5 nach 12 beim Klima

Zoomposium mit Prof. Christian Breyer: „5 nach 12 beim Klima?“

Zoomposium mit Prof. Christian Breyer: „5 nach 12 beim Klima? – Brauchen wir tatsächlich einen ‚globalen Pearl-Harbor-Effekt‘?“

1. Informationen zur Person

In einem weiteren sehr spannenden Interview aus unserem ZoomposiumThemenblog „Energie und Klima“ sprechen Axel und ich diesmal mit dem deutschen Professor Christian Breyer für Elektroingenieurwesen in der Abteilung für Energiesysteme an der Technischen Universität Lappeenranta LUT in Finnland.

Er studierte 1999 Betriebswirtschaft an der VWA Kempten und erwarb einen Bachelor äquivalenten Abschluss. 2006 absolvierte er seinen M.Sc., Dipl.-Phys. und 2007 seinen M.Sc., Dipl.-Ing., Clausthal University of Technology an der Clausthal University of Technology.  2012 folgte der Dr.-Ing. an der Universität Kassel. Seit 2014 erhielt er einen Ruf an die Universität Technische Universität Lappeenranta in Finnland, wo er seit 2018 einen Lehrstuhl für „Solar Ökonomie“ inne hat.

Auf Christian Breyer war ich bei meinen Recherchen zum Thema „Erneuerbare Energien“ gestoßen, weil ich mich bedingt durch die Vorbereitungen auf meinen zu erteilenden Chemie-Unterricht mit den Möglichkeiten der Substitution von fossilen Energieträgern durch Wasserstoff oder „E-Fuels“ auseinander gesetzt habe. Desweiteren wollte ich im Zusammenhang mit unserem Themenblog „Energie und Klima“ mal einen kompetenten Fachmann zu den Möglichkeiten der alternativen Energiegewinnung  und -speicherung“ befragen.

2. Wissenschaftliche Forschungsarbeiten

Christian Breyer forscht auf dem Gebiet der lokalen und globalen Modellierung und Simulation von Energiesystemen. Der Schwerpunkt liegt auf Entwicklung von technologiebasierten, kostenoptimierten, auf mehrere Dekaden angelegten Übergangssystemen für die Energiewirtschaft und die CDR-Pfade zu einer vollständig nachhaltigen Energieversorgung unter Berücksichtigung der Nachhaltigkeits- und Klimaziele unter Berücksichtigung biophysikalischer Grenzen, Geschäftsmodelle und einschlägiger politischer Empfehlungen.

Und genau zu diesem sehr spannenden und sehr wichtigen Thema der „biophysikalischen Grenzen, Geschäftsmodelle und einschlägigen politischen Empfehlungen“ haben wir auch Herrn Breyer befragt, da die Menschheit scheinbar in einem Dilemma steckt, dass einerseits die Internationale Energieagentur (IEA) in ihren Berechnungen von einer Steigerung des globalen Primärenergieverbrauchs bis 2040 um über ein Viertel (26,8%) des jetzigen Bedarfs ausgeht und andererseits müssen wir den CO2-Gehalt in unserer Atmosphäre senken („Dekarbonisierung“), um die Folgeschäden durch die „globale Erwärmung“ zu verhindern. Bislang ist es aber nur bei Absichtsbekundungen wie zum Beispiel im „Kyoto-Protokoll“ von 1997 geblieben, wobei das gemeinsam vereinbarten Communiqués seit mittlerweile fast 30 Jahren immer noch auf seine globale Umsetzung wartet.

Christian Breyer nannte dies in unserem gemeinsamen Interview den „globalen Pearl-Harbor-Effekt“, dass die Menschheit und die gesamten Nationen endlich aufwachen und realisieren, dass sie bereits in einem „Kriegszustand mit der Natur“ sind und nicht erst auf die weiteren, kommenden Auswirkungen warten müssen. Man spricht in diesem Zusammenhang immer gerne von einem „5 vor 12“, wobei ein „5 nach 12“ realistischer wäre. Das hat auch nichts mit „Schwarzmalerei“ oder „Pessimismus“ zu tun, sondern versteht sich nur als Aufforderung endlich die technologischen Möglichkeiten zu nutzen, die eine „vollständig nachhaltige Energieversorgung unter Berücksichtigung der Nachhaltigkeits- und Klimaziele“ berücksichtigen. Dazu mehr schon einmal in unseren Interviewfragen oder in unserem gemeinsamen Gespräch mit Professor Christian Breyer.

3. Interviewfragen: „5 nach 12 beim Klima? – Brauchen wir tatsächlich einen globalen Pearl-Harbor-Effekt?“

1. Sehr geehrter Herr Professor Breyer momentan steht die Menschheit vor großen Herausforderungen, wie man es den Medien und den wissenschaftlichen Publikationen entnehmen kann. Einerseits geht die Internationale Energieagentur (IEA) in ihren Berechnungen von einer Steigerung des globalen Primärenergieverbrauchs bis 2040 um über ein Viertel (26,8%) des jetzigen Bedarfs aus. Andererseits müssen wir den CO2-Gehalt in unserer Atmosphäre senken („Dekarbonisierung“), um die Folgeschäden durch die „globale Erwärmung“ zu verhindern?

  • Stecken wir hier in einem klassischen Dilemma, wenn wir in den ökonomischen Energiebedarf gegen die ökologischen Folgeschäden abwägen müssen? Oder wären die Folgeschäden in Wahrheit noch viel „unökonomischer“?

2. Sie besitzen eine Professur für Elektroingenieurwesen in der Abteilung für Energiesysteme an der Technischen Universität Lappeenranta LUT in Finnland. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf Solarwirtschaft, Technologien für erneuerbare Energien, Energieszenarien, Geschäftsmodelle für erneuerbare Energien.

  • Lohnt sich die Erforschung von „Solarwirtschaft“ für den nicht gerade „sonnenverwöhnten Standort“ Finnland überhaupt? Bzw, gibt es in der Solarwirtschaft technische Unterschiede, ja nach dem, ob man in der Sahara oder in Finnland Solarstrom gewinnt?
  • Wie können ökologische und ökonomische Geschäftsmodelle für erneuerbare Energien aussehen?
  • Welche Technologien für erneuerbare Energien halten Sie für die aussichtsreichsten Anwärter für eine nachhaltige, ressourcenschonende, klimaneutrale Energieversorgung der Zukunft?
  • Wie sehen Sie, angesichts des weltweiten Ausbaus von Atomkraftwerken, die Rolle dieser Technologie? Auslaufmodell, Brückentechnologie und ein Baustein künftiger Energieversorgung? Konkurrenz für die Solarenergie oder Ergänzung?

3. In einem Interview vom 08.12.2023 mit dem „Klima-Labor“ im Wirtschaftsteil des „n-tv“-Senders nennen Sie die aus Ihrer Sicht momentanen aussichtsreichsten „Fünf Technologien“, die für die angesprochene „Energiewende reichen“ würden: „Photovoltaik, Windkraft, Batterien, Elektrolyseure und als Direct Air Capture (DAC)“:

„Neue Wasserkraftwerke, Geothermie und Bioenergie hält der Solarökonom der Technischen Universität Lappeenranta (LUT) in Finnland dagegen für keine überzeugenden Lösungen. Grünen Wasserstoff auch nicht. Das sei ein umständlicher Energieträger, der lediglich Baustein für andere sein sollte, erklärt Breyer im „Klima-Labor“ von ntv. Denn die Zukunft der globalen Energieversorgung sieht der Forscher auf den Weltmeeren: In 30 Jahren könnten schwimmende Solarkraftwerke Strom erzeugen, der in riesigen Offshore-Fabriken für synthetische Treibstoffe in grünes Ammoniak, Methanol oder Kerosin umgewandelt und weltweit verteilt werden kann – dank Jahrzehnte alter Verfahren und dem neuen Rohstoff CO2.“ (https://www.n-tv.de/wirtschaft/Klima-Labor-zu-den-Schluesseltechnologien-CO2-wird-bald-ein-Rohstoff-sein-article24584458.html)

  • Könnten Sie uns vielleicht zunächst einmal erläutern, warum Sie „Grünen Wasserstoff“ für einen „umständlichen Energieträger, der lediglich Baustein für andere sein sollte“ halten?
  • Wie sieht es denn aber mit den ökologischen Faktoren aus, wenn Ihrer Meinung nach in den Weltmeeren nun „schwimmende Solarkraftwerke Strom erzeugen“ und in „riesigen Offshore-Fabriken für synthetische Treibstoffe in grünes Ammoniak, Methanol oder Kerosin“?
  • Wie sieht es mit den Ressourcen von Rohstoffen für den Bau von Akkus aus?

4. Sie gehen in Ihren wissenschaftlichen Publikationen, z. B. „Techno-Economic Assessment of Power-to-Liquids (PtL) Fuels Production and Global Trading Based on Hybrid PV-Wind Power Plants“ (2016) oder „Techno-economic assessment of CO2 direct air capture plants“ (2018) davon aus, dass man mit Hilfe von „Direct Air Capture (DAC)“ und anschließenden „Power-to-X-Verfahren“ „CO2 wird bald Rohstoff sein“ wird.

  • Ist eine nachhaltige Versorgung mit „E-Fuels angesichts des prognostizierten „Energiehungers“ überhaupt längerfristig möglich? Oder ist es nur als eine Übergangslösung zu betrachten, bis bessere Lösungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen?
  • Wie sieht es mit der ökonomischen Bilanz dieser doch recht energieaufwändigen Verfahren aus?
  • Müsste man hinsichtlich der ökologischen Bilanz nicht anstelle der „klimaneutralen“ E-Fuels eine negatives Saldo für den CO2-Gehalt in der Atmosphäre hinbekommen, um die schon jetzt vorhandenen Folgeschäden rückgängig zu machen?

5. Der aktulle IPCC-BerichtAR6 Synthesis Report: Climate Change 2023 nennt ausdrücklich:

Finanzen, internationale Zusammenarbeit und Technologie sind entscheidende Voraussetzungen für beschleunigte Klimaschutzmaßnahmen. Wenn die Klimaziele erreicht werden sollen, muss die Finanzierung von Anpassungs- und Minderungsmaßnahmen um ein Vielfaches erhöhen. Es gibt genügend globales Kapital, um die globalen Investitionslücken zu schließen, aber es gibt Hindernisse um Kapital in den Klimaschutz umzuleiten. Zu diesen Hindernissen gehören institutionelle, regulatorische Marktzugangshindernisse und die wirtschaftliche Anfälligkeit und Verschuldung in vielen Entwicklungsländern. Die Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit ist über verschiedene Kanäle möglich. Die Verbesserung der technologischen Innovationssysteme ist der Schlüssel zur Beschleunigung der breiten Übernahme von Technologien und Verfahren.“ (AR6 Synthesis Report: Climate Change 2023, p. 111, https://www.ipcc.ch/report/ar6/syr/, übersetzt mit DeepL, Hervorhebungen hinzugefügt)

  • Welche Meinung haben Sie zu diesem Analyseergebnis?
  • Gibt es vielleicht auch noch andere Lösungsansätze, die wir bisher noch nicht so sehr auf dem „Schirm haben“, wie z. B. „Kernfusion“?
  • Wie wird Ihrer Meinung nach unsere Erde in 50 Jahren aussehen?

Das vollständige Interview ist auf unserem Youtube-Kanal „Zoomposiumunter folgendem Link zu sehen:

https://youtu.be/k4NfTpHCxXk

(c) Dirk Boucsein (philosophies.de), Axel Stöcker (die-grossen-fragen.com)

Ich bin immer mit meiner „Diogenes-Lampe“ unterwegs, um Menschen zu finden, die sich auch nach ein wenig „Licht der Erkenntnis“ sehnen. Also wenn Ihr eigene Beiträge oder Posts für meinen Wissenschaft-/Philosophie-Blog habt, immer her damit. Sie werden mit Eurem Namen als Autor auf meiner Seite veröffentlicht, so lange sie den oben genannten Kriterien entsprechen. Denn nur geteiltes Wissen ist vermehrtes Wissen.
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Dirk
Dirk
21 Tage zuvor

Lieber M. W.,

vielen Dank für Ihren Kommentar und Hinweis.

Ich kann Ihre Kritik zunächst einmal sehr gut nachvollziehen. Der Begriff „Kriegszustand mit der Natur“ wirkt auf den ersten Blick erst einmal sehr plakativ. Er ist aber aus dem Zusammenhang gerissen und bezog sich auf ein Zitat unseres Interviewpartners Christian Breyer auf den „globalen Pearl-Harbor-Effekt“ bezogen, dass die Menschheit und die gesamten Nationen endlich aufwachen und realisieren müsse, dass sie bereits in einem „Kriegszustand mit der Natur“ sei und nicht erst auf die weiteren, kommenden Auswirkungen warten müsse.

Natürlich macht in diesem Zusammenhang die Natur als „agierende Kriegspartei“ keinen Sinn, weil sie, wie sie richtig beschreiben, nicht agieren kann, sondern nur aufgrund von Naturgesetzen die veränderten Parameter kausal umsetzt. Da haben Sie auch im philosophischen Sinne natürlich absolut Recht.

Mag sein, dass dies „effekthascherisch“ klingen mag. Aber wie kann man heutzutage überhaupt noch Menschen ohne irgendeinen „Effekt“ erreichen? Ist die „globale Erwärmung“ und das nun eindeutige Verfehlen des „1,5-Grad-Zieles“ nicht schon längst „eingepreist“ und zum „Alltagsgeschehen“ erklärt worden? Es regt sich außer ein paar Jugendlichen oder den in Überschwemmungsgebieten Betroffenen, weil die noch ein bisschen mehr „davon haben“, doch wirklich keiner mehr darüber auf. Ist es nicht schon so, wie in der US-amerikanischen Komödie „Don’t Look Up“ von 2021, dass wir einfach nur noch verwalten, statt etwas wirklich zu verändern?

Verzeihen Sie, jetzt habe ich mich leider ebenfalls ein wenig „effekthascherisch“ geäußert, aber ich bin es trotz oder wegen meines Alters Leid weiter warten zu müssen. Nicht wegen mir, aber wegen zukünftiger Generationen.

Vielen Dank für Ihr Interesse und
viele Grüße
Dirk Boucsein

Philo
Philo
19 Tage zuvor

Lieber M. M.,

vielen Dank für Deinen Kommentar und Deine weisen Worte, denen ich nur beipflichten kann.

Es nützt absolut nichts Menschen mit Hilfe von Gesetzen, Regeln oder Verordnungen zu irgendetwas zu zwingen.

Die Einsicht selber sollte zu einer Verpflichtung führen. „Es ist niemals zu spät, vernünftig und weise zu werden; es ist aber jederzeit schwerer, wenn die Einsicht spät kommt, sie in Gang zu bringen.“ (Kant)

Daher wird es doch mal Zeit etwas in Gang zu bringen ;-).

Ich habe das lange Jahre ganz genauso pessimistisch wie Du gesehen. Aber irgendwann, war ich es auch einfach Leid. Das stimmt unser jetziger immer noch wirksamer Manchesterkapitalismus setzt darauf, die endlichen, irdischen Ressourcen einfach zu verbrauchen, um daraus eine Gewinnmaximierung für sein Shareholder-Value zu erzielen.

Wenn wir „die Bestie“ nicht besiegen können, dann bieten wir ihr doch einfach anderes „Futter“ an ;-). Es geht um die Transformation der Ressourcen, um die „Wertschöpfungskette“ zu erhalten. Soll heißen, weg von den kohlenstoffhaltigen hin zu den wasserstoffhaltigen Energieträgern. Wenn die Energie auch noch aus erneuerbaren Quellen stammt, ist sie zumndest sauber und nachhaltig.

Das Ganze muss sich nur für die Industrie und die privaten Haushalte rechnen, dann wird es ein „Selbstläufer“. Herr Breyer hat da ein paar Tipps in unserem Interview rausgehauen, die aus meiner Sicht durchaus Sinn machen.

Also nicht aufgeben, vielleicht „dreht sich noch was“.

Vielen Dank für Dein Interesse und
viele Grüße