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Der alte und der neue Mechanismus Teil 1 – Erklärungsversuche zum Verständnis von Descartes‘ mechanistischen Weltbild
Der hier veröffentlichte Artikel wurde mir freundlicherweise von Herrn Dr. Gregorio Demarchi vom Institut für Philosophie von der Friedrich-Schiller-Universität Jena zur Veröffentlichung auf meiner Seite zur Verfügung gestellt.
Der Kontakt zu dem Autor und die Möglichkeit zur Veröffentlichung beider Teile des Artikels „Der alte und der neue Mechanismus“ wurde mir durch die sehr freundliche und hilfsbereite Unterstützung von Andrin Kohler (head of the German section) von der in punkto Philosophie international sehr bekannten schweizerischen Seite philosophie.ch ermöglicht. Ein zukünftiges „Joint-Venture“ beider Seiten ist auch bereits in Planung, worauf ich an dieser Stelle schon einmal hinweisen darf. Um den hier vorliegenden Text besser einordnen zu können, seien mir hier vielleicht noch ein paar einleitende Worte zur Erläuterung gestattet.
Nachdem ich meine Trilogie über die „Wissenschaftstheorie“ abgeschlossen hatte, war ich auf der Suche nach weiterführenden Artikeln, die mir helfen sollten das mechanistische Weltbild des Reduktionismus und den damit einhergehenden Dualismus besser zu verstehen. In meinen Artikeln hatte ich ja bisher keine Gelegenheit ungenutzt gelassen, um die von René Descartes begründeten philosophischen Positionen des Reduktionismus und sein damit korrespondierendes Konzept des Dualismus in seinen Grundfesten anzugreifen und einen „Paradigmenwechsel“ voranzutreiben.
Die Beschäftigung mit Descartes‘ mechanistischem Weltbild stellt für mich auch keinesfalls einen Anachronismus dar, da seine Ansätze hinsichtlich des Reduktionismus und Dualismus bis zum heutigen Tage leider immer noch Anwendung finden und aus meiner Sicht zu der besagten, aktuellen Sackgasse in den Neurowissenschaften führen.
Nun ist es aber auch endlich einmal an der Zeit Herrn Descartes, oder besser gesagt – da dies posthum nicht mehr möglich erscheint – einen Fachverständigen zu diesem Thema – wie Herrn Dr. Gregorio Demarchi – zu Wort kommen zu lassen, um Erklärungsversuche zum Verständnis des mechanistischen Weltbildes im Reduktionismus zu liefern und damit Descartes‘ Standpunkt und seine Auswirkungen ein Stück sichtbarer zu machen.
Gastbeitrag von Dr. Gregorio Demarchi: „Der alte und der neue Mechanismus – Teil 1“
Der hier veröffentlichte Text ist der erste Teil eines zweiteiligen Artikels über den alten und den neuen Mechanismus.
Der alte Mechanismus bildet die Grundlage der Naturauffassung von René Descartes und von vielen anderen Philosophen und Naturwissenschaftler in der Zeit der naturwissenschaftlichen Revolution (17.-18. Jahrhundert).
Der neue Mechanismus, mit dem sich der zweite Teil des Artikels beschäftigen wird, ist in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Reaktion gegen das Vorherrschen der neopositivistisch geprägten abstrakt-formalistischen Konzeptionen in der Epistemologie entstanden (durch Herbert Simon, Stuart Kauffman, William C. Wimsatt, William Bechtel, Robert Richardson und noch viele andere), und widmet größere Aufmerksamkeit den konkreten Forschungsmethoden in speziellen Wissenschaften wie der Biologie.
Das Werk von Georges Canguilhem, und insbesondere seine Ideen zum Verhältnis zwischen Maschine und Organismus, wird als Bindeglied zwischen dem alten und dem neuen Mechanismus fungieren, da diese Ideen einerseits die wissenschafts- und philosophiegeschichtlichen Dimensionen vom Begriff des Mechanismus berücksichtigen, andererseits aber auch einen konkreten Bezug zu den modernen biomedizinischen Wissenschaften hat, auf deren Terrain sich der neue Mechanismus entwickelt hat.
Teil I: Der alte und der neue Mechanismus – Descartes und die Entstehung der mechanistischen Philosophie
In einer Fußnote zum „Maschinenkapitel“ von „Kapital Band I“ erklärt Karl Marx, dass „Descartes mit seiner Definition der Tiere als bloßer Maschinen […] mit den Augen der Manufakturperiode [sieht]“ (MEW 23, S. 411.) In dieser Periode – so die Interpretation – führte die zunehmende Rationalisierung des Produktionsprozesses dazu, dass Arbeitstiere schrittweise durch Maschinen verdrängt und ersetzt wurden, da letztere im Vergleich zu ersteren eine bedeutsame Produktivitätssteigerung möglich machten, wodurch mehr Profit erbeutet werden konnte.
Die Analogie zwischen Tieren und Maschinen – deren sozioökonomische Wurzel womöglich tatsächlich in den Rationalisierungstendenzen der frühkapitalistischen Produktionsweise zu suchen sind – erschöpft allerdings bei weitem noch nicht den theoretischen Inhalt jener philosophischen Position, die man als Mechanismus bezeichnet, und deren Ursprünge in Descartes‘ Philosophie hier rekonstruiert werden sollen. Wie dies Eduard Jan Dijksterhuis im Schlusswort seines klassischen Werks „Die Mechanisierung des Weltbildes“ (1950) erläutert, kann der Ausdruck „Mechanismus“ verschiedene Bedeutungen annehmen, deren Zusammenhang mit dem altgriechischen Wort μηχανὴ (Maschine) nicht immer unmittelbar ist (E.J. Dijksterhuis: „Die Mechanisierung des Weltbildes“ (Berlin, 1956), S. 550-557). Der Einfachheit halber sollen hier nur zwei von diesen Bedeutungen erwähnt werden:
Die 1. Bedeutung des Begriffes „Der alte und der neue Mechanismus“
1. In einer ersten Bedeutung ist der Zusammenhang zwischen Mechanismus und Maschine ziemlich unmittelbar: die Welt wird als eine „große Maschine“ aufgefasst (wie dies z.B. Descartes im §188 vom vierten Teil der „Principes de la philosophie“ macht), die sich nur dadurch von den Maschinen, die von menschlicher Hand konstruiert werden, unterscheidet, dass ihre Teile – ihre „Röhren oder Triebfeder“ (tuyaux ou ressorts) – zu klein sind, um von unseren Sinnen wahrgenommen zu werden („Principes de la philosophie“, IV, §204. Ian Hacking schreibt in seinem sehr lesenswerten Artikel „Canguilhem amid the cyborgs“ (in Economy and Society, 27, 1998), dass Descartes sich für die Nanotechnologien begeistert hätte, wenn er sie noch erlebt hätte: „How Descartes would have loved to have lived in our age of nanoengineering!“
Wie dies Dijksterhuis richtig bemerkt, „[setzt] eine Maschine […] einen bewussten und intelligenten Erbauer voraus, der sie konstruiert hat und sie wirken lässt, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen.“ (Dijksterhuis, S. 551) In einem unten noch ausführlicher zu besprechenden Aufsatz hat Georges Canguilhem die ganze Tragweite dieser im Begriff selbst der Maschine impliziten Teleologie erkannt und ins Zentrum seiner Überlegungen zum Verhältnis zwischen Maschine und Organismus gestellt.
Die 2. Bedeutung des Begriffes „Der alte und der neue Mechanismus“
2. In einer zweiten Bedeutung unterhält der Mechanismus allerdings eine viel schwächere Beziehung zum Begriff der Maschine, und zwar nur vermittelt durch die Wissenschaft der Mechanik. Obwohl diese in ihren Ursprüngen tatsächlich eine (praktische) Wissenschaft der Konstruktion von Maschinen war, verwandelte sie sich im Spätmittelalter in eine allgemeine Bewegungslehre. Durch das Werk von bedeutsamen Naturwissenschaftlern wie Simon Stevin, Galileo Galilei und Johannes Kepler entwickelte sich dann in der Spätrenaissance und im frühen 17. Jahrhundert die als Bewegungslehre verstandene Mechanik zu einer mathematischen Wissenschaft, in deren Zentrum der von Descartes selbst eingeführte Begriff des Naturgesetzes steht.
Was die Naturkörper gemäß dieser Auffassung zu maschinenähnlichen Konstrukten macht, ist lediglich jenes „negative […] Kennzeichen“, das Dijksterhuis als „das Unvermögen, aus eigener Kraft zu funktionieren, die Notwendigkeit, von außen her in Bewegung gebracht und gehalten zu werden“ beschreibt (Dijksterhuis, S. 553). Anders als die aristotelisch geprägte Naturphilosophie, die der Mechanismus ablöst, spricht letzterer den Naturkörpern jedwedes intrinsische Kausalvermögen ab. Die „mechanischen“ Eigenschaften der Ausdehnung und der Bewegung sind die einzigen Attribute der Materie, und die kausalen Verhältnisse, die das Naturgeschehen strukturieren, werden nicht von den intrinsischen Vermögen der Dinge selbst bestimmt (von deren causal powers), sondern von einer von oben herab aufoktroyierten Gesetzgebung diktiert (Siehe zu dieser Frage Walter R. Ott: „Causation and laws of nature in early modern philosophy“ (Oxford, 2009).
Descartes‘ These vom maschinenhaften Charakter von Lebewesen
Obwohl Descartes‘ These vom maschinenhaften Charakter von Lebewesen, wie gesagt, nicht den ganzen Inhalt der mechanistischen Weltanschauung erschöpft, stellt sie ein thematisches Terrain dar, auf dem die Spannung zwischen den zwei soeben erwähnten Auffassungen vom Mechanismus ihre Entfaltung findet. Man könnte zunächst meinen, dass die These der „bêtes-machines“ (die u.a. im fünften Teil vom „Discours de la méthode“ dargelegt wird) klar im Sinn der ersten Bedeutung vom Mechanismus ausgelegt werden soll: wenn die Welt als Ganzes eine Maschine ist, umso mehr sind als Maschinen die Lebewesen aufzufassen, deren Teile auf so präzise Art und Weise aufeinander abgestimmt sind, dass sie zu den komplexen Verhaltensweisen führen, die wir bei den Tieren beobachten.
Obwohl Georges Canguilhem die sozioökonomistische Interpretation zurückweist, die hinter dem von Dijksterhuis erwähnten „bewussten und intelligenten Erbauer“ lediglich die Rationalisierungsanforderungen der frühkapitalistischen Manufaktur erblickt, ist es für ihn unleugbar, dass die Konzeption von Tieren als Maschinen nicht weniger anthropomorphisch ist als die Auffassung, die sie abzulösen vorgibt. G. Canguilhem „Maschine und Organismus“ (in: „Die Erkenntnis des Lebens„, Berlin, 2009, S. 196-200) bespricht ausführlich die marxistische Interpretation von Franz Borkenau und deren ebenfalls marxistisch geprägten Kritik durch Grossmann. Canguilhems Konklusion ist dabei die Folgende:
„Folglich können wir feststellen, dass Descartes eher ein menschliches Phänomen, die Konstruktion von Maschinen, in seine Philosophie integriert hat, als dass er ein gesellschaftliches Phänomen, die kapitalistische Produktion, zur Ideologie erhoben hätte.“ (S. 200)
Zwar eliminiert Descartes die von der aristotelischen Biologie postulierten seelischen Vermögen, deren teleologische Verfassung die Funktionen und Bewegungen von Lebewesen hätte erklären sollen. Die Teleologie wird aber eigentlich nur auf den Ursprung verlegt:
„Man kann also sagen, dass Descartes die Teleologie des Lebens beseitigt, indem er den Mechanismus an die Stelle des Organismus setzt; und dennoch beseitigt er sie nur scheinbar, da er sie am Ausgangspunkt wieder einführt.“ (Canguilhem, S. 206)
Die zielgerichtete Konstruktionstätigkeit eines „Artifex Maximus“
So wie am Ausgangspunkt des Konstruktionsprozesses einer von menschlicher Hand erbauten Maschine der bewusste Plan des Handwerkers steht, so sind die „mikromechanischen“ (Thomas S. Hall: „Ideas of life and matter“, Chicago, 1969) oder „nanotechnologischen“ (Ian Hacking: „Canguilhem amid the cyborgs“ (in Economy and Society, 27, 1998)) Biomaschinen, die man gewöhnlich als Tiere bezeichnet, Erzeugnis der anthropomorph konzipierten zielgerichteten Konstruktionstätigkeit eines „Artifex Maximus“. Um seine Interpretation zu untermauern, beruft sich Canguilhem auf die ersten Paragraphen von Descartes‘ posthum erschienene Abhandlung „L’homme„:
„Ich setze voraus, dass der Körper nichts anderes ist als eine Statue oder Maschine aus Erde, die Gott ausdrücklich formt, um sie uns so ähnlich wie möglich zu machen. Deshalb verleiht er ihr nicht nur äußerlich die Farbe und Gestalt aller unserer Körperglieder, sondern setzt auch alle Stücke in ihr Inneres, die erforderlich sind, um sie herumlaufen, essen, atmen und schließlich all jene unserer Funktionen nachahmen zu lassen, von denen man sich vorstellen kann, dass sie von der Materie herrühren und von der Disposition der Organe abhängen.
Wir sehen Uhren, kunstvolle Wasserspiele, Mühlen und andere ähnliche Maschinen, die zwar nur von Menschen gefertigt sind, aber dennoch die Kraft haben, sich von selbst auf viele verschiedene Weisen zu bewegen. Und mir scheint, ich könnte mir in dieser Maschine, von der ich voraussetze, dass sie durch die Hände Gottes gefertigt ist, weder so viele Arten von Bewegungen vorstellen noch ihr eine solche Kunstfertigkeit zusprechen, dass Sie keinen Anlass hätten, zu denken, sie könne nicht noch mehr davon haben.“ (AT XI, 120 aus „Der Mensch“, Hamburg, 2015, S. 173)
Eine wichtige Konsequenz der von Descartes hier dargelegten Konzeption, wonach die Funktionen und Bewegungen von organischen Lebewesen nicht auf immanent wirkende teleologische Seelenvermögen zurückgeführt werden sollen, sondern biomaschinelle Automatismen sind, deren teleologische Konzipierung ihnen äußerlich ist, ist, dass die richtige Verfassung der Organe eine hinreichende Bedingung für körperliche Bewegungen darstellt. Anders gesagt, ist das seelische Vermögen des Willens keine notwendige Bedingung, damit sich der Körper bewegt, wie dies die unwillentlichen Körperbewegungen zeigen:
„Das zeigt, dass die Seele nur dann im Körper eine Bewegung hervorrufen kann, wenn sich die für diese Bewegung erforderlichen körperlichen Organe in der dafür richtigen Verfassung befinden, und dass, wenn sich umgekehrt alle Organe des Körpers in der richtigen Verfassung zu einer bestimmten Bewegung befinden, der Körper die Seele nicht nötig hat, um sie zu produzieren.“ (AT XI, 225 aus: „Beschreibung des menschlichen Körpers“, Hamburg, 2014, S. 132
„Technologischer Anthropomorphismus„ vs. „politischer Anthropomorphismus„
Canguilhem bemerkt dabei:„Ein technologischer Anthropomorphismus ersetzt einen politischen Anthropomorphismus.“ (Canguilhem, S. 207) Damit ist gemeint, dass Descartes „das politische Bild der Befehlsgewalt als Typus magischer Kausalität – einer Kausalität durch das Wort oder durch das Zeichen – durch das technische Bild der ‚Steuerung‘ als positiver Kausalität, also einer Vorrichtung oder eines Zusammenspiels mechanischer Verbindungen [ersetzt].“ (Canguilhem, S. 208) Während das seelische Vermögen des Willens sich zum Körper wie ein König gegenüber seinen Untertanen oder ein General gegenüber seinen Soldaten verhält, findet in den kartesischen Biomaschinen dieses politische Modell der Befehlsgewalt durch das Wort keine Anwendung, um die Bewegungen der Organe zu erklären, da diese sich „gegenseitig steuern wie die Rädchen eines Räderwerks.“ (Canguilhem, S. 208) Dies scheint tatsächlich der Konzeption von Descartes zu entsprechen, der nachdrücklich betont, dass angesichts der Fähigkeit des Körpers zur unwillentlichen Bewegung wir genauso wenig berechtigt sind, die Wirksamkeit einer immateriellen Seele anzunehmen, „wie wir Anlass haben, zu urteilen, es gebe in einer Uhr eine Seele, die dafür sorgt, dass sie die Stunden anzeigt.“ (AT XI, 226; Beschreibung des menschlichen Körpers, S. 133)
Descartes mechanisches Modell der „bêtes-machines“
Das Modell des Uhrwerks, das hier von Descartes explizit erwähnt wird, um seine These zu untermauern, wonach die richtige Disposition der Organe eine hinreichende Bedingung für körperliche Bewegungen darstellt, ist allerdings nicht das einzige mechanische Modell, von dem Descartes Gebrauch macht. Schon in der oben angeführten Eröffnungspassage aus der Abhandlung „L‘homme“ werden neben der Uhr noch „Wasserspiele“ und „Mühlen“ erwähnt, d.h. Vorrichtungen, die durch die Kraft des Wassers oder der Luft funktionieren. Dieser scheinbar nebensächliche Aspekt steht im Zentrum der Interpretation der kartesischen These der „bêtes-machines„, die vom „analytischen Marxisten“ Jon Elster vorgelegt wurde (J. Elster: „Leibniz et la formation de l’esprit capitaliste“, Paris, 1975, Kapitel II). Gegen eine vulgär-technizistische Lektüre, die Descartes‘ Mechanismus als nicht weiter spezifizierten Ausdruck der Produktionsmethoden der Manufakturperiode ansieht, argumentiert Elster dahingehend, dass Descartes‘ Wahl von ganz spezifischen Maschinen als Modelle, um seine These zu illustrieren, ihren Grund eher in der immanenten Logik seiner Metaphysik hat als in den sozioökonomischen Bedingungen seiner Epoche.
Die dualistische Natur von Descartes‘ Biomechanismus
Um diesen wichtigen Aspekt am besten zu verstehen, soll hier nochmals auf die zweite oben erwähnte Bedeutung vom Mechanismus zurückgekommen werden: in dieser Bedeutung fasst der Mechanismus das Verhalten der Naturkörper als bestimmt nicht durch deren intrinsische kausale Vermögen – wie dies die Naturphilosophie von Aristoteles machte –, sondern durch von oben herab aufoktroyierte Gesetze. Die Mehrdeutigkeit, die dem Begriff vom Mechanismus eigen ist, ist laut Elster der Grund, warum viele Interpreten die grundsätzlich dualistische Natur von Descartes‘ Biomechanismus verkennen. Denn Descartes macht nicht nur vom schon ausführlich behandelten technologischen Modell Gebrauch, das Tiere als fertige Maschinen konzipiert, die von einem „bewussten und intelligenten Erbauer“ konstruiert wurden, sondern auch von einem atomistischen Modell, das die Formierung des Organismus als Resultat eines Selbstorganisationsprozesses auffasst, wodurch kleine ausgedehnte Materieteilchen aufgrund der Naturgesetze, die ihr Verhalten bestimmen, progressiv die Form des lebenden Organismus annehmen (Elster, S. 54ff).
Die „embryologische Theorie“ der Epigenese
Während das technologische Modell der erbauten Maschine im programmatischen Text vom fünften Teil vom „Discours de la méthode“ und in der Abhandlung „L’homme“ vorherrscht, legt Descartes seine „embryologische Theorie“ der Epigenese in der „Description du corps humain“ und in der kleinen Abhandlung „Primae cogitationes circa generationem animalium“ dar. Wie dies Elster richtig erkannt hat, ist tatsächlich die embryologische Theorie der Epigenese, die einen Selbstformierungsprozess des lebenden Organismus annimmt, grundsätzlich unvereinbar mit dem Modell der Tiere als fertig erbauten Maschinen. Erst die alternative „Theorie der Präformation“ – die u.a. von Leibniz und Malebranche vertreten wurde – ist mit dem Modell der erbauten Maschine kompatibel, da sie die organischen Strukturen als vorgeformt und nicht als selbstgeformt konzipiert.
Die Rahmenbedingungen für die freie Bewegung
Die Auffassung von Tieren als Entitäten, die aus dem naturgesetzmäßigen Selbstorganisationsprozess von kleinen ausgedehnten Materieteilchen resultieren, hat nun wichtige Konsequenzen auch für das alternative Modell der Tiere als erbauten Maschinen, und zwar näher für Descartes‘ Wahl der konkreten Maschinen, die der Illustrierung seiner These dienen sollen. Während das Modell des Uhrwerks annimmt, dass die Teile der Maschine – die Räder der Uhr – sich genau gemäß dem Plan des Erbauers bewegen werden, bieten hydraulische Maschinen (wie Brunnenautomaten und Wassermühlen) ein alternatives Modell dar, in dem die Teile – oder mindestens einige Teile der Maschine, nämlich die flüssigen – sich frei bewegen können. Freie Bewegung der Teile bedeutet hier freilich naturgesetzmäßige Bewegung. Dies ist allerdings eine Bewegung, die einen gewissen Spielraum erlaubt und nicht vollständig vom Erbauer bestimmt wird. Die festen Bestandteile der Maschine – ihre Röhren und Triebfedern – stellen nur die Rahmenbedingungen für die freie Bewegung der Flüssigkeiten dar:
„Damit man sich zunächst einen allgemeinen Begriff von der gesamten Maschine machen kann, die ich beschreiben will, möchte ich hier sagen, dass die Wärme in ihrem Herzen gewissermaßen die große Triebfeder und das Prinzip aller Bewegungen in ihr ist. Die Venen sind die Röhren, die das Blut von allen Teilen des Körpers geradewegs zum Herzen bringen, wo es der dortigen Wärme als Nahrung dient. Ebenso sind auch der Magen und die Gedärme eine andere große Röhre, die mit kleinen Löchern durchsetzt ist, durch die der Saft der Nahrungsmittel in die Venen strömt, die sie geradewegs zum Herzen tragen. Die Arterien sind wiederum andere Röhren, durch die das im Herzen erwärmte und verdünnte Blut von dort auf alle anderen Körperteile übergeht, zu denen es die Wärme bringt und etwas Materie, um sie zu ernähren.“ (AT XI, 226f. aus: Beschreibung des menschlichen Körpers, S. 133f)
Lebende Biomaschinen vs. unbelebte Uhrwerke
Die Hydraulik der Blutzirkulation stellt somit das Merkmal dar, wodurch lebende Biomaschinen sich von unbelebten Uhrwerken unterscheiden, so dass es sich bei Descartes‘ These der „bêtes-machines„ eher um einen „heuristischen Vergleich“ (Markus Wild) handeln würde, als um die Behauptung, Tiere seien wirklich Maschinen. Markus Wild: „Die anthropologische Differenz“ (Berlin, 2006, S. 157):
„Will Descartes mit der Maschinenanalogie nun tatsächlich behaupten, Tiere seien Maschinen? Die Antwort lautet Ja und Nein. […] Es scheint sich lediglich um einen heuristischen Vergleich zu handeln. Die so gewonnene Analogie wird durch Hinweise auf tatsächlich konstruierte Maschinen – die mechanische Diana – plausibilisiert (Homme, AT XI: 120). Tiere sind metaphysisch (qua res extensa) und funktional nicht von Maschinen verschieden. Descartes weiß jedoch sehr wohl, dass es zwischen der mechanischen Göttin und seinem eigenen Hund einen Unterschied gibt.“ Dies Unterschied, so Wilds Interpretation, besteht hauptsächlich darin, dass Lebewesen „ein biologisches Zentrum“ (S. 165) haben, nämlich das Herz (oder ein Analogon desselben im Fall der Pflanzen: die Nachfolger von Descartes bemühen sich um eine „hydraulische Konzeption von Pflanzenbewegungen aufgrund der Saftzirkulation“, so Wild auf S. 164)
Der Eingriffspunkt für den Willen
Das Interessante an der Lektüre, die Jon Elster vorlegt, ist vor allem, dass sie zu Konklusionen führt, die denjenigen von Georges Canguilhem diametral entgegengesetzt sind. Während Canguilhem (sich auf die entsprechenden angeführten Passagen von Descartes berufend) vor allem die Entbehrlichkeit des seelischen Vermögens des Willens für das korrekte Funktionieren von biologischen Maschinen betont, und somit den „politischen“ Anthropomorphismus des Willens durch den „technologischen“ des Erbauers ersetzen will, ist Elster davon überzeugt, dass Descartes auch deshalb dem hydraulischen Modell des Brunnenautomaten den Vorzug gibt, weil der Spielraum, den die freie Bewegung der Flüssigkeiten eröffnet, einen möglichen Eingriffspunkt für den Willen darstellt. Elster betont explizit, dass Descartes den Willen nicht als Erbauer („constructeur“) konzipiert, sondern als Operator („opérateur“), der in der Maschine sitzt und dieselbe durch kybernetische Rückkoppelung steuert.
Der alte und der neue Mechanismus der negativen Rückkoppelung
Es kann hier zum Schluss dieses Artikels ein längeres Zitat aus Descartes‘ „L‘homme“ angeführt werden, das Elster als das zentrale Beweisstück für seine These ansieht, wonach Descartes den Willen so konzipiert, dass er die Biomaschine durch einen „Mechanismus der negativen Rückkoppelung“ steuern würde, der vergleichbar wäre mit der Aktion eines Brunnenwarts auf die Automaten eines mechanischen Brunnens, und der somit nicht hinreichend bestimmt werden würde durch den Plan des Erbauers. Die hydraulischen Automaten, die Descartes dabei mit barocker Plastizität beschreibt, sind die von den Brunnen, die sich in den Grotten vom Schloss Saint-Germain-en-Laye befanden (siehe Bild), und die leider mittlerweile zerstört worden sind:
„So mögen Sie vielleicht in den Grotten und Wasserspielen, die sich in den Gärten unserer Könige befinden, gesehen haben, dass allein die Kraft, mit der das Wasser sich bewegt, wenn es aus seiner Quelle austritt, ausreicht, um dort verschiedene Maschinen zu bewegen und sie sogar irgendwelche Instrumente spielen oder Worte aussprechen zu lassen, gemäß der verschiedenen Disposition der Rohre, die es leiten.
Und wirklich kann man die Nerven der Maschine, die ich Ihnen beschreibe, sehr gut mit den Rohren der Maschinen dieser Wasserspiele vergleichen; ihre Muskeln und ihre Sehnen mit den verschiedenen anderen Vorrichtungen und Triebfedern, die dazu dienen, sie zu bewegen; ihre Lebensgeister mit dem Wasser, die sie in Bewegung setzt, dessen Quelle das Herz ist und dessen Vorratstanks die Höhlen des Gehirns. […] Die äußeren Objekte, die allein durch ihre Anwesenheit auf ihre Sinnesorgane einwirken und sie dadurch bestimmen, sich auf mehrere verschiedene Weisen zu bewegen, […] sind wie Fremde, die in einigen der Grotten dieser Wasserspiele eintreten und dadurch, ohne daran zu denken, selbst die Bewegungen verursachen, die sich in ihrer Anwesenheit vollziehen; denn sie können dort nur eintreten, wenn sie über gewisse Bodenfliesen hinüberlaufen, die eine solche Disposition haben, dass, wenn sie sich zum Beispiel einer badenden Diana nähern, sie sie im Schilf verbergen lassen; und gehen sie weiter voran, um ihr nachzueilen, lassen sie einen Neptun auf sich zukommen, der sie mit einem Dreizack bedroht; oder wenn sie zu irgendeiner anderen Seite gehen, lassen sie ein Meeresungeheuer austreten, das ihnen Wasser ins Gesicht speiht; oder ähnliche Dinge, gemäß der Laune des Erfinders, der sie gefertigt hat. Und schließlich, wenn es in dieser Maschine eine vernünftige Seele geben wird, wird sie in ihr ihren Hauptsitz im Gehirn haben und dort wie der Brunnenwart sein, der sich bei den Vorratstanks aufhalten muss, wo alle Rohre dieser Maschinen zusammenlaufen, wenn er ihre Bewegungen in irgendeiner Weise auslösen, hemmen oder verändern will.“ (AT XI, 130-132 aus: „Der Mensch“, S. 189-191)
Chère M. R.,
merci beaucoup pour votre commentaire et votre réflexion sur le sujet, que je ne peux que soutenir.
Vous avez tout à fait raison Descartes avec son dualisme et plus tard Skinner avec sa „technologie sociale“ dans son livre „Beyond Freedom and Dignity“ (1971) n’ont conduit qu’à une objectivation de l’homme ou de l’humanité avec les conséquences négatives que l’on peut observer aujourd’hui.
Ce dont nous avons urgemment besoin, c’est d’une „anthropologie incarnée“, d’un „humanisme de l’esprit vivant incarné“, comme le propose par exemple Thomas Fuchs dans „Verteidigung des Menschen : Grundfragen einer verkörperten Anthropologie“ (2020). Je ne sais pas si le livre est également disponible en français, mais il mériterait à mon avis d’être lu comme concept opposé à Descartes et Skinner.
Je vous remercie de votre intérêt et avec mes
meilleures salutations