Emergenz des Bewusstseins

Gastbeitrag Dr. Wolfgang Stegemann: Emergenz des Bewusstseins

Gastbeitrag Dr. Wolfgang Stegemann: Emergenz des Bewusstseins

Der hier veröffentlichte Essay stammt von meinem sehr geschätzten Kollegen der Epistemologie Dr. Wolfgang Stegemann, mit dem ich schon einige sehr inspirirende und aufschlussreiche Diskussionen in real life und in meinem Kommentarbereich austauschen durfte. Hieraus war beispielsweise ein gemeinsames, erfolgreiches Joint Venture zum Thema „Entstehung von Leben“, „Evolutionstheorien in einer strukturenrealistischen“ und „systemtheoretischen Betrachtung entstanden.

Mit Wolfgang verbindet mich daher auch die Vorliebe für Themen der Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie. Was uns allerdings auch wieder ein wenig trennt, sind unsere unterschiedlichen Ansätze und Konzepte zur Beschreibung des Phänomens „Bewusstsein“. So möchte Wolfgang aus meiner Sicht das Bewusstsein immer mit den besonderen kognitiven Fähigkeiten des menschlichen Gehirns verknüpfen und dort auch alles verorten. Daher lehnte er meine etwas basalere Deutung des Phänomens als eine einfache strukturale Kopplung von Gehirnen (Nervenssystemen) mit ihrem Körper und der Umwelt, die ohne eine „innere Repräsentation auskommt, ab.

Aus diesem Grunde hatte es mich auch nicht verwundert, dass Wolfgang nun mit dem „alten Hutzauber-Trick“ „Emergenz daherkommt (verzeihe mir bitte meine Flappsigkeit ;-), die er nun physiologisch zu deuten versucht. Aus oben genannten Gründen kann man vielleicht verstehen, warum ich kein ausgesprochener Fan von „Emergenztheorien“ bin, da sie meines Erachtens weiterhin eine Erklärung für den Wechsel in den Eigenschaften des Zustandes schuldig bleiben und den „Körper-Bewusstsein-Dualismus“ in neuer Gestalt fortsetzen.

Aber das ist hier kein „Wunschkonzert“ und da der Philosophie- und Wissenschaftsblog „philosophies“ eher für eine Pluralität und Liberalität der Meinungen und Konzepte steht, möchte ich die Bewertung Wolfgangs Essays lieber der geneigten Leserschaft überlassen. Auf jeden Fall freue ich mich über Wolfgangs sehr gut recherchierten Gastbeitrag und ebenso über zahlreiche Kommentare und Diskussionen zu seinen Thesen. Aber jetzt hat er zunächst einmal das Wort:

Physiologische Emergenz des Bewusstseins

Einleitung

Das Konzept der Emergenz beschreibt das Auftreten neuer Eigenschaften oder Strukturen als Resultat komplexer Interaktionen in einem System, die nicht offensichtlich aus den Eigenschaften der einzelnen Komponenten ableitbar sind (Goldstein, 1999). In Bezug auf das Bewusstsein stellt sich die Frage: Wie können aus den physiologischen Prozessen im Gehirn subjektive Erlebnisse und ein einheitliches Bewusstsein entstehen? Formulieren wir es um und sagen, welche emergenten physiologischen Prozesse entsprechen dem emergenten Phänomen des Bewusstseins.

Traditionelle Ansätze bleiben häufig bei abstrakten Formulierungen. Ich möchte versuchen, konkrete physiologische Mechanismen zu identifizieren, die die Emergenz des Bewusstseins seitens der Physiologie erklären könnten. Dieser Artikel untersucht vier vielversprechende Ansätze, mit denen man versuchen kann, das Konzept der Emergenz in der Physiologie des Bewusstseins greifbar zu machen.

1. Netzwerkdynamik und Informationsintegration

Ein vielversprechender Ansatz basiert auf der Theorie dynamischer Systeme und der Idee der Informationsintegration. Die Hypothese ist, dass ab einem bestimmten Komplexitätsgrad der neuronalen Vernetzung und Interaktion neue, stabile Aktivitätsmuster entstehen, die sich nicht mehr aus der Summe der einzelnen neuronalen Aktivitäten vorhersagen lassen.

Tononi und Edelman (1998) schlugen vor, dass Bewusstsein aus der Integration von Information in thalamokortikalen Systemen entsteht. Ihre Theorie des „dynamischen Kerns“ postuliert, dass eine Gruppe von Neuronen, die hochgradig integriert und differenziert ist, die neuronale Basis des Bewusstseins bildet.

Methodik: Hochauflösende EEG- oder MEG-Aufnahmen könnten plötzliche Übergänge in der Netzwerkdynamik aufzeigen, etwa das Auftreten kohärenter Oszillationen in spezifischen Frequenzbändern. Varela et al. (2001) haben gezeigt, dass synchronisierte neuronale Oszillationen, insbesondere im Gamma-Frequenzbereich (30-100 Hz), mit bewusster Wahrnehmung korrelieren.

Aktuelle Forschungen von Mashour et al. (2020) nutzen Techniken der Netzwerkanalyse, um zu verstehen, wie verschiedene Hirnregionen während bewusster Zustände interagieren. Sie fanden heraus, dass das Bewusstsein mit einem erhöhten Informationsaustausch zwischen verschiedenen Hirnregionen einhergeht, was die Idee der Informationsintegration unterstützt. Das bedeutet, dass auf physiologischer Ebene Emergenzen auftreten, die wir als Bewusstsein wahrnehmen..

2. Kritische Übergänge in neuronalen Systemen

Die Theorie der kritischen Übergänge bietet ein konkretes Modell für Emergenz. Diesem Ansatz zufolge operiert das Gehirn nahe einem kritischen Punkt, ähnlich einem Phasenübergang in der Physik. An diesem Punkt können kleine Veränderungen in der neuronalen Aktivität zu großskaligen, qualitativen Veränderungen im Systemverhalten führen.

Beggs und Plenz (2003) entdeckten „neuronale Lawinen“ im Kortex, die einer Potenzgesetzverteilung folgen – ein Merkmal kritischer Systeme. Sie argumentieren, dass dieser kritische Zustand optimal für Informationsverarbeitung und -speicherung ist.

Methodik: Die Beobachtung von Power-Law-Verteilungen in der Größe und Dauer von neuronalen Aktivitätsclustern könnte Hinweise auf solche kritischen Übergänge liefern. Hesse und Gross (2014) haben Methoden entwickelt, um kritische Dynamiken in Gehirnnetzwerken zu identifizieren und zu quantifizieren.

Neuere Studien von Tagliazucchi et al. (2016) zeigen, dass das menschliche Gehirn während des Wachzustands näher an einem kritischen Punkt operiert als im Schlaf oder unter Anästhesie. Dies deutet darauf hin, dass der kritische Zustand eng mit dem Bewusstsein verbunden sein könnte. Kritische Zustände generieren demnach emergentes neuronales Verhalten.

3. Rekursive Verarbeitung und Meta-Stabilität

Eine weitere konkrete Idee basiert auf der Hypothese, dass Bewusstsein durch rekursive Verarbeitungsschleifen entsteht. Neuronale Signale werden nicht nur vorwärts verarbeitet, sondern in komplexen Rückkopplungsschleifen zwischen verschiedenen Hirnregionen hin- und hergeschickt. Ab einem bestimmten Grad der Rekursion könnte ein meta-stabiler Zustand entstehen, der als physiologisches Korrelat des Bewusstseins interpretiert werden könnte.

Lamme und Roelfsema (2000) schlugen vor, dass rekurrente Verarbeitung in visuellen Arealen notwendig für bewusste visuelle Wahrnehmung ist. Ihre Studien zeigen, dass die erste Welle der Aktivierung in visuellen Arealen nicht ausreicht, um bewusste Wahrnehmung zu erzeugen; erst die rekurrenten Feedback-Schleifen führen zu bewusster Erfahrung.

Methodik: Die Analyse von Konnektivitätsmustern und Informationsflüssen zwischen verschiedenen Hirnregionen mittels funktioneller MRT-Bildgebung oder komplexer EEG-Analysen könnte Einblicke in diese rekursiven Prozesse geben. Beispielsweise haben Boly et al. (2011) gezeigt, dass der Bewusstseinszustand mit spezifischen Mustern der effektiven Konnektivität zwischen Hirnregionen korreliert.

Aktuelle Forschungen von Dehaene und Changeux (2011) im Rahmen ihrer „Global Neuronal Workspace“-Theorie betonen die Bedeutung von langreichweitigen Feedback-Verbindungen für die Entstehung bewusster Erfahrungen.

4. Informationstheoretische Emergenz

Basierend auf Giulio Tononis Integrierter Informationstheorie (IIT) könnte man Emergenz informationstheoretisch fassen. Die Theorie postuliert, dass ab einem bestimmten Schwellenwert der integrierten Information (Φ) in einem neuronalen Netzwerk Bewusstsein als eigenständige Eigenschaft des Systems emergiert (Tononi et al., 2016).

Die IIT bietet einen mathematischen Rahmen, um zu quantifizieren, wie viel integrierte Information ein System enthält. Sie macht konkrete Vorhersagen darüber, welche Arten von Systemen Bewusstsein haben sollten und in welchem Ausmaß.

Methodik: Dies wäre durch komplexe Berechnungen der integrierten Information aus hochauflösenden Aufnahmen der Gehirnaktivität messbar. Allerdings ist die praktische Berechnung von Φ für komplexe Systeme wie das menschliche Gehirn derzeit noch eine große Herausforderung.

Aktuelle Forschungen von Massimini et al. (2015) nutzen die Grundlagen der IIT, um Bewusstseinszustände in klinischen Kontexten zu beurteilen, z.B. bei Patienten mit Bewusstseinsstörungen.

5. Nichtlinearität und Emergenz in biologischen Systemen

Ein fundamentaler Aspekt biologischer Systeme, der bisher nicht explizit adressiert wurde, ist ihre inhärente Nichtlinearität. Diese Eigenschaft hat weitreichende Konsequenzen für unser Verständnis von Emergenz im Allgemeinen und Bewusstsein im Besonderen.

Nichtlinearität als Grundprinzip biologischer Systeme

In biologischen Systemen, einschließlich des Gehirns, gibt es praktisch keine echten Linearitäten. Stattdessen sind nichtlineare Interaktionen die Norm (Laughlin et al., 2000). Dies bedeutet, dass die Ausgabe eines solchen Systems nicht proportional zu seiner Eingabe ist und dass das Verhalten des Gesamtsystems nicht einfach als Summe seiner Teile verstanden werden kann.

Implikationen für das Verständnis von Bewusstsein

Die allgegenwärtige Nichtlinearität in biologischen Systemen hat tiefgreifende Implikationen für unser Verständnis von Bewusstsein:

  1. Unmöglichkeit linearer Ableitungen: Phänomene wie Bewusstsein können nicht durch lineare Erklärungen aus physiologischen Prozessen abgeleitet werden. Jeder Versuch, Bewusstsein als direkte, lineare Folge neuronaler Aktivität zu verstehen, ist zum Scheitern verurteilt.
  2. Emergenz als logische Konsequenz: Die Nichtlinearität biologischer Systeme macht Emergenz nicht nur möglich, sondern zu einer logischen Notwendigkeit. Emergente Phänomene sind das unvermeidliche Resultat komplexer, nichtlinearer Interaktionen.
  3. Qualitative Sprünge: Nichtlineare Systeme können abrupte, qualitative Veränderungen durchlaufen, die nicht vorhersehbar sind, wenn man nur die einzelnen Komponenten betrachtet. Dies könnte erklären, wie aus der Aktivität von Neuronen plötzlich etwas qualitativ Neues wie Bewusstsein entstehen kann.
  4. Sensitivität gegenüber Anfangsbedingungen: Nichtlineare Systeme sind oft chaotisch und extrem sensitiv gegenüber ihren Anfangsbedingungen. Dies könnte erklären, warum bewusste Erfahrungen so variabel und schwer vorhersagbar sind.

Schlussfolgerung und Ausblick

Diese Ansätze bieten konkrete Ideen, wie Emergenz in der Physiologie des Bewusstseins verstanden und potenziell gemessen werden könnte. Sie stehen jedoch vor enormen empirischen und konzeptionellen Herausforderungen. Die größte Schwierigkeit bleibt, diese physiologischen Prozesse mit dem subjektiven Erleben in Verbindung zu bringen – das sogenannte „harte Problem des Bewusstseins“ (Chalmers, 1995).

Die Anerkennung der fundamentalen Nichtlinearität biologischer Systeme und ihrer Konsequenzen für das Verständnis von Emergenz und Bewusstsein stellt einen entscheidenden Schritt dar. Sie unterstreicht die Notwendigkeit, über simplifizierende, lineare Erklärungsansätze hinauszugehen und die inhärente Komplexität und Emergenz in den Mittelpunkt unseres Verständnisses zu rücken.

Diese Perspektive macht deutlich, dass Emergenz, einschließlich des Bewusstseins, nicht als Ausnahme, sondern als zu erwartendes Resultat der Nichtlinearität biologischer Systeme verstanden werden sollte. Sie eröffnet neue Wege für die Erforschung des Bewusstseins und verwandter Phänomene, die der Komplexität des Gehirns und des menschlichen Erlebens besser gerecht werden.

Zukünftige Forschung wird wahrscheinlich eine Integration dieser verschiedenen Ansätze erfordern. Beispielsweise könnte die Verbindung von Netzwerkdynamik, kritischen Übergängen und informationstheoretischen Ansätzen ein umfassenderes Bild der Bewusstseinsentstehung liefern.

Neue Technologien wie optogenetische Methoden (Deisseroth, 2011) und hochauflösende Bildgebungsverfahren versprechen tiefere Einblicke in die neuronalen Mechanismen des Bewusstseins. Gleichzeitig werden philosophische Überlegungen weiterhin eine wichtige Rolle spielen, um die konzeptionellen Grundlagen unseres Verständnisses von Bewusstsein zu schärfen.

Das bedeutet, die Frage, wie entsteht aus Materie Bewusstsein, muss völlig neu gestellt werden. Wir müssen mentale Emergenzen mit physiologischen korrelieren.

Literatur:

  1. Beggs, J. M., & Plenz, D. (2003). Neuronal avalanches in neocortical circuits. Journal of Neuroscience, 23(35), 11167-11177.
  2. Boly, M., Garrido, M. I., Gosseries, O., Bruno, M. A., Boveroux, P., Schnakers, C., … & Friston, K. (2011). Preserved feedforward but impaired top-down processes in the vegetative state. Science, 332(6031), 858-862.
  3. Chalmers, D. J. (1995). Facing up to the problem of consciousness. Journal of Consciousness Studies, 2(3), 200-219.
  4. Dehaene, S., & Changeux, J. P. (2011). Experimental and theoretical approaches to conscious processing. Neuron, 70(2), 200-227.
  5. Deisseroth, K. (2011). Optogenetics. Nature Methods, 8(1), 26-29.
  6. Goldstein, J. (1999). Emergence as a construct: History and issues. Emergence, 1(1), 49-72.
  7. Hesse, J., & Gross, T. (2014). Self-organized criticality as a fundamental property of neural systems. Frontiers in Systems Neuroscience, 8, 166.
  8. Lamme, V. A., & Roelfsema, P. R. (2000). The distinct modes of vision offered by feedforward and recurrent processing. Trends in Neurosciences, 23(11), 571-579.
  9. Mashour, G. A., Roelfsema, P., Changeux, J. P., & Dehaene, S. (2020). Conscious processing and the global neuronal workspace hypothesis. Neuron, 105(5), 776-798.
  10. Massimini, M., Boly, M., Casali, A., Rosanova, M., & Tononi, G. (2015). A perturbational approach for evaluating the brain’s capacity for consciousness. Progress in Brain Research, 177, 201-214.
  11. Tagliazucchi, E., Chialvo, D. R., Siniatchkin, M., Amico, E., Brichant, J. F., Bonhomme, V., … & Laureys, S. (2016). Large-scale signatures of unconsciousness are consistent with a departure from critical dynamics. Journal of The Royal Society Interface, 13(114), 20151027.
  12. Tononi, G., & Edelman, G. M. (1998). Consciousness and complexity. Science, 282(5395), 1846-1851.
  13. Tononi, G., Boly, M., Massimini, M., & Koch, C. (2016). Integrated information theory: from consciousness to its physical substrate. Nature Reviews Neuroscience, 17(7), 450-461.
  14. Varela, F., Lachaux, J. P., Rodriguez, E., & Martinerie, J. (2001). The brainweb: phase synchronization and large-scale integration. Nature Reviews Neuroscience, 2(4), 229-239.
  15. Laughlin, R. B., Pines, D., Schmalian, J., Stojkovic, B. P., & Wolynes, P. (2000). The middle way. Proceedings of the National Academy of Sciences, 97(1), 32-37.
  16. Strogatz, S. H. (2018). Nonlinear dynamics and chaos: with applications to physics, biology, chemistry, and engineering. CRC press.

© Einleitung: Dirk Boucsein, Text: Dr. Wolfgang Stegemann

Ich bin immer mit meiner „Diogenes-Lampe“ unterwegs, um Menschen zu finden, die sich auch nach ein wenig „Licht der Erkenntnis“ sehnen. Also wenn Ihr eigene Beiträge oder Posts für meinen Wissenschaft-/Philosophie-Blog habt, immer her damit. Sie werden mit Eurem Namen als Autor auf meiner Seite veröffentlicht, so lange sie den oben genannten Kriterien entsprechen. Denn nur geteiltes Wissen ist vermehrtes Wissen.
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Axel Stöcker
Axel Stöcker
1 Tag zuvor

Lieber Wolfgang,
vielen Dank für diesen fundierten und gut recherchierten Übersichtsartikel, den ich mit großem Gewinn gelesen habe! Gefreut hat mich auch, dass Du das „harte Problem“ explizit erwähnt hast. Eine Anmerkung bzw. Frage hätte ich zu den nichtlinearen Sprüngen, doch muss diese zunächst zurückstehen zu Gunsten einer grundsätzlicheren Klärung: Welche Frage wollen wir bzw. die von Dir angeführten Ansätze eigentlich klären? Dazu zwei Bemerkungen:

1.       Hard Problem: M. E. geht es dabei um mehr als um die Frage, wie man „physiologischen Prozesse mit dem subjektiven Erleben in Verbindung“ bringen kann, wie Du schreibst. Vielmehr soll hierbei geklärt werden, warum subjektives Erleben überhaupt existiert bzw. notwendig ist. Diese Frage ist mit der Feststellung einer Verbindung zu einem physiologischen Prozess mitnichten beantwortet und ob sich eine solche Antwort aus den von Dir vorgestellten Ansätzen ergeben könnte, ist wohl im günstigsten Fall eine offene Frage (dazu gerne ein andermal mehr). Mir scheint vielmehr, dass Dein Beitrag auf das Ausfindigmachen des neuronalen Korrelats des Bewusstseins abzielt. Auch das ist ein anspruchsvolles Ziel, wie wir spätestens seit der kürzlich von Chalmers gegen Koch gewonnenen Wette wissen, aber es ist natürlich etwas anderes als das „Hard Problem“. Dennoch: Neue Wetten werden angenommen. Wer fängt an?

2.       Emergenz: Ich bin immer etwas langsam und habe mich ewig mit diesem Begriff herumgeplagt, bis vor kurzem Achim Stephan im Interview das aussprach, was ich schon länger ahnte: Der Begriff Emergenz erklärt uns nichts. Emergenz ist, wie Du ja auch schreibst, lediglich die Beschreibung für ein Phänomen, das auf der Ebene der Systemkomponenten nicht auftritt, wie beim Standardbeispiel Wasser, das i. Ggs. zu seinen Molekülen flüssig sein kann. In diesem Fall kann das aus dem Dipolmoment der Moleküle abgeleitet werden, das eben gerade so stark ist, dass die Moleküle bis zu einer Temperatur von 100 Grad noch zusammenkleben. Das Phänomen Emergenz kommt in der Erklärung aber nicht vor. Die Erklärung eines emergenten Phänomens benötigt also keine Emergenz. Anders ausgedrückt: Wenn wir ein noch unverstandenes Phänomen (wie zum Beispiel Bewusstsein) korrekterweise als emergent bezeichnen, drücken wir damit eigentlich nur aus, dass wir dafür noch keine Erklärung haben. Oder noch einmal anders: Emergenz macht aus einer Korrelation keine Erklärung.

Seien wir also trennscharf und bescheiden in der Fragestellung und suchen wir erst einmal nach dem neuronalen Korrelat.
Ansonsten müsste ich Dir und Dirk gegenüber nämlich mit einer spitzen Bemerkung schließen, die so ginge: Aus meiner Sicht habt ihr, bei allen Unterschieden, eines gemeinsam. Egal ob Emergenz oder strukturale Kopplung. An beidem ist bestimmt viel Wahres, aber wenn man damit das Hard Problem lösen möchte, wirkt das ein bisschen, wie wenn man sich beim Betrachten eines Wohnzimmers über die ausgefallene Farbwahl des Sofas unterhält, aber kein Wort über den rosa Elefanten verliert, der in der Ecke steht.
Schöne Grüße
Axel 

Philipp
Philipp
1 Tag zuvor
Reply to  Axel Stöcker

Hallo Axel,

das hard problem „why is there consciousness rather than non-consciousness“ geht wie das Leib-Seele Problem davon aus dass bewusstes Erleben in Lebewesen prinzipiell anders ist als alles andere in der Welt. D.h. hier steckt immer noch ein latenter Dualismus hinter der Fragestellung. Denn ohne diesen latenten Dualismus käme man gar nicht mehr auf die Idee diese Frage überhaupt zu stellen.

Du stellst eine metaphysische Frage und metaphysische Fragen lassen sich empirisch (also neurowissenschaftlich) nicht beantworten.

Wenn man die Dynamik des Nervensystems, z.B. für visuelle Wahrnehmung, neurowissenschaftlich erklärt, dann erklärt man aus meiner Sicht wie „die Weichen der Dynamik“ gestellt sein müssen damit wir erleben. Bestimmte Dynamiken haben Eigenschaften die einfach das Erleben sind.

Der letzte Punkt ist für geschätzt 95% der Leute in der heutigen Diskussion um das Thema aber nicht verständlich und daher auch nicht akzeptierbar, denn sie glauben das Bewusstsein bzw. bewusstes Erleben eben prinzipiell anders ist als alles andere „rein materielle“ in der Welt.

Auf englisch würde ich sagen: „you beg the question“. Deine Frage beinhaltet bereits Voraussetzungen die nur eine bestimmte Form der Antwort erlauben. Und diese bestimmte Form der Antwort beinhaltet dass Bewusstsein etwas ganz besonderes ist insofern als dass hinter Bewusstsein ganz besondere Mechanismen stehen müssen die sich von allen anderen Mechanismen in der Welt signifikant abheben. Und das halte ich für den latenten dualistischen Fehler. 😉

Axel Stöcker
Axel Stöcker
23 Stunden zuvor
Reply to  Philipp

Hallo Wolfgang,

wenn Du das Hard Problem für ein metaphysische hältst, stimmt Du mir dann also zu, dass die Zielrichtung Deines Beitrags die Suche nach dem neuronalen Korrelat ist?

Ich sehe im Hard Problem übrigens kein metaphysisches Problem. Ein Problem hat man ganz am Anfang mit der Frage, ob subjektives Erleben eigentlich existiert. Man hat ja keine Beobachtergemeinde, sondern nur einen einzelnen Beobachter, das ist ein Unterschied zu anderen Naturphänomenen. Wenn man also wie Daniel Dennett meint, dass Qualia „just a bad idea“ sei, hat man das Problem scheinbar gelöst (zu einem hohen Preis, wie ich meine). Wenn man aber davon ausgeht, dass subjektives Erleben existiert (wofür es m. E. alles spricht), ergeben sich die üblichen Fragen: Wie ist es entstanden? Welchen Selektionsvorteil brachte es in der Evolution mit sich? Was bewirkt es? Wie hat es sich entwickelt? Etc.
Hat mit Metaphysik nichts zu tun.

Schöne Grüße
Axel

Axel Stöcker
Axel Stöcker
23 Stunden zuvor
Reply to  Axel Stöcker

Sorry, nicht „Deines“ Beitrags, sondern Wolfgangs Beitrag. 😊

Axel Stöcker
Axel Stöcker
23 Stunden zuvor
Reply to  Axel Stöcker

Ich hatte mich verlesen und gemeint, Wolfgang hätte geantwortet. Daher auch die falsche Anrede. 🙏

Wolfgang Stegemann
Wolfgang Stegemann
23 Stunden zuvor
Reply to  Axel Stöcker

achso 😊

Wolfgang Stegemann
Wolfgang Stegemann
23 Stunden zuvor
Reply to  Axel Stöcker

Die Intention meines Beitrags ist, dass ich denke, alle Bewusstseinstheorien bestehen aus teils schönen Narrativen, die verschiedenen empirischen Befunden übergestülpt werden. Und alle enthalten einen versteckten Dualismus. Wenn es stimmt, dass Mensch und Tier ausschließlich biologische Wesen sind (die man natürlich auch aus psychologischer oder soziologischer Sicht beschreiben kann), dann muss es möglich sein, alle Lebensäußerungen dieser Wesen biologisch zu erklären.

Das habe ich in Bezug auf Bewusstsein versucht. Allerdings nur aus einer bestimmten Perspektive. Meine Idee dabei ist, dass das mentale Phänomen des Bewusstseins physiologisch beschreibbar sein muss und man das nur erreicht mit dem Konzept der Emergenz. Denn man kann die mentale Komplexität nicht direkt mit der physiologischen Komplexität korrelieren, wie das die Identitätstheorie tut und zum anderen sehe ich Emergenzen als ständig neue Entwicklungsstufen, die gleichzeitig das System stabilisieren.

Wolfgang Stegemann
Wolfgang Stegemann
22 Stunden zuvor
Reply to  Axel Stöcker

Es kommt immer darauf an, wie man Fragen stellt. Das hard problem hat zwei Aspekte, zum einen, wie kommt es, dass man etwas empfindet, zum anderen, wie entsteht aus Materie Bewusstsein. Während der erste Teil sich evolutionsbiologisch erklären lässt, leidet der zweite Teil an einem grundlegenden Kategoriefehler: Materie und Bewusstsein sind zwei völlig verschiedene Gegenstandsbereiche. Die richtige Frage müsste lauten, wie entsteht aus Materie ein Lebewesen, das sich mittels eines Organs in der Welt orientieren kann und dies auch selber spürt. Auch das lässt sich evolutionsbiologisch beantworten. Warum aber spüren? Weil ohne Spüren Sensoren keinerlei Sinn ergeben würden. Spüren ist quasi der subjektive Kontrollmechanismus der Orientierung.

Wolfgang Stegemann
Wolfgang Stegemann
20 Stunden zuvor
Reply to  Axel Stöcker

Übrigens, Axel, so wie Chalmers das hard problem formuliert, ergibt es natürlich keinen Sinn. Wie ich das Rot einer Rose wahrnehme, kann ich nicht beantworten. Denk an den Gödelschen Unvollständigkeitssatz: ein System kann sich nicht selbst erklären. Es ist keine Erklärungslücke, weil es eine solche Erklärung nicht geben kann.

Philipp
Philipp
17 Stunden zuvor
Reply to  Axel Stöcker

Wenn man aber davon ausgeht, dass subjektives Erleben existiert (wofür es m. E. alles spricht), ergeben sich die üblichen Fragen: Wie ist es entstanden? Welchen Selektionsvorteil brachte es in der Evolution mit sich? Was bewirkt es? Wie hat es sich entwickelt? Etc.
Hat mit Metaphysik nichts zu tun.

Natürlich existiert unser Erleben.

Wenn man notwendige und hinreichende Mechanismen für Bewusstsein aus neurowissenschaftlicher Perspektive erklären möchte dann muss man aus meiner Sicht zeigen dass bestimmte Dynamiken der neuronalen Aktivität zwangszweise zu Bewusstsein führen.

Darauf kann man theoretisch überlegen warum diese Dynamiken zu Bewusstsein führen.

Wolfgang hat ein paar dieser neuronalen Mechanismen bzw. Dynamiken in seinem Beitrag angesprochen.

Wenn man aber wie das hard problem fragt warum es überhaupt Bewusstsein gibt und warum der Organismus auf unserer Organisations- oder Entwicklungsebene nicht auch ohne Bewusstsein funktionieren würde betreibt man Metaphysik. Dann die Frage impliziert dass man Bewusstsein immer noch als etwas genuin mentales betrachtet das zur der Physiologie „dazukommt“ statt einfach zu akzeptieren dass bestimmte Dynamiken der Physiologie eben das Erleben selbst sind.

Man philosophiert dann über einen anderen imaginären physiologischen Prozess, der genauso abläuft wie der in unserer natürlichen Welt, nur eben ohne Bewusstsein. Das ist Metaphysik über logisch-mögliche Welten.

Wolfgang Stegemann
Wolfgang Stegemann
23 Stunden zuvor
Reply to  Axel Stöcker

Hallo Axel,

die Philosophie versucht, die Welt zu interpretieren, die Wissenschaft erforscht sie. Jede Interpretation ist zulässig, es sei denn, sie enthält Fehler oder Widersprüche.
Ich habe hier versucht, ein Modell zu entwickeln, das versucht, das, was man unter Bewusstsein verstehen kann, physiologisch zu beschreiben. So gesehen betrifft das auch das hard problem of consciousness, denn Bewusstsein bedeutet nicht nur Kognition, sondern auch Empfinden, beides aus der ersten und dritten Person Perspektive.

Nun kann man dieses Thema physiologisch angehen, evolutionsbiologisch oder wie auch immer. Was man aber in einem Blogbeitrag nicht kann, ist alles auf einmal.

Philipp hat völlig recht, wenn er sagt, dass deine Frage schon bestimmte Antworten vorformuliert, die hier so gar nicht enthalten sind.

Es macht also nur Sinn, an dem Beitrag entlang zu diskutieren, sonst ufert das Ganze grenzenlos aus.

Zur Emergenz: Ich beschränke mich auf die Erklärung am Anfang des Beitrags und wende das auf die Physiologie dessen an, was man unter Bewusstsein versteht. Es ist quasi ein Angebot, das man annehmen kann oder nicht, diskutieren kann oder nicht. Es macht aber nur Sinn, wenn man unmittelbar am Thema bleibt.

Axel Stöcker
Axel Stöcker
20 Stunden zuvor

Hallo Wolfgang,
ich verstehe, dass Du entlang Deines Artikels diskutieren möchtest und ich habe in meinem ersten Beitrag ja auch schon Fragen dazu angedeutet. Aber gerade, damit die Diskussion nicht ausufert, wäre es für mich wichtig vorher zu klären, was die Zielrichtung Deines Beitrags ist (vielleicht haben es die anderen ja schon verstanden). Daher nochmal meine Frage: Es geht Dir um das berühmte neuronale Korrelat des Bewusstseins, nicht um die Lösung des Qualiaproblems. Kann man das so sagen?

Wolfgang Stegemann
Wolfgang Stegemann
19 Stunden zuvor
Reply to  Axel Stöcker

Nein, weder noch: das Qualiaproblem habe ich ja gerade angesprochen. Neuronale Korrelate machen m.E. genau den Fehler einer eins zu eins Übersetzung. Ich denke, man kann nur Emergenzen korrelieren. Intention war, grob gesagt, wie entwickelt sich Bewusstsein in der Weise physiologischer Emergenzen.
Selbst Korrelationen zwischen Emergenzen halte ich für sehr schwer, denn man muss sie physiologisch erfassen und ebenso verhaltensmäßig. Ich denke, das funktioniert nur bei einzelnen, isolierten Reizen.

Dirk
Dirk
13 Stunden zuvor
Reply to  Axel Stöcker

Lieber Axel,

herzlichen Dank für Deinen Kommentar zu Wolfgangs Gastbeitrag und dass Du Dich nach längerer Zeit mal wieder an unserer Diskussion mitgemacht hast.

Zu 1.: Ich finde, dass Du das Problem (auch wenn es vermeintlich ein sehr hartes ist) sehr pointiert zusammengefasst hast. Natürlich muss bei dem Begriff „Emergenz“ früher oder später im Zusammenhang mit den „Bewusstseinstheorien“ besonders aus dem Bereich der „Philosophie des Geistes“ die Frage nach dem echt harten „hard problem of consciousness“ und den ominösen „neuronal correlates of consciousness“ auftauchen. Und Hui Buh, da haben wir es wieder, unser allgegenwärtiges „Schlossgespenst“ der „Dualismus“ von „Körper und Geist“ oder „Materie und Bewusstsein“, etc pp. Natürlich konnte Koch die Wette nicht gewinnen, weil da im „Oberstübchen“ einfach nichts „herumspukt“. Aber das haben wir schon so oft diskutiert ;-).

Zu 2.: Ich sehe das absolut genauso wie Du „Die Erklärung eines emergenten Phänomens benötigt also keine Emergenz. Anders ausgedrückt: Wenn wir ein noch unverstandenes Phänomen (wie zum Beispiel Bewusstsein) korrekterweise als emergent bezeichnen, drücken wir damit eigentlich nur aus, dass wir dafür noch keine Erklärung haben. Oder noch einmal anders: Emergenz macht aus einer Korrelation keine Erklärung.“ Ich halte den Begriff ebenso für eine „Worthülse“, wie die „Entropie“. Kann ich mir irgendetwas nicht erklären, definiere ich einfach Anfangs- und Endzustand und messe einfach die Veränderung. Die Veränderung kann ich messen, aber nicht erklären. Okay, „so where’s the beef?“ für das Aufstellen einer Theorie?

Da Du es konkret angesprochen hattest. Ja, ich denke, man kommt an einer struktural-prozessualen Beschreibung einfach nicht vorbei, um auch eine Theorie zur Konstitution von Bewusstsein zu entwickeln. Die wird auch weiterhin empiriegetrieben verlaufen und nicht durch metaphysische Deduktionen erschlossen werden können. Die kognitiven Neurowissenschaften müssten allerdings ein konkretes Ziel haben, nachdem sie suchen sollten und das sind in meiner bescheidenen Sicht nicht die „neuronale Korrelate im Gehirn“, sondern die Korrelate mit dem Körper und der Umwelt bei der Konstitution von Bewusstsein. Daher sehe ich das Phänomen „Bewusstsein“ aus einer viel basaleren Sichtweise, wie ich bereits geschrieben habe.

Ich würde dies aber gerne zum Abschluss an Deinem sehr amüsanten, aber treffsicheren Bildes illustrieren. Es geht mir bei dem angestrebten Paradigmenwechsel tatsächlich nicht um den „rosa Elefanten […], der in der Ecke steht“. Ob es den wirklich gibt? Keine Ahnung. Nach einem Glas des belgischen Starkbiers „Delirium tremens“ mit dem „rosa Elefanten“-Logo, sehe ich den auch ;-).

Lass uns doch mal bitte wirklich zuerst einmal das „Wohnzimmer“ betrachten, wie real unsere Wirklichkeit wirklich ist. Von mir aus auch über die „ausgefallene Farbwahl des Sofas unterhalten“, aber nicht aus unserer anthropozentrischen Sicht, sondern aus einem anderen „Blickwinkel“. Muss die „grüne Farbe“ des Sofas erst für uns als „Qualia“ „erscheinen“ oder hat es vielleicht diese „Qualität“ schon per se als elektromagnetische Welle, die für eine Blattlaus, die sich auf dem Sofa niederlässt schon zum Verwechseln ähnlich aussieht, wie ihre Futterquelle. Thomas Nagel hätte vielleicht besser geschrieben „What is it like to be a greenfly?“.

So ich muss mich aber jetzt ml um den „rosa Elefanten“ kümmern ;-).

Machet joot und bis denne
Dirk

Dirk
Dirk
14 Stunden zuvor

Lieber Wolfgang,

ich kann leider auch wieder nicht umhin doch wieder etwas „Senf dazuzugeben“, auch wenn ich mich nicht einmischen möchte.

In der Einleitung zu Deinem Gastbeitrag hatte ich ja bereits erwähnt, dass ich kein Fan von „Emergenztheorien“ bin. Vielleicht müsste ich dies an dieser Stelle auch mal erläutern. Zu diesem Zwecke habe ich noch einmal in der „Mottenkiste“ meines Blogs im Kommentarbereich gekrost und festgestellt, dass es zu diesem Thema auch schon des Häufigeren einen Austausch gegeben hat. Daher habe ich hier nur noch einmal eine kleine Remineszenz meine Positionen rausgekramt (bei Bedarf kann ich die anderen Standpunkte auch noch einmal der Volständigkeit hinterher schicken):

„Es mag bis heute irgendwie nicht gelingen das vermeintliche Problem des „Leib-Seele“-/“Geist-Körper“-Dualismus zu lösen und ich befürchte es wird auch weitere 2500 Jahre später immer noch nicht gelingen. Den Grund hierfür sehe ich einfach in dem Konstruktionsfehler, da es sich meines Erachtens eher um ein „Pseudo-Problem“ handelt. Alle bis heute üblichen „Lösungsansätze“ versuchen das Problem entweder dualistisch oder monistisch zu erfassen. Daher gehört auch das von Ihnen erwähnte Phänomen der „Emergenz“ in diese Reihe der Lösungsversuche, da hier der „Geist“ als Epiphänomen aus der „Box der Materie“ springen soll. Allen Ansätzen gemein ist aber der Versuch zunächst einmal das „schwierige Problem des Bewusstseins“ mit Hilfe einer entitätsbasierten Metaphysik in den Griff zu bekommen, also den Geist vom Körper zu trennen, um ihn dann in einer umfassenderen Theorie wieder in Verbindung zu setzen.“

„Dieser Ansatz läuft meines Erachtens ebenso ins „Leere“ wie die Versuche des (graduellen) Panpsychismus eines Chalmers, Koch, Tononi zum Beispiel mit seiner „Integrated Information Theory of Conciousness“ (IIT) auch Koch/Tononi in „Consciousness: Here, There but Not Everywhere“ (2014): „Ideally, whether consciousness varies with integrated information, and other predictions of IIT, would first be validated here—on my own consciousness: for example, does Φmax collapse when I undergo general anaesthesia or a seizure, or when I fall into dreamless sleep, and return to high values when I dream? (https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rstb.2014.0167#d3e1716) Beide extreme Formen des Monismus sind reine Metaphysik, die nur über den Begriff der Emergenz entweder das Bewusstsein entstehen lassen oder es durch die Leugnung/Vereinnahmung der Emergenz eliminieren.“

Die „Achilles-Ferse“ von Emergenztheorien ist nämlich nicht die Frage, ob es Emergenzen bei der Konstitution von Bewusstsein geben könnte, sondern eher nach dem „modus operandi“, nach dem „wie sollen denn diese bitteschön entstehen?“. Deshalb gibt es auch nicht „die“ Emergenztheorie, sondern ganz viele, die aufgrund ihrer Entstehung und Wirkung unterschieden werden können. Achim Stephan, wo wir die große Ehre und Freude hatten ihn einmal interviewen zu dürfen, hat sich mit diesem Thema auch viel beschäftigt. Deshalb möchte ich diese Informationen an dieser Stelle auch nicht vorenthalten. In seinem Buch „Emergenz: Von der Unvorhersagbarkeit zur Selbstorganisation“ (2016) und in seinem Paper „Emergentism, Irreducibility, and downward Causation“ (2002):

„Es werden mehrere Theorien der Emergenz unterschieden. Im Einzelnen sind dies synchrone, diachrone und schwache Versionen der Emergenz. Während die schwächeren Theorien mit dem Eigenschaftsreduktionismus vereinbar sind, sind der synchrone Emergentismus und die starken Versionen des diachronen Emergentismus nicht. Der synchrone Emergentismus ist von besonderem Interesse für die Diskussion der abwärts gerichteten Kausalität. Für eine solche Theorie wird die Eigenschaft eines Systems als emergent betrachtet, wenn sie irreduzibel ist, d. h. wenn sie nicht reduktiv erklärbar ist. Außerdem müssen wir zwischen zwei verschiedenen Arten von Irreduzibilität unterscheiden, die ganz unterschiedliche Konsequenzen haben: Wenn auf der einen Seite die Eigenschaft eines Systems irreduzibel ist, weil das Verhalten der Teile des Systems irreduzibel ist Verhalten der Teile des Systems, von denen die Eigenschaft abhängt, irreduzibel ist, scheint es sich um einen Fall von „abwärts gerichtete Kausalität“. Diese Art der abwärts gerichteten Verursachung verstößt nicht gegen den Prinzip des kausalen Abschlusses des physikalischen Bereichs. Wenn andererseits eine systemische Eigenschaft irreduzibel ist, weil sie nicht erschöpfend auf ihre kausale Rolle analysiert werden kann nicht erschöpfend analysierbar ist, ist eine abwärts gerichtete Kausalität nicht impliziert. Vielmehr ist es fraglich, wie nicht analysierbare Eigenschaften überhaupt eine kausale Rolle spielen können. So, scheint Epiphänomenalismus impliziert zu sein. Das Versäumnis, die beiden Arten von Irreduzibilität auseinanderzuhalten von Irreduzibilität hat die jüngste Debatte über die Entstehung von Eigenschaften erheblich verwirrt.“

Wie man vielleicht erkennen kann, geht es schlussendlich um die zu klärende Frage des „Epiphänomenalismus“ und die „Irreduzibilität“. Und darauf können Emergenztheorien besonders im Hinblick auf die Frage nach der „Konstitution von Bewusstsein“ ebenfalls keine Antworten liefern, sondern höchstens das Phänomen beschreiben, sowie Du es in Deinem Essay auf physiologische Weise versucht hast. Erklären können sie nämlich nichts. Dafür bin ich Dir aber schon einmal dankbar, dass Du wenigstens die „Supervenienz“- und die „Identitätstheorie“ ausgeklammert hast, weil diese zwar mit Emergenz-Effekten spekulieren, aber auch nichts Handfestes zustandebringen. Ich würde daher, wenn man mich fragen würde, immer den Begriff der „Autopoiesis“ vorziehen, da hier der Fokus auf dem zu entwickelnden Objekt selber liegt und nicht auf seinen Randbedingungen.

Vielen Dank für Deinen inspirierenden Beitrag und
liebe Grüße
Dirk

Wolfgang Stegemann
Wolfgang Stegemann
14 Stunden zuvor
Reply to  Dirk

Hallo Dirk,

Das ist genau das Dilemma philosophischer Erörterungen. Es geht um Begriffe statt um Inhalte. Mein Emergenzbegriff ist ganz einfach: es handelt sich um neue Strukturen, also etwas anderes, als das, was bisher da war.

Für mich sind solche Strukturen in biologischen Systemen konstitutiv, weil stabilisierend. Wir müssen uns von diesem linearen Physikalismus verabschieden, der meint, Komplexität ist vor allem quantitativ beschreibbar. Ich greife gern wieder auf Piaget und seine Abstraktionsstufen zurück, die genau das beschreiben, was man im übrigen auch als Entstehung von Metastrukturen bezeichnen kann.

Im übrigen ist der Begriff der Autopoiese auch nur beschreibend. Ich finde hier den Begriff der Autokatalyse grundlegender und analytisch zugleich, denn sie ist Grundlage allen Lebens, Basis der Selbstorganisation und somit der Autopoiese.

Wie gesagt, ich kenne keine einzige Bewusstseinstheorie, die die biologische Genese von Bewusstsein konsequent nachzeichnet. Die meisten halte ich letztlich für unwissenschaftlich, soweit es um ihren narrativen Überbau geht. Und entweder setzen sie eine Behauptung in die Welt, die in keiner Weise hergeleitet ist (Friston, Minimierung von Unsicherheit) oder beschränken sich auf die Integration von Information (IIT), setzen Bewusstsein mit Aufmerksamkeit gleich oder machen hanebüchene methodologische Fehler, dass man nur mit dem Kopf schütteln kann, etc.pp.

Dein Hinweis auf dualistische oder monistische Ansätze, die Bewusstsein nicht erklären können, verstehe ich zwar nicht, aber unter Monismus verstehe ich eine einheitliche Herleitung, z.B. eine konsequent und stringente physiologische bzw. biologische. Mit Dualismus hat das dann nichts zu tun.

Dirk
Dirk
12 Stunden zuvor

Hi Wolfgang,

vielen Dank für Deine Antwort.

Ja, ja, da haben wir auch schon so oft hier darüber philosophiert. Ich würde mich auch gerne über Inhalte unterhalten, habe allerdings noch keine wirkliche Idee, wie ich das ohne Begriffe machen sollte. Vielleicht mache ich mal eine Zeichnung ;-).

Du schreibst: „es handelt sich um neue Strukturen, also etwas anderes, als das, was bisher da war.
Für mich sind solche Strukturen in biologischen Systemen konstitutiv, weil stabilisierend. Wir müssen uns von diesem linearen Physikalismus verabschieden, der meint, Komplexität ist vor allem quantitativ beschreibbar. Ich greife gern wieder auf Piaget und seine Abstraktionsstufen zurück, die genau das beschreiben, was man im übrigen auch als Entstehung von Metastrukturen bezeichnen kann.“ Hurra! Endlich ist der Weg frei für den Strukturenrealismus, weil dieser genau Deinen vorgeschlagenen Weg aus meiner Sicht zu beschreiten versucht .

Du schreibst: „Im übrigen ist der Begriff der Autopoiese auch nur beschreibend. Ich finde hier den Begriff der Autokatalyse grundlegender und analytisch zugleich, denn sie ist Grundlage allen Lebens, Basis der Selbstorganisation und somit der Autopoiese.“ Okay, gebongt. Das sind wie Du bereits geschrieben hattest nur Begriffe. Der Inhalt ist für mich dergleiche. Es geht um das Objekt und nicht um die Randbedingungen.

Du schreibst: „Wie gesagt, ich kenne keine einzige Bewusstseinstheorie, die die biologische Genese von Bewusstsein konsequent nachzeichnet.“ Das stimmt nicht ganz, es gibt nicht viele, aber ich würde Dir bei Interesse das Buch „Der Baum der Erkenntnis (span. El árbol del conocimiento)“ (1984) von dem chilenischen Biologen, Neurowissenschaftler und Philosophen Humberto R. Maturana und Francisco J. Varela „über die Entwicklung des Lebens, in der sie ihre biologische Theorie der Kognition mithilfe des Konzeptes der Autopoiese“ empfehlen (https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Baum_der_Erkenntnis).

Bei Deiner Behauptung, dass an Tononis IIT nichts dran ist, mache ich gerne mit, da diese auch schon in einschlägigen fachwissenschaftlichen Publikationen geprüft und für unpassend empfunden worden ist (s. z. B. Simon Hviid Del Pin et al.: Comparing theories of consciousness: why it matters and how to do it. 2021. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8372971/)

Bei Friston wäre ich mir allerdings nicht so sicher, da seine „Theorie“ vom „predictive coding/processing“ mathematisch schon sehr gut hergeleitet ist und auf dem „free energy principle“ basiert, das auch empirisch überprüfbar ist. Inwiefern diese Theorie allerdings als eine Erklärung zur Konstitution von Bewusstsein herhalten kann, halte ich allerdings auch nicht für tragfähig. Aber zumindest kann sie schon mal einiges erklären, was auch überprüfungsfähig ist.

Das Thema mit dem „Dualismus vs. Monismus“ in den Bewusstseinstheorien kannst Du auch nicht kennen, weil dies ein altes, liebgewonnenes Streitobjekt in unseren „Tafelrunden“ ist, dass der vermeintliche Monismus eines Materialismus/Physikalismus oder Panpsychismus doch eigentlich auch nur ein latenter Dualismus ist, da er seinen „monistischen Standpunkt“ erst durch eine dualistische Trennung von „Körper vs. Geist“ oder „Materie vs. Bewusstsein“ „erkaufen“ muss. Also mit einer „einheitlichen Herleitung, z.B. eine konsequent und stringente physiologische bzw. biologische oder mit Monismus hat das dann nichts zu tun.“ 😉

Ich müsste jetzt aber mal meinen „monistischen Standpunkt auf der Coach“ einnehmen.

Liebe Grüße
Dirk

Wolfgang Stegemann
Wolfgang Stegemann
11 Stunden zuvor
Reply to  Dirk

Hallo Dirk,

ich denke, es macht keinen Sinn, die alten Kamellen wieder vorzuholen. Wir sollten am Thema entlang diskutieren, aber nicht nach dem Muster „das mag ich aber nicht“, sondern entweder konstruktiv oder, indem man logische Fehler oder Widersprüche findet.
Es sind schließlich alles nur Interpretationen. Und auf keiner steht drauf: richtig oder falsch.