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Zoomposium mit Manfred Rumpl: „Auf den Spuren Schrödingers – Oder wieviel Philosophie enthält die Physik?“
1. Informationen zu den Personen
In einem weiteren sehr spannenden Interview aus unserem Zoomposium–Themenblog „Physik und ihre Grenzen“ sprechen Axel , unser Gast-Interviewer Christian Bührig und ich diesmal mit dem österreichischen Schriftsteller, Pädagogen und Philosophen Manfred Rumpl unter anderem über sein 2015 erschienenes Buch „Reisende in Sachen Relativität“, das sich auf die Spurensuche zu dem Leben des österreichischen Physikers und Wissenschaftstheoretikers Erwin Schrödinger begibt.
„Rumpl arbeitete zwischen 1977 und 1986 in verschiedenen Berufen, unter anderem als Elektriker. Von 1987 bis 1994 absolvierte er ein Studium der Philosophie und Pädagogik an den Universitäten Graz und Wien, das er mit einer Diplomarbeit über die Moral des Ästhetischen bei Baudelaire, Benn und Bachmann abschloss. Seit 1986 lebt er als freier Schriftsteller in Wien.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Manfred_Rumpl)
Auf Herrn Rumpl waren wir durch einen Tipp von Christian aufmerksam gemacht worden, der sich auf seinem Philosophie- und Wissenschaftsblog „Akademie Olympia“ und privat schon viel mit der Wissenschaftsgeschichte der „Quantenphysik“ beschäftigt hat und als ausgewiesener Fachmann und Experte von „Schrödingers Quantenmechanik“ gelten kann. Daher hatten wir ihn als Gast-Interviewer zu unserem Zoomposium mit eingeladen.
2. Inhalt des Romans „Reisende in Sachen Relativität“ oder„Wieviel Philosophie enthält die Physik“
„Erwin Schrödinger, Nobelpreisträger für Physik und Weggefährte Albert Einsteins, treibt ein großer Traum an: der Traum von Wahrhaftigkeit und Wahrheit, die Verschmelzung von Physik und Metaphysik. Er ist ein ewig Suchender, ein Getriebener von dem Verlangen nach Erkenntnis ebenso wie von seiner Liebe zu den Frauen: Viele begehrt er, viele verführt er – und stets ist da Anny, seine Frau, die ihm alles verzeiht. Die Besessenheit von der ‚Theorie von Allem‘, einer umfassenden Darstellung des Innersten der Welt, die er gemeinsam mit Albert Einstein zu denken beginnt, lässt ihn auf seiner rastlosen und von gesellschaftlichen Skandalen begleiteten Reise von einem Kontinent auf den anderen bis an sein Sterbebett nicht mehr los.“ (https://www.picus.at/produkt/reisende-in-sachen-relativitaet/, Hervorhebungen hinzugefügt)
Und genau zu diesem sehr spannenden und sehr wichtigen Thema der Möglichkeit der „Verschmelzung von Physik und Metaphysik“ haben wir uns neben anderen Topics auch mit Herrn Rumpl unterhalten, der aufgrund seiner fundierten Recherchen und philosophischen Ausbildung uns einiges Interessantes zu Schrödinger und seinen wissenschaftsphilosophischen Ansätzen erklären konnte. In seinem Roman lässt er Schrödinger zum Beispiel sagen:
„Dass die Welt im Innersten von Chaos, Wahrscheinlichkeit und Zufall regiert wird, der sich lediglich statistisch erfassen lässt, bleibt eine Behauptung, die auf einem Erklärungsnotstand fußt, und keine wissenschaftliche Erkenntnis.“ (S. 163)
Das wirft natürlich die Frage zu dem bis heute nicht endgültig geklärten Status der „Quantenmechanik“ in der modernen Physik und die damit einhergehenden Kontroversen seit der „Kopenhagener Deutung“. Zu diesem Thema waren ja auch schon bereits einige Essays von Jürgen Uphoff, z. B. „Die Quantentheorie – Methodische Kritik“ oder „Begründung der Quantenmechanik“ auf meiner Seite erschienen, die ebenfalls in meinem Kommentarbereich kontrovers diskutiert worden sind. Dies zeigt vielleicht wie uneinheitlich die moderne Physik mit dem „Problem der Quantenphysik“ umgeht und wie dringlich eigentlich eine „Neue Metaphysik“ an dieser Stelle wäre. Da wir hiervon aber scheinbar noch meilenweit entfernt sind, ist vielleicht eine belletristische Annäherung an das Problem unter Umständen adäquater. Hierzu und zu anderen Themen haben wir Herrn Rumpl auch befragen können. Aus kleinen Einblick seien hier schon einmal die Interviewfragen abgedruckt:
3. Interviewfragen: „Auf den Spuren Schrödingers“
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Der Autor Manfred Rumpl
Herr Rumpl, nach Ihrem Wikipedia-Eintrag leben Sie seit Ihrem 26. Lebensjahr als freier Schriftsteller in Wien, nachdem Sie vorher in verschiedenen Berufen gearbeitet haben. Nebenher haben Sie dann noch Philosophie und Pädagogik studiert. Das nötigt einem schon Respekt ab, wenn man daran denkt, wie schwierig es ist, von der Schriftstellerei zu leben. Sind Sie ein Überzeugungstäter?
1993 erhielten Sie dann den Aspekte-Literaturpreis für Ihren Roman „Die Koordinaten der Liebe“.
- War das Ihr Durchbruch? Und worum geht es in dem Roman?
- Woran arbeiten Sie im Moment?
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Die Person Erwin Schrödinger
In Ihrem Werk befassen Sie sich mit ganz unterschiedlichen Themen. Soweit ich gesehen habe, ist „Reisende in Sachen Relativität“ die einzige Romanbiographie in Ihrem Oeuvre. Es geht um Erwin Schrödinger, weltberühmter Physiker, Nobelpreisträger, Freund von Albert Einstein und – wie man hört – Frauenheld.
- Wie kamen Sie zu Schrödinger und wie auf die Idee eine Romanbiographie über ihn zu schreiben?
- Wie haben Sie sich in seine Biografie eingearbeitet? Welche Quellen haben Sie benutzt?
Im Mittelpunkt der menschlichen Seite von Schrödingers Leben steht die offene Beziehung des Ehepaars und das spätere Leben zu dritt mit einer Geliebten Schrödingers, wobei die Ehefrau Anny gerne das Kind der Geliebten mit umsorgte. Führen Sie uns bitte noch einmal ein wenig durch diese Geschichte.
Ich könnte mir vorstellen, dass man dem Mensch Erwin Schrödinger beim Schreiben eines solchen Romans auch innerlich näherkommt.
- Wie hat sich die Beziehung zwischen Ihnen und dem Protagonisten entwickelt?
Die Szene als Schrödinger mit seiner Frau im Zug in Schweiz ausreist, um vor den Nazis zu fliehen. Da hält der Zug nochmal extra an, um die beiden zu einer Extrakontrolle in den Bahnhof zu bitten.
- Wie viel ist an dieser Szene dokumentiert und wie viel ist künstlerische Freiheit?
Schrödinger notierte seine Träume in einem Tagebuch, wie Sie auf S. 84 schreiben. Auch Goyas „Capricho“ habe Schrödinger beschäftigt. Der Traum der Vernunft gebiert Ungeheuer – eine zweideutige Formulierung.
- Welchen Stellenwert hatten Träume und Vernunft in Schrödingers Leben?
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Schrödinger und die Wissenschaft
- Wie haben Sie sich in die schwierige Thematik der Quantentheorie eingearbeitet?
Schrödinger hat sich viel mit Boltzmann beschäftigt, über den Sie schreiben, dass er „auf die ästhetische Dimension der Natur“ Wert legte. Und weiter: „Nicht einmal im Umgang mit nackten Fakten durfte auf Eleganz ganz verzichtet werden.“ (S. 81) Ein Satz, den sicher auch Einstein, mit dem Schrödinger befreundet war, unterschrieben hätte.
- Welche Rolle spiele Boltzmann für Schrödinger? Und haben Sie Sympathie für die Vorstellung, dass die Natur im Inneren schön sein muss und es diese Schönheit zu entdecken gilt? Sind Sie in diesem Sinne ein Romantiker?
Zentral in Schrödingers wissenschaftlichem Schaffen war auch die Auseinandersetzung mit Bohr und Heisenberg. Rosen, der auch auf „seiner Seite“ war, lassen Sie im Roman sagen „Dass die Welt im Innersten von Chaos, Wahrscheinlichkeit und Zufall regiert wird, der sich lediglich statistisch erfassen lässt, bleibt eine Behauptung, die auf einem Erklärungsnotstand fußt, und keine wissenschaftliche Erkenntnis.“ (S. 163) Nach dem Stand der Dinge hält dieser Erklärungsnotstand bis heute an.
- Wie stehen Sie dazu. Bewegt Sie die Frage oder halten Sie sie eher für eine Diskussion aus dem Elfenbeinturm?
Es gab zwei Szenen aus Schrödinger Leben, die sich m. E. auch für den Roman angeboten hätten. Einmal Schrödingers Besuch in Kopenhagen bei Bohr, wo er erkrankte und Bohr am Krankenbett auf ihn einredete und versuchte, ihn zu überzeugen, was für Schrödinger eine fast traumatische Erfahrung gewesen sein muss. Zum anderen der Solvay-Kongress 1930, als es zu einer Art Showdown zwischen Einstein und Bohr kam. Auch fällt auf, dass es im Roman keine Begegnung zwischen Schrödinger und seinem „Gegenspieler“ Heisenberg gibt.
- Haben Sie diese Szenen bewusst ausgespart?
- Wie enttäuscht war Schrödinger, dass er (wie auch Einstein) an der Entwicklung einer vereinheitlichten Feldtheorie scheiterte? Und wie denken Sie darüber?
Auch Everetts bizarre Viele-Welten-Theorie kommt im Roman vor.
- Wie stand Schrödinger zu dieser Theorie? Und wie gefällt Sie Ihnen persönlich?
Das vollständige Interview ist auf unserem Youtube-Kanal „Zoomposium“ unter folgendem Link zu sehen:
(c) Dirk Boucsein (philosophies.de), Axel Stöcker (die-grossen-fragen.com), Christian Bührig (cbuphilblog.wordpress.com)
Unser Gehirn ist evolutionär auf die makroskopische Welt (Mesowelt) ausgerichtet. Daher fällt es uns schwer, die Quantenwelt (Mikrowelt) zu verstehen, da sie unsere intuitiven Kategorien und Denkstrukturen sprengt.
Sowohl die Mikro- als auch die Mesowelt sind Konstruktionen unseres Bewusstseins. Wir erleben die Mesowelt als ontologisch „greifbar“, während die Quantenwelt für uns nur als Modell zugänglich ist, weil unsere kognitiven Strukturen dafür unzureichend sind.
Unsere Wahrnehmung der Realität wird durch unsere neuronale Modalität geformt. Jede Entität könnte eine eigene, einzigartige „Welt“ haben, z. B. könnte ein Photon die Realität völlig anders „erleben“. Dies bedeutet, dass es keine absolute, objektive Wahrheit gibt, sondern nur unendlich viele subjektive Welten.
Es existiert keine absolute Realität, die für alle Entitäten gleich ist. Ein hypothetisch allwissender Beobachter – etwa Gott – wäre notwendig, um alle subjektiven Welten zu verstehen. Wir als Menschen können daher niemals „die“ eine, objektive Wahrheit erkennen.
Die Quantenmechanik zeigt dabei besonders deutlich die Grenzen unserer Erkenntnis auf, weil unsere Werkzeuge der Wahrnehmung und Kategorisierung schlichtweg nicht für die mikroskopische Welt geeignet sind.
Daraus folgt, eine Theorie von allem wird es nicht geben.
„“Wer hat da gerade ‚Spielverderber‘ gerufen?““
Das bezieht sich aber nur auf die philosophische Debatte. Wissenschaftlich und technologisch werden wir die Welt für uns immer besser kennenlernen.
[Ein schönes Interview übrigens].
Dear I. S.,
thank you for your reference to the well-known quote from Feynman and the excerpt from Steven Weinberg:
““The philosophy of science is about as useful to scientists as ornithology is to birds.” /Richard P. Feynman/
Book “Facing Up”, by Steven Weinberg”. I think few philosophers of science see it as part of their job to help scientists with their research (to discuss questions about scientific knowledge). . . . “ / page 84 / “ . . . If they (philosophers) have not fulfilled this task, that is their misfortune” / page 104 /
Unfortunately, I cannot agree with either Feynman or Weinberg, as both are completely wrong in this regard.
Feynman’s attitude to self-reflection on the methodology he uses in the scientific process is well known and culminates in his equally well-known saying: “Shut up and do the math!” The results of this can be seen in the lack of imagination and direction in modern physics.
Another well-known physicist was somewhat more far-sighted here, if I may also quote him here:
“I fully agree with you about the significance and educational value of methodology as well as history and philosophy of science. So many people today-and even professional scientists-seem to me like somebody who has seen thousands of trees but has never seen a forest. A knowledge of the historical and philosophical background gives that kind of independence from prejudices of his generation from which most scientists are suffering. This independence created by philosophical insight is-in my opinion-the mark of distinction between a mere artisan or specialist and a real seeker after truth.” (Einstein to Thornton, December 7, 1944, EA 61-574)
Philosophy without science is blind, but science without philosophy is empty. What is the most important instrument of a scientist? It is not his devices and apparatus. It is his head, his mind. If you are not aware of the methods you are using, you are just “fishing in the dark” or “driving on sight in a fog bank”. All that comes out is a lot of empirical data, but no concept to combine it into a coherent theory. The best example of this is the lack of a concept in cognitive neuroscience, which still lacks a coherent “neurophilosophy” (see https://de.wikipedia.org/wiki/Neurophilosophie).
If I could therefore suggest a new name for the group, it would be “metatheory” or “metascience”. Since I think that both disciplines need each other and that there is a lack of a meta-science as an interdisciplinary science that combines “the best of both worlds” (Worrall).
Thank you for your interest and
best regards
Philo
Lieber Herr L., lieber M.,
vielen Dank für Eure Kommentare zu dem Zoomposium mit Herrn Rumpl.
Ich wollte nur kurz auf Eure interessanten Hinweise eingehen.
@L.: Ja, Sie haben vollkommen Recht das Forschersubjekt wird im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess vollkommen ausgeblendet bis eliminiert, was natürlich nicht gelingen. Ich habe noch mal aus einem älteren Essay hierzu gefunden, was ich nicht vorenthalten möchte:
„Das Dilemma von Forschersubjekt und ErkenntnisobjektDas Forschersubjekt hatte sich im Prozess der wissenschaftlichen Theoriebildung folglich immer selbst zu eliminieren, um sich nicht den Vorwurf der Subjektivität auszusetzen. Diese absurde – weil logisch nicht zu hintergehende – Vorgehensweise negiert schlicht und einfach den Parameter Operator aus der Operation, um hierdurch den „reinen“ Operanden zu erhalten. Daher wirkt der Vergleich zur Münchhausen-Geschichte, bei der Ross und Reiter sich durch Ziehen am Schopfe aus dem Sumpf befreien können, nicht allzu weit hergeholt.
Der durch diese wissenschaftliche Methodik erzeugte „blinde Fleck“ im „Auge des Beobachters“ oder „tote Winkel“ im „Rückspiegel der Wissenschaftsgeschichte“ wurde von der „community of science“ noch nie wirklich richtig beleuchtet, sondern im Gegenteil bis zum heutigen Tage eher ausgeblendet oder sogar tabuisiert. Die „Objektivität“ der wissenschaftlichen Messergebnisse würde nach diesem methodischen Credo also operatorfrei von Geräten erzeugt, die gleichsam selbständig diese auch noch subjektfrei auswerten und zu Gesetzmäßigkeiten verarbeiten können.“ (https://philosophies.de/index.php/2021/08/14/das-system-braucht-neue-strukturen/)
@M.: „Ich glaube, dass das Grundproblem mit diesem Konzept und dem zugrundeliegenden „Anti-Dualismus“ viel mit uns als denkende Subjekte zu tun hat. Die „narzisstischen Kränkungen der Menschheit“ von Freud stellen für mich eine Form „bio-chauvinistischer Voreingenommenheit“ (Clark: „Supersizing The Mind: Embodiment, Action, and Cognitive Extension“ 2008, S. 77) dar.
Ich lasse die 3 ersten Kränkungen mal beiseite und beziehe mich nur noch einmal auf die letzte, noch nicht verarbeitete, ontologische Kränkung als Ende des „neurozentristischen Weltbildes, dass „Ich ist nicht Gehirn!“, dass das Gehirn nicht das Zentrum unseres Bewusstseins ist.
Aber wichtiger ist für mich erst einmal, dass überhaupt in diese Richtung geforscht wird und nicht mehr weiter in dieser „Augen-zu-und-durch“-Mentalität der reduktiven, dualistischen Materialismus-Strömung in den Wissenschaften redundant nach diesem „missing link“, dem „explanatory gap“, dem „Stein der Weisen“ (, der genauso wenig gefunden werden konnte) gesucht wird. Dies stellt aus meiner Sicht nur vergeudete Zeit und Ressourcen dar. Selbst wenn dies nur Grundlagenforschung bleiben sollte, werden wir sehr viele neue Erkenntnisse gewinnen, wenn wir mal die alte Zöpfe abgeschnitten haben.“ (https://philosophies.de/index.php/2021/04/25/das-neurozentristische-weltbild/#comment-201)
Vielen Dank für Euer Interesse und
viele Grüße
Dirk