Zoomposium mit Prof. Dr. Martin Bogdan: „Wenn sich KI langweilt – Wege zum (künstlichen) Bewusstsein“
Informationen zur Person und Forschungsgebiet
In diesem sehr spannenden Interview aus unserem Zoomposium-Themenblog „Künstliche Intelligenz und ihre Folgen“ sprechen Axel und ich diesmal mit dem deutschen Ingenieur Martin Bogdan, der an der Universität Leipzig
an der Fakultät für Mathematik und Informatik in der Abteilung Neuromorphe Informationsverarbeitung an der angewandten Signalverarbeitung und Datenanalyse in der Medizin und Biologie sowie mit Systemen für bioanaloge Informationsverarbeitung forscht und als Studiendekan für Informatik arbeitet.
Genau in diesem Zusammenhang war ich bei meinen Recherchen im Netz auch auf ihn aufmerksam geworden. Ich war auf der Suche nach Wissenschaftlern/-innen und hier insbesondere Informatikern/-innen, die an Themen aus der neuromorpher und bioanaloger Informationsverarbeitung arbeiten und forschen. Ein Grund für die Recherchen lag darin, dass ich mich in letzter Zeit viel mit einem möglichen Paradigmenwechsel von der Physik hin zur Biologie in der KI-Forschung beschäftigt habe. Man könnte in diesem Zusammenhang fast von einer „Biologisierung“ in der Entwicklung neuer KI-Systeme sprechen.
Martin Bogdan forscht unter anderem auf diesem Gebiet, da er sich im Zusammenhang mit der Entwicklung von neuen „Brain-Computer-Interfaces (BCI)“ schon länger mit Möglichkeiten der „Kommunikation“ zwischen biologisch-neuronalen und künstlich-neuronalen Netzwerken auch schon lange vor „Neuralink“ beschäftigt hat.
Ein mögliches Anwendungsgebiet liegt in der Medizinforschung, wo untersucht wird in wieweit man bei Patienten mit vollständigem Locked-in-Syndrom (CLIS), bei denen das Bewusstsein, möglicherweise nach einer traumatischen Hirnverletzung, sehr geschädigt ist, die verdeckten, aber möglicherweise noch vorhandenen Bewusstseinszustände mit Hilfe von BCI’s zu beurteilen oder gar mit ihnen zu kommunizieren.
Die Ergebnisse zu dieser Forschung hatte er z. B. zusammen mit Sophie Adama in dem in „Brain Informatics“ 2023 erschienen Artikel „Assessing consciousness in patients with disorders of consciousness using soft-clustering“ veröffentlicht. Das war natürlich auch wieder ein Thema für das Team vom „Zoomposium“, da Axel und ich schon häufiger unsere Interviewpartner:innen nach den Möglichkeiten für eine „Messung von Bewusstsein“ befragt hatten.
In diesem Kontext zu den Möglichkeiten der „Kommunikation“ zwischen biologisch-neuronalen und künstlich-neuronalen Netzwerken hat sich er sich ebenfalls viel mit neuen Prozessorarchitekturen beschäftigt. Das alte Prozessordesign für KI-Anwendungen in Form der Funktionalitäten der Hardware auf Schaltungsebene (Register-Transfer-Level-Synthese) unter Verwendung von Standard-CMOS-Logikgattern wird im zunehmenden Maße durch künstliche, neuronale Netzwerke „artificial neuronal network (ANN)“ oder „spiking neuronal networks (SNN)“ im Zuge des „Neuromorphic Engineerings“ oder „Deep Learnings (DL)“ ergänzt oder vielleicht in Zukunft ganz ersetzt werden. Es wird versucht die biologisch-neuronalen Netzwerke des Gehirns mit Hilfe des Hodgkin-Huxley-Modells in „spiking neuronal networks (SNN)“ zu übersetzen. Hierbei werden die Aktionspotentiale von Neuronen und ihre Verbände als Gehirnareale simuliert.
Sein Artikel „Learning Algorithms for Spiking Neural Networks: Should One use Learning Algorithms from ANN/DL or Neurological Plausible Learning? – A Thought-Provoking Impulse“ von 2022 setzt sich genau mit dieser Thematik auseinander. Da stellte sich natürlich für uns die schon häufiger in Interviews geäußerte Frage nach der Möglichkeit einer Kurzweilschen „Singularity“ in Form einer starken „Allgemeinen Künstlichen Intelligenz“ (AKI oder AGI). In diesem Zusammenhang tauchen natürlich immer zwei Fragen auf, wie dies technisch realisierbar, aber auch wie dies messbar wäre.
Auch zu diesem Thema hatte Martin Bogdan einen weiteren spannenden, aber auch provozierenden Artikel „Is Boredom an Indicator on the way to Singularity of Artificial Intelligence? Hypotheses as Thought-Provoking Impulse“ 2023 verfasst, indem er genau dieser Frage nachgeht, ob vielleicht „Langeweile“ bei Künstlicher Intelligenz ein möglicher Indikator für Bewusstsein in Form der Kurzweilschen „Singularity“ sein könnte:
„In der Psychologie wird die Langeweile als ein wichtiger mentaler Zustand anerkannt, der oft zwischen Zuständen von z.B. vollem Bewusstsein und/oder geistig anspruchsvollem Arbeiten und/oder Momenten der Erkenntnis usw.. Auch wenn in Veröffentlichungen wie [8] erwähnt wird, um bessere Lernergebnisse vorzuschlagen, wird Langeweile Lernresultate vorzuschlagen, wird sie nicht als ein Zustand betrachtet, in den ein KI-System während der Bearbeitung der ihm zugewiesenen Aufgabe fallen kann, für die es konzipiert ist. Wenn man also davon ausgeht, dass ein Schlüsselmerkmal eines intelligenten Systems das Vorhandensein von Langeweile ist, sollte dies untersucht werden, ob auf maschinellem Lernen (ML) basierende Netzwerke bzw. KI gelangweilt sein können, um Intelligenz innerhalb der KI zu postulieren.“ (ebd. S. 211, aus dem Englischen mit DeepL übersetzt und Hervorhebungen hinzugefügt)
Das ist natürlich eine „steile These“, die wir uns von Herrn Bogdan in dem überhaupt nicht „langweiligen“ Interview 😉 unter anderem einmal erläutert haben lassen. Diese und die anderen Interview-Fragen möchte ich hier schon einmal zur Verfügung stellen:
Interviewfragen „Wenn sich KI langweilt – Wege zum (künstlichen) Bewusstsein
1. Sehr geehrter Herr Professor Bogdan Sie beschäftigen sich im Zusammenhang mit Ihrer Professur an der Fakultät für Mathematik und Informatik in der Abteilung Neuromorphe Informationsverarbeitung an der Universität Leipzig viel mit der angewandten Signalverarbeitung und Datenanalyse in der Medizin und Biologie sowie mit eingebetteten Systemen für bioanaloge Informationsverarbeitung.
● Könnten Sie uns und unseren Zuschauern/-innen einmal kurz erklären, was Sie da genau machen und wie weit die Forschung auf diesem Gebiet bereits ist?
2. In diesem Zusammenhang wird sehr häufig das amerikanische Unternehmen des Tech-Milliardärs Elon Musk „Neuralink“ genannt, das sich als Ziel gesetzt hat die Entwicklung von Geräten zur Kommunikation zwischen dem menschlichen Gehirn und Computern, sogenannte „Brain-Computer-Interfaces (BCI)“ voranzutreiben, um an der Behandlung von schweren Erkrankungen des Gehirns sowie des zentralen Nervensystems zu forschen. Sie hatten in unserem Vorgespräch erwähnt, dass diese Idee nicht ganz neu ist, sondern bereits auf ältere Forschungsarbeiten von Ihnen und Ihrem Team zurückgreift.
● Inwiefern unterscheiden sich Ihre Projekte von „Neuralink“ oder wo gibt es Gemeinsamkeiten?
3. Elon Musk, der ebenfalls von der Vision der technischen Erweiterung des menschlichen Körpers („Human Enhancement“) im Sinne eines Transhumanismus überzeugt ist und wie Raymond Kurzweil von der Unsterblichkeit nicht im Sinne von „rest in peace“, sondern als „rest in bits“ träumt, geht davon aus, dass es in Zukunft gelänge, die Informationen, die ein Mensch im Laufe seines Lebens gespeichert hätte, auf eine Maschine zu übertragen.
● Wie schätzen Sie die technische Möglichkeit eines Umkehrschluss des „Data-Downloading“ über BCI’s ein?
4. In Ihrem Artikel „Assessing consciousness in patients with disorders of consciousness using soft-clustering“, den Sie zusammen mit Sophie Adama in „Brain Informatics“ 2023 veröffentlicht haben, beschäftigen sich mit der Frage in wieweit man bei Patienten mit vollständigem Locked-in-Syndrom (CLIS), bei denen das Bewusstsein, möglicherweise nach einer traumatischen Hirnverletzung, sehr geschädigt ist, die verdeckten, aber möglicherweise noch vorhandenen Bewusstseinszustände mit Hlfe von BCI’s zu beurteilen oder gar mit ihnen zu kommunizieren. Schätzung ihrer
● Könnten Sie dieses Verfahren einmal genauer erläutern und seine Möglichkeiten oder Grenzen aufzeigen?
● Gibt es in diesem Zusammenhang vielleicht eine Methode, um Bewusstseinszustände zu qualifizieren oder zu quantifizieren?
5. In einem weiteren spannenden, aber auch provozierenden Artikel „Is Boredom an Indicator on the way to Singularity of Artificial Intelligence? Hypotheses as Thought-Provoking Impulse“ (2023) gehen Sie genau dieser Frage nach, ob vielleicht „Langeweile“ bei Künstlicher Intelligenz ein möglicher Indikator für Bewusstsein in Form der Kurzweilschen „Singularity“ sein könnte:
„In der Psychologie wird die Langeweile als ein wichtiger mentaler Zustand anerkannt, der oft zwischen Zuständen von z.B. vollem Bewusstsein und/oder geistig anspruchsvollem Arbeiten und/oder Momenten der Erkenntnis usw.. Auch wenn in Veröffentlichungen wie [8] erwähnt wird, um bessere Lernergebnisse vorzuschlagen, wird Langeweile Lernresultate vorzuschlagen, wird sie nicht als ein Zustand betrachtet, in den ein KI-System während der Bearbeitung der ihm zugewiesenen Aufgabe fallen kann, für die es konzipiert ist. Wenn man also davon ausgeht, dass ein Schlüsselmerkmal eines intelligenten Systems das Vorhandensein von Langeweile ist, sollte dies untersucht werden, ob auf maschinellem Lernen (ML) basierende Netzwerke bzw. KI gelangweilt sein können, um Intelligenz innerhalb der KI zu postulieren.“
● An welchen Indikatoren könnte man denn merken, dass eine Maschine sich langweilt?
● Halten Sie ebenso wie Kurzweil die Entstehung einer starken „Allgemeinen Künstlichen Intelligenz“ (AKI oder AGI) für technisch realisierbar?
● Wie kann man dann im Sinne einer Risikofolgenabschätzung (Dörner) sicher gehen, dass zukünftige Maschinen nicht schon längst ein „künstliches Bewusstsein“ entwickelt haben, ohne dass wir bemerkt hätten (s. o.)?
6. Ihr Artikel „Learning Algorithms for Spiking Neural Networks: Should One use Learning Algorithms from ANN/DL or Neurological Plausible Learning? – A Thought-Provoking Impulse“ von 2022 behandelt selbst diese Thematik. Inwiefern mit Mitteln des „Neuromorphic Engineerings“ oder „Deep Learnings (DL)“ künstliche, neuronale Netzwerke („artificial neuronal network = ANN“) entwickelt werden könnte, die auf der Basis der biologischen Grundlagen natürliche, neuronale Netzwerke simulieren.
● Wie weit sehen Sie die Forschung in diese Richtung für fortgeschritten?
● Welche neuen Erkenntnisse könnte man vielleicht hieraus für die Forschung in den kognitiven Neurowissenschaften gewinnen?
● Könnte man hier u. U. von einem Paradigmenwechsel von der Physik hin zur Biologie sprechen?
Das komplette Interview ist auf unserem Youtube-Kanal „Zoomposium“ unter folgendem Link zu sehen: