Zoomposium mit Prof. Dr. Brigitte Falkenburg „Mythos Determinismus oder die Grenzen der Hirnforschung“
1. Informationen zur Person
In einem weiteren sehr spannenden Interview aus unserem Zoomposium–Themenblog „Erkenntnistheorie und Philosophie des Geistes“ sprechen Axel und ich diesmal mit der deutschen Philosophin und Physikerin Brigitte Falkenburg. Von 1997 bis 2019 war sie Professorin für Theoretische Philosophie mit Schwerpunkt Philosophie der Wissenschaft und Technik an der TU Dortmund.
Sie ist Mitglied der Interakademischen Kommission „Leibniz-Edition“ und des Kuratoriums des „DRZE“ (Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften) sowie korrespondierendes Mitglied der „Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste“.
Ihre Forschung umfasst Themen der Naturphilosophie, Wissenschaftstheorie und Philosophie der Physik sowie der neuzeitlichen Metaphysik, Erkenntnistheorie und Philosophie der Technik. Zu diesen Themen hat sie auch bereits einige bekannte Publikationen veröffentlicht, die hier nur exemplarisch genannt werden sollen: „Die Form der Materie. Zur Metaphysik der Natur bei Kant und Hegel“ (1987), „Teilchenmetaphysik. Zur Realitätsauffassung in Wissenschaftsphilosophie und Mikrophysik“ (1994) und „Mythos Determinismus. Wieviel erklärt uns die Hirnforschung?“ (2012). Das letztgenannte Buch ist 2024 als vollständig überarbeitete und aktualisierte 2. Auflage erschienen. Ein Grund mehr für uns vom Zoomposium sie einmal zu dieser Thematik des sehr lesenswerten Buches zu interviewen.
Um den Inhalt besser zu verstehen sei hier einmal kurz aus dem Klappentext zitiert:
Die Physik hat sich längst vom mechanistischen Weltbild gelöst, in der Neurobiologie bleiben überholte mechanistische Vorstellungen bis heute wirksam. Dabei sind die „mechanistischen“ Erklärungen der Hirnforschung ganz anders als ihr Name suggeriert; und wer annimmt, der Geist sei so strukturiert wie die Materie, zieht atomistische und kausale Fehlschlüsse über das Bewusstsein. Falkenburgs Buch möchte die Debatte um Geist und Gehirn, freien Willen und Determinismus endlich davon befreien.“ (Hervorhebungen hinzugefügt)
Die hier genannte These wirft natürlich sofort ein ganz neues Licht auf das alte „Bieri-Trilemma“, das ich schon des Häufigeren in alten Essays angeführt hatte, s. z. B. „Die Philosophie des Geistes“:
(1) Mentale Phänomene sind nicht-physikalische Phänomene. (Grenzen der Physik)
(2) Mentale Phänomene sind im Bereich physischer Phänomene kausal wirksam. (mentale Verursachung; z.B. allg. für Verhalten, „vor Scham erröten“)
(3) Der Bereich physischer Phänomene ist kausal geschlossen. (Determinismus)
Insofern rückt dies natürlich auch den Titel von Frau Falkenburgs Buch „Mythos Determinismus. Wieviel erklärt uns die Hirnforschung?“ in ein ganz anderes Licht, da die „kausale Geschlossenheit des Bereiches physischer Phänomene“ durchaus in Frage gestellt werden kann. Diese und andere Fragen hatten wir natürlich auch an Frau Falkenburg gerichtet. Daher hier schon einmal die Interviewfragen zu umserem gemeinsamen Zoomposium.
2. Interviewfragen: „Mythos Determinismus oder die Grenzen der Hirnforschung“
1. Frau Falkenburg, Ihr Buch „Mythos Determinismus – Wie viel erklärt uns die Hirnforschung?“ wurde gerade bei Springer neu aufgelegt. Es liegt in der Natur der Hirnforschung, dass ihre Ergebnisse uns auch persönlich betreffen und auch betroffen machen. Stichworte: „Gedanken lesen“, „Willensfreiheit“ oder „Wer sind ‚wir‘ eigentlich?“. Ihr Buch bietet da eine kritische Reflexion und an einigen Stellen werden sie auch recht deutlich. Z. B. wenn sie schreiben: „Und lassen Sie sich schon gar nicht einreden, Ihr Selbst sei eine Fata Morgana Ihres Gehirns.“
- Nehmen Hirnforscher den Mund zu voll? Oder nehmen wir sie vielleicht zu ernst?
2. Eine zentrale Rolle in Ihrem Buch spielt ein Trilemma, das nach dem Schweizer Philosophen auch als Bieri-Trilemma bezeichnet wird und das Sie am Ende auf eine (für manche sicher überraschende Weise) auflösen. Zur Auflösung kommen wir aber später. Zunächst zum Trilemma selbst. Es geht darin um das Problem der mentalen Verursachung, was ja nichts anderes bedeutet, als dass wir als bewusste, handelnde Wesen in dieser Welt etwas bewirken können. Kurz gesagt: Wir sind die Urheber unserer bewussten Handlungen.
- Spricht die Hirnforschung uns diese Fähigkeit ab? Und warum ist mentale Verursachung überhaupt ein Problem?
3. Eine zweite Aussage des Trilemma behauptet, dass mentale Phänomene strikt verschieden von physischen Phänomenen seien. Das müssen Sie uns erklären.
4. Wie denken Sie in diesem Zusammenhang über das Zombie-Problem? Ein Zombie wäre ja jemand, der rein physiologisch nicht von Menschen zu unterscheiden wäre, aber über keine entsprechenden mentalen Phänomene oder „Qualia“ verfügt.
- Trifft diese Überlegung das Problem?
5. Die dritte Aussage des Trilemmas sagt, dass die physikalische Welt kausal in sich geschlossen ist. Physiker formulieren das auch gerne mal so: Es wird ja wohl alles mit rechten Dingen zugehen!?
- Damit machen es sich die Physiker etwas zu einfach, oder?
6. Nicht nur die kausale Geschlossenheit der Welt, sondern auch unser Zeitempfinden ist ja ein Problem für die Physiker (und erst recht für die Hirnforscher). Einstein stellte sich für seine Relativitätstheorie bekanntlich auf den Standpunkt „Zeit ist das, was die Uhr anzeigt“. Der Ansatz war heuristisch extrem erfolgreich, sagt uns über das Wesen der Zeit eigentlich gar nichts.
- Was weiß man über den Zusammenhang von Bewusstsein und Zeitempfinden? Wie entsteht Zeitempfinden?
7. Am Ende Ihre Buches weisen sie darauf hin, dass das Problem Geist auf Gehirn zu reduzieren als Reduktionsproblem „anders gelagert ist als in allen anderen Gebieten der Naturwissenschaft“ und empfehlen Hirnforschern und Neurophilosophen „neuen ontologischen Konzepten“ zu suchen.
- Wäre hier ein holistischer Ansatz, der von einer Polykontexturalität des Problems ausgeht und dieses mit strukturenrealistischen Methoden zu lösen versucht nicht vielleicht ein geeigneter Kandidat für ein „neues ontologisches Konzept“? Oder schlagen Sie vielleicht ein weiteres anders gelagertes Konzept vor?
Der Teaser zu unserem vollständigen Interview ist auf unserem Youtube-Kanal „Zoomposium“ unter folgendem Link zu sehen:
(c) Dirk Boucsein (philosophies.de), Axel Stöcker (die-grossen-fragen.com)
Frau Falkenburg erwähnt ab ca. Minute 9:30 dass Kausalität ein vorwissenschaftlicher Begriff sei.
Wann sieht man ein dass die Begriffe die später im Interview diskutiert werden, nämlich „Bewusstsein“, „Mentales“, oder „Geist“, ebenso vorwissenschaftliche Begriffe sind? 😉
Gruß,
Philipp
Hallo Philipp,
die ‚Kausalität‘ scheitert meiner Meinung nach daran, daß es zwar Sätze gibt, die der Erfahrung nicht widersprechen, z.B. Dinge fallen senkrecht zu Boden oder Regen macht nass, diese Sätze aber unter keinen höheren Begriff fallen. ‚Kausalität‘ ist daher gleichbedeutend mit dem Versuch das Gehen, Schwimmen und Fliegen unter einen höheren Begriff zu fassen. Nun könntest Du sagen, daß es diesen Begriff doch gibt, nämlich ‚Bewegung‘. Richtig, aber richtig ist auch, daß Aristoteles, der Erfinder der ‚Kausalität‘ (causa efficiens) und der ‚Bewegung-in-der-Zeit‘, am Problem der Bewegung krachend gescheitert ist. Erst Newton, der auf ‚Kausalität‘ und ‚Bewegung‘ zu Gunsten infintesimaler Nachbarschaft (also Geometrie) verzichtete, gelang die Lösung des Problems. Es gibt gerade in der Philosophie viele Begriffe, die aus unterschiedlichsten (und oft schon längst gescheiterten) Denkansätzen kommen und daher nur mit höchster Vorsicht zu verwenden sind.
Generell: Erfahrungssätze sind immer Absolut-nicht-falsche Sätze, sie sind affirmativ, positiv oder logisch nicht weiter verhandelbar. Sie lassen sich weder verifizieren, reduzieren noch analysieren. Meiner Meinung nach taugen nur Begriffe, die durch Erfahrung (Phänomene, keine Daten!) gedeckt sind, zur wissenschaftlichen Diskussion. Alles darüber hinaus ist theoretisieren in zweiter Instanz, d.h. eitle Reflexion. Anders ausgedrückt: Philosophie befaßt sich ausschließlich mit den Strukturen des Denkens, nicht mit seinen Inhalten.
Ich vermute oder denke dass Kausalität eine phänomenologische Kategorie ist. D.h. ontologisch betrachtet gibt es Kausalität nicht.
Das Erleben von Kausalität hat sich wohl entwickelt da es auf unserer Wahrnehmungsebene adaptiv ist in kausalen Zusammenhängen zu erleben und zu denken.
Meine implizierte Kritik wollte eigentlich darauf hinaus, dass es manchen Menschen leicht fällt offen über solche Konstrukte wie Kauslität zu diskutieren oder sie zu verwerfen. Bei dem Thema Bewusstsein kommt die gleiche Idee gar nicht in Frage, denn diese philosophischen Begriffe (Konstrukte) werden von vielen Menschen mystifiziert und dogmatisch behandelt. Diese Konstrukte sind dann plötzlich nicht „vorwissenschaftlich“, sondern stellen angeblich ein echtes wissenschaftliches und ganz tiefes philosophisches Problem dar…
Stimme Dir voll zu. Leider ist mit der ereignisbasierten (materialistisch-historisierenden) Physik des 20. Jahrhunderts durch Ausschaltung der Phänomene der Begriff ‚Evidenz‘ sehr nahe an die Beliebigkeit herangerückt.