Metaphysics and Contemporary Science

Metaphysics and Contemporary Science

Möglichkeiten einer „Neuen Metaphysik“ für die modernen Wissenschaften – Teil 2

Der hier veröffentlichte Artikel wurde mir freundlicherweise von Herrn Prof. Dr. phil. Dipl.-Phys. Kay Herrmann, der als  außerplanmäßiger Professor für Wissenschaftstheorie und Philosophie an der Technischen Universität Chemnitz lehrt, zur Veröffentlichung auf meiner Seite zur Verfügung gestellt.

Der Kontakt zu dem Autor Prof. Dr. phil. Dipl.-Phys. Kay Herrmann und die Möglichkeit zur Veröffentlichung seines Artikels „Metaphysics and Contemporary Science“ wurde mir durch die sehr freundliche und hilfsbereite Unterstützung von Andrin Kohler (head of the German section) von der in punkto Philosophie international sehr bekannten schweizerischen Seite philosophie.ch ermöglicht. Ein zukünftiges „Joint-Venture“ beider Seiten ist auch bereits in Planung, worauf ich an dieser Stelle schon einmal hinweisen darf. Um den hier vorliegenden Text besser einordnen zu können, seien mir hier vielleicht noch ein paar einleitende Worte zur Erläuterung gestattet.

Der leider in letzter Zeit – besonders im angelsächsischen Raum – in Verruf geratene Begriff der „Metaphysik“ hat meines Erachtens durchaus eine Rehabilitation verdient. Besonders unter dem Druck des „wissenschaftlichen Realismus“ aus den Naturwissenschaften, aber auch durch den „logischen Empirismus“ der Philosophie eines „Wiener Kreises„, ist von der ursprünglichen Bedeutung nicht mehr viel übrig geblieben. Dass der zu Unrecht geschmähte Begriff aber meines Erachtens vielleicht eine Renaissance in Form einer „Metatheorie der Methodik“ als ein „Nachdenken über das Denken“ verdient hätte, habe ich ja bereits in meinen vorhergehenden Essays „Von der Physik zur Metaphysik“ und „Das System braucht neue Strukturen“ versucht zu begründen.

Insofern war ich sehr dankbar noch einmal Unterstützung von anderer Seite zu bekommen. Der hier freundlicherweise von Prof. Dr. phil. Dipl.-Phys. Kay Herrmann zur Verfügung gestellte Artikel „Metaphysics and Contemporary Science“ bildet den zweiten Teil zur Beleuchtung der „Möglichkeiten einer „Neuen Metaphysik“ für die modernen Wissenschaften„. Herr Professor Dr. Herrmann geht in seinem Artikel noch einmal explizit auf das  „Apriori Kants“ ein, das in seiner aktualisierten Form ein ganz neues Schlaglicht auf die Realismus-Debatte in Bezug auf den „wissenschaftlichen Realismus“ wirft und damit die Frage nach den „objektiven Möglichkeiten wissenschaftlicher Erkenntnis“ in den Raum aufwirft. In seinem sehr fundierten Artikel zeigt er aber auch neue „Perspektiven eines modernen Apriorismus“ für eine mögliche „Neue Metaphysik für die modernen Wissenschaften“ auf. Aber bevor ich hier zuviel vorwegnehme, lasse ich lieber Herrn Professor Dr. Herrmann zu Worte kommen. Des bessern Verständnis wegens, habe ich den Artikel auch in deutscher Sprache veröffentlicht.

 

Gastbeitrag von Prof. Dr. phil. Dipl.-Phys. Kay Herrmann:

Original text click here:

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 Übersetzung: „Metaphysik und zeitgenössische Wissenschaft
– Warum die Frage nach dem synthetischen Apriori nicht vorschnell aufgegeben werden sollte“

Metaphysik und zeitgenössische Wissenschaft
Warum die Frage nach dem synthetischen Apriori nicht voreilig aufgegeben werden sollte
Von Prof. Dr. phil. Dipl.-Phys. Kay Herrmann
7. Oktober 2020 – 17 min

Inhalt
1 Zur Frage der objektiven Gültigkeit wissenschaftlicher Erkenntnis
2 Synthetische Urteile a priori
3 Neuinterpretationen des Apriori
4 Die Fries-Nelson-These
5 Perspektiven eines modernen Apriorismus

Schlüsselwörter

synthetische Urteile a priori, Transzendentalphilosophie, nicht-reines synthetisches a priori Wissen, noumenales, phänomenales, objektives Wissen, Immanuel Kant, Jakob Friedrich Fries, Leonard Nelson

Abstrakt

Das Problem der synthetischen Urteile berührt die Frage, ob die Philosophie überhaupt unabhängige Aussagen über die Wirklichkeit machen kann. Für Kant formulieren die synthetischen Urteile a priori die Bedingungen der Möglichkeit einer objektiv gültigen Erkenntnis. Trotz der prinzipiellen Fehlbarkeit ihrer Aussagen strebt die moderne Wissenschaft nach objektiver Erkenntnis. Damit hat das Thema der synthetischen Apriori ungebrochene Aktualität.

In diesem Beitrag soll gezeigt werden, dass sich eine modernisierte Version der Transzendentalphilosophie, wenn sie überhaupt realisierbar sein soll, von dem Konzept der „Empiriefreiheit“ oder der „Reinheit“ des Apriori „verabschieden“ muss. Ansätze dazu finden sich bereits in Kants Überlegungen zur nicht-reinen synthetischen Erkenntnis. Darüber hinaus schließt die apriorische Gültigkeit von Wissen nicht aus, dass es empirisch entdeckt werden kann. In Anlehnung an Kant haben Fries und Nelson diese (meist zuerst Reichenbach zugeschriebene) Trennung zwischen Geltungs- und Entdeckungszusammenhang des Wissens vorweggenommen und darauf hingewiesen, dass das Apriorische zwar empirisch entdeckt, aber niemals bewiesen werden kann.

Es gibt auch heute noch gute Gründe, warum transzendentalphilosophische Konzepte für die moderne Wissenschaft von grundlegender Bedeutung sind, wenngleich nicht übersehen werden darf, dass auch im Rahmen einer modernisierten Transzendentalphilosophie einige ungelöste Probleme bestehen bleiben oder aufgeworfen werden. Zum Beispiel die Uneinlösbarkeit der universellen Gültigkeit und der notwendigen Ansprüche des Apriori, das Problem einer klaren Abgrenzung zwischen der phänomenalen und der noumenalen Welt. Außerdem geht die „schöne Struktur“ des kantischen Systems verloren, die seine Überzeugungskraft ausmachte.

1 Zur Frage nach der objektiven Gültigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse

Sicherlich muss man sich heute die Frage stellen, ob es überhaupt noch angemessen ist, nach apriorischen Begriffen in den Wissenschaften zu fragen. An die Stelle des klassischen Wissenschaftsideals, in dessen Zentrum die Suche nach einem unerschütterlichen Fundament steht, ist heute längst ein im Wesentlichen hypothetisch-deduktiver Wissenschaftsbegriff getreten, der Wissenschaft nicht mehr als ein System gesicherter Aussagen versteht. Stattdessen wird davon ausgegangen, dass alles Wissen vorläufig ist. Natürlich kann sich jeder, der versucht, die Wirklichkeit objektivierend zu beschreiben, irren. Die Annahme der Fehlbarkeit von Wissen ist jedoch nicht gleichbedeutend mit dem Verzicht auf eine objektivierende Beschreibung der Wirklichkeit (d.h. eine Beschreibung, die zumindest prinzipiell eindeutig überprüfbar und für jeden und zu jeder Zeit nachvollziehbar ist). Obwohl Popper die Fehlbarkeit jeder empirischen Erkenntnis einräumt, leugnet er beispielsweise nicht, dass die Wissenschaft auf objektivem Wissen beruht: „Wir werden auch sagen: Die Objektivität der wissenschaftlichen Sätze liegt darin, daß sie intersubjektiv nachprüfbar sein müssen.“ (Popper, Logik der Forschung S. 51)1

Wer die Möglichkeit der Objektivität wissenschaftlicher Erkenntnis anerkennt, sieht sich mit der Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit objektiver Erkenntnis und damit auch mit der Frage nach der synthetischen Erkenntnis a priori konfrontiert, wobei es bei der synthetischen a priori gerade um die Bedingungen geht, die objektive Erkenntnis überhaupt erst möglich machen.

Wolfgang Stegmüller spricht ein weiteres Thema an, das im Zusammenhang mit der Frage nach dem synthetischen Wissen a priori aufgeworfen wird: Es geht letztlich um die Frage, ob die Philosophie überhaupt eigenständige Aussagen über die Wirklichkeit machen kann oder ob alle Aussagen über die Wirklichkeit Sache der empirischen Wissenschaften sind (vgl. Stegmüller, 1989 S. XXVII). Damit steht die Identität der Philosophie als eigenständige Disziplin zur Debatte.

2 Synthetische Urteile a priori

Die Philosophie hat eine lange Tradition der Unterscheidung zwischen „a priori“ und „a posteriori. Diese Tradition lässt sich bis zu Aristoteles zurückverfolgen, der die Dinge in „früher“ und „später“ einteilte. (Vgl. Aristoteles, Metaphysik, V. 11, 1018b. in: Schwarz, 1970 S. 131). Albert von Sachsen unterschied im 14. Jahrhundert zwischen Beweisen, die von Ursachen (Gründen) auf Wirkungen (Folgen) schließen (demonstratio a priori), und Begründungen (demonstatio a posteriori), die von den Wirkungen (Folgen) zu den Ursachen (Gründen) übergehen.

In seiner „Kritik der reinen Vernunft“ (B) definiert Kant den Begriff des „a priori“ zunächst als „negativ„: „Wir werden auch im Verfolg unter Erkenntnissen a priori nicht solche verstehen, die von dieser oder jener, sondern die schlechterdings von aller Erfahrung unabhängig stattfinden.“ (KrV 2 f.)2 Ein Kriterium für die Unterscheidung zwischen „a priori“ und „a posteriori“ gibt Kant später an: „Notwendigkeit“ und (strenge bzw. begrenzte) „Allgemeinheit“ sind für ihn die beiden (einzigen) „positiven“ Determinanten des Apriori.

Ein spezifisches Merkmal der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft (B) ist Kants Unterscheidung zwischen reinen und nicht-reinen Erkenntnissen a priori: „Von den Erkenntnissen a priori heißen aber diejenigen rein, denen gar nichts Empirisches beigemischt ist.“ (KrV 3)3 Demnach ist die Erkenntnis rein, wenn „nichts Empirisches beigemischt ist“, andernfalls ist sie nicht rein. Mit anderen Worten: Ein Urteil ist nicht rein, wenn es Begriffe enthält, die „aus der Erfahrung stammen“. Enthält es dagegen nur Begriffe, die nicht „aus der Erfahrung entnommen“ sind, kann man von einem reinen Urteil sprechen. Kant betont, dass a priori Wissen nicht immer „rein“ sein muss. Da es sich bei dieser Bemerkung um einen Zusatz in der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft (B) handelt und in der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft (A) keine identische Passage zu finden ist, kann davon ausgegangen werden, dass eine solche Unterscheidung für Kant nicht unbedeutend war (vgl. Cramer, 1985, S. 27). Kant betrachtet das Kausalitätsprinzip als ein Beispiel für ein „nicht reines Urteil a priori“ (KrV 3).

3 Neuinterpretationen des Apriori

Im Rahmen moderner Umdeutungen wird a priori in Definitionen wie den folgenden verwendet: das, was bei der Theoriebildung vorausgesetzt wird; Voraussetzungen, die bestimmte Erklärungen, Ableitungen, Erkenntnisse und Erfahrungen erst ermöglichen, das, was nicht auf Erfahrung beruht, das, was nicht durch Erfahrung widerlegt werden kann.
Manchmal wird das Apriori auch im Sinne der folgenden Umdeutungen verstanden.

a. Genetisches Apriori

Konrad Lorenz interpretiert das Apriori realistisch im Sinne einer phylogenetisch entstandenen Organfunktion, die sich (aus darwinistischer Sicht) in Anpassung an Umweltfaktoren entwickelt hat. Dieser Ansatz wird heute in der evolutionären Erkenntnistheorie fortgeführt.

b. Relatives Apriori

Darunter können ältere Theorien, Prinzipien aus Theorien (häufig älter, z. B. Galileis Relativitätsprinzip) – die für die Begründung der nachfolgenden Theorie von methodischem Wert sind – oder relativ stabile Bestandteile einer Theorie (z. B. im Sinne des theoretischen Zentrums im Rahmen des strukturalistischen Theoriekonzepts von J. D. Sneed und Wolfgang Stegmüller) verstanden werden. (vgl. Herrmann, 2012)

c. Vorwissenschaftliches Apriori

Dazu gehören Alltagserfahrungen, der sprachliche Kontext, soziale und kulturelle Rahmenbedingungen einer Theorie, aber auch instrumentelle (z.B. die betrachteten Körper sollen als fest gelten), (vgl. Hübner, 1973 S. 120) juristische (z.B. Kriterien für die Akzeptanz oder Ablehnung von Theorien) (vgl. Hübner, 1973 S. 120) oder normative (z.B. Einfachheit, hoher Falsifikationsgrad) (vgl. Hübner, 1973 S. 120) Festlegungen.
Solche empirischen Umdeutungen des Apriori (z.B. im Sinne der evolutionären Erkenntnistheorie) lassen jedoch das kantische Problem offen, woher wissenschaftliche Erkenntnis ihre objektive Gültigkeit erhalten könnte, wenn alle Regeln nur empirisch bewiesen würden. Die Kritik an jeder empirischen Erkenntnistheorie kann kaum besser und prägnanter formuliert werden als von Kant selbst:

“ Denn wo wollte selbst Erfahrung ihre Gewißheit hernehmen, wenn alle Regeln, nach denen sie fortgeht, immer wieder empirisch, mithin zufällig wären; daher man diese schwerlich für erste Grundsätze gelten lassen kann.“ (KrV 5)4

Dies gilt auch für Versuche, das Apriori im Sinne von Handlungsnormen zu interpretieren. Solche Versuche sind mit dem Problem konfrontiert, woher ich die Gewissheit nehme, dass entsprechende Vorschriften (d.h. Normen oder Handlungsanweisungen) geeignet sind, funktionale Messinstrumente mit den gewünschten Eigenschaften herzustellen, wenn ich nicht das Kausalitätsprinzip voraussetze (z.B. in der Form „Wenn A erfüllt ist, dann kann ich auch B bewirken“).

4. Die Fries-Nelson-These

Jakob Friedrich Fries und die mit ihm verbundenen Schulen knüpften eng an den Kantschen Apriorismus an. Leonard Nelson, der Begründer der „Neuen Friesischen Schule“, betont, dass eine metaphysikfreie Naturwissenschaft ein Rückfall in eine gesetzlose Naturwissenschaft sei (vgl. Nelson, Ist metaphysikfreie Naturwissenschaft möglich? S. 273f.).

Nelson kritisiert jedoch, dass Kant versucht hat, die synthetischen apriorischen Prinzipien der Erkenntnis zu beweisen (vgl. Nelson, Über das sogenannte Erkenntnisproblem S. 229). Ein solcher Beweis muss erste Prämissen haben, deren Gewissheit wiederum nicht auf einen Beweis gestützt werden kann (vgl. Nelson, Über das sogenannte Erkenntnisproblem S. 230).

Jakob Friedrich Fries hatte zeigen können, dass die Vernunft nicht leer sei, sondern eine allgemeine und notwendige Gesetzmäßigkeit enthalte, die sich erst in der Reflexion wiederhole (vgl. Nelson, Die philosophischen Grundlagen des Liberalismus S. 34). So könne es durchaus ein Wissen a posteriori geben, durch das das Wissen a priori erst entdeckt werde (vgl. Nelson, Typische Denkfehler S. 214). Dieses Entdeckungsverfahren ist die „sezierende Methode der Kritik“ von Fries (vgl. Nelson, Über das sogenannte Erkenntnisproblem, S. 329), bei der die metaphysischen Prinzipien (vgl. Nelson, Über das sogenannte Erkenntnisproblem, S. 327) bewusst gemacht werden sollen.

Fries wurde wegen der Behauptung, dass das Apriori durch ein Posteriori erkannt werden kann, des Psychologismus bezichtigt. Beeinflusst von Hegel verdichtet der Philosoph Kuno Fischer diesen Vorwurf in seiner Rede als Prorektor in Jena über „Die beiden kantischen Schulen in Jena“ (1862) mit seinem bekannten Verdikt:

Was a priori ist, kann niemals a posteriori erkannt werden.“ Leonard Nelson hielt Fischer entgegen, dass der empirische Charakter der Vernunftkritik der „Apriorität der durch sie zu begründenden metaphysischen Erkenntnis“ nicht widerspricht (Nelson, Typische Denkfehler S. 214).5

Er formuliert Fischers Diktum wie folgt um: „Eine Erkenntnis a priori – denn nur Erkenntnisse können dieses Merkmal haben – kann nicht a posteriori erkannt werden“ (Nelson, Typische Denkfehler S. 214).6 (Nelson, Typische Denkfehler S. 215) Er betont, dass der Anschein von Evidenz entsteht, wenn „a priori“ und „a posteriori“ als exklusive Merkmale gedacht werden. Zwar könne „Wissen a priori“ nicht „Wissen a posteriori“ sein, woraus aber nicht folge, dass Wissen a priori nicht a posteriori erkannt werden könne – es könne durchaus Wissen a posteriori geben, durch das Wissen a priori erst entdeckt werde (vgl. Nelson, Typische Denkfehler S. 215)

Fries und Nelson unterscheiden zwei verschiedene Aspekte des Wissens: die Frage der Gültigkeit und die Frage der Entdeckung. Später hat Hans Reichenbach zwischen einem Entdeckungskontext und einem Begründungskontext wissenschaftlicher Erkenntnis unterschieden. Im Entdeckungskontext geht es um die empirischen Bedingungen, unter denen wissenschaftliche Erkenntnisse oder wissenschaftliche Theorien entstehen oder gefunden werden, während der Begründungskontext sich auf Fragen der Gültigkeit (vermutlich wahr, empirisch bewiesen usw.) konzentriert.

Übersetzt man die Rede von einem synthetischen Apriori in die Sprache der heutigen Wissenschaftstheorie, so könnte man sagen, dass es sich um Minimalbedingungen des (nicht nur zwangsläufig menschlichen) Wissens schlechthin handelt, d.h. um einen minimalen Satz von Bedingungen, um überhaupt von Wissen sprechen zu können. Im Hinblick auf solche Minimalbedingungen für Wissen kann die Zusammenfassung der Überlegungen von Fries und Nelson so formuliert werden:

Für die Möglichkeit objektiven Wissens ist ein minimaler Satz allgemeiner Bedingungen (unabhängig von der Natur des Wissensgegenstandes) notwendig, der durch die Analyse der realen Erkenntnisprozesse gefunden werden kann. (Fries-Nelson-These)
Was gehört zu diesen Bedingungen? Dazu gehören z.B.: die Fähigkeit, eine Welt-für-sich (phaenomena) von einer unabhängigen Welt-für-sich (noumena) zu unterscheiden, die Fähigkeit, Invarianten zu bilden, die Fähigkeit, kausale Zusammenhänge herzustellen und die Zukunft zu antizipieren, die Vorstellung von Raum und Zeitlichkeit, das Ich-Bewusstsein, etc.

5 Perspektiven eines modernen Apriorismus

Kant hat wesentliche Minimalbedingungen für objektive Erkenntnis genannt. Der Anspruch, diese durch Evidenz erzeugen zu wollen, ist heute jedoch nicht mehr aufrechtzuerhalten. Dies ist die wichtige Bedeutung der Kant-Kritik von Fries und Nelson. Die folgenden Überlegungen sollen verdeutlichen, dass solche Bedingungen in der Erfahrung zu finden sind.

Grundlegend bedeutsam bleibt Kants Unterscheidung aller Gegenstände in Phaenomena und Noumena. Diese Unterscheidung findet sich bereits im Alltagsdenken in der Trennung von „innerer“ und „äußerer“ Welt, eine Unterscheidung, die insofern problematisch ist, als das Räumliche selbst ein subjektives Konstruktionsprinzip ist, das zur „inneren“ Welt gehört (vgl. Roth, Das realen Gehirn und seine Wirklichkeit S. 239).

Kants zentrale Einsicht, dass z.B. eine Empfindung namens „rot“ niemals mit noumenalen Objekten verglichen werden kann, um zu sehen, dass sie dieselbe Eigenschaft haben, hatte einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung des internen Realismus (vgl. Putnam, 1981 S. 63).

Ein anderer Ansatz findet sich beim kantischen Objektbegriff. Kants Diskussion des Objektbegriffs ist so allgemein, dass sie selbst für die Quantentheorie noch gilt (vgl. Strohmeyer, 2014 S. 81). Dementsprechend definiert Kant den Begriff des Objekts wie folgt:

Objekt aber ist das, in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung vereinigt ist. Nun erfordert aber alle Vereinigung der Vorstellungen Einheit des Bewußtseins in der Synthese derselben. Folglich ist die Einheit des Bewußtseins dasjenige, was allein die Beziehung der Vorstellungen auf einen Gegenstand, mithin ihre objektive Gültigkeit, folglich daß sie Erkenntnisse werden, ausmacht, und worauf folglich selbst die Möglichkeit des Verstandes beruht.“ (KrV 137)7

Will man dieser Bestimmung eines Gegenstandes als einer für alle Subjekte gültigen Vereinigung der Vielzahl gegebener Vorstellungen durch eine einheitliche Regel folgen, so gilt diese Interpretation sogar für einen quantenmechanischen Gegenstand (Elektron, Atom, Kristall, Photon), der analog als einheitliche und objektive Regel zur Vereinigung verschiedener Beobachtungsdaten verstanden werden kann.

In gleicher Weise kann man in Bezug auf Kants Begriff der Substanz argumentieren. Nach der ersten Analogie der Erfahrung bedeutet die Persistenz der Substanz die numerische Erhaltung über die Zeit (oder zeitliche Invarianz). Offenbar kommen nicht einmal die einfachen Wahrnehmungsformen ohne die Bildung von Invarianten aus: Kein Tier könnte überleben, ohne bestimmte Gegenstände oder Tiere der gleichen Art zu erkennen. In der physikalischen Theoriebildung kehrt der transzendente Substanzbegriff in Form von Erhaltungsgrößen (Energie, Impuls, Drehimpuls usw.) wieder.

In der Chemie kann beispielsweise die Anzahl der Atome eines chemischen Elements, die sich bei einer chemischen Reaktion nicht verändern, als substanziell angesehen werden, da der Zahlenwert dieser Anzahl unverändert bleibt.

Wie bei den Begriffen der Substanz und der Objekte spielt das Prinzip der Kausalität bereits in der Alltagserfahrung eine wichtige Rolle. Wenn ich mich mit einer Flamme verbrenne, verbinde ich die Erfahrung des Schmerzes kausal mit der Flamme. Wenn ich eine Flamme wahrnehme, löst dies die Erwartung eines neuen Schmerzerlebnisses aus. Damit ist aber die Erwartung einer erneuten Schmerzerfahrung noch nicht vollständig erklärt, denn erst das Moment des Identischen und Persistenten macht es dem Gedächtnis möglich, die Erwartung des Gleichen (der Schmerzerfahrung) zu erzeugen. (vgl. Nelson, Kritische Naturphilosophie, S. 137.)

Ohne den Begriff der Kausalität wäre es ziemlich schwierig, von einem Unterschied zwischen stabilen Regelmäßigkeiten und einer willkürlichen (wenn auch zweckmäßigen und ökonomischen) Zusammenfassung von Erfahrungstatsachen zu sprechen. Kausale Zusammenhänge sind letztlich Beschreibungen von stabilen Regelmäßigkeiten im Verhalten realer Systeme. Selbst Empiriker wie Carnap, Popper und Quine kommen nicht umhin, von der Existenz von „Naturgesetzmäßigkeiten“ auszugehen. (vgl. Drieschner, 2000 S. 401) Aber gerade die Voraussetzung, dass es „Regelmäßigkeiten in der Natur“ geben muss, ist eine allgemeine und notwendige Bedingung für die Möglichkeit von Wissen, also das, was von modernen Empiristen abgelehnt wird, nämlich ein synthetisches Urteil a priori (vgl. Herrmann, 2012 S. 162).

Nach Kants Definition der Kausalität setzt alles, was geschieht, etwas voraus, dem eine Regel folgt. So kann man sich z.B. (um ein Beispiel aus der klassischen Physik zu nehmen) die Bewegung einer Billardkugel als das Ergebnis eines Stoßes einer Kugel vorstellen. Aber auch in der Quantenmechanik ist ein Prozess, der durch die Schrödinger-Gleichung bestimmt wird, kausal in dem Sinne, dass ein Zustand Φ(r, t2) immer einen früheren Zustand Φ(r, t1) voraussetzt, dem er nach einer Regel folgt. Diesem Kausalverständnis entsprechen auch die Reaktionsprozesse in der Chemie, bei denen chemische Verbindungen nach festen Regeln in andere umgewandelt werden.

Kants Kausalitätsprinzip gilt jedoch als Paradebeispiel für ein sogenanntes nicht-reines synthetisches Urteil a priori, da der darin enthaltene Begriff der „Veränderung“ empirisch, d.h. aus der Erfahrung stammend ist.

Dies eröffnet die Möglichkeit, Naturgesetze, die letztlich Korrelationen zwischen früheren und späteren Zuständen formulieren, als Wissen anzusehen, das a priori zur Klasse der nicht-reinen synthetischen Urteile gehört. Denn Naturgesetze formulieren gerade allgemeine und notwendige Bedingungen der Möglichkeit von Wissen und greifen dabei auf empirische Begriffe zurück oder sind aus der Erfahrung abstrahiert worden. Natürlich ist der Anspruch auf allgemeine und notwendige Geltung eines Naturgesetzes empirisch nicht einlösbar, aber das müsste nicht gegen es sprechen.

Die Quintessenz all dieser Überlegungen lässt sich wie folgt formulieren: Um die objektive Gültigkeit von Wissen beanspruchen zu können, müssen bestimmte allgemeine und notwendige Prämissen beachtet werden. Nur so kann Wissen für jeden, überall und zu jeder Zeit nachvollziehbar sein.

Solche Bedingungen sind eben die synthetischen Urteile a priori. Sie sind nach der hier vertretenen Perspektive weder im Bereich platonischer Entitäten zu verorten (etwa im Kontext des Frege’schen Logizismus), noch sind sie relative Wahrheiten (etwa im Sinne Reichenbachs, Heisenbergs oder Stegmüllers), noch können sie mit bestimmten Organfunktionen gleichgesetzt werden (etwa in der evolutionären Erkenntnistheorie); sie sind zwar als absolut zu betrachten, aber sie sind eng mit der Empirie verbunden, bedingen sie, ohne von ihr bedingt zu sein, sind in ihr „von vornherein“ enthalten und können empirisch entdeckt werden.

Mit ihrer Modernisierung erfährt Kants Transzendentalphilosophie jedoch einen tiefgreifenden Wandel, mit dem auch die schöne „Architektonik“ des kantischen Systems, die seine Überzeugungskraft ausmachte, verloren geht. Zudem bleibt der Anspruch auf unbegrenzte Allgemeinheit und die Notwendigkeit synthetischer Urteile a priori ein uneinlösbares Postulat. Zudem hat auch ein modernes Apriori noch keine ausreichende Antwort auf die Frage gefunden, wo überhaupt die Grenze zwischen phänomenaler und noumenaler Welt gezogen werden kann.

Dennoch bleibt auch für die heutige Philosophie die kantische Aufgabe bestehen, die Putnam mit folgenden Worten andeutet: „eine vernünftige und menschliche Beschreibung der Reichweite der Vernunft zu geben.“ (vgl. Putnam, 1981 S. 126)

Abkürzungen

KrV In dieser Arbeit bezieht sich dies auf die 2. Auflage der Kritik der reinen Vernunft
GS Leonard Nelson. Gesammelte Schriften. Ed. Paul Bernays et al. (Hamburg 1970-1977), Vols. I- IX.

Literatur

Aristoteles: Metaphysik. Schriften zur Ersten Philosophie. F. F. Schwarz, ed. and trans., Stuttgart 1970.
Cramer, K.: Nicht-reine synthetische Urteile a priori. Ein Problem der Transzendentalphilosophie Immanuel Kants, Heidelberg 1985.
Drieschner, M.: Naturwissenschaft a priori: Die Strenge des kantischen Anspruchs oder Karl Popper ein Idealist? In: Mittelstaedt, P./Vollmer, G. (eds.): Was sind und warum gelten Naturgesetze? Philosophia naturalis (2000), Vol. 37, No. 2, pp. 395–407.
Herrmann, K.: Apriori im Wandel – Für und wider eine kritische Metaphysik der Natur, Heidelberg 2012.
Hübner, K.: “A priori – A posteriori”. In: Krings, H./Baumgartner, H. M./Wild, Ch. (eds.): Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Vol. 1, 1973, pp. 119–125.
Kant, I.: Kritik der reinen Vernunft (2nd Ed. 1787). In: Kants Werke. Akademie-Textausgabe. Unveränderter photomechanischer Abdruck des Textes der von der Preußischen Akademie der Wissenschaften 1902 begonnenen Ausgabe von Kants gesammelten Schriften. Vol. III, Berlin 1968.
Kant, I.: Critique of pure reason, Paul Guyer, Allen W. Wood ed. and trans., Cambridge 1998.
Nelson, L.: Kritische Naturphilosophie. Mitschriften aus dem Nachlass. Kay Herrmann and Jörg Schroth eds., Heidelberg 2004.
Nelson, L.: Typische Denkfehler in der Philosophie: Nachschrift der Vorlesung vom Sommersemester 1921, Hamburg 2011.
Nelson, Leonard: Ist metaphysikfreie Naturwissenschaft möglich?, in: GS III, 231–281.
Nelson, Leonard: Über das sogenannte Erkenntnisproblem, in: GS II, 59–393.
Nelson, Leonard: Die philosophischen Grundlagen des Liberalismus, in: GS IX, 27–42.
Popper, K. R.: Logik der Forschung. 9th Ed., Tübingen 1989.
Putnam, H.: Reason, Truth and History, Cambridge University Press 1981.
Roth, G.: Erkenntnis und Realität: Das reale Gehirn und seine Wirklichkeit. In: Schmidt, S. J. (ed.): Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus, Frankfurt a. M. 1987, pp. 229–255.
Schepers, H.: Article: “A priori/a posteriori”. In: Ritter, J. (Ed.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1, Basel/Stuttgart 1971, Cols. 462–467.
Schroth, Jörg, Regressive Methode der Abstraktion und unmittelbare Erkenntnis bei Leonard Nelson, in: Kleinknecht, Reinhard/Neißer, Barbara (Eds.) (1994): Leonard Nelson in der Diskussion, Frankfurt a. M. (184 p.) (= „Sokratisches Philosophieren“ – Schriftenreihe der Philosophisch-Politischen Akademie, Silvia Knappe, Dieter Krohn, Nora Walter, eds. Vol 1)., pp. 114–50.
Stegmüller, W.: Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie. Eine kritische Einführung. Vol. 1, 7th Ed., Stuttgart 1989.
Strohmeyer, I.: Kantischer und moderner Apriorismus, Würzburg 2014.

“I shall therefore say that the objectivity of scientific statements lies in the fact that they can be inter-subjectively tested.”
“In the sequel therefore we will understand by a priori cognitions not those that occur independently of this or that experience, but rather those that occur absolutely independently of all experience.” (Kant 137) All English language quotes from Immanuel Kant are taken from the 1998 edition published by Cambridge University press.
“Among a priori cognitions, however, those are called pure with which nothing empirical is intermixed.” (Kant 137)
“For where would experience itself get its certainty if all rules in accordance with which it proceeds were themselves in turn always empirical, thus contingent?; a hence one could hardly allow these to count as first principles.” (Kant 138)
“ a priority of the metaphysical knowledge to be justified by it”
“An insight a priori – because only insights can have this characteristic – cannot be recognized a posteriori.”
“An object, however, is that in the concept of which the manifold of a given intuition is united. Now, however, all unification of representations requires unity of consciousness in the synthesis of them. Consequently the unity of consciousness is that which alone constitutes the relation of representations to an object, thus their objective validity, and consequently is that which makes them into cognitions and on which even the possibility of the understanding rests.” (Kant 249)

© Prof. Dr. phil. Dipl.-Phys. Kay Herrmann


Original: „Metaphysics and Contemporary Science
– Why the question of the synthetic a priori shouldn’t not be abandoned prematurely“

Metaphysics and Contemporary Science
Why the question of the synthetic a priori shouldn’t not be abandoned prematurely
Von Prof. Dr. phil. Dipl.-Phys. Kay Herrmann
7. Oktober 2020 · 17 min

Content

1 On the question of the objective validity of scientific knowledge
2 Synthetic judgements a priori
3 Reinterpretations of the a priori
4 The Fries-Nelson thesis
5 Perspectives of a modern apriorism

Keywords

synthetic judgments a priori, transcendental philosophy, non-pure synthetic a priori knowledge, noumenal, phenomenal, objective knowledge, Immanuel Kant, Jakob Friedrich Fries, Leonard Nelson

Abstract

The problem of synthetic judgements touches on the question of whether philosophy can draw independent statements about reality in the first place. For Kant, the synthetic judgements a priori formulate the conditions of the possibility for objectively valid knowledge. Despite the principle fallibility of its statements, modern science aims for objective knowledge. This gives the topic of synthetic a priori unbroken currency.

This paper aims to show that a modernized version of transcendental philosophy, if it is to be feasible at all, must “bid farewell” to the concept of being “free of empiricism” or the “purity” of the a priori. Approaches to this end can already been found in Kant’s reflections on non-pure synthetic knowledge. Moreover, the a priori validity of knowledge does not exclude the possibility that it can be discovered empirically. In keeping with Kant, Fries and Nelson anticipated this separation (usually first attributed to Reichenbach) between the validity and discovery context of knowledge and pointed out that the a priori could be discovered empirically, but never proven.

There are currently still good reasons why transcendental philosophical concepts are of fundamental importance for modern science, although it must not be overlooked that even within the framework of a modernized transcendental philosophy, several unsolved problems remain or are raised. For example, the irredeemability of the universal validity and necessary claims of the a priori, the problem of a clear demarcation between the phenomenal and noumenal world. Moreover, the “beautiful structure” or the Kantian system, which constituted its persuasive power, is lost.

1 On the question of the objective validity of scientific knowledge

Certainly the question that must be posed today is whether it is at all still appropriate to ask about a priori concepts in the sciences. Today the classical ideal of science, at the center of which is the search for an unshakeable foundation, has long been replaced by an essentially hypothetical-deductive concept of science, which no longer regards science as a system of secured propositions. Instead, it assumes that all knowledge is provisional. Of course, anyone who attempts to describe reality in an objectifying manner can be mistaken. However, to assume the fallibility of knowledge is not tantamount to renouncing an objectifying description of reality (i.e. a description that is at least principally unambiguously verifiable and comprehensible by anyone and at any time). Though admitting the fallibility of any empirical knowledge, Popper, for example, does not deny that science is based on objective knowledge, “Wir werden also sagen: Die Objektivität der wissenschaftlichen Sätze liegt darin, daß sie intersubjektiv nachprüfbar sein müssen.” (Popper, Logik der Forschung p. 51)1

Those who acknowledge the possibility of objectivity of scientific knowledge are confronted with the question of the conditions of the possibility of objective knowledge and thus also with the question of synthetic knowledge a priori, whereas synthetic a priori concerns precisely the conditions that make objective knowledge possible in the first place.

Wolfgang Stegmüller addresses another topic that is brought up in conjunction with the question of synthetic knowledge a priori: ultimately it is a question of whether philosophy can make independent statements about reality at all or whether all statements about reality are a matter of empirical sciences (cf. Stegmüller, 1989 p. XXVII). Therefore the identity of philosophy as an independent discipline is up for debate.

2 Synthetic judgements a priori

Philosophy has a long tradition of distinguishing between “a priori” and “a posteriori.” This tradition can be traced back to Aristoteles, who divided things into “earlier” and “later.” (Cf. Aristoteles, Metaphysics, V. 11, 1018b. in: Schwarz, 1970 p. 131). In the 14th century, Albert von Sachsen differentiated between evidence that deduces (demonstratio a priori) from causes (reasons) effects (consequences), and justifications (demonstatio a posteriori) that move from effects (consequences) to the causes (reasons).

In his Critique of Pure Reason (B), Kant initially defines the concept of “a priori” as “negative”: “ Wir werden also im Verfolg unter Erkenntnissen a priori nicht solche verstehen, die von dieser oder jener, sondern die schlechterdings von aller Erfahrung unabhängig stattfinden.” (KrV 2 f.)2 Kant later states a criterion for distinguishing between “a priori” and “a posteriori”: for him, “necessity” and (strict or limited) “generality” are the two (only) “positive” determinants of the a priori.

One specific characteristic of the second edition of the Critique of Pure Reason (B) is Kant’s distinguishing between pure and non-pure knowledge a priori: “Von den Erkenntnissen a priori heißen aber diejenigen rein, denen gar nichts Empirisches beigemischt ist.” (KrV 3)3 Accordingly, knowledge is pure if “nothing empirical is intermixed,” otherwise it is non-pure. In other words, a judgement is not pure if it contains terms that are “drawn from experience.” If, on the other hand, it only contains terms that are not “drawn from experience,” one can speak of a pure judgement. Kant emphasizes that a priori knowledge does not always have to be “pure.” Since this comment happens to be an addition to the second edition to the Critique of Pure Reason (B), and no identical passage can be found in the first edition of the Critique of Pure Reason (A), it can be assumed that such a distinction was not insignificant for Kant (cf. Cramer, 1985, p. 27). Kant regards the principle of causality as an example of “non-pure judgement a priori” (KrV 3).

3 Reinterpretations of the a priori

In the context of modern reinterpretations, a priori is used in definitions such as the following: what is presupposed in the formation of theory; presuppositions that enable certain explanations, derivations, knowledge and experiences in the first place, what is not based upon experience, what cannot be refuted by experience.
Sometimes the a priori is also understood in the sense of the following reinterpretations.

a. Genetic a priori

Konrad Lorenz interprets a priori realistically in the sense of a phylogenetically originated organ function, which (seen from a Darwinist perspective) developed in adaptation to environmental factors. Today, this approach is continued in evolutionary epistemology.

b. Relative a priori

This can be understood to mean older theories, principles from theories (frequently older, e.g. Galileo’s principle of relativity) – which are of methodological value for establishing the theory that follows – or relatively stable components of a theory (e.g. in the sense of the theoretical center within the framework of the structuralist theoretical concept of J. D. Sneed and Wolfgang Stegmüller). (cf. Herrmann, 2012)

c. Pre-scientific a priori

This includes everyday experiences, the linguistic context, social and cultural framework conditions of a theory, but also instrumental (e.g. the bodies considered should be regarded as firm), (cf. Hübner, 1973 p. 120) judicial (e.g. criteria for the acceptance or the rejection of theories) (cf. Hübner, 1973 p. 120) or normative (e.g. simplicity, high degree of falsification) (cf. Hübner, 1973 p. 120) determinations.

Such empirical reinterpretations of the a priori (e.g. in the sense of evolutionary epistemology), however, leave open the Kantian problem of where scientific knowledge might receive its objective validity from if all rules were only empirically proven. The criticism of any empirical theory of knowledge can hardly be formulated better and more succinctly than by Kant himself:

“ Denn wo wollte selbst Erfahrung ihre Gewißheit hernehmen, wenn alle Regeln, nach denen sie fortgeht, immer wieder empirisch, mithin zufällig wären; daher man diese schwerlich für erste Grundsätze gelten lassen kann.” (KrV 5)4

This also applies to attempts to interpret the a priori in the sense of norms of actions. Such attempts are confronted with the problem from which I take the certainty that corresponding prescriptions (i.e. norms or instructions for actions) are suitable for producing functional measuring instruments with the desired properties, if I do not presuppose the principle of causality (e.g. in the form of “Whenever A is fulfilled, then I can also cause B“).

4 The Fries-Nelson thesis

Jakob Friedrich Fries and the associated schools closely followed Kant’s apriorism. Leonard Nelson, the founder of the New Friesian School, stresses that a natural science free of metaphysics is a relapse into an lawless natural science (cf. Nelson, Ist metaphysikfreie Naturwissenschaft möglich? p. 273f.).

However, Nelson criticized Kant for having tried to prove the synthetic a priori principles for knowledge (cf. Nelson, Über das sogenannte Erkenntnisproblem p. 229). Such proof must have first premises whose certainty cannot again be based on a proof (cf. Nelson, Über das sogenannte Erkenntnisproblem p. 230).

Jakob Friedrich Fries had been able to show that reason was not empty, but contained a general and necessary regularity which was only repeated in the reflection (cf. Nelson, Die philosophischen Grundlagen des Liberalismus p. 34) Thus there could definitely be a knowledge a posteriori through which the knowledge would a priori only be discovered (cf. Nelson, Typische Denkfehler p. 214). This discovery procedure is the “dissecting method of critique” from Fries (cf. Nelson, Über das sogenannte Erkenntnisproblem, p. 329), in which the metaphysical principles (cf. Nelson, Über das sogenannte Erkenntnisproblem, p. 327) are to be made conscious.

Fries was accused of psychologism because of the assertion that the a priori can be recognized via a posteriori. Influence by Hegel, the philosopher Kuno Fischer compresses this accusation in his address as Prorector in Jena on The Two Kantian Schools in Jena (1862) with his well-known verdict: “What is a priori, can never be known a posteriori.” Leonard Nelson countered Fischer by claiming that the empirical character of the critique of reason does not contradict the “Apriorität der durch sie zu begründenden metaphysischen Erkenntnis” (Nelson, Typische Denkfehler p. 214).5 He reformulates Fischer’s dictum as follows: “ Eine Erkenntnis a priori – denn nur Erkenntnisse können dieses Merkmal haben – kann nicht a posteriori erkannt werden” (Nelson, Typische Denkfehler p. 214).6 (Nelson, Typische Denkfehler p. 215) He emphasizes that the appearance of evidence is produced when “a priori” and “a posteriori” are thought of as exclusive characteristics. Admittedly, “knowledge a priori” could not be “knowledge a posteriori,” from which, however, it did not follow that knowledge a priori could not be recognized a posteriori – there could certainly be knowledge a posteriori, through which knowledge a priori was only discovered (cf. Nelson, Typische Denkfehler p. 215)

Fries and Nelson divide two different aspects of knowledge: the question of validity and the question of discovery. Later Hans Reichenbach drew the distinction between a context of discovery and a context of justification of scientific knowledge. The context of discovery is about empirical conditions under which scientific knowledge or scientific theories emerge or are found, whereas the context of justification focuses on questions of validity (presumably true, empirically proven, etc.).

If we translate the talk of a synthetic a priori into the language of today’s theory of science, one could say that it is about minimal conditions of (not just inevitably human) knowledge par excellence, i.e. a minimal set of conditions in order to be able to speak of knowledge at all. With regard to such minimal conditions for knowledge, the summary of the considerations of Fries and Nelson can be formulated in this way:

For the possibility of objective knowledge, a minimum set of general conditions (independent of the nature of the subject of knowledge) is necessary, which can be found by the analysis of the real processes of knowledge. (Fries-Nelson Thesis)

What belongs to these conditions? For example, this includes: the ability to distinguish a world-for-myself (phaenomena) from an independent world-for-itself (noumena), the ability to form invariants, the ability to establish causal connections and anticipate the future, the notion of space and temporality, the ego-consciousness, etc.

5 Perspectives of a modern apriorism

Kant named essential minimal conditions for objective knowledge. However, the claim, of wanting to generate these with evidence can no longer be maintained today. This is the important significance of the Fries and Nelson Kant critique. The following considerations should illustrate that such conditions can be found in experience.

Kant’s differentiation of all objects into pheanomena and noumena remains fundamentally significant. This distinction can already be found in everyday thought in the separation between an “inner” and an “outer” world, a distinction that is problematic to the extent that the spatial itself is a subjective constructive principle belonging to the “inner” world (cf. Roth, Das realen Gehirn und seine Wirklichkeit p. 239).
Kant’s central insight that, for example, a sensation called “red” can never be compared with noumenal objects in order to see that they have the same property, had a decisive influence on the development of internal realism (cf. Putnam, 1981 p. 63).

Another approach can be found with the Kantian concept of object. Kant’s discussion of the concept of object is so general that it still applies to quantum theory itself (cf. Strohmeyer, 2014 p. 81). Correspondingly, Kant defines the concept of object as follows:

Object aber ist das, in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung vereinigt ist. Nun erfordert aber alle Vereinigung der Vorstellungen Einheit des Bewußtseins in der Synthesis derselben. Folglich ist die Einheit des Bewußtseins dasjenige, was allein die Beziehung der Vorstellungen auf einen Gegenstand, mithin ihre objective Gültigkeit, folglich daß sie Erkenntnisse werden, ausmacht, und worauf folglich selbst die Möglichkeit des Verstandes beruht.” (KrV 137)7

If one wants to follow this determination of an object as a valid union of the multiplicity of given ideas for all subjects by a uniform rule, then this interpretation even applies to a quantum-mechanical object (electron, atom, crystal, photon), which can be understood analogously as a uniform and objective rule for uniting different data observed.

One can argue in the same way in regard to Kant’s concept of substance. According to the first analogy of experience, the persistence of substance means the numerical preservation over time (or temporal invariance). Apparently not even the simple forms of perception can manage without the formation of invariants: no animal could survive without recognizing certain objects or animals of the same species. In the formation of physical theory, the transcendental concept of substance returns in the form of conservation quantities (energy, momentum, angular momentum, etc.).
In chemistry, for example, the number of atoms in a chemical element that do not change during a chemical reaction can be thought of as the substantial, since the numerical value of this number remains unchanged.

As with the concepts of substance and objects, the principle of causality already plays an important in everyday experience. If I burn myself with a flame, I causally connect the experience of pain with the flame. Moreover, when a flame is perceived, this provokes the expectation of a new experience of pain occurs. However, this does not yet fully explain the expectation of a renewed pain experience, since only the moment of the identical and persistent makes it possible for memory to produce the expectation of the same (the pain experience). (cf. Nelson, Critical Philosophy of Nature, p. 137.)

Without the concept of causality, it could be quite difficult to speak of a difference between stable regularities and an arbitrary (albeit expedient and economic) summary of facts of experience. Causal connections are ultimately descriptions of stable regularities in the behavior of real systems. Even empiricists such as Carnap, Popper and Quine simply cannot avoid assuming the existence of “regularities of nature.” (cf. Drieschner, 2000 p. 401) But precisely the prerequisite that “there must be regularities in nature” is a general and necessary condition for the possibility of knowledge; that is, what is rejected by modern empiricists, namely a synthetic judgment a priori (cf. Herrmann, 2012 p. 162).

According to Kant’s definition of causality, everything that happens presupposes something that is followed by a rule. For instance, (to take an example from classical physics), one can think of the movement of a billiard ball as the result of a ball striking it. But also in quantum mechanics a process, which is determined by the Schrödinger equation, is causal in the sense that a state Φ(r, t2) always presupposes an earlier state Φ(r, t1), which it follows according to a rule. The reaction processes in chemistry, in which chemical compounds are converted into others according to fixed rules, also correspond to this causal understanding.

However, Kant’s principle of causality is regarded as a prime example of a so-called non-pure synthetic judgement a priori, since the concept of “change” contained in it is empirical, i.e. stemming from experience.
This opens up the possibility of regarding natural laws, which ultimately formulate correlations between earlier and later states, as knowledge that belong a priori to the class of non-pure synthetic judgements. For laws of nature formulate precisely general and necessary conditions of the possibility of knowledge, and in doing so they fall back on empirical concepts or have been abstracted from experience. Naturally, the claim to general and necessary validity of a natural law is empirically not redeemable, but this would not have to speak against it.

The quintessence of all these considerations can be formulated as follows: In order to be able to lay claim to the objective validity of knowledge, certain general and necessary premises have to be taken into account. Only in this way can knowledge be comprehensible for everyone, everywhere, and at all times. Such conditions are precisely the synthetic judgements a priori. According to the perspective represented here, they cannot be located in the realm of Platonic entities (for instance, in the context of Frege’s logicism) nor are they relative truths (as for instance in the sense of Reichenbach, Heisenberg or Stegmüller), nor can they be equated with certain organ functions (as for instance in evolutionary epistemology); they must certainly be regarded as absolute, but they are closely connected with empiricism, cause it without being conditioned by it, are contained in it “all along” and can be discovered empirically.

With its modernization, however, Kant’s transcendental philosophy undergoes a far-reaching change with which the beautiful “architectonics” of the Kantian system, which constituted its persuasiveness, are also lost. Moreover, the claim to unlimited generality and the necessity of synthetic judgements a priori remains an irredeemable postulate. Moreover, even a modern a priori has not yet found a sufficient answer to the question of where at all the border between phenomenal and noumenal world can be drawn.
However, even for today’s philosophy there still remains the Kantian task, which Putnam suggests in the following words: “giving a sane and human description of the scope of reason.” (cf. Putnam, 1981 p. 126)

Abbreviations
KrV In this paper this refers to the 2nd edition of Critique of Pure Reason
GS Leonard Nelson. Gesammelte Schriften. Ed. Paul Bernays et al. (Hamburg 1970–1977), Vols. I– IX.

Literatur

Aristoteles: Metaphysik. Schriften zur Ersten Philosophie. F. F. Schwarz, ed. and trans., Stuttgart 1970.
Cramer, K.: Nicht-reine synthetische Urteile a priori. Ein Problem der Transzendentalphilosophie Immanuel Kants, Heidelberg 1985.
Drieschner, M.: Naturwissenschaft a priori: Die Strenge des kantischen Anspruchs oder Karl Popper ein Idealist? In: Mittelstaedt, P./Vollmer, G. (eds.): Was sind und warum gelten Naturgesetze? Philosophia naturalis (2000), Vol. 37, No. 2, pp. 395–407.
Herrmann, K.: Apriori im Wandel – Für und wider eine kritische Metaphysik der Natur, Heidelberg 2012.
Hübner, K.: “A priori – A posteriori”. In: Krings, H./Baumgartner, H. M./Wild, Ch. (eds.): Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Vol. 1, 1973, pp. 119–125.
Kant, I.: Kritik der reinen Vernunft (2nd Ed. 1787). In: Kants Werke. Akademie-Textausgabe. Unveränderter photomechanischer Abdruck des Textes der von der Preußischen Akademie der Wissenschaften 1902 begonnenen Ausgabe von Kants gesammelten Schriften. Vol. III, Berlin 1968.
Kant, I.: Critique of pure reason, Paul Guyer, Allen W. Wood ed. and trans., Cambridge 1998.
Nelson, L.: Kritische Naturphilosophie. Mitschriften aus dem Nachlass. Kay Herrmann and Jörg Schroth eds., Heidelberg 2004.
Nelson, L.: Typische Denkfehler in der Philosophie: Nachschrift der Vorlesung vom Sommersemester 1921, Hamburg 2011.
Nelson, Leonard: Ist metaphysikfreie Naturwissenschaft möglich?, in: GS III, 231–281.
Nelson, Leonard: Über das sogenannte Erkenntnisproblem, in: GS II, 59–393.
Nelson, Leonard: Die philosophischen Grundlagen des Liberalismus, in: GS IX, 27–42.
Popper, K. R.: Logik der Forschung. 9th Ed., Tübingen 1989.
Putnam, H.: Reason, Truth and History, Cambridge University Press 1981.
Roth, G.: Erkenntnis und Realität: Das reale Gehirn und seine Wirklichkeit. In: Schmidt, S. J. (ed.): Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus, Frankfurt a. M. 1987, pp. 229–255.
Schepers, H.: Article: “A priori/a posteriori”. In: Ritter, J. (Ed.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1, Basel/Stuttgart 1971, Cols. 462–467.
Schroth, Jörg, Regressive Methode der Abstraktion und unmittelbare Erkenntnis bei Leonard Nelson, in: Kleinknecht, Reinhard/Neißer, Barbara (Eds.) (1994): Leonard Nelson in der Diskussion, Frankfurt a. M. (184 p.) (= „Sokratisches Philosophieren“ – Schriftenreihe der Philosophisch-Politischen Akademie, Silvia Knappe, Dieter Krohn, Nora Walter, eds. Vol 1)., pp. 114–50.
Stegmüller, W.: Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie. Eine kritische Einführung. Vol. 1, 7th Ed., Stuttgart 1989.
Strohmeyer, I.: Kantischer und moderner Apriorismus, Würzburg 2014.

“I shall therefore say that the objectivity of scientific statements lies in the fact that they can be inter-subjectively tested.”
“In the sequel therefore we will understand by a priori cognitions not those that occur independently of this or that experience, but rather those that occur absolutely independently of all experience.” (Kant 137) All English language quotes from Immanuel Kant are taken from the 1998 edition published by Cambridge University press.
“Among a priori cognitions, however, those are called pure with which nothing empirical is intermixed.” (Kant 137)
“For where would experience itself get its certainty if all rules in accordance with which it proceeds were themselves in turn always empirical, thus contingent?; a hence one could hardly allow these to count as first principles.” (Kant 138)
“ a priority of the metaphysical knowledge to be justified by it”
“An insight a priori – because only insights can have this characteristic – cannot be recognized a posteriori.”
“An object, however, is that in the concept of which the manifold of a given intuition is united. Now, however, all unification of representations requires unity of consciousness in the synthesis of them. Consequently the unity of consciousness is that which alone constitutes the relation of representations to an object, thus their objective validity, and consequently is that which makes them into cognitions and on which even the possibility of the understanding rests.” (Kant 249)

© Prof. Dr. phil. Dipl.-Phys. Kay Herrmann

Ich bin immer mit meiner „Diogenes-Lampe“ unterwegs, um Menschen zu finden, die sich auch nach ein wenig „Licht der Erkenntnis“ sehnen. Also wenn Ihr eigene Beiträge oder Posts für meinen Wissenschaft-/Philosophie-Blog habt, immer her damit. Sie werden mit Eurem Namen als Autor auf meiner Seite veröffentlicht, so lange sie den oben genannten Kriterien entsprechen. Denn nur geteiltes Wissen ist vermehrtes Wissen.
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Heinz Luediger
Heinz Luediger
2 Jahre zuvor

Herr Prof. Herrmann,

Das Kantsche a priori verbietet seine empirische Überprüfung. Wenn das richtig ist, kann unser Wissen z.B. über das Kausalgesetz seine Nicht-Falschheit nie überschreiten. Daraus wiederum folgt, daß diese Nicht-Falschheit keine logische sein kann, denn wäre sie logisch, würde die Nicht-Falschheit zur Wahrheit und damit zum affirmativen Wissen des a priori. Es kann also nur um eine Absolute-Nicht-Falschheit, bzw. Absolute Widerspruchsfreiheit gehen. Die einzig mir bekannte Konstruktion, die dies erlaubt, ist die Orthogonalität (z.B. unserer Sinne). D.h. im ‚Raum‘ können sich Absolute-Nicht-Falschheiten widerspruchsfrei superponieren. Der Versuch diese Superposition empirisch zu verifizieren (zu messen oder zu erklären), muss daher scheitern.

Philosophie entstand meiner Meinung nach als Auseinandersetzung mit der ‚Zeit‘, d.h. mit der Ausbildung von Tempus Systemen in verschiedenen Sprachen während der Achsenzeit. Als Anhänger Parmenides behaupte ich: Logik ist FALSCH und Zeit ist FALSCH.

Gruß,

Heinz Luediger

Heinz Luediger
Heinz Luediger
2 Jahre zuvor
Reply to  Philo Sophies

Lieber Herr Boucsein,

Dank für ihren Kommentar! Zunächst zum Thema ‚empirische Aufweisung‘: Das Adjektiv ‚empirisch‘ fügt der ‚Aufweisung‘ einen britischen Unterton hinzu, der durch Beobachtung im Sinne von Messung, Überprüfung und Nachweis charakterisiert ist. Natürlich ist das a priori aufweisbar, aber eben nicht empirisch aufweisbar. Darum suchte Hume vergeblich nach der Kausalität. Und auch der Scholastik galt Gott als aufweisbar, aber nicht als empirisch aufweisbar. Was ich mit meiner ‚Prämisse‘ meinte war, daß das a priori als DASS existiert aber nicht als WIE, d.h. als unhintergehbares Faktum brutum. Thomas Nagel hat das ‚explanatory gap‘ genannt.

Weiterhin geht es mir weder um eine Falsifikation noch um eine Verifikation des Kantschen a priori, sondern um die außerlogische Qualität der aus ihm folgenden Kategorien. Daher der Begriff Orthogonalität (Rechtwinkligkeit), der keine logische Entsprechung hat – X ist nicht in Begriffen von Y oder Z darstellbar. Ein Widerspruch zwischen ihnen ist folglich prinzipiell ausgeschlossen und die Additivität (der Kategorien) gesichert. Dieses besondere Verhältnis habe ich Absolute-Nicht-Falschheit bzw. Absolute-Widerspruchsfreiheit genannt um der „Deflationierung von Wahrheitsansprüchen“ (nach Rorty) eine Verschärfung entgegenzusetzen. Natürlich ist dieses Absolut immer unter der Kantschen Prämisse zu lesen, daß Wissen prinzipiell für-uns und niemals an-sich ist. In meinem Essay „The Power and Poverty of Mathematics in Physics“ habe ich das am Beispiel der Newtonschen Theorie genauer ausgeführt. Die Logik und mehr noch mehrwertige oder unscharfe Logiken sehe ich daher kritisch. Sie legen Denkstrukturen über längst vorhandene Denkinhalte und werden so im Recycling klassischen Wissens zwangsläufig ideo-logisch.

Parmenides hat keine Theorie der Zeit hinterlassen, aber, wie Sie schon angedeutet haben, läßt sich aus seiner Ablehnung der Möglichkeit des Werdens auf die Nicht-Existenz bzw. Illusion der Zeit schließen. Ich denke, daß die Zeit FALSCH ist, weil sie immer dann auftritt, wenn wir versuchen den ‚explanatory gap‘ logisch-analytisch zu schließen und dabei vom DASS zum WIE übergehen (z.B. im Versuch das Zustandekommen der Interferenzfigur des Doppelspalts prozessual zu verstehen, den Wirkmechanismus der Gene zeitlich zu verfolgen oder den Satz: „Das Gehirn denkt“ raum-zeitlich zu explizieren). In all diesen Fällen vermittelt der ‚explanatory gap’ aber zwischen orthogonalen Kategorien, zwischen denen es keine andere Beziehung gibt als die der Absoluten-Widerspruchsfreiheit. Entsprechend müssen diese Versuche notwendig im ‚Kollaps’ enden, d.h. in der Unsagbarkeit des Absurden, Komplexen und Unanschaulichen. Diesen Prozess der Zersetzung menschlichen Wissens (und damit der Sprache) habe ich in „Wird die Wissenschaft zum Feind des Wissens?“ als Auflösung aller Grenzen beschrieben.

Gruß,

Heinz Luediger

Heinz Luediger
Heinz Luediger
2 Jahre zuvor
Reply to  Philo Sophies

Lieber Herr Boucsein,

Ich hoffe, daß Sie Verständnis dafür aufbringen, daß ich den vielen Spuren, die Sie gelegt haben, nicht im Einzelnen nachgehen kann. Die exponentielle Eskalation der Argumente, die weder logisch noch vernünftig beherrschbar wäre, würde bestenfalls zu totaler Konfusion führen.

Ohne das letzte Wort haben zu wollen, möchte ich noch einmal zum Kern des Problems zurückkommen und dabei wenigstens indirekt die Punkte ansprechen, die sie aufgeworfen haben. Der Widerspruch zwischen Rationalismus und Empirismus scheint mir nur ein Gefecht am Rande der großen und eigentlichen Konfrontation zwischen Vernunft und Logik zu sein.

a) Vernunft (wie ich sie sehe und Antwort auf Ihre Frage „nach dem sicheren Standpunkt“)

„Nur das Ganze ist die Wahrheit“ (Hegel). Der Quinesche Holismus erkennt diese Tatsache an, ist aber undurchführbar. Die Wahrheitsbeziehungen aller möglichen Sätzen untereinander sind logisch nicht überprüfbar. Popper invertiert den Quineschen Holismus zur Falsifikation und macht ihn so durchführbar. Ein Widerspruch ist hinreichend um eine Theorie zu falsifizieren. Allerdings verkürzt er Hegels/Quines Diktum von der Gesamtheit aller Sätze auf die Basis wissenschaftlich gesicherter Sätze und entwertet es so. Wenn wir nun Poppers Falsifikationismus auf die Gesamtheit aller Sätze ausdehnen, erreichen wir die Vernunft von der Kant sagte, daß sie im Sinne der synthetisch a priori gültigen Einheit der Erfahrung verfährt. Das aber setzt Absolute Widerspruchsfreiheit voraus. Die Vernunft organisiert ihre Inhalte daher räumlich (im allgemeinsten Sinn).

b) Logik

Die Logik sehe ich als die kleine aufsässige Schwester der Vernunft. Sie kann die unendliche Vielheit des Nicht-Falschen, die ein auf Absoluter Widerspruchslosigkeit gebautes (Satz)System hervorbringt, nicht akzeptieren und verlangt nach verifizierbarer Wahrheit und damit nach Engführung, Ausgrenzung und Alleinanspruch. Logik beginnt mit der Feststellung des Aristoteles, daß der Widerspruch das mächtigste logische Argument ist (siehe Vernunft!). Dann strikt er sich aber eine Logik zurecht, die auf Identität beruht und scheitert bekanntlich damit, wenn auch erst nach 2000 Jahren. Als Nächstes glauben Frege, Russell und Hilbert mit der formalen Logik den Stein der Weisen gefunden zu haben – bis Gödel sie (die formale Logik und damit jede Logik) 1935 vor die Wahl stellt entweder unvollständig oder widersprüchlich zu sein. Diesem Todesstoß entzieht sich der Positivismus elegant durch Umbenennung in analytische Philosophie und unterstreicht damit (vermutlich ungewollt) seine/ihre Schwachstelle – die Analytizität der Logik. Sie zergliedert (man könnte auch sagen zertrümmert) ohne über die Mittel zu verfügen die Scherben wieder zusammenzusetzen. An deutschen Hochschulen kann man zwischen über 20000 (sic) Studiengängen wählen. Das mag man Polytomie nennen, ich nenne das Zerfall oder genauer: Dekonstruktion.

Fazit: Die Vernunft beschäftigt sich nicht mit den Inhalten des Wissen, sondern ausschließlich mit deren Struktur, d.h. sie verfährt inhaltsneutral . Die Logik verhandelt Inhalte, die sie aber wegen der Unmöglichkeit des Quineschen Holismus nicht bestimmen kann und zwar um so weniger je spezieller der Forschungsgegenstand.

Gruß,

Heinz Luediger

Wolfgang Stegemann
Wolfgang Stegemann
2 Jahre zuvor

Die Philosophie glaubt noch immer, wir hätten einen Laplaceschen Dämon im Kopf, der zudem in der Lage wäre, hinter die Kulissen der Schöpfung zu schauen. In Wirklichkeit ist unser Gehirn ein andertalb Kilo großes Stück Fleisch und Blut, dessen ‚Aufgabe‘ einzig und allein darin besteht, uns in unserer Umwelt zu orientieren und möglichst unfallfrei hindurch zu navigieren – mehr nicht. Die Tatsache, dass wir eine Sprache entwickelt haben, mit der wir mittels abstrakten Begriffen kommunizieren können und die zu einer abstrakten Begriffswelt geworden ist, gaukelt uns vor, wir könnten mehr. Weil wir die Entfernung von A nach B aufschreiben und anderen mitteilen können, glauben wir, es handele sich um eine objektive Wahrheit, mit der wir nicht nur unsere Welt vermessen können, sondern die Welt an sich. Daraus leiten wir ab, es gäbe Urteile apriori, die uns in die Wiege gelegt sind. Nur, wer hat sie dort hineingelegt?
Was würde wohl ein Photon von den Dingen an sich sagen? Für ein Photon gibt es weder Raum noch Zeit, es ist selbst Raum und Zeit. Nein, präziser, es könnte deshalb nichts sagen, weil es gar kein Photon gibt. Wir haben es erfunden, als Abstraktum. Hätten wir keine Sensoren für elektromagnetische Strahlung, könnten wir gar nicht über ein Photon nachdenken.
Unsere erkenntnistheoretische Hybris wird dadurch genährt, dass wir Kühlschränke, Handys und Mondraketen bauen können. Das veranlasst uns zu der Vorstellung, das Universum wäre ein mathematisches.
Wir leben in einer erkenntnistheoretischen Blase, in der es keine Welt an sich gibt. Es ist eine Welt für uns, die allerdings können wir mit unseren Mitteln erkunden und nutzen – möglichst verträglich. Kants Verdienst für Aufklärung und Rationalität bleibt davon unberührt.

Wolfgang Stegemann
Wolfgang Stegemann
2 Jahre zuvor
Reply to  Philo Sophies

»Ich habe hier allerdings auch den Verdacht, dass es sowieso wieder mal nur um die verschiedenen Seiten derselben Medaille geht.«
Sie haben sicher recht.
Ich sehe allerdings auch eine Problematik in den ‚Geistes’wissenschaften, nämlich die unterschiedliche Verwendung von mehrdeutigen Begriffen, denken Sie etwa an Information oder Bewusstsein in ein und derselben Argumentationslinie. Und an die Verwechslung der Bedeutungsebenen, was man am Beispiel des Leib-Seele-Problems gut sehen kann. Während Körper (Leib, body) ein Gegenstand ist, ist Bewusstsein (Seele, mind) eine Eigenschaft. Beide miteinander auf derselben Ebene zu vergleichen, bedeutet schon eine falsche Fragestellung, die notzwendig falsche Antworten hervorbringt. Das Gehirn mit dem restlichen Körper in Verbindung zu bringen und Bewusstsein als Eigenschaft des Gehirns zu betrachten wäre die richtige in Bezug Setzung.
Ein weiteres Problem drängt sich auf: die einfache Verknüpfung von Phänomenen, also die Betrachtung der Dinge auf ihrer Oberfläche, sichtbar in Analogien wie die zwischen Computer und Hirn, ohne auf beiden Seiten in die Tiefe zu gehen, also eine dritte Doimension hinzuzufügen.
Aus beiden entstehen dann Metaphysiken, die von vornherein auf schiefem Grund stehen und letztlich zum Scheitern verurteilt sind.

maria reinecke
2 Jahre zuvor

@ Wolfgang Stegemann

Ich stolpere in Ihre Unterhaltung, verzeihen Sie, das ‚Ding an sich‘ war’s: ja, wozu bloß dieses ‚Ding an sich‘!
(Bei aller Verehrung Kants, er muss irgendwann überwunden werden, denke ich, aber dazu mehr an anderer Stelle).

„Nehmen wie einen Baum“, sagen Sie in Ihrem Text ‚Was ist Leben?‘:
„… er hat eine spezifische Form, die, ähnlich einer Gesichtserkennungssoftware, zwangsläufig wahrgenommen werden muss. Ein grünes Dreieck, also drei Punkte, drei Linien und eine Fläche, bilden das Impulsmuster des Baumes. Die Metastruktur ‚Baum‘ besteht also notwendig aus diesen Elementen, für deren Wahrnehmung sich spezifische Neuronen herausgebildet haben. An dieses Muster assimiliert bzw. assoziiert das System andere Bäume und evolviert dadurch, dass es komplexer wird oder, wie Piaget es ausdrückt, es akkomodiert und erreicht dadurch eine höhere Informationsdichte. Die Metastruktur ‚Baum‘ wird also komplexer und vielschichtiger. Die Valenz des Baumes liegt also in der Struktur. Die Metastruktur ‚Baum‘ koppelt so an kompatible Muster des Baumes.“ (W. Stegemann, Zitat Ende)

„Ich sehe den Baum“ – Versuch einer prozessphilosophischen/’zwischenräumlichen‘ Sichtweise (M.R.):
Aus einer sprachlich bereits vorgegeben, gedanklich konstruierten, aus dem Zusammenhang gerissenen statischen Subjekt-Objekt-Beziehung wird ein dynamisches symmetrisches Geschehen zwischen mir und diesem Baum am Wiesenrand: indem ich ihn wahrnehme, höre, sehe, rieche, spüre, erfahre; dieser Baum bleibt dabei nicht passives Objekt, sondern ich kann ihn nur wahrnehmen, erfahren, weil er sich mir aktivisch in seiner Fülle darbietet; er sendet seine spezifischen Signale aus (Impulsmuster?), die auf meinen Wahrnehmungsapparat wirken und dazu beitragen, dass und wie ich ihn wahrnehme (Informationsdichte?); diese Wahrnehmung hinterlässt Spuren in meinem System, verändert es, mich. Was sich zwischen mir und dem Baum an diesem Ort in diesem Augenblick ereignet, ist wirklich, ja IST; verwoben, eingebunden in ein grenzenloses Netz von anderen wirklichen Geschehnissen in nächster Nähe und weitester Entfernung: da ist der warme Lichteinfall der Sonne, das Summen der Insekten, das Rauschen im nahe gelegenen Wald, Autobahngeräusche im Hintergrund, aufkommende Wolken, der sich verdunkelnde Himmel…: Schwingungen, Wellen, Frequenzen, Energie-Ströme/Felder schaffen einen umfassenden Wirk-Zusammenhang, in dem ich als Subjekt nicht mehr die Hauptrolle spiele…(M.R. aus „Ereignishaftigkeit der Natur“, 2012)

Vielen Dank,
Maria Reinecke, Berlin

maria reinecke
1 Jahr zuvor

@ philo sophies

In Zusammenhang mit Rudolf Carnap und die Metaphysikfeindlichkeit des Wiener Kreises – finde die Kommentare dazu nicht,
vielleicht passt es auch hier:

„Gesprächssplitter 16“ zu metaphysischen Fragen aus der Reihe „Gedankensplitter“, Maria Reinecke, Berlin:
(frei nach Wolfgang Stegmüller, Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie III)

A: Lass uns noch einmal kurz zurückkommen auf unsere Folge 9, glaube ich; da hast du von der Sinnlosigkeit metaphysischer Begriffe gesprochen, nein, du natürlich nicht, sondern die Logischen Empiristen. Das klingt für mich ziemlich unversöhnlich, was Rudolf Carnap formuliert, geradezu aggressiv. Wie wird das heute eigentlich gesehen?

B: Carnap selber ist sich natürlich der ganzen philosophischen Problematik bewusst. Er hat seine eigene Auffassung oft geändert und viele seiner Untersuchungen und Theorien nur als „erste Entwürfe“ oder „erste Versuche“ bezeichnet, jedenfalls nie den Anspruch auf Endgültigkeit erhoben. Interessanterweise benutzt er für die Tätigkeit des Philosophen ein Analogiebild; er vergleicht den Philosophen mit dem Ingenieur; dieser arbeitet beispielsweise an der Konstruktion und Entwicklung eines neuen Flugzeugtyps. Nach Carnap ist auch der Philosoph ein Konstrukteur, nicht von materiellen technischen Dingen, sondern von Wissenschaftssprachen. Der Ingenieur wird nicht sagen, dass seine letzte Kreation die endgültig beste und nicht mehr ausbaufähig sei, sondern an der Weiterentwicklung des Modells interessiert sein und Anregungen von anderen aufnehmen, übernehmen. Ähnlich sollte auch der Philosoph an der rationalen Rekonstruktion der Wissenschaftssprache arbeiten, immer im Wechselspiel von Entwurf, Kritik, Gegenkritik und Verbesserungsvorschlägen.
Was also Logik und Wissenschaftstheorie betrifft, hat Carnap hier unbezweifelbar recht.

A: Wie sieht es aber mit dem Sinnkriterium für metaphysische Fragen aus? Hat der Logische Empirismus wirklich nachweisen können, dass Metaphysik insgesamt sinnlos sei?

B: Nein. Der Nachweis, dass Metaphysik sinnlos sei, ist durch den Logischen Empirismus nicht erbracht worden. Denn letztlich ist das empiristische Sinnkriterium eine Sache des Beschlusses, logisch jedoch nicht weiter zu begründen. Es handelt sich dabei um Beschlüsse innerhalb der Syntax der jeweiligen Wissenschaftssprache; und solche Beschlüsse müssen nicht akzeptiert werden. Popper spricht deshalb statt von Sinnkriterien von Abgrenzungskriterien; er will die logischen, mathematischen und erfahrungswissenschaftlichen Aussagen lediglich von der Metaphysik abgrenzen.

A: Und was sagt der Metaphysiker dazu? Lässt er sich das vernichtende Urteil der Empiristen gefallen?

B: Dem Metaphysiker stehen zwei Wege offen, sich erfolgreich zu verteidigen: 1. Er braucht die empiristische Fassung des Wissenschaftsbegriffs nicht zu akzeptieren. Er könnte z.B. argumentieren, dass der Begriff „Wissenschaft“ durchaus vage ist – was übrigens auch von Carnap so gesehen wird – und immer eine konventionelle Komponente in sich trägt, so dass bei einer erweiterten Fassung dieses Ausdrucks auch metaphysische Aussagen in die wissenschaftlichen Sätze eingeordnet/untergeordnet werden können. 2. Der Metaphysiker könnte aber auch zugestehen, dass seine Tätigkeit nicht die eines Wissenschaftlers im o.g. Sinne sei; dass seine Forschung trotzdem sinnvoll sei, wenn auch nicht im empiristischen Sinne. Allerdings, wenn der Metaphysiker den Anspruch erhebt, Wissenschaft zu betreiben und er wissenschaftslogische Prinzipien der Begriffsbildung und Begründung anerkennt, dann darf er nicht bei der konkreten Durchführung seines Systems gegen diese Prinzipen verstoßen. Der Metaphysiker muss seine neu eingeführten Begriffe genau erklären und seine Behauptungen begründen können und – wie jeder andere Wissenschaftler auch – sich grundsätzlich der Situation aussetzen, dass Unklarheiten und Fehler in seinen Begriffen und Begründungen kritisch geprüft und nachgewiesen werden.

A. Das erinnert an die Induktive Metaphysik, die du mal erwähntest, von dem – wie hieß der nochmal: Whitehead, ja A.N. Whitehead…

B: Genau. Whiteheads Prozess-Metaphysik ist eine Metaphysik, die alle wissenschaftlichen Prinzipen der Begriffsbildung und logischen Begründung anerkennt und bei der konkreten Durchführung des Systems nicht gegen diese Prinzipien verstößt. Sie basiert darüber hinaus auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen aus allen Bereichen und ermöglicht so eine neue, erweiterte Sicht der gesamten Lebenswirklichkeit…

A. Wir sind unterbrochen worden. Was wolltest du sagen?

B: Natürlich kann der empiristische Wissenschaftler dem Metaphysiker von vornherein jede Fähigkeit zu begrifflicher Klarheit und Exaktheit in der Beweisführung absprechen; denn wissenschaftliche Aussagen, egal wie weit Wissenschaft gefasst werden mag, würde er sagen, müssen auf jeden Fall in einer intersubjektiv verständlichen Sprache formuliert sein, und da die Grundbegriffe der Metaphysik keinen empirischen Bezug haben, sei eine Verständigung über den Sinn metaphysischer Aussagen eben nicht möglich. Aber auch dieses Argument ist nicht aufrecht zu erhalten.
Erinnert sei dabei an Kants Metaphysik, die formal gekennzeichnet ist durch synthetische Sätze a priori, d.h. durch Erkenntnisse aus reiner Vernunft. Diese Kennzeichnung steht nicht im Widerspruch zum empiristischen Sinnkriterium, denn: für synthetische Aussagen a priori gilt nur, dass ihre Begründung ohne Zuhilfenahme von Beobachtungssätzen möglich ist, was durchaus mit ihrer empirischen Bestätigungsfähigkeit in Einklang stehen kann.
Wenn dann aber der Logische Empirist entgegnete, dass es gar keine synthetischen Aussagen a priori gäbe, wäre seine negative Existenzbehauptung ihrer logischen Struktur nach gerade das, was sie in Abrede stellt: eine synthetische Behauptung a priori.

A: Wahnsinn. Dann ist also die ganze Polemik in der Metaphysik-Debatte grundlos?

B: Kann man so sagen. Der Empirist sollte jedenfalls keine Thesen über das durch ihn Begründbare hinaus vertreten, weil er sie letztlich nur mit metaphysischen Argumenten vortragen kann. Und der Metaphysiker sollte keine Angst vor empiristischem Wissenschaftsdenken haben und darin kein „positivistisches Teufelszeug“ sehen, das nur dazu dienen soll, sein System zu zerstören.

Maria Reinecke, Berlin