basis auszuwerten, um sie dann mit Hilfe des moderaten Strukturenrealismus zu einem Modell zur Konstitution von Bewusstsein auszuarbeiten. Entsprechende Studien zu diesem Thema finden zum Beispiel aktuell auch in einem Forschungsprojekt „Structural Models of Phenomenality“ an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg durch Holger Lyre statt.

Die neurowissenschaftlichen Theorien

Im Gegensatz zu der rein neurowissenschaftlichen Haltung in der Integrated Information Theory (ITT) von Tononi oder der Global Neuronal Workspace Theory (GNWT)„von Dehaene postuliert Northoff hier mit seinerTemporo-spatial Theory (TTC)einen eher neurophilosophischen Ansatz. Es geht ihm hierbei um den Versuch das „missing ingredient“ (Lamme) oder den „comment currency“ (Northoff) zwischen neuronalen und mentalen Zuständen ausfindig zu machen. Die Bordinstrumente der Neurowissenschaften reichen nun mal einfach nicht aus, um diesen „explanatory gap“ (Levine) zu schließen oder das „hard problem“ (Chalmers) zu lösen.

Der „neuro-ökologische“ Bereich

Die Lösung des dualistischen „Geist-Gehirn“-Problems könnte aber, wie später noch auszuführen ist, auch aus einem anderen, eher biologischen, „neuro-ökologischen“ Bereich kommen, den Karl Friston mit seinen „free energy principle“ formuliert hat. Hier werden die Auswirkungen der raum-zeitlichen Dynamiken und den damit verbundenen entropischen Effekten auf die Bildung von Bewusstsein untersucht. Um diese Aspekte aber mit einzubeziehen, bedarf es, wie angekündigt eines Paradigmenwechsel oder einer Kopernikanischen Wende für die Neurowissenschaften, also somit einer Wende für das anfangs erwähnte „neurozentristische Weltbild“.

Die nicht-reduktive Arbeitsmethodik der Neurophilosophie

Die „holistische Duhem-Quine-These“ als neuer Ansatz gegen den Reduktionismus

Willard van Orman Quine spricht sich in „Two dogmas of empiricism. The Philosophical Review (1951)“ und „Ontological relativity and other essays (1969) für einen Holismus aus, der auch divergierende Antipoden als Übergangsformen in einem Kontinuum zulässt. Daher postuliert Quine ein Kontinuum zwischen analytischen und synthetischen Sätzen und zwischen a priori und a posteriori Wissen. Insofern könnte er auch eine Lösung für die im Essay „Der Paradigmenwechsel“ beschriebenen, dualistischen Begriffs-Cluster „apriori-analytisch-noumenal vs. aposteriori-synthetisch-phänomenal“ darstellen.

Die nach ihm und Pierre Duhem benannte holistische Duhem-Quine-These geht davon aus, dass eine Theorie aus vielen miteinander verknüpften Aussagen besteht, die ein möglichst kohärentes Gebilde ergeben. Andersherum bedeutet dies aber, dass man nicht mehr einzelne, losgelöste Hypothesen ohne den kohärenten Bezug zum Gesamtzusammenhang betrachten kann.

Die Methodik der Neurophilosophie

Die „concept-fact iterativity“ als Methodik der Neurophilosophie könnte man hier als ein solches gelungenes, holistisches Beispiel der Duhem-Quine-These ansehen. Die einzelnen Schritte der „concept-fact iterativity“ hat Philipp Klar in seinem Essay What is neurophilosophy: Do we need a non-reductive form?“ folgendermaßen zusammengefasst:

(1) Firstly, there is an initiating philosophical-conceptual input for neuroscience;

(2) neuroscience then returns an empirically plausible concept as output;

(3) this output serves as input for neurophilosophical re-defintion and investigation; and finally

(4) the interdisciplinary re-defined neurophilosophical concept is taken as the vantage point for further investigation within new research-loops.“ (ebd., S. 16)

Die methodischen Rückkopplungs-Effekte zwischen Neurowissenschaften und Neurophilosophie

Durch diese methodischen Rückkopplungs-Effekte beider Disziplinen gelangt man zu einer besseren Beschreibung der mentalen Zustände hinsichtlich ihrer strukturellen und prozessbasierten Funktionalität sowohl auf phänomenologischer als auch auf ontologischer Basis. Auf die Beschreibung der Rückkopplungs-Effekte muss ich leider mal wieder auf einen möglicherweise später erscheinenden Essay „Die Struktur im System – oder das System in der Struktur“ verweisen. Wobei ich mir allerdings  selber noch nicht so sicher bin, ob diese Beschreibung überhaupt gelingt.

Aber die Ontologie von Bewusstsein als „strukturelle, prozessbasierte Funktionalität auf phänomenologischer Basis“ versuche ich im Folgenden einmal am Beispiel der theoretischen Modelle Neurophilosophie zu erläutern. Um diese Koppelung von ontologischen und phänomenologischen Betrachtungen auf struktureller, prozessbasierter Funktionalität zu erreichen, bedarf es aber der Beschreibung im Strukturenrealismus, da hier das „Pseudoproblem“ des dualistischen „Geist vs. Materie“ methodisch erst gar nicht auftauchen kann.

Der nicht-dualistische, moderate Strukturenrealismus

In „Der Paradigmenwechsel“ hatte ich ja bereits auf die beiden dualistischen Positionen im Strukturenrealismusepistemisch (Worrall) vs. ontisch (Ladyman/French)“ aufmerksam gemacht. Auf die Probleme, die beide radikale Positionen mit sich bringen, hatte ich auch ebenfalls schon in Stegmüllers no-statement-view„verwiesen. Was aber noch fehlte, waren die Alternativen. Die könnten meines Erachtens in der nicht-dualistischen Position des „moderaten, nicht-eliminativen Strukturenrealismus“ nach Michael Esfeld und Vincent Lam liegen (s. Esfeld/Lam: „Moderate structural realism about space-time. Synthese, 160(1), 27–46. (2008) und „Ontic structural realism as a metaphysics of objects.“ In A. Bokulich & P. (2011)] Hier könnte frei nach WorallThe best of both worlds“ vereint werden. Esfeld und Lam definieren den moderaten Strukturenrealismus wie folgt:

„[…] objects and relations are interdependent, being on the same ontological footing: we get the relata and the relations at once as the internal structure of a whole, neither of them being eliminable or reducible to the other one […]“ (Esfeld/Lam: „Moderate structural realism about space-time“ 2008, S. 7)

Diese neue Implikation widerspricht selbstverständlich dem oben erwähnten reduktionistischen Ansatz. Die noch später zu beschreibenden „neuro-ökologischen Strukturen“ und die „Gehirn-Körper-Umwelt-Relationen“ benötigen aber zur Darstellung dieser Korrelation eines „moderaten, ontischen Strukturenrealismus“. Hier hätten wir dann ein Beipiel für die im weiteren Verlauf noch zu erläutrende Polytomie, was die Sache mit dem Bewusstsein aber nicht unbedingt einfacher macht, aber eine Vereinfachung wird dem nun einmal nicht gerecht.

Wenn die Dichotomie des Dualismus in diesem Bereich zielführend gewesen wäre, dann hätte es cschon längst einen Durchbruch in der KI-Forschung und Kybernetik gegeben, die Ergebnisse in den Dual-Code eines binären Systems zu überführen, um so etwas wie künstliches Bewusstsein zu schaffen. Da dies bisher aber nicht der Fall ist und auch vieles dafür spricht, dass dies auch in Zukunft nicht geschehen wird, bleibt wohl auch nichts anderes übrig als nach einer alternativen Arbeitsmethodik an der nächsten Haltestelle Ausschau zu halten.

 

Dritte Haltestelle: „Die Wende im neurozentristischen Weltbild“

Der Begriff des „Neurozentrismus“ geht auf Markus Gabriel Buch „Ich ist nicht Gehirn! Philosophie des Geistes für das 21. Jahrhundert“ (2015) zurück, den er wie folgt erläutert:

„Die Grundidee des Neurozentrismus lautet, ein geistiges Lebewesen zu sein, bestehe in nichts weiterem als dem Vorhandensein eines geeigneten Gehirns. Der Neurozentrismus lehrt also in aller Kürze: Ich ist Gehirn. Wolle man die Bedeutung von »Ich«, »Bewusstsein«, »Selbst«, »Wille«, »Freiheit« oder »Geist« verstehen, könne man nicht etwa die Philosophie, die Religion oder den gesunden Menschenverstand fragen, sondern müsse das Gehirn mit den Methoden der Neurowissenschaften – am besten gepaart mit der Evolutionsbiologie – untersuchen. Ich verneine dies und komme so zur kritischen Leitthese dieses Buchs: Ich ist nicht Gehirn!“ (ebd. , S. 14)

Der deutsche Neurowissenschaftler Thomas Metzinger behauptet dem hingegen genau das Gegenteil ganz im Sinne des Neurozentrismus, dass das Selbst/Ich nur eine Illusion sei, dem keinerlei ontologischen Status zugrundeliegende würde. Alles, was aus seiner Sicht ontologisch real sei, wäre das Gehirn; also doch wieder eine Art „brain in the tank“.

Die Kränkungen der Menschheit

Dass das „Ich“ aber mehr ist als nur sein Gehirn, hatte ich auch bereits vorher des Öfteren in der Philosophie des Geistes und der „Neurophilosophie“ versucht zu beschreiben. Nun heißt es aber einen Schritt weiter zu gehen und sich von dem neurozentristischen Weltbild abzuwenden. Dass dies aber nicht so einfach ist, hat schon Freud mit seinem 1917 geprägten Begriff für umstürzende, wissenschaftliche Entdeckungen als „Kränkungen der Menschheit“ bezeichnet, was für das Selbstverständnis der Menschheit einer Form von narzisstischer Kränkung gleichkommt:

1. Die kosmologische Kränkung (Kopernikus) als Paradigma der Kopernikanischen Wende: das Ende des „geozentrischen Weltbildes„, dass sich alles um uns zu drehen habe,

2. Die biologische Kränkung (Charles Darwin und andere): das Ende des „anthropozentrischen Weltbildes“ zumindest hinsichtlich der Annahme, dass der Mensch kein Tier, sondern die Krone der Schöpfung sei,

3. Die psychologische Kränkung (Sigmund Freud): das Ende des „egozentrischen Weltbildes„, die peinliche Einsicht, „daß das Ich nicht Herr sei in seinem eigenen Haus“, dass das Unbewusste einen erheblichen Anteil hat und

4. Die ontologische Kränkung (Markus Gabriel): das Ende des „neurozentristischen Weltbildes„, die erschütternde Feststellung, dass „Ich ist nicht Gehirn!“, dass das Gehirn nicht das Zentrum unseres Bewusstseins ist.

Die Überwindung des alten Paradigmas „Dualismus“

Jetzt reicht’s aber mit den Kränkungen! Was ist denn dann überhaupt noch „Bewusst-Sein“? Diese Krisen im Kuhnschen Sinne haben allerdings auch wieder etwas Gutes, da sie der Auslöser von wissenschaftlichen Revolutionen sein können. Dies versucht Northoff in seinem oben erwähnten Artikel „Lessons From Astronomy and Biology for the Mind – Copernican Revolution in Neuroscience“ anhand der Auflösung der vermeintlichen Dichotomien zu beschreiben. Es geht ihm hier um die Überwindung des alten Paradigmas „Dualismus“, um zu einer adäquateren Beschreibung des Problems zu gelangen. Eine mögliche Alternative zur punktförmigen Dichotomie als Methodik des Dualismus wäre die relationale Polytomie eines Strukturnetzes, die als Methodik auf den Strukturenrealismus aufbaut.

Die Polytomie zur nicht-reduktiven Aufklärung der Struktur von Relationen eines Strukturnetzes

Der in dem Buch von Georg Northoff angesprochene „Herr Kant„, könnte eine verblüffend moderne Antwort auf das Problem geben:

„Kant: „§ 113. Dichotomie und Polytomie: Eine Einteilung in zwei Glieder heißt Dichotomie; wenn sie aber mehr als zwei Glieder hat, wird sie Polytomie genannt.

Anmerk. 1. Alle Polytomie ist empirisch; die Dichotomie ist die einzige Einteilung aus Prinzipien a priori — also die einzige primitive Einteilung. Denn die Glieder der Einteilung sollen einander entgegengesetzt sein und von jedem A ist doch das Gegenteil nichts mehr als non A.

2. Polytomie kann in der Logik nicht gelehrt werden; denn dazu gehört Erkenntnis des Gegenstandes. Dichotomie aber bedarf nur des Satzes des Widerspruchs, ohne den Begriff, den man einteilen will, dem Inhalte nach, zu kennen. — Die Polytomie bedarf Anschauung; entweder a priori, wie in der Mathematik (z. B. die Einteilung der Kegelschnitte), oder empirische Anschauung, wie in der Naturbeschreibung. —

Doch hat die Einteilung, aus dem Prinzip der Synthesis a priori, Trichotomie; nämlich 1) den Begriff, als die Bedingung, 2) das Bedingte, und 3) die Ableitung des letztern aus dem erstern.“ (Immanuel Kant: „Logik, II. Allgemeine Methodenlehre, II. Beförderung der Vollkommenheit des Erkenntnisses durch logische Einteilung der Begriffe“ https://www.textlog.de/kant-logik-dichotomie.html)

Wenn man aber schon so etwas Komplexes wie die Entstehung von Bewusstsein auf dem „Seziertisch“ hat, sei es doch auch erlaubt, hier ein paar „Schnitte“ mehr zu machen als nur die „primitive Dichotomie“ des alten cartesischen Dualismus in „Geist vs. Gehirn“. Kant beschreibt dies aber auch schon vollkommen korrekt: „Die Polytomie bedarf der Anschauung“, da „alle Polytomie empirisch [ist]“.

Die strukturelle, prozessbasierte Funktionalität – „embodiment“ und „embededdness“ als Wende in den Weltbildern

In dem oben erwähnten Artikel „Lessons From Astronomy and Biology for the Mind – Copernican Revolution in Neuroscience“ beschreibt Northoff die Bildung von Bewusstsein gemäß einem moderaten, nicht-eliminativen, ontischen Strukturenrealismus zunächst einmal als „Welt-Gehirn-Körper-Relationen“. Reale Objekte, wie Gehirne, stehen als Relata in einer Relation zu ihrem Körper und zu dessen Umwelt und bilden mit diesen Relationen zusammen eine interne Struktur als Ganzes, was zu einer Form von Bewusstsein führen kann.

Das „embodiment“ als Beispiel für ein heliozentrisches Weltbild

Das „embodiment“ ist hier die „missing ingredient“. Durch die Einbeziehung des Körpers wird zumindest schon einmal ein postkopernikanischer Standpunkt erreicht, bei dem sich die Erkenntnis durchsetzt, dass sich das Bewusstsein nur in einem Gesamtkörper bilden kann. Damit wäre man zumindest schon einmal im heliozentrischen Weltbild angelangt, dass sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt, wie manche Menschen auch heutzutage noch glauben. Das Gehirn ist Teil des Körpers, wie die Erde Teil eines Sonnensystems ist. Wie diese Einbettung in den Körper als Überwindung des alten „Materie vs. Geist“- oder „Welt vs. Gehirn“-Dualismus aussehen könnte, darüber streiten sich aber noch die Gelehrten der Neurowissenschaften und Philosophen des Geistes.

Dies unterscheidet sich vom eliminativen Ansatz, der nur die Strukturen als gegeben sieht und vom epistemischen Ansatz, dem es nur um die Relationen geht. Daher könnte man diesen Ansatz auch mit dem „embodiment“-Konzept des Enaktivismus (Varela/Maturana:“Der Baum der Erkenntnis“ 1984) vergleichen, da sich hier einige strukturelle Gemeinsamkeiten finden. Auf den Enaktivismus möchte ich noch einmal später gesondert in einem weiteren Essay zum systemtheoretischen Ansatz in der KI-Forschung und „Kybernetik 2. Ordnung“ eingehen.

Das „embeddedness“ als ein Beispiel für ein relativistisches Weltbild

In der Temporo-spatial Theory (TTC) geht Northoff aber über das reine embodiment (Varela: „The Embodied Mind: Cognitive Science and Human Experience“ 1991) als „body-brain-relation“ hinaus und postuliert zudem noch zusätzlich eine „world-brain-relation“ (Northoff 2018b, 2019a) als „embeddedness“. Der hier vollzogene Paradigmenwechsel wäre vergleichbar mit einer Kopernikanischen oder Darwinschen Wende, da von nun an das Gehirn und seine Funktionalität nicht mehr losgelöst von seiner Umwelt untersucht werden kann.

Das Gehirn wird nun nicht mehr als isolierte Entität betrachtet, welches sich nachträglich mit dem Körper und der Welt verbindet. Im Gegenteil, unter dem Gesichtspunkt des ontischen Strukturenrealismus bilden die Relationen zwischen Gehirn-Körper-Umwelt schon von Anfang an eine unzertrennbare Einheit, solange der Organismus lebt. Nur die Strukturen sind innerhalb ihrer Relationen veränderbar, da die Relationen die Strukturen konstituieren und nicht umgekehrt.

Der menschliche Körper hängt nun mal nicht im luftleeren Raum, sondern hat sich evolutionsgeschichtlich in einer spezifischen Umwelt gebildet und besitzt insofern auch spezifische Eigenschaften. Durch diese raumzeitliche Einbettung des Körpers samt seiner Kognition in seine Umwelt kann man die „Welt-Gehirn“-Beziehung folglich auch nicht mehr als rein relationale Punkt-Entitäten (hier „Welt“ vs. dort „Gehirn“) betrachten, sondern muss sie eher als Bestandteil einer Gesamtstruktur in einem Relationsnetz sehen.

Das Erkenntnissubjekt vs. Erkenntnisobjekt

Diese Sichtweise läuft aber komplett gegen unser altes dualistisches Weltbild. Unsere Selbstwahrnehmung als ein erkenntnisfähiges Subjekt besteht doch gerade darin, dass wir im „common sense“ davon ausgehen, dass die uns umgebende Welt als ein zu erkennendes Objekt real und von uns unabhängig existiert. Dies ist ja auch das bekannte Mantra, das die Epistemologie des Naturalismus gebetsmühlenartig immer wiederholt und vor sich her trägt. Wenn man nun demgegenüber davon ausgehen muss, dass unser Gehirn ein integraler Bestandteil seiner Umwelt ist, wird es schon schwieriger mit der Aufrechterhaltung von Erkenntnissubjekt und Erkenntnisobjekt.

Die empirischen Befunde

Die empirischen Befunde zu dieser Hypothese basieren auf Untersuchungen zur Veränderung des Entropiegrades im ventromedialen Bereich des präfrontalen Kortex (Duncan et al., 2015), bei denen man einem Zusammenhang zu intern-geleiteten Entscheidungsfindungen (z. B. N200 im EEG; Nakao et al., 2013) im späteren Erwachsenenalter herstellen kann. Dieses beobachtete Phänomen kann man an einem einfacheren Beispiel, dem „Mitnahme-Phänomen“, erläutern. Der Rhythmus oder die Tonfolge von Musik führt irgendwann zum unbewussten Wippen der Füße, da diese sich dem Rhythmus der Musik anzupassen versuchen (Lakatos et al., 2013; van Atteveldt et al., 2015). Gleich einer Synchronisation passt sich die zeitlich-räumliche Dynamik der neuronalen Aktivität des Gehirns der zeitlich-räumlichen Dynamik der Umgebung an, was Northoff (2013, 2014a,b, 2016a,b,c,d, 2018) mit seiner „Temporo-spatial Theory of consciousness“ (TTC) zu umschreiben versucht.

Letzte Haltestelle „Zielstation“: Der Paradigmenwechsel als Wende vom „neuro-zentristischen“ zum „neuro-ökologischen“ Weltbild

Wenn dem so ist, dann haben diese neuen Erkenntnisse natürlich weitreichende Folgen und würden zu einer völlig neuen Sichtweise führen. Der hierbei vollzogene Paradigmenwechsel als Wende vom „neuro-zentristischen“ zum „neuro-ökologischen“ Weltbild würde einer Kopernikanischen Wende in den Neurowissenschaften gleichkommen, die vergleichbar wäre mit dem Übergang in der Physik vom „mechanischen“ zum „relativistischen Weltbild. Was beide Paradigmenwechsel verbindet, wäre der Bezug zum Strukturenrealismus, der im Stande wäre die Konzepte des „embodiment“ und „embededdness“ adäquat abzubilden, da nun auch die strukturellen Kopplung der Relationen als holistische Gesamtstruktur beschrieben werden können.

Die Darstellung der Relationen des „embededdness“ mit Hilfe des Strukturenrealismus

Durch die strukturellen Kopplungen der Relationen entstehen in dessen Folge Netzstrukturen, die im moderaten, nicht-eliminativen Strukturenrealismus (Esfeld/Lam), im Gegensatz zum eliminativen Strukturenrealismus (Ladyman/French), noch auf konkrete, raumzeitliche Punkte als Relata referieren können. Dies ist aus meiner Sicht wichtig, weil ansonsten die empirische Überprüfbarkeit irgendwann verlustig gehen würde und man nur noch Strukturen ohne inhaltlichen, empirischen Bezug hätte. Wie die im semantischen Strukturenrealismus (Stegmüller/Sneed) Fall ist, wo die Strukturelemente nur noch auf sich selbst als „T-Theorizität“ referieren können.

Also möchte ich mich im Folgenden hauptsächlich auf den moderaten Strukturenrealismus nach Esfeld/Lam beziehen, der diese strukturelle Kopplung der Relationen wie folgt beschreibt:

„[…] we are committed to the view that objects and relations are interdependent, being on the same ontological footing: we get the relata and the relations at once as the internal structure of a whole, neither of them being eliminable or reducible to the other one. We cannot dispense with objects on pain of running into absurdity; we cannot accord priority to relations or intrinsic properties over objects, because we cannot conceive objects as bundles of either relations or intrinsic properties, for these fail to provide for a distinction in the case of quantum entanglement as well as in the case of space-time points; and we cannot grant priority to objects, for this would commit us to primitive thisness.“ (Esfeld/Lam: „Moderate structural realism about space-time“ 2008)

Das Unbestimmtheitsprinzip als Problem der Neurowissenschaften

Im Gegensatz hierzu wurde bislang in den Neurowissenschaften zur vollständigen Beschreibung der Korrelation von neuronalen mit mentalen Zuständen immer von einem positivistischen Ansatz ausgegangen, dass es nur eine Frage der Größe der empirischen Datenmenge sei, bis eine vollständige Beschreibung der strukturellen Relationen möglich sei. Wäre man nun gleich einem deterministischen Laplaceschen Dämon im Besitz aller funktionalen Zustände im Gehirn, dann könne man auch ein entsprechendes Modell zur Bildung von Bewusstsein oder Willensfreiheit entwickeln. Selbst der ansonsten sehr positivistisch-gestimmte, leider vor kurzem verstorbene, theoretische Physiker Stephen Hawking, der sich auch schon häufiger zu philosophischen Fragen explizit geäußert hat, geht in seinem Buch „Einsteins Traum. Expeditionen an die Grenzen der Raumzeit“ (1993) nicht von dieser positivistischen Vorhersagemöglichkeit aus:

„Doch auch das menschliche Gehirn ist dem Unbestimmtheitsprinzip unterworfen. […] Das menschliche Gehirn enthält etwa 10^26 oder hundert Millionen Milliarden Milliarden Teilchen. Diese Zahl ist bei weitem zu groß, um jeweils auf eine Lösung der Gleichungen hoffen und das Verhalten des Gehirns auf Grund des Anfangszustandes und der eintreffenden Sinnesdaten vorhersagen zu können. In Wirklichkeit sind wir natürlich noch nicht einmal in der Lage, den Anfangszustand zu messen, weil wir dazu das Gehirn auseinander nehmen müssten.“ (Stephen Hawking: „Einsteins Traum. Expeditionen an die Grenzen der Raumzeit“ 1993, S. 133-134)

Schon allein durch das Unbestimmtheitsprinzip ist also ein limitierender Faktor hinsichtlich der vollständigen neuronalen Strukturaufklärung und ihre Korrelation zu entsprechenden mentalen Zuständen (z. B. „Qualia„) vorhanden. Aufgrund der Gödelschen Unvollständigkeitssätze und der Duhem-Quine-These ist zudem davon auszugehen, dass dieses Problem auch vor logische Grenzen stoßen wird, also dass es keine Frage der Datenmenge, der Rechenleistung oder des Fortschritts ist.

Die Polytomie von relationalen Netzstrukturen

Aus diesem Grunde wäre hier eher wieder ein methodischer Ansatz auf Basis des moderaten Strukturenrealismus vorzuziehen. Der Vorteil liegt darin begründet, dass man nun nicht mehr wie im alten Paradigma des Dualismus verzweifelt nach diesen Korrelaten zwischen „Geist und Materie“ oder „Gehirn und Welt“ suchen muss, sondern man kann jetzt auf phänomenologischer Basis Beobachtungen machen, die dann mit Hilfe des Strukturenrealismus ausgewertet werden können. Hierbei besteht dann die Möglichkeit im besagten no-statement-view (Stegmüller) Strukturen von relationalen Theorienetzen zu bilden, die dann im Zuge einer „concept-fact iterativity“ wieder mit Hilfe von bildgebenden Untersuchungsmethoden (fMRI) auf ihre empirische Validität hin überprüft werden können. Die methodische Dichotomie zwischen „Geist“- oder „Materie“-Entitäten“ wird zugunsten einer Polytomie von relationalen Netzstrukturen aufgehoben.

Eine Analogie als Bildvergleich

Um dies besser zu erläutern, sei mir hier eine Analogie in Form eines – im wahrsten Sinne des Wortes – Bildvergleiches erlaubt. Das Paradigma des Dualismus mit seiner Methodik der Dichotomie ist vergleichbar dem „schwarz-weiß“-Sehen. Natürlich kann man schon mit Hilfe des dualen Systems „schwarz vs. weiß“ ein monochromes 1-Bit-Bild nur aufgrund der Kontrastwerte erzeugen. Wenn man genügend Bildpunkte (Pixel) erzeugt hat, erhält das „Bild“ auch eine entsprechende Auflösung. Dies würde dem dualistischen Paradigmas der reduktionistischen Ansätzen in den Neurowissenschaften entsprechen, genügend „Geist-Materie“-Korrelationspunkte im NCC aufzuklären, um hieraus ein Gesamtbild von der Funktionalität des Gehirns zu entwickeln. Aus den oben genannten Gründen erscheint dieses ehrgeizige Projekt aber als nicht sehr erfolgversprechend schon aufgrund der Menge der zu bildenden Korrelationen.

Bei dem „embodiment“-Ansatz werden zusätzlich auch noch die internen Relationen untereinander berücksichtigt. Diese Form der Polytomie wäre dann vielleicht mit einem 8-Bit-Graustufenbild mit 256 Abstufungen vergleichbar.

Bei dem „embeddedness“-Ansatz kommen nun noch die komplexen Relationen zur Umwelt hinzu, sodass man nun mittlerweile vielleicht bei einem 24-Bit-True-Color-Bild mit 16,7 Millionen verschiedenen Farbwerten angelangt wäre. Das True-Color-Bild hätte natürlich schon aufgrund der größeren Menge an Farbwerten einen stärkeren Bezug zur Realität als ein verpixeltes, monochromatisches Schwarz-Weiß-Bild. Die präzisere Darstellung wird natürlich durch eine höhere Komplexität erkauft, aber bei den aktuellen informationstechnolgischen Möglichkeiten dürfte dies kein Problem mehr darstellen. Der methodische Vorteil des Strukturenrealismus liegt nun aber genau darin die sich bildende Struktur als Gesamtbild zu sehen und nicht mehr die einzelnen Punkte isoliert zu betrachten.

Das „freie Energie Prinzip“ als neuro-ökologische Wende

Ein aktuelles Beispiel aus den Forschungsprojekten stellt die Aufklärung der Synchronisation der „world-brain-embeddedness“ in Bezug auf „neuro-ökologische“ Aspekte dar. Die neuro-ökologischen Aspekte gehen auf das „free energy principle“ von Karl Friston („The free energy principle: a unified brain theory? 2010) zurück. Friston zu Folge stellt dieses biologische Prinzip eine evolutionäre Anpassung des Körpers an seine Umwelt dar. Der hierbei zum Tragen kommende Vorteil zielt immer auf eine Minimierung der Menge an freier Energie als „Homöostase ab, die aus der Diskrepanz zwischen dem „Welt-Gehirn“-System entsteht. Dieses allgemeine Prinzip der Minimierung der Menge an freier Energie kann man ganz allgemein als wesentliches Charakteristikum für alle lebenden Organismen betrachten. Leben bedeutet hier ein Entgegenwirken der Entropiezunahme, die aus dem 2. Thermodynamischen Hauptsatz entsteht:

„Für lebende Organismen scheint der zweite Hauptsatz der Thermodynamik indes nicht zu gelten. In ihnen laufen Prozesse ab, die mit einer Verringerung der Entropie einhergehen. So gesehen wären alle Lebewesen Inseln der Ordnung in einem Meer von Unordnung. Denn sie besitzen die einzigartige Fähigkeit, sich selbst zu strukturieren und die dabei erzeugte innere Ordnung an die nächste Generation weiterzugeben. Stellt man sich gar auf den Standpunkt der biologischen Evolution, dann entsteht aus vorhandener Ordnung neue Ordnung, entwickeln sich aus weniger komplexen immer komplexere Organismen.“(Martin Koch: „Was ist Leben? https://www.neues-deutschland.de/artikel/1101908.erwin-schroedinger-was-ist-leben.html)

Das Entgegenwirken der Entropiezunahme durch Strukturierung

Die „Gehirn-Körper“-Relationen

Ein Entgegenwirken der Entropiezunahme bedeutet Strukturierung. Insofern könnte man die Bildung der neuronalen Netzstrukturen der „Gehirn-Körper“-Relationen unter diesem biologisch-evolutionären Gesichtspunkt als eine reine Anpassung der Kognition an die Umwelt betrachten, um auf unvorhergesehene, plötzliche Veränderungen der Umwelt adäquat und schnell reagieren zu können, ohne eine energieaufwendige, längerfristige Vor- und Nachteil-Abwägung durchführen zu müssen. Das Bewusstsein stellt – wenn man diesem Ansatz folgt – nichts Besonderes mehr dar, sondern ist auch nur ein Teil der „Körper-Gehirn“(embodiment)- und „Welt-Gehirn“(embededdness)-Relationen, die im Sinne der Minimierung der der freien Energie eine nachhaltige, kognitive Strukturierung als „Temporo-spatial Theory of consciousness“ (TTC) erzeugt haben.

„Welt-Gehirn“-Relationen

Diese kognitiven Strukturierungen ließen sich als bilaterale Interaktion zwischen der tiefen Einbettung und Abhängigkeit der „Körper-Gehirn“-Relationen in die kontextuelle Welt/Umgebung als „Welt-Gehirn“-Relationen beschreiben. Die hierbei gebildeten, kognitiven Strukturen haben damit auch keine Sonderstellung mehr inne, da sie nur noch als eingebetteter Teil einer Gesamtstruktur gesehen werden können. Dieses „generative Modell“ stellt aber kein neuronales Modell zur Erklärung der neuronalen Strukturen im Gehirn selbst dar. Das Modell versucht eher die langfristigen, stochastischen Regelmäßigkeiten in der Beziehung zwischen Welt/Umwelt- und Organismus/Gehirn-Relationen als Interdependenz im Kontext (Bruineberg et al.,:“Free-energy minimization in joint agent-environment systems: A niche construction perspective“ 2018a) zu untersuchen.

Das Ende des neurozentrischen Dualismus

Der unproduktive, neurozentrischen Dualismus zwischen einem „Innen vs. Außen“ hat sich damit in Wohlgefallen aufgelöst; aber wohlgemerkt, nicht in Form eines Panpsychismus. Dieser „neuro-ökologische“ Blick auf die freie Energie in lebenden Organismen (Bruineberg und Rietvield 2014, Bruinberg et. al. 2018a,b) hat ebenfalls weitreichende Konsequenzen für die weitere Beschreibung der „Welt-Gehirn“-Relationen als „generatives Modell“, das sich aber nicht mehr in der Annahme einer repräsentationalen Darstellung der Welt in den neuronalen Strukturen ausdrückt.

Friston’s „Dynamics versus dualism“

Friston verwirft diesen alten Dualismus „Gehirn vs. Umwelt“ ausdrücklich in seinem Essay „Dynamics versus dualism: Comment on „Is temporo-spatial dynamics the ‚common currency‘ of brain and mind?“ by Georg Northoff et al (2019)„, da aus den empirischen Daten zur Rückverfolgung der inneren mentalen Zuständen auf die externen neuronalen Zuständen keinerlei Anzeichen für einen derartigen Dualismus ersichtlich sind. Im Gegenteil bei der biologischen Untersuchung der neuro-mentalen Beziehung tritt die raumzeitliche Dynamik in Bezug auf die Informationsgeometrie eher als Konjugation denn als Kausalität in den Vordergrund. Die internen und externen Sphären mit ihren jeweiligen Informationsgeometrien resultieren auf diesen zugrundeliegenden dynamischen Prozessen, die dann mit Hilfe vonMarkov Blankets mathematisch dargestellt werden können. Aus diesem Ansatz könnten sich noch weitere spannende Untersuchungsaspekte hinsichtlich einer tieferen, verborgenen, konzeptionellen Botschaft ergeben, die aber an dieser Stelle leider nicht mehr Teil der Untersuchung sein können.

Der selbst-referentielle Bezug

Für die weitere Planung steht noch ein Essay „Das System braucht neue Strukturen“ zur systemtheoretischen Untersuchung der autopoeitischen „Rückkopplungs-Effekte“ oder des „selbst-referentiellen Bezuges“ hinsichtlich der strukturellen Kopplung des Selbst-Bewusstsein aus, bei dem ich mir einmal die bisherigen Ergebnisse der KI-Forschung ein wenig genauer anschauen und hier insbesondere auf die „Kybernetik 2. Ordnung“ und „Polykontexturalität“ als praktische Anwendungen für den postulierten Paradigmenwechsel eingehen möchte.

Ich bin immer mit meiner „Diogenes-Lampe“ unterwegs, um Menschen zu finden, die sich auch nach ein wenig „Licht der Erkenntnis“ sehnen. Also wenn Ihr eigene Beiträge oder Posts für meinen Wissenschaft-/Philosophie-Blog habt, immer her damit. Sie werden mit Eurem Namen als Autor auf meiner Seite veröffentlicht, so lange sie den oben genannten Kriterien entsprechen. Denn nur geteiltes Wissen ist vermehrtes Wissen.
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Axel Stöcker
3 Jahre zuvor

Lieber Dirk,
wieder ein faszinierender und sehr vielschichtiger Artikel. Wie stellst Du nur die ganzen Bezüge her? Extrem anregend! Und, meiner bescheindenen Meinung nach, super ausgewählte Zitate.

Als Gesamteindruck zu dem Problem (also ohne ansatzweise alles verstanden zu haben :-)) – mehr aus dem Bauch heraus – folgende ungeordnete Gedanken:

1.) Der Neurozentrismus ist gescheitert. Das hast Du gut aufgezeigt. Es braucht eine Wende!

2.) Die Neuro-Ökologische Wende? Ich verstehe sie, soweit sie Kritik am Dualismus ist, aber (noch) nicht, soweit sie Hoffnung ist. Dafür sind mir die Ansätze noch zu schwammig (oder ich habe sie zu wenig verstanden).

3.) Kochs Bemühen des 2. Hauptsatzes für die Erklärung des Bewusstseins scheint mir (noch) nicht überzeugend. Die Tatsache, dass er für lebende Organismen nicht zu gelten scheint, lässt sich ja bekanntlich durch die schlichte Tatsache erklären, dass alle Lebewesen Wärme an die Umgebung abgeben. Da fällt mir auf: Ist nicht gerade die Thermodynmik durch ihre Unterscheidung zwischen System und Umgebung konsequent dualistisch?

4.) Sehr gut gefallen hat mir der Vergleich mit dem Laplaceschen Dämon. Da bin ich diesmal ganz bei meinem Freund Stephen Hawking: Das Gehirn, ein kausal funktionierendes System? Kann eigentlich nur ein schlechter Witz sein!

5.) embeddedness und so: Klingt für mich im Moment noch etwas nach Taschenspielertrick. Mein Problem / meine Forderung: Auch eine nicht-dualistische, neuro-ökologische (oder wie auch immer geartete) Theorie müsste am Ende das Qualiaproblem lösen können, so wie das kopernikanische Weltbild die Bahnen der Planeten etc. erkären konnte. Das sehe ich im Moment noch nicht bzw. es hört sich für mich so an, als würde das Problem geschickt umgangen.

So weit meine, von geballten Halbwissen gesättigen Gedanken zum Problem. Freue mich auf die weitere Diskussion – hier und anderswo.

Holger
Holger
7 Monate zuvor
Reply to  Philo Sophies

Zum Beispiel hat sich der Klassiker „die Welt als Scheibe“ (abgesehen von ein paar, bis heute irre-geleiteten „Flachen-Erden-Verschwörungstheroretikern“ = „Flat-Earther“) als Gott sei Dank Weltbild nicht halten können.“

War denn jemals von einer „Scheibe“ die Rede? Nach meinen Recherchen war von einer flachen Erde mit Bergen die Rede. Eine flache Erde mit Bergen wäre keine Frisbee-Scheibe. Hier sehe ich einen Fehler in der Formulierung.

Vorab: Ich bin in KEINER Sekte, auch nicht in der Flache-Erde-Sekte. Weshalb die Erde eine rotierende Kugel sein soll, erschließt sich mir allerdings auch nicht.

Muss die Erde zwingend eine konkrete Form haben? Diese Frage stelle ich mir. Falls der Geist die Macht schlechthin ist, so hätte die Erde überhaupt keine konkrete Form:

1. Das Prinzip der Geistigkeit: „Das All ist Geist; das Universum ist geistig.“

Man sollte nicht immer entweder – oder denken……der Geist ist zwar unklar, jedoch muss die Erde nicht zwingend eine konkrete Form haben – auch eine denkbare Variante ->

https://www.mythologie-antike.com/t91-hermes-mythologie-gotterbote-viel-mehr-sehr-komplizierter-typ

Dirk Boucsein
1 Jahr zuvor

Hi P.,

now I have to apologize for my late reply to your very interesting and inspiring input.

This also sounds like an exciting topic to build a „bridge between European and Asian thinking“ regarding the possibilities of a „New Metaphysics“. Your reference to „Nastik“, whose doctrine I don’t know at all by the way, but which reminds me of a „misunderstood Epicureanism“, seems to find a wide following in the Western countries though. Everyone seems to indulge only in „YOLO = „you only live ones“) and is bent on a hedonistic increase of enjoyment in this world or here and now. I wouldn’t really have expected that from a Hindu school of thought, as it seemed to me that this was more about spiritual perfection.

Speaking of „New Metaphysics“, I think the „process metaphysics“ of an Alfred North Whitehead should actually fit perfectly with the „time“ notion in Asian philosophy. Or how do you see it?

I once tried a new approach to a new metaphysics of time considering Whitehead’s process philosophy as an essay. If you are interested, you can find the article here: https://philosophies.de/index.php/2023/02/11/eine-strukturierte-geschichte-der-zeit/

I would be very happy about a feedback.

Kind regards
Dirk

Philo Sophies
1 Jahr zuvor

Dear P.,

thank you very much for your very kind and remarkable comment, to which I would like to respond.

That there could be something like an „objective reality“, I also do not think. In German, therefore, a distinction is also made between „Wirklichkeit“ (efficacy) and „Realität“ (reality), which apparently does not exist in this form in English.

Regarding your remark: „We’re all living in individualized simulations created by our brains. What we perceive doesn’t exist in the same form outside us or to any other perceiver. Good to keep in mind.“ we have an interview with the recently deceased brain researcher Gerhard Roth, which is in German, but English subtitles can be switched on. If you are interested, you can watch it here:

https://youtu.be/0LG4gU_jfik

By the way, I am not convinced by the neurocentric point of view of biological constructivism, but rather assume a structural coupling of the brain with the body (embodiment) and the environment (embededdness), as I tried to present it in the mentioned essay „The neurocentric worldview – please turn around!“. I will post a few more excerpts from said essay here. Maybe then my position will become clearer.

Thank you for your interest and
kind regards

Philo Sophies

Dirk Boucsein
6 Monate zuvor

Dear Thomas,

thank you very much for your very interesting and remarkable article, which I wanted to comment on briefly.

In my view, you are absolutely right when you first of all emphasize that the supposed „hard problem“ is actually not such a „difficult“ problem at all, once you make a „perspective“ or even „paradigm shift“, as Georg Northoff puts it in his article „Lessons From Astronomy and
Biology for the Mind-Copernican Revolution in Neuroscience“ (2019) in frontiers in Neuroscience (https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fnhum.2019.00319/full).

I once wrote my own essay on this, „The neurocentric worldview – please turn around!“ (https://philosophies.de/index.php/2021/04/25/das-neurozentristische-weltbild/) and we once had the great pleasure of interviewing Georg Northoff personally on this topic in English „Some kind of consciousness“ (https://youtu.be/BsZH3BiLR14).

From my humble perspective, we are actually looking at the wrong place and should finally say goodbye to „neurocentrism“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Neurozentrismus) and allow a spatio-temporal „embeddedness“ and an embodied „embodiment“ paradigm.

„There’s more to learn. And spatiotemporal neuroscience is taking us there.
It’s exciting.“

With this in mind, thank you for your interest and
best regards

Dirk