Eine strukturierte Geschichte der Zeit

„Eine strukturierte Geschichte der Zeit“

„Eine strukturierte Geschichte der Zeit“ – „die Verfilmung einer strukturenrealistischen Prozessphilosophie“

Der Trailer zum Film

Nachdem ich mich schon des Häufigeren mit den verschiedensten strukturenrealistischen Aspekten in den unterschiedlichsten Formaten (Bewusstein, KI-Forschung, Evolution, Physik,…) in meinem „Kopfkino“ beschäftigt hatte, wurde mir irgendwann immer klarer, dass eine entscheidende Komponente der raum-zeitlichen Beschreibung von Realität in diesem „Film“ fehlte, die „Zeit“. Daher soll nun im Folgenden das Drehbuch zu einer „Neuen Metaphysik“ fortgesetzt und durch eine „Prozess-Metaphysik“ ergänzt werden, um eine „Zeit-Spur“ für die wichtigen „Schnitte“ im folgenden „Film“ zu erhalten.

Vorgeschichte zu „Die drei ???“: „Den Strukturen der Zeit auf der Spur“

Strukturen sind zunächst einmal hervorragend geeignet um Räume zu beschreiben und zu analysieren. Da aber Kognition und Leben auch immer durch eine zeitliche Komponente charkterisiert werden muss, damit die prozessualen und dynamischen Eigenschaften abgebildet werden können, fehlte immer noch eine wichtige Ingredienz als Zutat für eine „Neue Metaphysik“, die Zeit.

Was nützen all die strukturenrealistischen Abbildungen eines Zustandsraumes, wenn sich dieser doch prozessual mit der Zeit verändert? Auch eine Reihe von Momentaufnahmen ergibt schließlich immer noch keinen Film, wenn die zeitliche Abfolge fehlt. Um aber das „Storyboard einer Neuen Metaphysik“ fertigstellen zu können, sollen nun im weiteren Verlauf der Handlung noch ein paar Hauptdarsteller in diesen „Film“ eingefügt werden.

Das Drehbuch zu „Eine strukturierte Geschichte der Zeit“

Auftritt des Hauptdarstellers Alfred North Whitehead bekannt aus seinem Blockbuster „Process and Reality“

Eine Hauptrolle als Charakterdarsteller wird sicherlich der britische Philosoph und Mathematiker Alfred North Whitehead (* 15. Februar 1861 in Ramsgate; † 30. Dezember 1947 in Cambridge, Massachusetts) erhalten, da er als erster erkannte, dass die „entitätsbasierte Metaphysik“ nur noch als „Schwarz-Weiß-Film mit Untertitel“ taugt, aber kein abendfüllendes Programm mit ausreichend „Action“ mehr zustande bringt.

Die Neuvertonung und Nachkolorierung der alten Klassiker in Physik und Philosophie, wie z. B. Raum, Zeit und Materie, in seinem bahnbrechenden Werk „Process and Reality“ von 1929 hatte damals schon Meilensteine für eine „Neue Metaphysik“ gesetzt, die aber bis heute noch der Realisierung harren. Man könnte hier schon wieder zusammen mit Thomas S. Kuhn vermuten, dass das Ganze System hat, da unser derzeit gültiges „materialistisches Paradigma“ in fast allen wissenschaftlichen Disziplinen sehr resillient ist und unsere „Sehgewohnheiten“ maßgeblich beeinflusst.

Das seit 2500 Jahren, seit Leukipp und Demokrit währende, gebetsmühlenartig wiederholte „Mantra des abendländischen Denkens“, der Atomismus und spätere Materialismus hat mit seinen „Elementarteilchen-Zoo“ nur eine Erweiterung als „Upgrade“ gefunden, aber an der Grundidee hat sich nichts geändert. Die Grundthese lautet immer noch: Alles lässt sich auf Materie und ihre Bausteine zurückführen. Und alles, meint hier auch wirklich alles, es gibt kein „Außen der Materie“. Das wäre ja dann bloß wieder so ein verpönter Idealismus.

Whitehead wollte sich aber mit derlei „spekulativer Philosophie“ hinsichtlich des Zugriffs auf die Materie nicht zufrieden geben und lieber wieder ein „sinnliches Element“ in Form der „Prehension“ als Korrektiv einführen. In seinem Buch „Science and the Modern World„, pp. 101-106 (paperback edition 69-72) schreibt Alfred North Whitehead:

„The word perceive is, in our common usage, shot through and through with the notion of cognitive apprehension. So is the word apprehension, even with the adjective cognition omitted. I will use the word prehension for uncognitive apprehension: by this I mean apprehension which may or may not be cognitive.“

Das bedeutet, dass Whitehead den Begriff des „Be-Greifens“ wieder auf seine ursprüngliche, ontische Bedeutung als „Vor-Verständnis“ zurückführen wollte, ohne eine dazwischengeschaltete epistemische Instanz – die Kognition – zu benötigen.

Darin liegt gleichzeitig das „Subversive“ in Whiteheads Metaphysik begründet, dass die „Wahr-Nehmung“ als empirische Erfahrung einen eigenen ontischen Status erhält, der ebenso wahrheitsfähig ist wie der Logos. Ja, vielleicht sogar noch wahr-haftiger, weil ja kein begriffliches Konstrukt als Codierung dazwischen geschaltet ist. Ein vielleicht unpassendes, aber treffendes Beispiel wäre die fehlende „Wahr-Haftigkeit“ einer Liebesbekundung mit tausenderlei Worten, die nichts nützt, wenn sie nicht über die Empfindung wahr-genommen wird.

Vergleichbare philosophische Vorläufer dieser Form des Empirismus lassen sich bei David Humes und Francis Bacon, aber auch in der extremeren Form des Sensualismus von Ernst Mach finden. Allen Konzepten gemeinsam aber ist das Ziel die „Er-fahrung“ oder „Wahr-nehmung“ als ein konstituierendes, ontisches Element der empirischen „Er-kenntnis“ zu „be-greifen“ und nicht nur zu „be-nennen“; genug der Binde-Striche 😉

Der „Showdown“ der Metaphysik als „linguistic turn“ vor dem „Saloon“ des „Wiener Kreises“

Die „Bad Guys“, die den sensualistischen Empirismus ein für alle mal aus der Stadt jagen wollen, treffen sich vor dem „Saloon“ des „Vienna Circle“, um ihre „Revolver“ im „linguistic turn“ zu ziehen. Den „Showdown“ der Metaphysik in Form des „Logischen Empirismus, logischen Positivismus oder auch Neopositivismus im „Wiener Kreis“, z. B. bei Ludwig Wittgenstein und Bertrand Russell kann man durchaus als „Schwarz-Weiß-Kontrast“ zum sensualischen Empirismus be-zeichnen, da er eher auf einem sprach-geleiteten, rationalen Formalismus basiert.

Der schon fast „asketische“, sprachphilosophische Ansatz wird daher auch schon einmal gerne als der „linguistic turn“ in der Philosophie des 20. Jahrhunderts bezeichnet, da er besonders dadurch gekennzeichnet ist, dass er versucht die „streng-formale Logik der Mathematik“ auf die „unerträgliche Vieldeutigkeit der Sprache“ anzuwenden. Endlich Schluss mit der ungeliebten Ambiguität, Polyvalenz, Konnotationsbreite von Sprache: „Zieh, oder stirb Metaphysik!“

Es geht den „Bad Guys“ vom „Vienna Circles“ um nichts Geringeres als den Versuch die Metaphysik im Ganzen aus der Stadt zu treiben und aus der Philosophiegeschichte zu tilgen. Die „Wahl der Waffen“ fällt auf die von Frank Plumpton Ramsey 1929 entwickelte Methodik („Ramseyfizierung“), die darauf abzielt, Theorien mit Hilfe von theoriesprachlichen Termini in „Beobachtungssprache“ umzuwandeln und hierdurch alle sprachlichen Verweise auf Unbeobachtbares zu eliminieren. „Yippie Yah Yei!“ Aber an so einfachen Begriffen, wie „wasserlöslich“ oder „Elektron“ beißt sich diese „Sprache“ bis heute die Zähne aus.

„The concept of nature“ der „wirklichen Ereignisse“ als Whiteheads Reaktion auf das sprach-logische Konzept

Whitehead vertritt gegenüber dem sprach-logischen Konzept des „Wiener Kreises“ einen gänzlich anderen philosophischen Ansatz, der aber nicht minder von der Überzeugung an einen wissenschaftlichen Realismus geleitet ist. Der Schwerpunkt liegt bei Whitehead weniger auf den objekt-logischen, als vielmehr auf den subjektiv-empirischen Grundsätzen des wissenschaftlichen Realismus. Die menschliche Erfahrung besitzt für Whitehead aus zweierlei Gründen durchaus einen eigenständigen ontischen Status:

Erstens, weil die menschliche Erfahrung zu jedem Zeitpunkt selbst ein tatsächliches Ereignis ist und das Ereignis, das wir besser als jedes andere kennen und das wir von innen kennen.

Zweitens, weil Gelegenheiten auf hoher Ebene selbst hochgradig koordinierte Gesellschaften von Gelegenheiten auf niedriger Ebene sind, können bestimmte Merkmale menschlicher Erfahrungsereignisse allgemein auf primitivere Gelegenheiten angewandt werden.

Das klingt ein wenig nach Bas van Fraassensempirischen Konstruktivismus“ und von Foersters „Kybernetik 2. Ordnung“ und war wahrscheinlich auch so im anachronistischen Sinne gemeint, um die „empirische Adäquatheit“ über die Rekonstituierung des „Phenomenon“-Begriffs unter dem „Zeit-“ und „Beobachter-“Aspekt wiederherzustellen.

Hier taucht die zeitliche Komponente in der Whiteheadschen Prozessphilosophie zum ersten Mal auf und soll als sehr wichtige „Tonspur“ im späteren Verlauf des weiteren „Films“ noch nutzbar gemacht werden. Zunächst aber muss erst einmal geklärt werden, was denn die „wirklichen Ereignisse“ sind, von denen der weitere „Film“ handeln soll.

„1920 legte Whitehead in „The concept of Nature“ einen naturphilosophischen Ansatz vor, dessen grundlegender Terminus zur Bezeichnung dieser Grundbausteine das „wirkliche Ereignis“ („actual entity“, auch „wirkliches Einzelwesen“) ist. Das Ereignis ist das, was immer Teil der Realität ist, die substanzmaterialistischen Kategorien von Subjektivität und Objektivität oder von Wirklichkeit und Erscheinung spielen dafür keine Rolle. Ebenso vermeidet Whitehead so die Suche nach einer Seelensubstanz oder die Bestimmung des „Wesens der Materie“, die viele Ontologien bestimmt. Wirkliche Einzelwesen sind atomar, ihren Aspekten und Eigenschaften kann keine eigenständige Existenz zukommen.

[…] Das scheinbare Andauern der Dinge leitet sich aus der ständigen Wiederholung der Ereignisse ab, die diese Dinge zum Inhalt haben. Dinge, die nur eine einzige mögliche Bestimmung haben, können sich nicht verändern und dauern somit ewig an. Diese nennt Whitehead „ewige Objekte“ („eternal objects“) oder „reine Möglichkeiten“ („pure potentials“). Zusammen mit dem Begriff der „Erfassung“ („prehensions“) bilden sie das Herzstück der späteren Metaphysik Whiteheads.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_North_Whitehead)

Durch diesen cleveren „Plot“ im „Drehbuch“ für eine Neue Metaphysik umgeht Whitehead die spätere „Synchronisation im Tonstudio“, da er einfach die „Aufnahmen mit der Original-Tonspur“ verwendet. Das „wirkliche Ereignis“ ist selber Hauptdarsteller als „wirkliches Einzelwesen“, es bedarf keiner Trennung in „Subjekt“ (Darsteller) und „Objekt“ (Handlung) mehr (s. o. „Kybernetik 2. Ordnung“). Okay, als „echter Film“ wahrscheinlich ohne Darsteller und Handlung komplett inkommensurabel, aber für ein Weiterkommen in der „prozessbasierten Metaphysik“ unabdingbar.

„Das Erwachen der Macht“ der Teilchenphysik – der ontische Status der Zeit als „emergentes Phänomen“

Die „ständige[n] Wiederholung der Ereignisse“ führt laut Whiehead dann schließlich zu „ewigen Objekten“. Die „pure Action“ in Filmen wird auf Dauer aber eben auch langweilig. Wichtig an seinem Konzept ist hierbei vielmehr die zeitliche Komponente. Aber was ist denn eigentlich der ontische Status der Zeit, wenn man sie schon zur Definition anderer ontischer Status benutzt? Hierzu mal zur Abwechslung eine Definition aus der Teilchenphysik:

„Das Phänomen Zeit resultiert aus dem Übergang vom Mikrokosmos zum Makrokosmos, aus dem Wechsel der Hierarchie-Ebenen, den erstmals Ludwig Boltzmann mit seiner statistischen Thermodynamik gegen Ende des 19. Jahrhunderts vollzog. Das Phänomen Zeit entsteht somit beim Übergang von der Betrachtung der Bestandteile eines komplexen Systems zum Gesamtsystem. Solche Eigenschaften, die aus dem Zusammenspiel der Elemente eines Systems entstehen, bezeichnen wir als emergent. Dabei handelt es sich um das Auftauchen eines Phänomens aus tiefer liegenden Strukturen. Dieser für uns so wichtige Begriff der „Zeit“ ist also möglicherweise nicht fundamental, kein „Apriori unseres Denkens“ im Sinne von Immanuel Kant, sondern lediglich ein aus der inneren Struktur der Materie abgeleitetes, emergentes Phänomen.“ (Ilja Bohnet/Thomas Naumann: Das rätselhafte Universum. Die fundamentalen Fragen der modernen Wissenschaft. 2022, S. 115)

Na, das war ja mal wieder klar, dass auch die „Zeit“ im Paradigma des Materialismus „ein aus der inneren Struktur der Materie abgeleitetes, emergentes Phänomen“ als ein „Erwachen der Macht“ sein musste ;-). Und natürlich muss hierzu mal wieder die „Entropie“ aus der statistischen Thermodynamik von Boltzmann zum „Antrieb des Millenium Falken“ bemüht werden. Der schwammige Begriff taugt einfach immer für alle „emergenten Phänomene“, die man sich zunächst einmal nicht erklären kann. Die Entropie taucht selbst in alten Filmen aus der „wilden Physik“ immer wieder als „Doc Snyder’s Schlangensalbe“ auf. Ob und wie Entropie überhaupt etwas mit der Zeit zu tun haben könnte, versuche ich aber ein wenig später noch zu klären. Zunächst einmal darf Whitehead in dieser Szene schon einmal seinen „Colt ziehen“.

Whiteheads „Quantelung der Zeit“ als „Schuss aus der Hüfte“ in der Kameraeinstellung

Whitehead würde gegen die zuvor beschriebene Emergenz der Zeit in der Teilchenphysik einwenden, dass dies immer noch ein materiebasiertes Konzept der Zeit enthält. Die „Entropie“ als „Doc Snyder’s Schlangensalbe“ wirkt hier zwar schon wahre Wunder, da sie das „Auftauchen eines Phänomens aus tiefer liegenden Strukturen“ in Form eines „A priori“ als „olle Kantsche Zöpfe“ des „noumenalen Dings-an-sich“ endgültig abschneiden möchte.

Whitehead konnte dies in dieser „Szene“ zu der damaligen Zeit natürlich nicht aus diesem anachronistischen Blickwinkel sehen und „schießt daher aus der Hüfte“:

„[…] Raum, Zeit und Materie sind Attribute der Ereignisse. Nach der alten Theorie der Relativität sind Raum und Zeit Relationen zwischen Materiepartikeln; nach unserer Theorie sind sie Relationen zwischen Ereignissen.“ (An Enquiry into the Principles of Natural Knowledge, S. 25)

Es soll hier also ausdrücklch der „Irrtum einfacher Lokalisierung“ ausgeschlossen werden, wie er so oft in Bezug auf den Raum Verwendung findet und auf den Umgang mit dem Zeitbegriff in Analogie angewendet werden. Das schon häufiger verwendete Einsteinsche „Loch-Argument“ wäre hier als ein prima Beispiel für einen „Raum“-Begriff zu nennen. Der zu konstituierende Raum bildet sich hier nicht aufgrund von „entitätsbasierten Materie-Partikeln“, sondern den Raum muss erst aufgrund seiner „prozessbasierten Struktur-Relationen“ als potentielle Möglichkeiten zur Realisierung aufgespannt werden. Bei dem einen Raum ist schon alles in Beton gegossen und alle „Freiheitsgrade“ oder „Möglichkeiten“ verbraucht, der andere enthält nur die „Stützkonstruktionen“ und kann daher noch gestaltet werden und seine „Freiheitsgrade“ ausnutzen.

Von noch größerer Bedeutung wäre hier allerdings noch die Möglichkeit der Quantelung der Zeit zu nennen, wenn sie denn bei solch einem „Hüftschuss in der Kameraeinstellung“ möglich wäre:

„So kann aus getrennten Zeitpunkten niemals ein Werden, eine Entwicklung oder ein Prozess abgeleitet werden. Die Lösung sieht er in einer Quantelung der Zeit, wie sie in den wirklichen Einzelwesen vollzogen ist. Das Werden dieser atomistischen Erfahrungen ist selbst nicht „in der Zeit“, sondern erst ihr Vollzug konstituiert Zeit auf der Beziehungsebene makroskopischer Prozesse.[48] Den einzelnen Teilen eines wirklichen Einzelwesens kommt bei Whitehead keine separate Wirklichkeit zu, so dass man innerhalb einer elementaren Erfahrung nicht von einem Vorher und Nachher sprechen kann.[49] Das Andauern in der Zeit ist dagegen eine Abstraktion von den wirklichen Ereignissen. Andauern bedeutet die ständige Wiederholung wirklicher Ereignisse (vgl. „Gesellschaften“), wobei sich eine Wiederholung immer nur auf bestimmte Charakteristika beziehen kann. Würde sich die gesamte Wirklichkeit wiederholen, gäbe es nichts, woran man dies feststellen könnte. Die Welt hat für Whitehead somit keinen Anfang in der Zeit und kein Ziel. Da die Welt immer schon war, kann man nicht von einem umfassenden oder absoluten Ideal sprechen, auf das sich eine Entwicklung im Ganzen hinbewegen könnte. Das Ideal der Schöpfung ist also in den Grundelementen der Wirklichkeit direkt zu suchen. So ist für Whitehead die größtmögliche Intensität der Erfahrung für jedes wirkliche Einzelwesen das eigentliche Ziel.[50]“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_North_Whitehead)

Der Zeitbegriff erfährt hier eine fast quantenphysikalische „Verschränkung“ mit dem „wirklichen Ereignis“ und ist auch als „Einzelwesen“ nicht mehr von dem „Prosess“ zu trennen, da ihm keine „separate Wirklichkeit“ mehr zukommt. Hhhm, was heißt das jetzt nun konkret für den weiteren Verlauf im „Film“? Es geht hier folglich um die Frage der Reversibilität oder Irreversibilität des Zeitbegriffes.

Auftritt des zweiten Hauptdarstellers (der Thermodynamik) – Ilya Prigogine – bekannt aus „Das Paradox der Zeit“ – oder „Zurück in die Zukunft 4“

„In der klassischen Dynamik, über Isaac Newton hinweg und selbst noch bei Albert Einstein ist Zeit immer reversibel verstanden worden. Ebenso spielt es bei keiner physikalischen Beschreibung eine Rolle, wann genau etwas stattfindet. Freier Fall, Impulsübertragungen oder der Doppler-Effekt sind also beispielsweise nicht an bestimmte Zeitpunkte gebunden und jeder dieser beschreibbaren Prozesse kann genauso gut umgekehrt ablaufen. Die Naturgesetze sollten universal gelten, Vergangenheit und Zukunft sind selbst noch in der Relativitätstheorie identisch und können nicht unterschieden werden. Deren lokale Zeit als Zeit des Beobachters ist zwar eine subjektive, aber dennoch eine reversible. Dieser Gedanke der reversiblen Zeit widerspricht jedoch nicht nur unserer Alltagserfahrung, sondern auch unserer Kenntnis der irreversiblen Prozesse im Rahmen anderer Naturwissenschaften wie beispielsweise der Evolution in der Biologie.
Die Physik der Nichtgleichgewichtsprozesse, mit der sich Begriffe wie Selbstorganisation und dissipative Strukturen verbinden, führt den Zeitpfeil ein, also den Begriff der Irreversibilität. Diese spielt eine konstruktive Rolle: Die Entstehung des Lebens wäre ohne sie undenkbar. Gegen Kritiker, die Geschichtlichkeit als bloße Erscheinung bezeichnen, erwidert Prigogine: „wir sind die Kinder des Zeitpfeils, der Evolution, und nicht seine Urheber“.[3] (https://de.wikipedia.org/wiki/Ilya_Prigogine#Das_Paradox_der_Zeit)

Wenn zwei sich streiten, ist es bekanntlich ganz sinnvoll einen dritten Standpunkt mit einzubeziehen. Dies ist in diesem Fall, der von dem russisch-belgischen Physikochemiker, Philosoph und Nobelpreisträger Ilya Prigogine, der den „Zeitpfeil“ in den weiteren Verlauf unseres Films einführt.

Mit dem Zeitbegriff hat sich Prigogine zusammen mit der belgischen Philosophin und Wissenschaftshistorikerin Isabelle Stengers in ihrem gemeinsam verfassten Buch „Das Paradox der Zeit“ beschäftigt. Das Zeitparadoxon ist eine der Paradoxien, die von der Physik bislang nicht gelöst werden konnten, wobei in dem Buch ein Lösungsvorschlag auf Basis der Thermodynamik irreversibler Prozesse gemacht wird. Was wir uns deshalb einmal genauer anschauen möchten:

„Die Dynamik als Prototyp deterministischer Wissenschaft muss aufgrund der Existenz instabiler Systeme (worunter die Mehrheit aller dynamischen Systeme fällt) mit probabilistischen Methoden arbeiten. Das Chaos führt zur Einbeziehung des Zeitpfeils in die grundlegende dynamische Beschreibung.

Prigogine unterscheidet hierbei zwei Arten von Chaos:

Dynamisches Chaos der mikroskopischen Ebene: Dieses hat eine Brechung der zeitlichen Symmetrie zur Folge und ist die Basis für Dissipatives Chaos auf der makroskopischen Ebene: Dieses ist der Grund für Phänomene, die vom 2. Hauptsatz der Thermodynamik bestimmt sind: deterministische Annäherung an das Gleichgewicht, dissipative Strukturen und dissipatives Chaos. Prigogine sieht im dissipativen Chaos eine Schlüsselrolle, „ … [es] ist nämlich ein Mittelding zwischen dem reinen Zufall und der redundanten Ordnung“,[4] und damit die Bedingung zur Entstehung von Information in biologischen Systemen.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Ilya_Prigogine#Das_Paradox_der_Zeit)

Und hier wären wir dann wieder an der Schnittstelle zum Strukturenrealismus angelangt, da dieser aufgrund seiner Beschreibungsmöglichkeiten von Strukturen aus meiner Sicht hervorragend geeignet ist, derlei Strukturen, welche die Chaostheorie in Form der Selbstähnlichkeit von Fraktalen hervorbringt zu analysieren. Dies soll im nächsten Schritt in einer „Amalgierung von Struktur und Prozess“ geschehen.

Commissioner Prigogine auf der Suche nach den „dissipativen Strukturen“ im Chaos von „Gotham City“

Bevor Commissioner Prigogine die „Spur“ nach den dissipativen Strukturen im Chaos aufnehmen kann, sollte an dieser Stelle aber zunächst einmal der Schlüsselbegriff der „dissipativen Strukturen“ geklärt werden:

„Eine dissipative Struktur (engl. dissipative structure ‚zerstreuende Struktur‘) bezeichnet das Phänomen sich selbstorganisierender, dynamischer, geordneter Strukturen in nichtlinearen Systemen fern dem thermodynamischen Gleichgewicht. Dissipative Strukturen bilden sich nur in offenen Nichtgleichgewichtssystemen, die Energie, Materie oder beides mit ihrer Umgebung austauschen. Beim Aufbau geordneter Strukturen nimmt die Entropie lokal ab; diese Entropieminderung des Systems muss durch einen entsprechenden Austausch mit der Umgebung ausgeglichen werden.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Dissipative_Struktur)

Damned, da ist sie wieder „Doc Snyder’s Schlangensalbe“ – die „Entropie“. Schon wieder muss das „Wundermittel“ herhalten, da sich laut Prigogine „dissipative Strukturen“ nur durch eine „Entropieminderung“ in Form eines Austausches mit der Umgebung bilden können. Dies gilt logischerweise nur für „offene Systeme“, da in „geschlossenen Systemen“ die Entropie gnadenlos zunehmen würde. Die Entropieminderung wird durch Energieaufnahme erkauft. Folge hiervon ist, dass auf den verschiedenen „Routen zum Chaos“ mit wachsender Zeit das Volumen im Phasenraum immer kleiner wird und sich hiedurch relativ stabile neue Strukturen ausbilden können. Bei diesem Prozess tritt dementsprechend ein „empfindliche Abhängigkeit der chaotischen Trajektorie von den Anfansgbedingungen auf“.

Damit wir uns an dieser Stelle nicht ganz im „dissipativen Chaos“ von „Gotham City“ verlieren, wäre hier ein präziserer Arbeitsauftrag für Commisioner Prigogine hilfreich: „Die Physik der Nichtgleichgewichtsprozesse, mit der sich Begriffe wie Selbstorganisation und dissipative Strukturen verbinden, führt den Zeitpfeil ein, also den Begriff der Irreversibilität.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Ilya_Prigogine#Das_Paradox_der_Zeit)

Untersuchung des „abgeschossenen Zeitpfeils“ im „Tatort: Die Zeit ist gekommen“ durch „Hauptkommissar“ Sohst und „Kommissar“ Ben-Naim

Wolfgang Sohst hat das „Beweisstück“ des „Zeitpfeils“ in seiner „Prozessontologie“ einer eingehenden „Spurensicherung“ unterzogen und kommt zu dem Schluss:

„Es scheint mir, als ob seit Boltzmanns initialer Formulierung des Entropiegesetzes die Physikergemeinde ein Enthusiamus ergriffen hätte, endlich einen Aufhänger zur Lösung eines sehr alten Problems gefunden zu haben und sie deshalb mit aller Kraft einen Zusammenhang zwischen Entropie und Zeitpfeil herbeizukonstruieren versuchte. Dabei vergaß man die Frage zu stellen, ob dieser Lösungsweg in Anbetracht der fundamentalen Verschiedenheit der zugrunde liegenden Theoreme überhaupt begriffslogisch dazu taugte. […] “ (Wolfgang Sohst: Prozessontologie. Ein systematischer Entwurf zur Entstehung von Existenz. Xenomoi (2009), S. 349 https://philarchive.org/rec/SOHPES)

Der israelische Professor Arieh Ben-Naim für physiklische Chemie kommt zu einem ähnlichen Ergebnis bei der forensischen Prüfung des angeblichen abgeschossenen „Zeitpfeils“:

„In my view it is far from clear that an Arrow of Time exists [34]. It is also clear that entropy is not associated with randomness, and it is far from clear that entropy always increases. Therefore, my conclusion is that entropy has nothing to do with time!“ (Arieh Ben-Naim: Entropy and Time, S. 11, https://www.mdpi.com/1099-4300/22/4/430)

Beide „Kriminalisten“ kommen folglich zu dem selben Schluss, dass Entropie zwar eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für „Zeit“ sein kann. Aber was ist sie denn nun? Gehört sie also weiter zu den ungeklärten Fällen der (Meta-)physik? Oder wäre es nicht endlich mal an der Zeit sie von den Entitäten, wie z. B. „Entropie“ zu lösen und sie im Whiteheadschen Sinne als reinen Prozess zu sehen, der mit Hilfe eines adäquaten Strukturenrealismus beschrieben werden könnte?

Abspann zu einer strukturenrealistischen Prozessphilosophie als Basis für weitere „Fortsetzungen des Films“

Neue „Besetzungsliste“ für mögliche Darsteller:

1. Die „Materie“ kann durch den „Prozess“ ersetzt werden.
2. Die „Entitäten“ können durch „Relationen“ beschrieben werden.
3. „Relata“ werden für das „Casting“ zugelassen, erhalten aber nur eine Nebenrolle.
4. Das „Drehbuch“ für die wissenschaftliche Beschreibung der Phänomene kann mit Hilfe probabilistischer Modelle beschrieben und durch „Stuntmen“ in der Simulation überprüft werden.
5. Die „Gegenspieler“ Subjektivität vs. Objektivität oder Wirklichkeit vs. Erscheinung tauchen nicht mehr als „Darsteller“ auf, sondern sind nur noch in der „Handlung“ erkennbar.
6. Die „Zeit“-Spur ist nur für das „Schneiden des Films“ wichtig, besitzt aber selber keinen ontischen Status mehr.

Auf die mögliche „Film“-Kritik bin ich schon sehr gespannt ;-).

Ich bin immer mit meiner „Diogenes-Lampe“ unterwegs, um Menschen zu finden, die sich auch nach ein wenig „Licht der Erkenntnis“ sehnen. Also wenn Ihr eigene Beiträge oder Posts für meinen Wissenschaft-/Philosophie-Blog habt, immer her damit. Sie werden mit Eurem Namen als Autor auf meiner Seite veröffentlicht, so lange sie den oben genannten Kriterien entsprechen. Denn nur geteiltes Wissen ist vermehrtes Wissen.
0 0 votes
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

 

44 Comments
Inline Feedbacks
View all comments
Wolfgang Stegemann
Wolfgang Stegemann
1 Jahr zuvor

Lieber Dirk,
hier meine ‚Filmkritik‘. Gespannt wäre über rein inhaltliche (nicht wissenschaftstheoretische) Gegenargumente.

Die Behauptung, es gäbe keine Trennung zwischen Subjekt und Objekt halte ich für physikalisch falsch. Auch wenn man davon ausgeht, dass Objekte nur Verdichtungen von Quantenfeldern seien, würde man immerhin einen Unterschied im Dichtegrad feststellen können. Und: worin sollte der Sinn liegen, eine solche phänomenologische und pragmatische Unterscheidung nicht zu treffen. Dasselbe gilt natürlich auch für die biologische und psychologische Fragestellungen.
wie kommt es zu einer Beziehung zwischen A und B, wenn A und B als Oobjekte gar nicht existieren bzw. das Produkt der Beziehung sind.
Im besten Fall ist das Tautologie.

3.Materialismus bedeutet wissenschaftstheoretisch nichts anderes, als dass man davon ausgeht, es existiere nur Materie – was immer das auch sein mag. Sobald man davon abrückt, lässt man einen wie auch immer gearteten immateriellen Geist zu und bewegt sich damit zwangsläufig in esoterischen oder religiösen Gefilden. Glaube hat allerdings nichts mit Wissenschaft zu tun, das nur am Rande.

Auch wenn Materie nur Wellen sein mögen, ist es zumindest Etwas, also das Gegenteil von Nichts. Purer Prozess wird diesem Etwas nicht gerecht.

Philo Sophies
1 Jahr zuvor

Lieber Wolfgang,

vielen Dank für Deine „Filmkritik“, die scheinbar ein wenig in der WordPress(e) „zerschnipselt“ worden ist. Ich befürchte aber, dass Du Dir den „Film“ leider doch noch einmal genauer anschauen müsstest, da ich nicht immer weiß, wie Deine Einwände zu dem von mir Geschriebenen passen. Zu Deiner berechtigten Einwänden möchte ich aber dennoch gerne ein paar Sätze schreiben.

Deinen Einwand „Die Behauptung, es gäbe keine Trennung zwischen Subjekt und Objekt halte ich für physikalisch falsch.“ halte ich auch für physikalisch absolut richtig, da ich dies nie behauptet habe ;-). Die Physik trennt leider nach wie vor (Forscher-)Subjekt und (Erkenntnis-)Objekt. Dies sollte ja gerade in der Neuen (Meta-)Physik überwunden werden.

Daher benötigt man auch keine „Verdichtungen von Quantenfeldern“, die nur wieder eine Neue, aber andere Metaphysik, in der Quantenfeldtheorie beschreiben. Damit wäre also nichts gewonnen, sondern nur „Pest gegen Cholera getauscht“ ;-).

„Und: worin sollte der Sinn liegen, eine solche phänomenologische und pragmatische Unterscheidung nicht zu treffen.“ Das frage ich mich auch, da es überhaupt keine „phänomenologische und pragmatische Unterscheidung“ in einer solchen Metaphysik gibt. Das ist ja gerade der Witz an der Sache, dass man ja erst eine Grundbasis schaffen muss, auf der man später gerne eine Phänomenologie oder von mir aus auch einen Pragmatismus aufbauen kann. Das hatte ich Dir schon einmal in Bezug auf die Funktion von Metaphysik aus meiner Sicht geschrieben.

Daher machen auch „biologische und psychologische Fragestellungen“ (noch) keinen Sinn, da man wie gesagt nicht vom Ende, sondern vom Anfang her denken muss. Inwiefern dies dann für einzelne Teildisziplinen eine Rolle spielen sollte, kann ich nicht wissen und ist meines Erachtens auch gar nicht wichtig.

Zu Deiner Frage und Einwand:„wie kommt es zu einer Beziehung zwischen A und B, wenn A und B als Oobjekte gar nicht existieren bzw. das Produkt der Beziehung sind. Im besten Fall ist das Tautologie.“ Das hatte ich ja bereits in der „neuen Besetzungsliste“ geschrieben, dass Relata durchaus zugelassen sind, allerdings nur noch in den Neben- und nicht mehr in den Hauptrollen. Da Relationen nicht mehr wie im Strukturenrealismus statisch, sondern einen dynamischen Prozesscharakter zur Beschreibung erhalten, sind Tautologien „per se“ ausgeschlossen, da „ta panta rhei“ ;-).

Zu 3.: „Materialismus bedeutet wissenschaftstheoretisch nichts anderes, als dass man davon ausgeht, es existiere nur Materie – was immer das auch sein mag. Sobald man davon abrückt, lässt man einen wie auch immer gearteten immateriellen Geist zu und bewegt sich damit zwangsläufig in esoterischen oder religiösen Gefilden.“ Aber diese Aussage ist doch schon bereits ein „esoterisches oder religiöses Gefilde“, da es von der „Zweifaltigkeit“ von „Materie vs. Geist“ ausgeht. Das ist dann der Dualismus in seiner physikalistischen Form.

Ich habe bis heute nicht verstanden, wozu man eigentlich die begrifflichen Kunst-Konstrukte „Materie“ oder „Geist“ überhaupt benötigt. Man kann hiermit doch gar nichts erklären, außer einem alten, metaphysischen Glauben von der Dualität der Welt nachzuhängen und das „Leib-Seele-Problem“ bis zum Sanktnimmerleinstag vor und zurück zu beten.

Daher wird auch die Beschreibung als „Teilchen-Welle-Dualismus“ der Sache nicht gerecht: „Auch wenn Materie nur Wellen sein mögen, ist es zumindest Etwas, also das Gegenteil von Nichts. Purer Prozess wird diesem Etwas nicht gerecht.“ Daher muss man ja keinesfalls einem Nihilismus anheim fallen ;-). Und warum nicht mal anders denken? Warum kann man denn nicht mal in Prozessen denken und nicht in Entitäten? Die Gründe hierfür würde ich gerne einmal wissen wollen. Nur zu sagen, geht nicht, gilt nicht, weil wir es ja noch nie versucht haben.

In diesem Sinne auf zu neuen Abenteuern. Ich habe die „Segel schon einmal an meiner Hoppetosse gehisst“ 😉

Liebe Grüße
Dirk

Wolfgang Stegemann
Wolfgang Stegemann
1 Jahr zuvor
Reply to  Philo Sophies

Hallo Dirk,

du sagst, Forschersubjekt und Erkenntnisobjekt (von mir aus auch so) wäre eine Einheit und könnten nicht getrennt werden. Das wirst du keinem ernsthaften Philosophen oder Wissenschaftler erklären können.

Ich hatte gesagt, „selbst wenn man von der Verdichtung von Quantenfeldern ausgeht“. Ob man das so sehen kann oder nicht, ist mir hier egal, und erst recht in meinem Ansatz.

Mit „phänomenologischer und pragmatischer Unterscheidung“ meinte ich, dass es sinnvoll ist, Objekte voneinander zu unterscheiden.

Auch wenn Relata zugelassen sind, sind sie abhängig von ihren Beziehungen. Sie existieren also nur, wenn es Beziehungen gibt, sonst nicht. Natürlich ist das Tautologie.

Wenn ich Materialismus und Idealismus unterscheide, dann zitiere ich ein Stück Philosophiegeschichte. Das hat nichts mit meiner Überzeugung zu tun. Wenn du dich außerhalb der gängigen Terminologie stellst (es ist weder noch), dann kannst du im philosophischen Raum nur noch mit dir selber kommunizieren.

Ich vertrete, wie du wissen musst, keinen Dualismus und schon gar keinen Geist – wie kommst du darauf?

Bernd-Jürgen Dr.Stein
Bernd-Jürgen Dr.Stein
1 Jahr zuvor

Lieber Dirk Boucsein,

gerne hier noch eine Filmkritik:

Herrn Whitehead scheint mir seine Ontologie auf den gleichen unklaren Grundbegriffen aufzubauen, wie viele andere Metaphysiker und Physiker auch. Sein Begriff des „Ereignisses“ oder „Prozesses“ ist ebenso unklar wie der Begriff der „Struktur“ der sogenannten Strukturenrealisten, oder wie der Begriff des „Feldes“ der Physiker, oder der „Relationen, Strukturen und Austausch“ der Gehirnforscher.

Man muss doch die Grundbegriffe, die man verwendet, zuallererst einmal eine sorgfältig begründete Bedeutung geben. Die kann ich nicht bei Whitehead erkennen.

Er ist nicht allein. Viele Physiker und Metaphysiker gründen Ihr Grundkonzept auf Begriffen, die nur dann eine sinnhafte Bedeutung haben, wenn ungesagt viel vorausgesetzt wird. Mit solchen ungesagten Voraussetzungen kann dann logisch und wohl begründet ein ganzes Ideengebäude aufgebaut werden. Falls eine der stillgeschweigten Voraussetzungen aber nicht zutrifft, fällt das ganze Gebäude zusammen.

So ist nun mal Materie an sich (das ens per se) ohne Wechselwirkung epistemisch nicht zugänglich, ebenso wie Wechselwirkung, Relationen und Felder ohne Materie ebenso unerkennbar bleiben. Struktur setzt also die Existenz von Relationen schon voraus. Eigenschaftsbündel sind nicht sinnvoll definierbar. Ein Prozess ist ohne vorgängige Existenz einer Zeit kein sinnhafter Begriff, ebenso wie Ereignis ohne physikalische Sachverhalte nicht sinnhaft definiert werden können. Was soll denn ein Ereignis als ontologisches Grundelement sein? Es hat mir auch – obwohl ich Physiker bin – niemand einleuchtend erklären können, was denn nun ein dissipativer Prozess ist, und worin er sich seinem Wesen nach von einem Energieaustausch unterscheidet. Dafür weiss ich, dass der Begriff der Entropie, so wie Herr Sohst richtig feststellt, vielfach missbraucht wird, selbst von Nobelpreisträgern. Aber auch diese behaupten, das Universum sei in einem raumzeitlichen Kontext entstanden, obwohl es bei der sogenannten Entstehung des Universums Raum und Zeit noch gar nicht gab. Irren ist immer und überall.

Also aus meiner Sicht: der Film ist eine fiktive Geschichte aus einem Blickwinkel, aus dem betrachtet vieles nur verschwommen, vielleicht gar verzerrt, wahrgenommen wird. Die Wahrheit ist und bleibt im Abgrund des Unwissens verborgen.

Viele Grüße
Bernd Stein

Philo Sophies
1 Jahr zuvor

Lieber Bernd Stein,

vielen Dank für Ihre „Filmkritik“ und berechtigten Einwände, die ich im Folgenden ein wenig genauer untersuchen möchte, um zu des „Pudels Kern“ vorzustoßen.

Ja, ja, stimmt schon, wir Menschen hantieren mit allerlei „Begrifflichkeiten“ herum, um unsere Gedanken und Ideen anderen Menschen verständlich zu machen. Das erinnert mich immer irgendwie zwangsläufig an diesen über 2500 Jahre alten „Universalienstreit“ zwischen „Realismus vs. Nominalismus“, wie ich ihn schon in einem älteren Essay „Der Paradigmenwechsel“ versucht zu beschreiben habe, wenn ich hieraus kurz zitieren darf:

„Aus diesem Ansatz entstand bereits in der Frühscholastik des Mittelalters die „Dualismus-Kontroverse“, die auch als „Universalienstreit“ bekannt ist. Die konträren Lager in dieser Realismus-Debatte bestanden auf der einen Seite aus den Universalienrealisten oder kurz Realisten (Thomas von Aquin/Anselm von Canterbury) und auf der anderen Seite standen die Nominalisten/Konzeptualisten (Roscelin von Compiègne/William von Ockham). Der Dualismus bestand nun darin, dass für die Realisten die Universalien (Ideen im Sinne Platons) als Ding an sich real waren, wo hingegen die Nominalisten und Konzeptualisten auf die Vermittlung der sprachlichen Logik oder sinnlichen Erfahrung für die Erkenntnis dieser Universalien bestand. Bereits hier bildet sich der große Riss im Boden des Wissenschaftsgebäudes, der sich über die folgenden Jahrhunderte in Folge des Universalienstreites in weiteren Formen des Dualismus fortsetzt.“

Insofern ist klar und fast ebenso zwangsläufig, dass die „Gang“ um den „Vienna Circles“, wie in dem beschriebenen „linguistic term, eine sprach-kritische Analyse der Metaphysik vornimmt, da Metaphysik logischerweise eher auf deduktiv abzuleitenden Begriffen, statt auf induktiv zu überprüfenden Experimenten basiert. Das könnte man folglich die „Achillesferse“ jeglicher Metaphysik nennen. Insofern geschenkt, dass Whitheads Begriffe des „„Ereignisses“ oder „Prozesses“ ebenso unklar [ist] wie der Begriff der „Struktur“ der sogenannten Strukturenrealisten,“ Das gleiche Problem haben Sie aber auch, wenn Sie Ihr Konzept der physikalischen „Möglichkeiten“ anderen Menschen erklären wollen (a propos, vielen Dank für Ihr Buch, dass ich auch noch einmal hinsichtlich seiner „Möglichkeiten“ genauer untersuchen möchte ;-).

Ihren Einwand: „Man muss doch die Grundbegriffe, die man verwendet, zuallererst einmal eine sorgfältig begründete Bedeutung geben. Die kann ich nicht bei Whitehead erkennen.“ kann ich in dieser Form nicht unterstützen, da Whitehead in seinem Buch „Process und Reality“ von 1929 natürlich schon eine „sorgfältig begründete Bedeutung“ seiner verwendeten Begriffe gibt, die allerdings aufgrund der gebotenen Kürze von Essays hier nicht in vollem Umfang dargelegt werden kann.

Der von Ihnen erwähnte Wolfgang Sohst (herzlichen Dank für den weiteführenden Tipp) baut in seiner auf Whitehead basierten „Prozessontologie“ übrigens ein ganzes „Begriffs-Defintions-Instrumentarium“ auf, um zum Wesentlichen seiner Metaphysik zu kommen. Daran mag man vielleicht erkennen, wie wichtig der „linguistic term“ auch in der Philosophie geworden ist oder auch nachwirkt.

Daher stimme ich Ihrem Einwand absolut zu: „Er ist nicht allein. Viele Physiker und Metaphysiker gründen Ihr Grundkonzept auf Begriffen, die nur dann eine sinnhafte Bedeutung haben, wenn ungesagt viel vorausgesetzt wird. Mit solchen ungesagten Voraussetzungen kann dann logisch und wohl begründet ein ganzes Ideengebäude aufgebaut werden. Falls eine der stillgeschweigten Voraussetzungen aber nicht zutrifft, fällt das ganze Gebäude zusammen.“

Metaphysik bedeutet für mich nichts anderes als „(vor)-ausgesetzt sein“. Man setzt der Physik etwas voraus, um es im Sinne der Peirceschen Abduktion im Nachhinein zu beweisen. Manches gelingt, manches nicht. Doch wo ist das Problem? Darf man nur immer im Nachhinein die Metaphysik ins Spiel bringen, um „Ungeklärtes“ doch noch erklären zu können? Warum nicht einmal den „red hat“ im „think tank“ aufhaben und Unorthodoxes denken? Tut keinem weh, kann aber sehr produktiv sein.

Daher kann ich hinter Ihrem Einwand: „So ist nun mal Materie an sich (das ens per se) ohne Wechselwirkung epistemisch nicht zugänglich, ebenso wie Wechselwirkung, Relationen und Felder ohne Materie ebenso unerkennbar bleiben. Struktur setzt also die Existenz von Relationen schon voraus. Eigenschaftsbündel sind nicht sinnvoll definierbar. Ein Prozess ist ohne vorgängige Existenz einer Zeit kein sinnhafter Begriff, ebenso wie Ereignis ohne physikalische Sachverhalte nicht sinnhaft definiert werden können. Was soll denn ein Ereignis als ontologisches Grundelement sein?“ nur einen Haken setzen, weil es genau darum in meinem Essay geht.

Es geht um „Wechselwirkung“ auch als alias „Relation“ bekannt. Die Materie ist die Wechselwirkung alias Relation. Anders herum gefragt, wozu eine zusätzliche Entität „Materie“? Das ist entweder doppeltgemoppelt oder Tautologie ;-). Daher müssen „Relationen und Felder ohne Materie ebenso unerkennbar bleiben.“ Klar, da sich Materie ja erst durch die Relationen konstituiert. Das beschreiben Sie doch selber in Ihren „physikalischen Möglichkeiten“.

„Eigenschaftsbündel sind nicht sinnvoll definierbar.“, klar, da man keine Eigenschaften der Entitäten benötigt, um sie zu definieren (s. o.).

Ihren Einwand: „Es hat mir auch – obwohl ich Physiker bin – niemand einleuchtend erklären können, was denn nun ein dissipativer Prozess ist, und worin er sich seinem Wesen nach von einem Energieaustausch unterscheidet. Dafür weiss ich, dass der Begriff der Entropie, so wie Herr Sohst richtig feststellt, vielfach missbraucht wird, selbst von Nobelpreisträgern. Aber auch diese behaupten, das Universum sei in einem raumzeitlichen Kontext entstanden, obwohl es bei der sogenannten Entstehung des Universums Raum und Zeit noch gar nicht gab. Irren ist immer und überall.“ kann ich daher auch aus vollstem Herzen untertützen, da Prigogines Ansatz über den „dissipativen Prozess“ unter Hinzufügen von „Doc Snyders Schlangensalbe“ Entropie auch nicht besonders zielführend ist, da es nur im Chaos von „Gotham City“ endet ;-).

Daher ist Ihre „Sichtweise“: „Also aus meiner Sicht: der Film ist eine fiktive Geschichte aus einem Blickwinkel, aus dem betrachtet vieles nur verschwommen, vielleicht gar verzerrt, wahrgenommen wird. Die Wahrheit ist und bleibt im Abgrund des Unwissens verborgen.“ auch gar nicht so falsch, da genau dies intendiert war. Der Essay sollte nur eine „Spot(t)-Licht“ auf das herrschende Paradigma des Materialismus setzen und mögliche Alternativen aufzeigen, die natürlich im Scheine des „Kerzenslichtes“ nur verschwommen sein können.

Selbstverständlich ist dies nur eine „fiktive Geschichte“, aber die Vorwegnahme von Wirklichkeit fängt in der Möglichkeit an, daher gibt es ja auch „Science Fiction“ ;-). Und „Wahrheit“ ist ein allzu großer Begriff unter deren Last schon manche Wirklichkeit zusammen gebrochen ist. Wie wäre es denn mal mit ein wenig „dionysische Wissenschaft“? Die macht zumindest mehr Spaß als die apollonische Wissenschaft: „Bonn Alaaf!“

Liebe Grüße
Dirk

Philipp
Philipp
1 Jahr zuvor

„Herrn Whitehead scheint mir seine Ontologie auf den gleichen unklaren Grundbegriffen aufzubauen, wie viele andere Metaphysiker und Physiker auch. Sein Begriff des „Ereignisses“ oder „Prozesses“ ist ebenso unklar wie der Begriff der „Struktur“ der sogenannten Strukturenrealisten, oder wie der Begriff des „Feldes“ der Physiker, oder der „Relationen, Strukturen und Austausch“ der Gehirnforscher.“

Hallo Bernd,

ich schieße hier kurz zwischen, denn deine Kritik geht wieder rein von der Perspektive der Physik aus. Dazu möchte ich einmal allgemein einen Punkt zu der von dir kritisierten „Leere“ der verwendeten Konzepte ansprechen.

Erstens:
Dein Annahme ist, so auch in unserer Diskussion zu meinem Blogbeitrag, dass du beispielsweise eine Struktur immer auf den untersten und kleinsten Ebenen der Physik verstehst. Oder anders formuliert: Struktur muss für dich in einem physikalischen Sinn definiert und erklärt werden. Als Physiker ist das nicht verwunderlich.

Wenn ein Biologe von Strukturen redet, dann meint er keine Strukturen auf der Ebene von Atomen, Teilchen, Feldern, etc. Denn diese Ebene ist für die Biologie völlig irrelevant.

Eine Struktur ist beispielsweise das menschliche Skelett, oder das endoplasmatische Retikulum in einem Neuron.
Auch gibt es Prozesse (Stichwort Whitehead) in der Analyse von Zeitreihen physiologischer Aktivität. Dort geschiehen Prozesse. Was diese Prozesse auf der Ebene der Physik sind ist, abermals, irrelevant, denn auf der Ebene der Physik existieren diese Prozesse als physiologische oder biologische Prozesse gar nicht mehr. Sie sind dort physikalisch nicht einmal theoretisch definierbar.

Zweitens:
Zum folgenden Zitat: „…ist ebenso unklar wie …Relationen, Strukturen und Austausch“ der Gehirnforscher.“

Ein Problem in Internetdiskussionen auf Blogs ist folgendes: wir diskutieren hier auf einer philosophischen Ebene. Dabei wählen wir notwendig breitere Begriffe und nur kurze Erklärungen. Blogdiskussionen lassen kaum etwas anders zu. Ich könnte dir auch Studien von mir verlinken oder zusenden, dann könntest du genau lesen und sehen dass z.B. eine Struktur, ein Prozess, oder eine Interaktion nicht nur konzeptuell genau definiert ist, sondern auch opertional gemessen und damit quantifiziert wird.

Nur wirst du dann wahrscheinlich, aufgrund des fehlenden Wissens in diesem Bereich, nicht viel verstehen. Deshalb wähle ich hier notwendig abstrakte Begriffe und Umschreibungen.

Aber ich komme mir manchmal so vor man eine Diskussion hier nur verlieren kann.
Entweder ich umschreibe abstrakt(er) und man unterstellt mir dann dass ich nicht weiß wovon ich rede.
Oder ich gebe mehr Infos, dazu auch empirische. Aber ich habe, so auch hier, dann die Erfahrung gemacht dass es darauf kein Feedback mehr gibt. Die Leute verstehen es nicht, und dann ist auch niemanden geholfen.

Deshalb bitte ich einmal um etwas Nachsicht: nur weil in unseren Diskussionen hier abstrakte Begriffe benutzt werden heißt das nicht dass gar nichts dahinterstehen würde bzw. das alles nur leere Luft sei.

Dirk Freyling
1 Jahr zuvor

Physik und Philosophie gehen schon lange getrennte Wege. Fragmentarisch folgend einige Grundlagen zum Verständnis. Der Zeitbegriff ist physikalisch nicht definiert. Die Raumzeit ( von Minkowski am 21.09.1908 in Köln auf der 80. Versammlung der Deutschen Gesellschaft der Naturforscher und Ärzte in seinem Vortrag »Raum und Zeit« eingeführt) ist nicht sinnlich erfahrbar und auch nicht apparativ meßbar. Die Raumzeit ist ein rein mathematisches Konstrukt.
Übrigens: Oft wird im Zusammenhang mit der Orts-Impuls-Unschärferelation auch eine Energie-Zeit-Unschärferelation leichtfertig genannt. In der Quantenmechanik ist die Zeit jedoch keine Observable, sondern eine Zahl, die den zeitlichen Ablauf der Quantenvorgänge parametrisiert. Also gibt es keinen Zeit-Operator, dessen Vertauschungsrelation man mit dem Energieoperator der Hamiltonschen Funktion untersuchen könnte.

Generelles
Ansprüche an »erkenntnistheoretische Verbindlichkeiten« müssen so hoch wie möglich sein. Es geht nicht um die sinnlose Frage, was (physikalische) Wahrheit ist, denn ein Denkmodell ist eben nur ein Denkmodell.
Fast alle im obigen Text zum Film gemachten – physikalisch relevanten – Aussagen beruhen auf Postulaten widersprüchlicher, inkonsistenter, freie Parameter belasteter Denkmodelle, beispielsweise sind es im Standardmodell der Elementarteilchenphysik (SM) 25.

In einem allgemein verständlichen Denkmodell ist Mathematik nur Mittel zum Zweck. Nichts weiter als ein plausibilitäts-resultierendes, praktisches Ordnungs- und Formalisierungsinstrument. Natur kann (aber) nur addieren oder subtrahieren. Eine „gesicherte“ »höhere mathematische Realität« existiert ausschließlich im Rahmen axiomatisch begründeter Sprache (Mathematik). Inwieweit eine korrekte mathematische Struktur (»höhere mathematische Realität«) physikalisch anwendbar ist, lässt sich mit den „Mitteln“ der Mathematik nicht entscheiden (siehe „unstrittig-exemplarisch“ Epizykeltheorie und Banach-Tarski-Paradoxon). Mathematik erfasst letztendlich Mengen und kann nicht zwischen Staubsauger und Staub unterscheiden.

Das SM zielt darauf ab, Materie-Entstehung und Wechselwirkungen durch rein abstrakte mathematische Symmetrien (Eichsymmetrien mit ihren Eichgruppen) zu erfassen. Die Definition der Masse eines Teilchens bezieht sich im Rahmen des Standardmodells ausschließlich auf ihre kinematische Wirkung. Ihre Wirkung als Quelle eines Gravitationsfeldes bleibt dagegen unberücksichtigt, wie auch die Gravitationswechselwirkung die im Standardmodell nicht beschrieben werden kann.

Ein Haupt-Problem
Der mathematische Ansatz des Standardmodells der Teilchenphysik, ausgehend von nulldimensionalen, masselosen Theorie-Objekten liefert offensichtlich keine Anbindung an die wahrnehmbare physikalische Realität in der Masse und Ausdehnung Fundamentaleigenschaften darstellen. Des Weiteren…Die euphemistische Nachkorrektur mittels Higgs-Mechanismus verleiht zwar im Denkmodell des SM Teilchen theoretisch Masse, nur wird erstens dadurch die ursprüngliche Formulierung „verletzt“, zweitens stimmt die Aussage, das der Higgs-Formalismus den Teilchen Masse gibt, gar nicht, da exemplarisch SM-postuliert Quarks basierendes Proton und Neutron über das Higgs-Feld nur ungefähr 1% ihrer jeweiligen Massen erhalten und drittens die vermeintlichen massegebenden Terme gar keine Massenberechnung beinhalten. Die Massenwerte folgen hier nicht aus einer physikalischen Gleichung sondern müssen als freie Parameter bekannt sein. Das bedeutet schlicht und ergreifend, auch das „Higgs-korrigierte“ Standardmodell der Teilchenphysik kann weder Masse(n) erklären und schon gar nicht berechnen.

Begriffliche Unbestimmtheit
Die Verwendung von sekundären Begriffen in der Physik ist nicht nur weit verbreitet, im Rahmen der Theoretischen Grundlagenforschung gibt es auf diesem Gebiet ausschließlich sekundäre Begriffe. Verkünder und Versteher sekundärer Begriffe glauben an die suggestive Strahlkraft. Sie haben „irgendwie“ ein gutes Gefühl der wissenschaftlichen Nähe, wenn sie beispielsweise von elektrischer Ladung, Photonen, Masse, elektrischem Feld oder Gravitationsfeld hören, über diese sprechen und diese Begrifflichkeiten respektive Grössen in Formalismen einfügen.

Brigitte Falkenburg schreibt dazu u.a. in Particle Metaphysics: A Critical Account of Subatomic Reality (2007) u.a.

„Es muss Schritt für Schritt transparent gemacht werden, was Physikerinnen und Physiker selbst als empirische Basis für das heutige Wissen der Teilchenphysik ansehen. Und es muss transparent sein, was sie im Einzelnen meinen, wenn sie von subatomaren Teilchen und Feldern sprechen. Die Weiterverwendung dieser Begriffe in der Quantenphysik führt zu ernsthaften semantischen Problemen. Die moderne Teilchenphysik ist in der Tat der härteste Fall für Inkommensurabilität im Sinne Kuhns“…. Kuhn 1962. 1970

…“Schließlich ist die Theorieabhängigkeit ein schlechtes Kriterium, um zwischen sicherem Hintergrundwissen und unsicheren Annahmen oder Hypothesen zu unterscheiden.“

… „Die subatomare Struktur existiert an sich nicht wirklich. Sie zeigt sich nur in einem Streuexperiment mit einer bestimmten Energie, also aufgrund einer Wechselwirkung. Je höher der Energietransfer bei der Wechselwirkung ist, desto kleiner sind die gemessenen Strukturen. Hinzu kommt, dass nach den Gesetzen der Quantenfeldtheorie bei sehr hohen Streuenergien neue Strukturen entstehen. Die Quantenchromodynamik (d. h. die Quantenfeldtheorie der starken Wechselwirkung) besagt, dass je höher die Streuenergie ist, desto mehr Quark-Antiquark-Paare und Gluonen im Inneren des Nukleons entstehen. Nach dem Modell der Streuung in diesem Bereich führt dies wiederum zu Skalierungsverletzungen, die tatsächlich beobachtet wurden.44 Dies wirft ein neues Licht auf Eddingtons alte Frage, ob die experimentelle Methode zur Entdeckung oder zur Herstellung führt. Offenbart die Wechselwirkung bei einer bestimmten Streuenergie die gemessenen Strukturen oder erzeugt sie diese?“

44 Perkins 2000, 154; Povh et al 1999, 107 – 111

…“Es ist nicht möglich, einen gemessenen Querschnitt auf seine individuelle Ursache zurück zu führen. Keine Kausalgeschichte setzt einen gemessenen Formfaktor oder eine Strukturfunktion mit seiner Ursache in Beziehung“…

…“Mit den in Teilchenbeschleunigern erzeugten Strahlen kann man weder in das Atom hineinschauen, noch subatomare Strukturen sehen, noch punktförmige Strukturen im Inneren des Nukleons beobachten. Solches Gerede ist metaphorisch. Das einzige, was ein Teilchen sichtbar macht, ist die makroskopische Struktur des Targets“…

…“Niels Bohrs Quantenphilosophie…Bohrs Anspruch war, dass die klassische Sprache unverzichtbar ist. Dies hat bis heute Gültigkeit. Auf der individuellen Ebene von Klicks in Teilchendetektoren und Teilchenspuren auf Fotos müssen alle Messergebnisse in klassischen Begriffen ausgedrückt werden. Die Verwendung der bekannten physikalischen Größen Länge, Zeit, Masse und Impuls-Energie auf subatomarer Ebene ist in der Tat auf eine Extrapolation der Sprache der klassischen Physik auf den nichtklassischen Bereich zurückzuführen.“

Hand aufs Herz, es fehlt den meisten Philosophen schlicht an formalen Kenntnissen um begründeten Denkmodellzuspruch zu leisten oder Kritik ernsthaft üben zu können. Aber auch wenn Philosophen die „Angewandte Mathematik“ in der Theoretischen Physik verstehen würden, was sollten sie befürworten oder kritisieren? Phänomenologie befreite Rechenvorschriften bieten keine „naturphilosophisch erreichbare“ Diskussionsebene.

Philo Sophies
1 Jahr zuvor
Reply to  Dirk Freyling

Lieber Herr Freyling,

jetzt komme ich endlich mal dazu Ihren sehr interessanten und ausführlichen Kommentar zu würdigen und entsprechend auf einige Ihrer Sätze einzugehen. Verzeihen Sie mir bitte, wenn ich aufgrund der gebotenen Kürze eines Wissenschaftblogs nicht auf alles eingehen kann.

Zu Ihrem Hinweis: „Physik und Philosophie gehen schon lange getrennte Wege.“, das wäre schön, wenn es so wäre oder das ist schade, das dies immer noch so ist. Dies ist nicht widersprüchlich, sondern, ich habe die Erfahrung bislang gemacht, dass Sie je nachdem welches „Lager“ Sie fragen, würden Sie eine dementsprechende gegenteilige Antwort bekommen.

Physiker, stellvertretend für das „naturwisssenschaftliche Lager“, würden genau wie Sie, jegliche philosophischen Attitüden weit von sich weisen und von einer strikten Trennung in unterschiedliche „Wege“ sprechen. Hakt man allerdings nach, auf welchen Axiomen, Konzepten, Theorien, Methoden, Begriffsapparaten, gar metaphysischen Grundannahmen denn ihre wissenschaftliche Arbeit beruhen würde, erhält man fast immer die ausweichende Antwort, dass dies nichts mit der Forschung zu tun habe, sondern dass es bei ihrer Arbeit nur um die „Objektivität“ im „wissenschaftlichen Realismus“ als reine „Phänomenologie“ ginge.

Vielen Naturwissenschaftlern ist es hierbei überhaupt noch nicht einmal bewusst, dass sie reine metaphysische Naturphilosophie betreiben, wenn sie auf den „26-Saiten (Dimensionen)“ einer „bosonalen String-Theorie“ spielen, sich in der „Unendlichkeit“ der „Multiversen verlieren oder über die okkulte „Dunkle Energie“ philosophieren. Hier wird reine Metaphysik im günstigten Fall einer Abduktion betrieben, die erst möglicherweise im Nachinnein induktiv-empirisch nachgewiesen werden kann oder eben auch nicht. Es ist irgendwie schade, dass Naturwissenschaftler in der Hinsicht ihrer methodischen Selbstfreflexion immer irgendwie einen „blinden Fleck“ haben. Ich darf das schreiben, weil ich selber mal aus so einem „Betrieb“ gekommen bin.

Mit den Philosophen, als Stellvetrter des geisteswissenschaftlichen Lagers“, ist es aber auch nicht besser bestellt. Da sie ja die „Gralshüter“ des reinen geisteswissenschaftlichen Denkens, also der Epistemologie schlechthin sind und insofern aufgrund der deduktiven Logik ihrer Schlüssse zu den wahren Wahrheiten im Sinne einer Ontologie vordringen könnten, die den Naturwissenschaftlern aufgrund ihres eingeengten Blickes für immer verborgen bleiben würde (s. z. B. Goethes Widerlegung Newton „Optik“ durch die „Farbenlehre“).

Hier steht natürlich der „Hochaltar der Metaphysik“, da man allein schon aufgrund der Brillanz des Geistes „hinter die Dinge“ schauen könne. Nicht umsonst ist daher dieser Begriff durch den Idealismus mehr als „verbrannt“ und nicht mehr „wissenschaftsfähig“, da er ohne Empirie irgendwie „prä-faktisch“ und in unserer „post-faktischen“ Zeit schon irgenwie „über“ ist. Leider, da der Begriff aus meiner Sicht durchaus noch ein durchaus modernes, aktuelles Potential in sich birgen könnte.

Daher würde ich auf meinen „Wunschzettel“ ganz oben schreiben, dass es mal ein „Joint Venture“ als „Bestes aus beiden Welten“ (Worrall) geben sollte, wo Geistes- und Naturwissenschaftler in einer bidirektionalen Interdisziplinarität auf gleicher Augenhöhe miteinander arbeiten könnten. Die Versuche zur Aufklärung der Konstitution von Bewusstsein wären zum Beispiel ein solches Projekt, das mich aus diesem Grunde auch besonders interessiert.

Dies wird Sie, wenn ich mal tippen darf, allerdings nicht so sehr interessieren, aber um auf Ihr „metaphysisches Projekt“ der „Elementarkörpertheorie“ und Ihren damit verbundenen Kommentar noch ein wenig genauer einzugehen. Sie schreiben: „Ansprüche an »erkenntnistheoretische Verbindlichkeiten« müssen so hoch wie möglich sein. Es geht nicht um die sinnlose Frage, was (physikalische) Wahrheit ist, denn ein Denkmodell ist eben nur ein Denkmodell.“ Siehe oben, da ist es wieder das „Standardmodell der Physiker“ zur Beantwortung von »erkenntnistheoretische[n] Verbindlichkeiten«.

Die Frage nach der „(physikalische) Wahrheit“ wird desavouiert, da es ja eben nur um „Denkmodelle“ sind, die tautologisch eben nur „Denkmodelle“ sind. Was sollen physikalische Theorien oder Modelle denn anders sein, als „Denkmodelle“? Und es geht hier keinesfalls um „Wahrheitsbegriffe“, das schafft selbst die analytische Philosophie nicht einwandfrei. Aber man muss doch wenigstens seinen eigenen wissenschaftlichen Standpunkt erläutern können; von mir aus auch als „Denkmodell“ 😉

Daher finde ich Ihren Standpunkt bezüglich dem ontologischen Status echt klasse und zitiere ihn daher gerne noch einmal:

„In einem allgemein verständlichen Denkmodell ist Mathematik nur Mittel zum Zweck. Nichts weiter als ein plausibilitäts-resultierendes, praktisches Ordnungs- und Formalisierungsinstrument. Natur kann (aber) nur addieren oder subtrahieren. Eine „gesicherte“ »höhere mathematische Realität« existiert ausschließlich im Rahmen axiomatisch begründeter Sprache (Mathematik). Inwieweit eine korrekte mathematische Struktur (»höhere mathematische Realität«) physikalisch anwendbar ist, lässt sich mit den „Mitteln“ der Mathematik nicht entscheiden (siehe „unstrittig-exemplarisch“ Epizykeltheorie und Banach-Tarski-Paradoxon). Mathematik erfasst letztendlich Mengen und kann nicht zwischen Staubsauger und Staub unterscheiden.“

Chapeau, das trifft meines Erachtens den „Nagel auf den Kopf“. Ich zweifele ebenso wie Sie an einem ontologischen Status der Mathematik, da ich Sie auch nur für das „Mittel zum Zweck“ oder einen Instrumentalismus halte. Sehr aufschlussreich hierzu fand ich die „Grundlagenkrise der Mathematik“ Anfang des 20.Jahrhunderts zwischen dem Formalismus (David Hilbert) und dem Intuitionismus (L. E. J. Brouwer). Aus diesem „Grundlagenstreit der Mathematik“ kann man aus meiner Sicht sehr viel zu dem Selbstverständnis der Mathematik in der „3. Ableitung“ analysieren.

Zu dem „Standardmodell der Teilchenphysik“ kann ich nicht so viel beitragen, da ich nicht so tief in der „Materie“ involviert bin, wie Sie. Aber aus oben genannten Gründen kann ich Ihren Hinweis auf Frau Falkenburg „Es muss Schritt für Schritt transparent gemacht werden, was Physikerinnen und Physiker selbst als empirische Basis für das heutige Wissen der Teilchenphysik ansehen. […] Die moderne Teilchenphysik ist in der Tat der härteste Fall für Inkommensurabilität im Sinne Kuhns“ voll und ganz unterschreiben. Es geht letzenendes um die Formulierung einer „Meta-Theorie“, da sich der wissenschaftliche Standpunkt in der jeweils verwendeten Methodik äußert.

Daher mache ich hier auch gerne bei dem Hinweis mit, dass die „moderne Teilchenphysik in der Tat der härteste Fall für Inkommensurabilität im Sinne Kuhns“ [ist], da dies genau die Kritik bezüglich des „Materie-Paradigmas“ in meinem Essay war. „Schließlich ist die Theorieabhängigkeit ein schlechtes Kriterium, um zwischen sicherem Hintergrundwissen und unsicheren Annahmen oder Hypothesen zu unterscheiden.“ Stimmt, die Metaphysik sollte nicht theorieabhängig sein, sondern bestenfalls Theorien eine Basis geben.

Daher kann ich Ihren Aufruf „Hand aufs Herz, es fehlt den meisten Philosophen schlicht an formalen Kenntnissen um begründeten Denkmodellzuspruch zu leisten oder Kritik ernsthaft üben zu können. Aber auch wenn Philosophen die „Angewandte Mathematik“ in der Theoretischen Physik verstehen würden, was sollten sie befürworten oder kritisieren? Phänomenologie befreite Rechenvorschriften bieten keine „naturphilosophisch erreichbare“ Diskussionsebene.“ nur mit beiden „Händen auf Herz“ unterstützen, weil es genau hierum geht. Geisteswissenschaftler müsste sich viel stärker mit einer empirischen Phänomenologie beschäftigen, ebenso wie Naturwissenschaftler sich viel mehr mit ihrer theoretischen Epistemologie beschäftigen müssten. Wie gesagt, ein echtes „Joint Venture“ für eine „Neue Metaphysik“ wäre doch hier schon mal ein toller Anfang.

Vielen Dank für Ihr Interesse und
viele Grüße

Dirk Boucsein

Philipp
Philipp
1 Jahr zuvor

Zur Kritik an der Subjekt vs. Objekt Thematik:
Subjekt und Objekt können sowohl identisch als auch unterschiedlich sein, es kommt darauf an was letztendlich gemeint ist und von welcher Perspektive man ein Thema betrachtet. Im Beitrag wird von Dirk wird das für mich nicht deutlich, obwohl ich eine Vermutung habe was er eigentlich ausdrücken wollte…

Allgemein dazu:
Man kann nicht das gleiche Wissenschaftsparadigma der Physik auf die Lebenswissenschaften anwenden (beispielsweise im Bezug auf die Trennung zwischen Subjekt und Objekt).

Die Physik geht von einem inneren Sinn aus, nämlich einer Harmonie in der Welt bzw. der Naturgesetze selbst, die sie dann über idealisierte mathematische Formeln darstellt. Dabei glauben Physiker dass ihre idealisierten Formeln die Natur exakter treffen als die empirischen Beobachtungen selbst. Man kann sie als Materiewissenschaft betrachten, der dann Chemie etc. folgen.

Die Biologie geht von einem äußeren Sinn aus, nämlich der Adaption (Evolution) von Organismen an eine äußere Umwelt bzw. Umweltbedingungen. Sie analysiert also Strukturen und ist vielmehr der Prototyp einer Strukturwissenschaft, auf der dann später die Psychologie, Soziologie etc. auf höheren Ebenen aufbauen.

Die Physik folgt nun aber einer anderen reduktionistischen Methode als die Biologie, beide Wissenschaften können nicht gleich arbeiten, deshalb kommt man meiner Ansicht nach in allerlei wissenschaftstheoretischen und metaphysischen Problemen wenn man beides vermengt.

Philo Sophies
1 Jahr zuvor
Reply to  Philipp

Hi Philipp,

vielen Dank für Deinen bemerkenswerten Kommentar, den ich vielleicht spät, aber nicht unbeantwortet würdigen möchte.

„Zur Kritik an der Subjekt vs. Objekt Thematik:
Subjekt und Objekt können sowohl identisch als auch unterschiedlich sein, es kommt darauf an was letztendlich gemeint ist und von welcher Perspektive man ein Thema betrachtet. Im Beitrag wird von Dirk wird das für mich nicht deutlich, obwohl ich eine Vermutung habe was er eigentlich ausdrücken wollte…“ Stimmt, wir kennen uns jetzt schon lange genug, dass wir um unsere Standpunkte wissen, die gegenteiligen und die gemeinsamen, obwohl aus meiner Perspektive die letzteren deutlich überwiegen ;-).

Da es aber hierzu mehrer Nachfragen gab, füge ich noch einmal ein eigenes Zitat aus einem älteren Essay „Das System braucht neue Strukturen“ zur Wissenschaftstheorie hinzu, um diese „Subjekt vs. Objekt Thematik“ erläutern zu dürfen:

„3. Grundthese: Der Strukturwandel der vermeintlichen „Objektivität“ in eine „Kybernetik 2. Ordnung“
In der Methodik der wissenschaftlichen Vorgehensweise („Operation„) ging es vermeintlich immer nur darum zu „objektiven“ Aussagen über die Beschaffenheit der Welt („Theorie„) zu gelangen. Hierbei war es stets oberstes Ziel zwischen dem zu erkennenden Objekt („Operand„) und dem forschendem Subjekt („Operator„) einen sehr klaren Unterschied in Form einer Differenz zu bilden.

Das Dilemma von Forschersubjekt und Erkenntnisobjekt

Das Forschersubjekt hatte sich im Prozess der wissenschaftlichen Theoriebildung folglich immer selbst zu eliminieren, um sich nicht den Vorwurf der Subjektivität auszusetzen. Diese absurde – weil logisch nicht zu hintergehende – Vorgehensweise negiert schlicht und einfach den Parameter Operator aus der Operation, um hierdurch den „reinen“ Operanden zu erhalten. Daher wirkt der Vergleich zur Münchhausen-Geschichte, bei der Ross und Reiter sich durch Ziehen am Schopfe aus dem Sumpf befreien können, nicht allzu weit hergeholt.

Der durch diese wissenschaftliche Methodik erzeugte „blinde Fleck“ im „Auge des Beobachters“ oder „tote Winkel“ im „Rückspiegel der Wissenschaftsgeschichte“ wurde von der „community of science“ noch nie wirklich richtig beleuchtet, sondern im Gegenteil bis zum heutigen Tage eher ausgeblendet oder sogar tabuisiert. Die „Objektivität“ der wissenschaftlichen Messergebnisse würde nach diesem methodischen Credo also operatorfrei von Geräten erzeugt, die gleichsam selbständig diese auch noch subjektfrei auswerten und zu Gesetzmäßigkeiten verarbeiten können.
Stimmt, das hört sich an dieser Stelle schon nach „künstlicher Intelligenz“ der Maschinen an.“

Dass dem nicht so ist, hatte zum Beispiel Cornelius Borck in unserem letzten Zoomposium-Interview in Bezug auf das wissenschaftliche Arbeiten in den kognitiven Neurowissenschaften und der Interpretierbedürftigkeit der Bilder des „neuro imaging“, dass Du auch selber schon einmal kritisch in Frage gestellt hattest, bestätigt. Die künstliche Trennung zwischen „Forschersubjekt“ und „Erkenntnisobjekt“ führt zu keiner kritischen Selbstreflexion des wissenschaftlichen Arbeitens, sondern nur zu paradigmatischen Dogmatismus, von dem es wie Du selber schon erfahren konntest, mehr als genüge im Wissenschaftsbetrieb „hüben wie drüben“ gibt.

Daher ging es in meinem Essay tatsächlich um einen etwas „weiteren Wurf“ als nur den „metaphysischen Grundstein“ für naturwissenschaftliche Teildisziplinen, wie Physik, Chemie oder Biologie zu legen, sondern tatsächlich eher etwas allgemeiner um eine „Meta-Theorie“ für alle wissenschaftliche Theorien (ja, ja, weit „aus dem Fenster gelehnt ;-).

Du hast in Folge dessen vollkommen Recht, wenn Du auf die unterschiedlichen Konzepte von „Subjekt vs. Objekt“ in den unterschiedlichen naturwissenschaftliche Teildisziplinen verweist, weil diese natürlich aufgrund ihres verschiedenartigen Fokus für ihre Theoriebildungen natürlich auch zu einer verschiedenartigen Perspektive in Bezug auf die Thematik kommen müsen. Man würde ja auch nicht durch ein Mikroskop schauen, um Sterne zu sehen oder ein Teleskop für die Beobachtung von Zellen verwenden. Selbstverständlich spielt der „Blickwinkel“ hier eine Rolle. Daher geht es in der besagten „Kybernetik 2. Ordnung“ um eine explizite Analyse der „Beobachterposition“ in der wissenschaftlichen Theoriebildung; um nicht mehr oder weniger.

Also einfach mal ein Blick über den „Tellerrand der Teildisziplinen“ wagen, den Du ja auch schon betreibst, vielleicht gibt es doch noch etwas mehr als „nur“ Amerika zu entdecken ;-).

Liebe Grüße
Dirk

maria reinecke
1 Jahr zuvor

@ Philosophies

Wenn wir den Satz beherzigen „Die Wahrheit ist und bleibt im Abgrund des Unwissens verborgen“ (Bernd Stein) ist viel gewonnen und angesichts ungewöhnlicher Gedanken vielleicht ein Innehalten angesagt, statt sofort genau zu ‚wissen‘, dass das, was da gesagt wird, so auf keinen Fall sein könne (übrigens eine metaphysische Aussage).

Wissenschaft/Kultur im weitesten Sinne konnten/können nur entstehen, wachsen, sich entwickeln, blühen wenn es immer wieder mutige, großartige Menschen wagen, in den Abgrund unseres „Nicht(s)-(genau)-Wissens“ zu schauen, Gedanken/Visionen zu entwickeln und sie im Bestfall empirisch-rational in einen kohärenten, logischen Meta-Zusammenhang zu stellen.

Was wissen wir genau über Zeit und Raum?
Was wissen wir genau über die Struktur der Materie?
Das Universum expandiert, war es also vorher kleiner (irgendwann soll es wieder kleiner werden…)?
Die kleinste kausal wirksame Zeitskala am Anfang war 5 X 10 hoch minus 44 (…was war davor?)
Die kleinste experimentelle Zeiteinheit beträgt 1 Milliardste Sekunde (wenn ich das von H. Lesch richtig in Erinnerung habe)
Wir haben nur Indizien von den letzten kleinsten Teilchen; die Struktur der Materie ist Geschwindigkeit, ähnlich wie der Anfang der Zeit… etc.

Whiteheads metaphysisches Prozessdenken ist hier mehr als gefragt. (Nicht von ungefähr ist Whitehead Leschs „Lieblingsphilosoph“)

B. Stein sagt: „… Aber auch diese behaupten, das Universum sei in einem raumzeitlichen Kontext entstanden, obwohl es bei der sogenannten Entstehung des Universums Raum und Zeit noch gar nicht gab. Irren ist immer und überall.“
Wenn, wie der Physiker sagt, es bei der Entstehung/Expansion des Universums Raum und Zeit noch gar nicht gab – wie jetzt: meint er Raum und Zeit als ein Nach-Kantisches/Nach-Newtonsches ‚RaumZeitGefäß‘, in das sich das Universum hätte ergießen sollen/können? – dann kann vernünftigerweise angenommen werden, dass erst durch und nur mit der aktiven Ausbreitung des Universums die RaumZeit entstand/entstehen konnte, nicht wahr?
Da, wo nichts geschieht/sich nichts ereignet (s. „Scharzes Loch“?) gibt es auch keine Zeit, oder? (Echte Frage M.R.)

etc.

Halten wir den Blick in das Dunkel unseres Nicht-Wissens aus und erfreuen uns zwischendurch an neuen kühnen Sichtweisen – diesmal an Dirks origineller, geistreicher Einleitung zu einer strukturierten Geschichte der Zeit.

Danke, Dirk! Großartiger Impuls. Bin hoch gespannt auf die ganze Veröffentlichung!
Gruß aus Berlin

maria reinecke
1 Jahr zuvor

@Philo Sophies

Nachbesinnung:

… Eine Ouvertüre wird gespielt, Leitmotive, rhythmische Strukturen blitzen auf, sollen einstimmen, neugierig machen, Hinweise geben auf das Werk, das hinter dem geschlossenen Vorhang wartet – da stehen bereits einige Zuschauer auf, gereizt überzeugt, dass es damit nichts werden könne, widerspräche es doch allem, was sie je gehört hätten…

Verzeihen Sie, so ähnlich kommt es mir hier mit Dirks Einleitung vor. Er wagt einen eigenen Blick auf Jahrtausende alte Meta-Hut-Fragen, versucht, gewissenhaft neue, weiterführende Denkansätze zu finden, gewährt uns kurz, kompakt Einblick in sein kühnes Vorhaben, und niemand kommt auf die Idee, ernsthaft nachzufragen, was er denn mit jenen längst bekannten, ausgelutschten Begrifflichkeiten meine wie Relata, Prozess, Materie, Ereignisse, Subjektivität, Objektivität etc. und was daran neu und anders sein solle…

Das macht irgendwie traurig – nachdenklich. Besonders auf dem Hintergrund der Jahrtausendfrage: Was tun angesichts der drängenden globalen Probleme der ‚Menschheit‘ und nicht nur der? Wolfgang Stegmüller spricht bereits 1987 von der „semantischen Verschmutzung der geistigen Umwelt“ und von der „physischen Umweltverschmutzung“, die nicht voneinander zu trennen sind. Dass es eines radikalen Umdenkens bedarf, darin sind sich viele einig, aber dafür gibt es kein vorgefertigtes, festes Wissen, nur ‚hypothetisches Raten‘ und ehrliches rationales Bemühen auf Meta-Ebene. Wer soll/kann das leisten?

Hier die „blöden Philosophen“ mit ihren abgehobenen, ins Leere laufenden Wortgefechten im philosophischen Gestrüpp. Statt dass sie sich besser wieder für die Naturwissenschaft interessieren, Ursprung allen philosophischen Nachdenkens.

Dort die ‚Scheuklappen-Naturwissenschaftler‘, die unbeirrt auf ihre ‚Materiepartikelchen‘ setzen. Statt dass sie sich besser auch mit fernstehenden ‚exotischen‘ Gedanken auseinandersetzen; denn sie sollten nicht vergessen, dass die großen Umwälzungen in der Menschheitsgeschichte „…bisher ihren geistigen Ursprung niemals in naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern nur in philosophischen und ‚geisteswissenschaftlichen‘ Hypothesen und Spekulationen gehabt (haben).“ (Wolfgang Stegmüller, Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie, 1987)

Kritik und Polemik führen indes nicht weiter. Was von rationaler philosophischer Seite nottäte, wäre der Versuch, in den Menschen eine Art kosmisches Bewusstsein zu entwickeln, verbunden mit der rationalen Fähigkeit, sich von wissenschaftlichen Einsichten/Erkenntnissen und pragmatischen Überlegungen leiten zu lassen, statt sich esoterischen Heilsversprechen hinzugeben etc…

Das hat der Mathematiker, Naturwissenschaftler UND Philosoph A.N. Whitehead versucht mit einer neuen induktiv-spekulativen prozessmetaphysischen Sichtweise auf Mensch, Natur, Kosmos: der neuen Kosmologie des XX. Jahrhunderts, aktueller denn je; eine beachtenswerte Option.

Was kann uns Besseres passieren, als dass jemand die Mammutaufgabe übernimmt und versucht, uns Whiteheads Gedankenschema ein wenig näher zu bringen!

Hören wir die ganze Oper, Szene für Szene, Akt für Akt!

Philo Sophies
1 Jahr zuvor
Reply to  maria reinecke

Liebe Maria,

vielen Dank für Deine bemerkenswerten Kommentare hinsichtlich der Whiteheadschen Prozessphilosophie auf meiner Seite.

Ich wollte Dein „Programmheft“ für eine „Neue Oper“ nur ergänzen ohne die „verborgenen Abgründe des Unwissens“ hiermit zu überschreiten ;-).

Sicherlich ist der erste Blick in dieses „Programmheft“ ein Blick auf die „Jahrtausende alte Meta-Hut-Frage“ und natürlich sind es mal wieder die „längst bekannten, ausgelutschten Begrifflichkeiten wie Relata, Prozess, Materie, Ereignisse, Subjektivität, Objektivität“. Was denn sonst? Weil sich an dem „Schwanengesang“ aus dem „Schwanensee“ bis zum heutigen Tage nicht wirklich etwas geändert hat.

Es wird immer nur auf die einzelnen Begriffe im „Vortrag“ geachtet, ohne die „Musikalität“ des Gesamtstücks in Erwägung zu ziehen. Klar müssen für eine „Neue Metaphysik“ der „Begriffsapparat“ erstmal genau definiert werden. Aber selbst das scheitert schon an den „Hörgewohnheiten“ oder „Vorlieben“ des Publikums. Wenn zum Beispiel ganz einfach von „Subjekten“ oder „Objekten“ die Rede ist, klappt schon ein ganzes Konnotationsspektrum mit allerlei Sinnfeldern bei dem Auditorium auf. Das wäre vielleicht ein Beispiel für die von Dir genannte „semantische Verschmutzung der geistigen Umwelt“ (Stegmüller). Ich befürchte die Begriffe „Tisch“ oder „Stuhl“ sind dann doch ein wenig eindeutiger ;-).

Deshalb finde ich auch Deinen Verweis auf die „blöden Philosophen“ mit ihren abgehobenen, ins Leere laufenden Wortgefechten im philosophischen Gestrüpp. Statt dass sie sich besser wieder für die Naturwissenschaft interessieren, Ursprung allen philosophischen Nachdenkens.“ und die „Scheuklappen-Naturwissenschaftler‘, die unbeirrt auf ihre ‚Materiepartikelchen‘ setzen. absolut berechtigt und zielführend, da es da Grundproblem der fehlenden Kommunikationsbasis oder besser gesagt der Verständigung auf eine „Meta-Theorie“ für beide Diszplinen anspricht. Das wäre so, um in der Analogie zu bleiben, als ob man eine Oper nur auf der Basis der Texte oder der Musik lesen oder hören würde. Das macht keinen Sinn. Ich denke schon, dass beide Ansätze zusammen gehören.

Mein Ansatz hat auch nie die Hybris vertreten diese „große Komposition“ hinzubekommen. Ich möchte hier nur Impulse für eine „strukturenrealistische Prozessphilosophie“ setzen, weil ich dies für weiterführend für mancherlei Probleme erachte. Mehr kann ich auch nicht leisten: „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan.“ (Ohtello, o.K. nicht ganz PC 😉

Liebe Grüße
Dirk

Dirk Freyling
1 Jahr zuvor

Nachdem ich hier Kommentare und Erwiderungen dieser gelesen habe, möchte ich fragmentarisch auf Folgendes hinweisen.

Ein Experiment braucht zu seiner Konzeption meist eine konkrete Fragestellung. Ist die Fragestellung das Ergebnis eines mathematischen Formalismus, so ist das Versuchsergebnis entsprechend theoriebeladen. Wenn dann noch die messbaren Ergebnisse vorselektiert und nur indirekt mit den postulierten Theorieobjekten „verbunden“ sind, ist der Interpretations-Beliebigkeit nichts mehr entgegenzusetzen.

Ohne mathematische Vorkenntnisse erfassbare Ausnahme-Experimente

i) Insbesondere für einen kaum wechselwirkenden Fest-Körper, „banalerweise“ einen Goldklumpen, hat Zeit eine signifikant andere Bedeutung, wie beispielsweise im Vergleich für eine abgeschnittene Blume (in einer Vase). Das lässt sich ohne theoretischen Überbau beliebig oft beobachten.

ii) Es gibt ein nicht theoriebeladenes Experiment, welches ein erstaunliches Ergebnis liefert, das nicht einmal eine gewünschte Ergebnisfindung als Frage enthält. Es geht um die theoriebefreite, extrem einfache experimentelle Bestimmung von π…

Konkreter: Obwohl diese „Auffälligkeit“ seit Jahrhunderten bekannt ist, ist bis heute kein tiefer liegendes Verständnis für das Buffonsche Nadelproblem entwickelt worden. Das ist insbesondere unter dem Aspekt interessant, dass die Fragestellung der Wahrscheinlichkeit und die Konzeption des Versuches, indem „Linienobjekte“ (Nadeln) parallele Abstände „berühren“, keinen offensichtlichen Zusammenhang zum Kreis abbilden und der Versuch als solches das Ergebnis ohne eine begründete mathematische Berechnung liefert, insofern als dass man schlicht das Verhältnis von linien-berührenden Nadeln (l) zur Gesamtanzahl (n) der im Versuch „geworfenen“ Nadeln (n) ausdrückt: l/n ≈ 2/π. Für n → ∞ gilt: l/n = 2/π.

In dem Zusammenhang:

iii) Wenn Euklid (…lebte wahrscheinlich im 3. Jahrhundert v. Chr.) noch nach plausibler Anschauung für mathematische Grundlagen suchte und somit eine interdisziplinäre Verbindung herstellte, die man als richtig oder falsch bewerten konnte, so stellt sich in der modernen Mathematik die (Phänomenologie basierende) Frage nach richtig oder falsch nicht. Euklids Definitionen sind explizit, sie verweisen auf außermathematische Objekte der „reinen Anschauung“ wie Punkte, Linien und Flächen. „Ein Punkt ist, was keine Breite hat. Eine Linie ist breitenlose Länge. Eine Fläche ist, was nur Länge und Breite hat.“ Als David Hilbert (1862 – 1943) im 20. Jahrhundert erneut die Geometrie axiomatisierte, verwendete er ausschließlich implizite Definitionen. Die Objekte der Geometrie hießen zwar weiterhin „Punkte“ und „Geraden“ doch sie waren lediglich Elemente nicht weiter explizierter Mengen. Angeblich soll Hilbert gesagt haben, dass man jederzeit anstelle von Punkten und Geraden auch von Tischen und Stühlen reden könnte, ohne dass die rein logische Beziehung zwischen diesen Objekten gestört wäre.

Daraus resultiert(e) ein mächtiges Problem: Die Verselbständigung „moderner“ mathematischer Abstraktionen führt nachweislich zu beliebigen Fantasiekonstrukten in der Theoretischen Physik. Und die damit einhergehende Einschränkung des Blickwinkels erschwert es zunehmend, wichtige Fragen nach den kausalen Zusammenhängen zu klären, ohne welche die naturwissenschaftliche Forschung selbstgenügend zur irrelevanten Tätigkeit „verkommt“.

Die jetzige, auf Mathematik basierende, realobjektbefreite Grundlagen-Physik bedarf dringend einer naturphilosophisch orientierten Reglementierung. Hier ist wieder aktuell Karl Popper zu zitieren: …“ Unsere Untersuchung lässt erkennen, dass selbst nahe liegende Zusammenhänge übersehen werden können, wenn uns immer wieder eingehämmert wird, dass das Suchen nach solchen Zusammenhängen ‘sinnlos’ sei.“ Quelle: Popper, Logik der Forschung. 9. Aufl. Mohr, Tübingen 1989, S.196 Schon Ernst Mach bemerkte: „Wer Mathematik treibt, den kann zuweilen das unbehagliche Gefühl überkommen, als ob seine Wissenschaft, ja sein Schreibstift, ihn selbst an Klugheit überträfe, ein Eindruck, dessen selbst der große Euler nach seinem Geständnisse sich nicht immer erwehren konnte.“ Quelle: Ernst Mach, Vortrag, Sitzung der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu Wien am 25. Mai 1882

iv) Wie weit sich die Standardmodellphysik von wesentlichen Fragestellungen und rational logischen Aspekten entfernt hat, verdeutlicht folgendes Beispiel.

Der Radius eines postuliert asymmetrisch substrukturierten, ladungsfragmentierten Objektes ist eine phänomenologische Unmöglichkeit. Der „prominenteste Vertreter“ ist das Proton. Da macht es auch keinen Unterschied ob dieser theoriebeladen als elektrische oder magnetische Größe definiert wird. Eine zentrale Frage der Real-Physik lautet, warum ist das Masseverhältnis von Proton zu Elektron so, wie es ist? Diese Frage ist im Rahmen des Standardmodells (SM) sinnleer. Da das Elektron im SM als elementar(-strukturlos) postuliert wird. Ein Vergleich von einem strukturlosen sprich hier Elektron mit einem postuliert substrukturierten Objekt (Proton) ist – gleichgültig wie die Substrukturierung zustande kommt und sich konkret gestaltet – „gegenstandslos“.

Die Theoretische Physikerin Sabine Hossenfelder äußerte sich zur Sinnlosigkeit des SM u.a. wie folgt im Guardian: …“Unter vier Augen geben viele Physiker zu, dass sie nicht an die Existenz der Teilchen glauben, für deren Suche sie bezahlt werden…“ …“Stellen Sie sich vor, Sie besuchen eine zoologische Konferenz. Die erste Rednerin spricht über ihr 3D-Modell einer 12-beinigen lila Spinne, die in der Arktis lebt. Sie gibt zu, dass es keine Beweise für ihre Existenz gibt, aber es ist eine überprüfbare Hypothese, und sie plädiert dafür, eine Mission auszusenden, um in der Arktis nach Spinnen zu suchen. Der zweite Redner hat ein Modell für einen fliegenden Regenwurm, der aber nur in Höhlen fliegt. Auch dafür gibt es keine Beweise, aber er plädiert dafür, die Höhlen der Welt zu durchsuchen. Der dritte Referent hat ein Modell für Kraken auf dem Mars. Es ist überprüfbar, betont er.“… „Hut ab vor den Zoologen, ich habe noch nie von einer solchen Konferenz gehört. Aber auf fast jeder Teilchenphysik-Konferenz gibt es Sitzungen wie diese, nur dass sie mehr Mathematik beinhalten…“Unter Physikern ist es üblich geworden, neue Teilchen zu erfinden, für die es keine Beweise gibt, Papiere darüber zu veröffentlichen, weitere Papiere über die Eigenschaften dieser Teilchen zu schreiben und zu verlangen, dass die Hypothese experimentell getestet wird. Viele dieser Tests sind bereits durchgeführt worden, und weitere werden gerade in Auftrag gegeben….“

Der Text zu „Eine strukturierte Geschichte der Zeit“ – „die Verfilmung einer strukturenrealistischen Prozessphilosophie“ ist randvoll mit Begriffen, die als solche nicht nur eine enorme eingekapselte Komplexität transportieren, sondern auch extrem widersprüchliche Theorien beinhalten, die alle bereits im Rahmen der eigenen, inhärenten Denkmodellpostulate widerlegt sind. Dass sagt nur keiner der SM-Protagonisten und „der Rest der Welt“ kann sich das nicht vorstellen.

Was ist zu tun? Positiv zu bemerken: Hier ist es durchaus von Vorteil, dass der „gemeine“ Philosoph nicht exemplarisch das Mantra des SM im Detail versteht und anwenden kann. Nur wie kann man Philosophen davon überzeugen, dass es sich lohnt, mal genauer hinzuschauen?

Der Flippereffekt

Siehe exemplarisch die, u.a. mittels populärwissenschaftlicher Fernsehberichte und Serien wie „Flipper“, „Volksmeinung“ über Delfine. Diese zu den Zahnwalen gehörenden Säugetiere gelten als besonders intelligent und „nett“. Tatsache ist jedoch, Delfine sind im Vergleich zu vielen anderen Tieren (wie beispielsweise Krähen) weder besonders intelligent noch sind Delfine „nett“. Delfinen fehlen Gesichtsmuskeln. Dadurch haben sie immer ein vermeintlich „lachendes Gesicht“ und sehen ständig gut gelaunt aus. Tatsache ist: Sexuelle Gewalt ist bei Delfinen an der Tagesordnung. Gruppen von Delfinmännchen verfolgen und bedrängen Delfinweibchen bis zur Erschöpfung, dann folgt die Massenvergewaltigung…

Wolfgang Stegemann
Wolfgang Stegemann
1 Jahr zuvor

Was kann eine Metatheorie überhaupt sein?
Die Aussage, Subjekt und Objekt sind nicht trennbar, ist eine erkenntnistheoretische, die Aussage Erkenntnissubjekt und Erkenntnisobjekt sind nicht trennbar, ist eine methodologische Aussage. Man kann beide nicht gleichsetzen.

Beide Aussagen widersprechen jeglicher Logik, denn
a. ist jedes handelnde Subjekt von einem (nicht handelnden) Objekt unterscheidbar
b. ebenso ein untersuchendes Subjekt von einem untersuchten Objekt.

Subjekt und Objekt existieren nur im Bereich des Lebendigen. In der unbelebten Natur von Subjekt zu sprechen, ergibt keinen Sinn.

Wenn von Metaphysik die Rede ist, muss klar sein, auf welche Dimension sie sich beziehen soll. Aus Sicht des Universums lässt sich derzeit nach den gängigen kosmologischen Modellen lediglich sagen, dass es einen Urknall gab, der den weiteren Verlauf determiniert und zu einem Wärmetod führt (oder auch nicht).

Zoomt man auf die Größenordnung von Planeten, ergeben sich aus den von oben betrachteten Indeterminismen Ursache-Wirkungszusammenhänge, die nach belebter und unbelebter Natur unterscheidbar sind.

Ein wesentlicher Unterschied ist, dass bezüglich unbelebter Natur ‚einfache‘ Kausalzusammenhänge beobachtbar sind. In der belebten Natur wird die Wirkung durch das Lebendige selbst verändert, so dass keine linearen Rückschlüsse (Reduktionen) auf einzelne Ursachen möglich sind. Der Kausalzusammenhang kehrt sich um, indem das Lebendige Ursache wird.

Ist das Thema einer Metaphysik das Lebendige (alles andere ergäbe keinen Sinn), muss dieser Unterschied zwischen belebter und unbelebter Natur berücksichtigt werden, ja es muss die Basis jeder weiteren Erörterung werden.

Eine solche Metaphysik (besser: Metatheorie) kann nicht kategorial abstrakt entwickelt werden und ebenso wenig in literaturkritischer Weise. Es kann nur in der Art einer Dialektik von Induktion und Deduktion gelingen, aus der neue Kategorien (in Anlehnung an bekannte) sowie eine neue Methodologie hervorgehen.

Endpunkt einer solche Metatheorie sollte eine pragmatische synthetische Humanwissenschaft sein, ohne aber die einzelwissenschaftlichen Perspektiven zu vermischen.

Es kann also nicht um das Hantieren mit Schlagworten gehen. Jeder einzelne Begriff muss sachlich herleitbar sein – nicht literaturkritisch, sondern inhaltlich und möglichst frei von jeder Ideologie. Die Kenntnis der (gesamten) Philosophie wird dafür vorausgesetzt, allerdings nicht als Zeuge eigener Bemühungen.

Philipp
Philipp
1 Jahr zuvor

„Ist das Thema einer Metaphysik das Lebendige (alles andere ergäbe keinen Sinn), muss dieser Unterschied zwischen belebter und unbelebter Natur berücksichtigt werden, ja es muss die Basis jeder weiteren Erörterung werden.“

Meiner Ansicht nach benötigen wir eine Ontologie (oder Metaphysik), wie ich diese Begriffe trenne möchte ich hier nicht erörtern, die auf der Biologie im weitesten Sinne aufbaut. Wir benötigen eine biologische (oder wie es Lorenz, Vollmer, etc.) nennen evolutionäre Erkenntnistheorie/Epistemologie. Das bedeutet natürlich nicht dass ich mit diesen Autoren in allen Punkten übereinstimme.

Das wird man aber den meisten Physikern, Wissenschaftlern, und Philosophen nicht verkaufen können, da für sie die Physik fundamental ist. Man beachtet nicht durch welche „Brillen“ wir die Welt eventuell beobachten bzw. überhaupt Einblicke erlangen können – bedingt durch unsere biologische Ausstattung und wiese diese mit der Welt interagiert. Ich schreibe eventuell, da wir es letztendlich auch nicht genau wissen sondern uns empirisch und philosophisch nur annähern können.

Ich behaupte allerdings: je besser wir uns als Menschen selbst verstehen, umso mehr können wir abschätzen was wir überhaupt prinzipiell wissen können und was nicht. Ganz können wir die Welt nicht verstehen, dafür gibt es viele Gründe. Aber mir scheint es manchmal dass das manche Physiker und Philosophen glauben das genau das zumindest prinzipiell möglich wäre.

Wolfgang Stegemann
Wolfgang Stegemann
1 Jahr zuvor

Ich möchte noch eine kleine Ergänzung hinzufügen:

Der Fehler vieler, wenn nicht der meisten Philosophien ist, dass der Mensch in fiktiver, idealisierter, individualisierter und abstrakter Weise vorausgesetzt wird. Diesen Menschen gibt es nicht, auch nicht als gedankliches Abstraktum. Geht man von diesem Konstrukt aus, werden alle folgenden Argumente falsch, somit auch alle entsprechenden Fragen, die auf Eigenschaften zielen.

Der Mensch muss von anfang an als evolutionäres, artspezifisches biologisches und in einer Gesellschaft lebendes Wesen verstanden werden.

Fragen, wie etwa die Kantsche Frage, was kann ich wissen, sind ohne die genannten Konkretionen sinnlos und führen in die falsche Richtung.

Die Kantsche Frage kann nur sinnvoll beantwortet werden, wenn von vornherein unter dem Aspekt von biologischer und gesellschaftlicher Gewordenheit argumentiert wird.

Es gibt also nicht den Menschen an sich, sondern apriori den biologischen und sozialen Menschen. Und dieser muss als Ausgangspunkt allen Denkens verwendet werden.

Während in der Wissenschaft Abstraktionen a posteriori möglich sind, sind sie es als Vorbedingung einer Ontologie nicht.
Die biologische Dimension des Menschen bedeutet, dass sein Verhältnis zur Welt nicht das eines Lesers zu einem Buch ist. Wir transformieren die Welt in eine neuronale Modalität und konstruieren sie damit, m.a.W. wir schreiben dieses Buch nicht nur selber, sondern stellen auch die Tinte dafür selber her.

maria reinecke
1 Jahr zuvor

@ Dirk Freyling

Zitat Dirk Freyling: „Daraus resultiert(e) ein mächtiges Problem: Die Verselbständigung „moderner“ mathematischer Abstraktionen führt nachweislich zu beliebigen Fantasiekonstrukten in der Theoretischen Physik. Und die damit einhergehende Einschränkung des Blickwinkels erschwert es zunehmend, wichtige Fragen nach den kausalen Zusammenhängen zu klären, ohne welche die naturwissenschaftliche Forschung selbstgenügend zur irrelevanten Tätigkeit „verkommt“.“

Danke für Ihren Hinweis auf die Mathematik/Geometrie, Dirk Freyling, deren Bedeutung für die Entwicklung/Geschichte des Denkens, der Philosophie und der Wissenschaft, nicht genug betont werden kann.

„…Galilei schuf Formeln, Descartes schuf Formeln, Huygens schuf Formeln, Newton schuf Formeln…“, heißt es z.B. bei dem Mathematiker Whitehead; (A.N. Whitehead, ‚Wissenschaft und moderne Welt‘, stw 753, S. 45). Ohne den mathematischen Fortschritt wären die wissenschaftlichen Entwicklungen des 17. Jahrhunderts unmöglich gewesen.

Whitehead geht grundsätzlich davon aus, dass die Mathematik den Hintergrund liefert für das Denken und Streben, mit dem die Wissenschaftler an die Beobachtung der Natur herangehen und dass die „Vorherrschaft der Idee einer Funktionalität in der abstrakten Sphäre der Mathematik auch in der Ordnung der Natur widergespiegelt…(wird)“ und so zu mathematisch formulierten Naturgesetzen werden kann/konnte. (Whitehead, a.a.O. S.45)

Mathematik vollzieht sich in einem Bereich vollständiger Abstraktion von irgendeinem Einzelfall, den sie jeweils zum Gegenstand hat; die Gewissheit der Mathematik beruht auf dieser völligen abstrakten Allgemeinheit. Das Problem ist nur: wir wissen nicht a priori, „ob unsere Überzeugung gilt, dass die beobachteten Einzelwesen in dem konkreten Universum einen Einzelfall dessen bilden, was unter unsere allgemeine Schlussfolgerung fällt…“ (A.N. Whitehead, a.a.O, S. 35)
Hier könnte das Einfallstor zu Ihrer Kritik sein.

Gleichzeitig gibt der Mathematiker und Naturwissenschaftler UND Philosoph Whitehead zu bedenken:

„Soll die Wissenschaft nicht zu einem Mischmasch von ad-hoc Hypothesen verkommen, dann muss sie philosophisch werden und in eine tiefgreifende Kritik ihrer eigenen Grundlagen eintreten…“ (Whitehead a.a.O. S.29)

Vielleicht können wir sagen, dass eine der vornehmsten Aufgabe der Philosophie sein sollte, die verschiedenen Abstraktionen des methodologischen Denkens in Einklang zu bringen. Denken ist nun einmal abstrakt, aber wenn das Denken nichts anderes mehr duldet als die Verwendung von Abstraktionen, gerät es in Schieflage; selbst wenn im Gegenzug auf die konkrete Erfahrung durch leidenschaftslose Beobachtung mit Hilfe der fünf Sinne zurückgegriffen wird, bleibt eine Schieflage: denn Beobachtung ist Auswahl, und die konkreten Erfahrungen beziehen sich dann nur auf Aspekte, die innerhalb eines begrenzten Schemas liegen; d.h. je erfolgreicher, weitreichender das Abstraktionsschema ist, umso schwerer ist es zu überschreiten…

Eine Alternative könnte sein: die verschiedenen Abstraktionsschemata zu vergleichen, sind sie doch in unseren vielfältigsten Erfahrungen bereits wohlbegründet; ein solcher Vergleich würde formal den Gebrauch der umfassenderen ‚Vernunft‘ erfordern. Vernunft als das grundlegende Vertrauen, ja ‚Glaube‘:
dass sich die Dinge ihrer innersten Natur nach in Einklang befinden, der bloße Willkür ausschließt;
dass die Naturordnung das Wachsen der Wissenschaft überhaupt erst ermöglicht – eine Überzeugung, die durch keine induktive Verallgemeinerung gerechtfertigt ist, die vielmehr aus unserer eigenen direkten Einsicht in die Natur der Dinge entspringt, wie sie sich in unserer unmittelbaren Erfahrung darstellt.

etc.

Zur Physik der Quantentheorie:
Das logisch-wissenschaftstheoretische Problem der Existenzfrage von letzten theoretischen Entitäten wie Quarks, Neutrinos & Co oder der Feldtheorien (einer Art Synthese zwischen Atomistik und Kontinuumstheorie) kann möglicherweise nicht endgültig geklärt/gelöst werden – schwierig zu akzeptieren in unserer wissenschaftsgläubigen Zeit. Aber „woher wissen wir, dass uns nicht letzten Endes auch das mathematische Abstraktionsvermögen im Stich lassen wird?“…und „…dass am Ende der Elementarteilchenforschung das große Schweigen stehen wird. Eine Tragödie wäre dies nicht. Der Treppenwitz des 20. Jahrhunderts zumindest wäre dann sogar perfekt.“ (Wolfgang Stegmüller, Hauptströmungen der Gegenwarts-Philosophie, Kröner)

p.s.
Zum Video der Theoretischen Physikerin Sabine Hossenfelder ‚Sinnlosigkeit des Standard Modells‘:
Dass/ob/inwieweit das SM sinnlos ist, dazu kann ich als ganz „gemeine“ Philosophin und Nicht-Naturwissenschaftlerin natürlich nichts sagen; Hossenfelders Kritik an der höchst fragwürdigen Vergabe/Verschwendung von Fördergeldern an Forschungsprojekte dagegen kann ich gut nachvollziehen und wird ja auch vielseits beklagt. Spätestens jedoch nach 5 Minuten des Filmchens hatte Frau Hossenfelder diesbezüglich alles gesagt, aber sie hörte und hörte nicht auf, bis sie am Ende wohl zum eigentlichen Punkt kam: zu ihrer Werbung für die eigenen, zur Aufklärung unbedingt notwendigen Physik-‚Nachhilfe‘-Kurse (mit 20% Rabatt!) – explizit gegen die vermeintlich unsinnigen Fantasiekonstrukte in der herrschenden Theoretischen Physik… Seriös ist m.E. anders.

Vielen Dank.
Gruß aus Berlin.

Dirk Freyling
1 Jahr zuvor

Antworten bezüglich Maria Reineckes Kommentarausführungen zu Sabine Hossenfelder.

Vorab möchte ich erwähnen, dass ich das ursprüngliche Haupt-Thema: ZEIT von Dirk Boucsein nicht vergessen habe. Es ist jedoch so, dass sich vieles zum Zeitbegriff aus physikalischer Sicht komplett anders darstellt, wenn man die etablierten Alleinstellungsgrundlagen zur Zeit der Standardmodelle argumentativ aufgelöst hat. Ich habe mir überlegt, dass ich hier zum (Philosophen-)Verständnis einige Begrifflichkeiten aus ontologischer Sicht zumindest im Ansatz erörtere, die formal-physikalisch eng mit dem Zeitbegriff verknüpft sind.

Siehe konkret das Planck’sche Wirkungsquantum. Betrachten wir das Planck’sche Wirkungsquantum h als kleinste skalare Wirkung, so hat diese Wirkung die Dimension Energie mal Zeit. Diese Aussage ist nicht trivial, da das Planck’sche Wirkungsquantum auch dem axialen Drehimpulsvektor entsprechen könnte.

Die phänomenologische Bedeutung des Planck’schen Wirkungsquantums ist nicht wirklich geklärt. Tatsache ist, dass die Unteilbarkeit des Wirkungsquantums seit über hundert Jahren bis zum heutigen Tage noch nie begründet wurde. Max Planck hat sie nicht begründet, weil er das Wirkungsquantum für eine elementare mathematische Größe hielt, deren „Notwendigkeit“ aus der Theorie folgte. Einstein hielt eine Begründung nicht für notwendig, weil er an Plancks „Deduktion“ glaubte. Er verschob die Bedeutung des Wirkungsquantums, indem er die mathematische Größe als eine physikalische Größe interpretierte.

Zur prominenten Physikerin

Frau Hossenfelder existiert – aus meiner Sicht – in einem selbstgewählten Dilemma, da sie einerseits ausgewählte Aspekte der Systemphysik kritisiert und auf der anderen Seite genau diese Systemphysik alternativlos betreibt und von dieser sprichwörtlich lebt. Ihre Artikel auf arXiv.org reihen sich ein in die Masse ähnlicher arXiv-Artikel. Des Weiteren hat Frau Hossenfelder einen generellen Hang zur Selbstdarstellung, wie ihre Musik-youtube-Videos in denen sie singt, siehe exemplarisch »Trostpreis« zeigen. Sie möchte um jeden „Preis gesehen werden“. Ihre Egozentrik überschattet ihre analytischen Fähigkeiten, wie ich konkret am Ende des Kommentares ausführen werde.

Frau Hossenfelder ist sozusagen in ihren Meinungen zu den Aussagen der Standardmodelle „gespalten“. Mal findet sie die Aussagen falsch und nichts sagend, dann wieder sind diverse Probleme nicht der Rede wert. Grundsätzlich gilt (für sie), dass, was sie denkt, ist richtig. Das zu jeder Meinung Gegner und Befürworter existieren, ist ja nichts Neues. Aus wissenschaftlicher und erkenntnistheoretischer Sicht sind jedoch subjektive Meinungen über physikalische Zusammenhänge kategorisch abzulehnen, da letztendlich eine realphysikorientierte Beschreibung stets in Einklang mit der Beobachtung stehen muß und eine Meinung mit dieser Wissens-Normforderung kohärent ist oder nicht. Plakativ formuliert: Frau Hossenfelder betreibt und glaubt an Quantengravitation, wie es ihr passt, was ihr nicht passt, wird mitunter grobsprachlich niedergemacht. Siehe ihre Blog-Artikel und Erwiderungskommentare. Wobei sie mittlerweile nur noch Kommentare im Zusammenhang mit ihren youtube-Videos zulässt.

Bemerkenswert ist die Art und Weise wie Frau Hossenfelder ihre Kollegen einschätzt. Sie schreibt beispielsweise in einem Erwiderungs-Kommentar zu ihrem Blogartikel „CERN produces marketing video for new collider and it’s full of lies“ am 7.Dezember 2018 [7.28 AM] u.a. “A video about a new scientific instrument whose funding is being discussed should leave the watcher with a reasonable impression what the instrument will do…”Of course the physicists watching this see nothing wrong with this. Because they know it’s bullshit. And they have gotten used to this bullshit, so they think it’s just business as usual. The moral corruption that has happened here is remarkable.

Was man Frau Hossenfelder zu Gute halten muß, ist ihre klare Sprache. Sie nennt die Dinge beim Namen. Siehe exemplarisch den Artikel von Kurt Marti (Publikation Infosperber) aus August 2018 »Teilchenphysik: Eine Physikerin spricht Klartext.«

Wie man ihrem aktuellen youtube-Video : What’s Going Wrong in Particle Physics? (This is why I lost faith in science), veröffentlicht am 11.02.2023 mit ~ 773.000 (!!!) Aufrufen (Stand 24.02.2023), entnehmen kann, trägt sie massiv zum »Flipper-Effekt« bei. (Begriff, siehe mein Kommentar vom 19.Februar 2023) Sie sagt explizit in diesem Video, dass das SM (bis zu einem von ihr gewählten Zeitpunkt) sehr gut funktionierte. Das ist schlicht unwahr. Sehr problematisch daran ist, dass sie das bis ins Detail weiß. Hier beginnt es aus physikalischer und u.a. epistemologischer Sicht „sehr unappetitlich“ zu werden. Sie weiß schon lange, dass sie keine Alternative, weder zum SM noch zum Standardmodell der Kosmologie (ЛCDM), entwickelt hat und auch nicht entwickeln kann. Ihre Konsequenz: Sie kritisiert zu recht die aktuellen Bemühungen zu den massiven Problemen und Inkonsistenzen der Modelle, behält diese jedoch grundsätzlich bei, denn die notwendige rigorose Benennung der Kernprobleme machen sie letztendlich als Kritikerin arbeitslos und als Egozentrikerin in der öffentlichen Wahrnehmung bedeutungslos(er).

Übrigens: Dieses Phänomen beobachtet man auch bei so genannten »Alternativen Medien«, viele haben ihre Regierungs- und Gesellschaftskritik zum Geschäftsmodell hin entwickelt. Täglich benennen sie zwar Mißstände und Irrationalitäten aller Art der Herrschenden und Einflussnehmenden, doch sie belassen es dabei, kritische Worte zu formulieren. Ihr Geschäftsmodell-Widerstand verpufft in „hauseigenen“ Kommentarfeld-Blasen, die von einer überschaubaren Anzahl von Wiederholungsschreibern täglich gefüllt werden.

Frau Hossenfelder bedient sich, wenn nötig, auch massiv der Informationskontrolle, indem sie bestimmte informative Kommentare erst gar nicht veröffentlicht oder nachträglich löscht, wie ich wiederholt aus eigener Erfahrung berichten kann. In dem Zusammenhang existiert ein Denkmodell-Knock-Out-Ergebnis im Rahmen des SM, welches von den Gestaltern selbst sowohl theoretisch als auch experimentell initiiert und wiederholt durchgeführt wurde. Mit diesem Ergebnis scheitert das Standardmodell der Elementarteilchenphysik im Rahmen der eigenen Postulate und Experimente final. Dass das auch ein (Wieder-)Einstieg für Philosophen sein kann, dem leidigen Thema der gegenstandslosen Modernen Physik wieder diskutierbares Leben einzuhauchen, möchte ich zeitnah in einem Folge-Kommentar verdeutlichen.

Dirk Freyling
1 Jahr zuvor

Ausgangssituation

Ein Denkmodell lässt sich nur im Rahmen der denkmodellinhärenten Postulate widerlegen. Kritik von außen respektive außerhalb des Denkmodells mag argumentativ nachvollziehbar und plausibel sein, reicht aber meist nicht aus, um das Denkmodell als solches zwingend zu widerlegen. Im Folgenden scheitert das Denkmodell (SM) an den eigenen Forderungen und Versuchsergebnissen.

Wie versprochen, (früher) Anfang und (spätes) Ende des Standardmodells der Teilchenphysik

Quarks sind keine Fermionen – Der nicht vorhandene Spin der Quarks und Gluonen

Ich möchte und „muß“ den Sachverhalt an dieser Stelle glücklicherweise nicht im Detail fachlich vertiefen, da es sich sprichwörtlich leicht aufzeigen lässt, dass sich aus übergeordnet rational logischen Gründen, die SM-These: Das denkmodell-postulierte Quarks Fermionen sind sprich einen halbzahligen Spinwert besitzen, eindeutig im Rahmen des SM widerlegt ist, da entsprechende Standardmodell induzierte Versuche existieren, die das aussagen und die Folge-Argumentationen der Denkmodellbauer das Schicksal des SM inhärent selbst besiegeln.

Wir haben eine konkrete Situation vorliegen, die äußerst schwer zu „verkraften“ ist. Psychologisch erst einmal nahezu unlösbar, weil sich niemand vorstellen kann, dass eine tragende Hypothese eines über Jahrzehnte etablierten Denkmodells nachweislich falsch ist und als solche nie korrigiert wurde. Zigtausende, gut ausgebildete Wissenschaftler über mehrere Generationen leben und arbeiten mit einer gravierenden Falschaussage? Insbesondere Laien aber auch Physiker, die nicht mit dem Formalismus des SM vertraut sind, können sich schlicht nicht vorstellen, dass dies möglich ist. Man unterstellt dem kritischen Betrachter, der auf die nachweisbaren Zusammenhänge aufmerksam macht, dass dieser etwas übersehen hat, emotional begünstigt durch den Umstand, dass man ja selbst nicht über die nötige mathematisch-formale Sachkenntnis verfügt. Das sind äußerst schwierige Randbedingungen aus Sicht realitätssuchender Aufklärer. Und doch…

Ich möchte diesen historischen Moment etwas spannender gestalten und erst einmal Klaus Gebler zu den menschlichen Aspekten der SM-Katastrophe zitieren:

…“Auf dem Gipfel der Macht und der Anerkennung werden Menschen plötzlich gesprächig, kokettieren mit ihren Tricks und kleinen Mogeleien, spötteln über Ethik und Moral und brüsten sich ihrer Fähigkeit, ein ganz spezielles persönliches Interesse mit Hilfe von Manipulation und geschickter Propaganda durchgesetzt zu haben. Manche Vermutung über das wahre Wesen eines erfolgreichen Menschen findet durch derart eitle Selbstenthüllung ihre Bestätigung, vermag aber keineswegs die Machtposition des Menschen zu erschüttern. Etabliert ist etabliert.“ Quelle: Als der Urknall Mode war Erinnerungen an ein kurioses Weltmodell, 2005

Realität vs. Theorie – Das Ende des SM – kurz und aus analytischer Sicht ein »no brainer«

Die erste Annahme war, bedingt durch die theoretischen Vorgaben Mitte der 1960er Jahre, dass im Bild des SM der postulierte Protonenspin sich zu 100% aus den Spinanteilen der Quarks zusammensetzt. Diese Annahme wurde 1988 bei den EMC-Experimenten nicht bestätigt. Ganz im Gegenteil, es wurden sehr viel kleinere, sogar mit Null verträgliche Anteile gemessen (∆∑ = 0.12 ± 0.17 European Muon Collaboration). Die Quark-These von fermionischen Spin-½-Teilchen wurde experimentell nicht bestätigt. Hier hätte man aus wissenschaftlicher Sicht die „Quark-Idee“ – experimentell basierend – argumentativ überprüfen müssen. Man kann diesen verpassten (möglichen) Wendepunkt gar nicht genug „strapazieren“.

Dass dies nicht geschah ist psychologisch insofern leicht verständlich, da das SM Ende der 1980er Jahre bereits mehr als 20 Jahre existierte. Zum Verständnis: Das in den sechziger Jahren von Richard Feynman entwickelte Quark-Parton-Modell (QPM) beschreibt Nukleonen als Zusammensetzung grundlegender punktförmiger Bauteile, die Feynman Partonen nannte. Diese Bauteile wurden daraufhin mit den wenige Jahre zuvor gleichzeitig von Gell-Mann und Zweig postulierten Quarks identifiziert. Man hoffte also Ende der 1980er Jahre darauf, dass es zukünftig Experimente geben wird, die den halbzahligen Spin der Quarks bestätigen. Eine Abkehr von der Hypothese das Quarks Fermionen sind, wäre zu diesem Zeitpunkt bereits das Ende des SM gewesen.

Wie auch immer, weitere Versuche bestätigten, dass sich keine intrinsischen Spinanteile der Quarks nachweisen ließen. Bedeutet: Mehrere Jahrzehnte Mono-Denkmodellforschung war unbrauchbar.

Dann „passierte“ etwas phänomenologisch „Merkwürdiges“. Die SM-Protagonisten brachten neue Theorieelemente ins Spiel. Merkwürdig in dem Sinne, dass mit dieser Idee Quarks als Träger eines intrinsischen Spinbeitrages bei genauer Sicht bereits gedanklich abgeschafft wurden!!!

Spielen wir der Form halber kurz mit, in diesen überflüssigen, sinnleeren Gedanken-Experimenten

Zur großen Überraschung stellt(e) sich experimentell heraus, dass auch die Annahme, dass die ins Leben gerufenen Gluonen zum Protonenspin beitragen, nicht das gewünschte Ergebnis lieferten. Bedeutet: Auch Quarks in Kombination mit Gluonen ergeben nicht den Protonenspin. In der dritten Theorie-Fassung sollen Quarks, Gluonen und deren dynamisch-relativistische Bahndrehimpulse (was diese auch immer bei postuliert dimensionslosen Theorieobjekten darstellen sollen) im Ergebnis „fein säuberlich“ den Protonenspin ausmachen.

Bei genauer Betrachtung besitzt diese 2. Nachkorrektur den „Vorteil“, dass das Ergebnis im Rahmen der Gitter-Eichfeld-Theorie und Konstrukten, wie „Pionenwolken“, rein algorithmisch in Großrechner-Anlagen „errechnet“ wird und aus Sicht der SM-Gläubigen nicht falsifiziert werden kann. Es wird also solange „kombiniert“, bis das gewünschte Ergebnis iterativ vorliegt.

Aber hier kommt das riesengroße, übermächtige, logisch rational begründete sowie SM-Theorieobjekt inhärente ABER: Diese Maßnahmen rechtfertigten offensichtlich keine Klassifizierung der Quarks als Fermionen. Denn egal wie konstruiert das asymmetrische Ensemble aus nicht beobachtbaren postulierten Theorieobjekten und Wechselwirkungen auch immer annonciert wird, die Quarks selbst werden dadurch nicht zu Spin-½-Teilchen-Entitäten.

Das ist in einer leichter verständlichen Analogie so, als ob man Vögel die von denen man noch nicht wusste, dass sie nicht fliegen können (beispielsweise Kasuare oder Nandus), früh die („intrinsische“) Eigenschaft des Fliegens angedichtet hatte, weil es zum Denkmodell der Vogeltheoretiker passen sollte. Doch die „Dinger“ woll(t)en wiederholt nachweislich einfach nicht (von selbst) fliegen. Da man aber daran festhalten musste, dass alle Vögel fliegen können, sonst wäre das Denkmodell unbrauchbar, setzte man die Vögel letztendlich in ein Flugzeug und behauptete fortan, sie könnten im Ergebnis fliegen. Dieser offensichtliche, lächerliche (Selbst-)Betrug dürfte auch ohne ornithologische Spezialkenntnisse verständlich sein.

Fazit: Unfassbar aber wahr, das SM war respektive ist eine Totgeburt. Das SM hat sich selbst entsorgt. Dieser Umstand ist vieles u.a. unglaublich skandalös und extrem peinlich für die Protagonisten des SM,… und dass das (auch) jeden leidenschaftlichen Philosophen motivieren sollte, diese Erkenntnisse publik zu machen. Gemäß dem Credo: Wissen ist ein Privileg. Die Weitergabe eine Pflicht. Es bringt die Philosophie, die seit 100 Jahren außen vor war, wieder ins Spiel der Erkenntnissuche.

Bernd-Jürgen Dr.Stein
Bernd-Jürgen Dr.Stein
1 Jahr zuvor

Lieber Herr Freyling,
ich verstehe nicht warum Sie sich über das Standardmodell so aufregen. Wenn der Spin des Protons sich nicht aus den Spins seiner Bestandteile ergibt, dann wird dadurch doch nicht das Standardmodell in Frage gestellt. Zuerst ist doch zu fragen, was ist überhaupt der Spin, können Sie uns das einmal – über das Formale hinaus – sagen? Und warum soll das Proton aus bestimmten Quantenobjekten zusammengesetzt sein. Ein verschränktes System lässt sich nicht auf Einzelteile mit bestimmten Eigenschaften reduzieren. Die Einzelteile verschränkter Systeme sind bekanntlich hinsichtlich ihrer Eigenschaften unbestimmt – sie sind in einem unbestimmten Zustand! Das müsste Ihnen doch bekannt sein. Sie können das Proton nicht auf auf ein System bestehend aus quasiklassischen Teilchen reduzieren, die definierte Eigenschaften haben, dieser Ansatz ist falsch. Das Standardmodell kann man von vielen Seiten kritisieren, aber es ist nur ein Modell, wie nah es an der Wirklichkeit ist, kann keiner sagen. Also Spin hin und her – so what? Sie verhalten sich wie die Physiker, die Sie verurteilen: Sie befleißigen sich bei Ihrer massiven Kritik an der theoretischen Physik einer Radikalität, die nicht angemessen ist. Bitte lassen Sie doch die Kirche im Dorf.
Es grüßt Sie herzlich
Bernd Stein

Bernd-Jürgen Dr.Stein
Bernd-Jürgen Dr.Stein
1 Jahr zuvor

Hallo Philip,
nochmal ein kurze Bemerkung zu Deiner Replik, ich kann Dir nur zustimmen, wenn Du dich darüber beklagst, dass die hier versammelten Gesprächspartner, die eines und dasselbe von verschiedenen Standpunkten aus sehen, im Grunde oftmals aneinander vorbeireden. Warum? Nicht weil Sie verschiedene Meinungen haben, sondern weil sie die gleichen Begriffe auf verschiedene Weise anwenden. Wenn beispielsweise der grundlegende Begriff Struktur in der Biologie eine andere Bedeutung hat, als in der Physik, dann muss dies vor dem Gespräch geklärt werden. So ist es auch mit anderen Begriffen, wie Prozess, Zeitpunkt, usw. Ich meine, ein paar Worte dazu müssten genügen, keine langen Abhandlungen. Können wir ja beim nächsten Mal so handhaben.
Grüße Bernd

Dirk Freyling
1 Jahr zuvor

Herr Stein,

ich rege mich nicht über das Standardmodell auf. Ich habe im Rahmen analytischer Betrachtungen generell keine nennenswerten Emotionen.

„Wenn der Spin des Protons sich nicht aus den Spins seiner Bestandteile ergibt, dann wird dadurch doch nicht das Standardmodell in Frage gestellt.“

Sie haben die Bedeutung der fehlenden intrinsischen Entitätseigenschaften der besagten Theorieobjekte im Rahmen der Postulate, Implikationen und Wechselwirkungen des SM nicht verstanden. Alles Weitere in Ihrem Kommentar ist somit aus physikalischer Sicht am Thema vorbei erwähnt. Übrigens, Ihre Bemerkung: „Das müsste Ihnen doch bekannt sein.“ erinnert mich an Fernsehdiskussionen, in denen solche und ähnliche Phrasen Verwendung finden. Meine schmerzbefreite Reaktion: Ich springe nicht über (solche) Stöckchen.

Wie auch immer, Ihre jüngsten Email-Nachrichten an mich, unterstreichen Ihr emotionales Engagement. Sowas kenne ich zu Genüge von Metaphysikern, zu denen Sie sich nach eigenen Angaben ja zählen. Vorschlag: Veröffentlichen Sie die diesbezügliche E-Mail-Kommunikation Ihrerseits mit mir und meine Erwiderungen dazu zur Kenntnisnahme für alle Leser und Kommentatoren. Dann kann sich jeder ein eigenes Bild davon machen, worum es Ihnen eigentlich geht.

Bernd-Jürgen Dr.Stein
Bernd-Jürgen Dr.Stein
1 Jahr zuvor

Hallo Dirk,

richtig, wir „hantieren mit allerlei „Begrifflichkeiten“ herum, um unsere Gedanken und Ideen anderen Menschen verständlich zu machen.“

Insofern sollte man bei metaphysischen Thesen über die Ontologie dieser Welt von Anfang an klarstellen, was man unter „Subjekt-unabhängiger Existenz“ dieser Ontologie versteht, also klarstellen, auf genau w a s wir uns mit den Grundbegriffen unserer Argumentation beziehen, auf als real angenommene Gegenstände, oder auf die von der Theorie postulierten Gegenstände, die man für Konstrukte hält, usw., aber das scheint mit kein Problem zu sein – oder doch ?
Sicher bin ich mir nicht.

Um dem ontologisch, epistemischen und semantischen Schlamassel zu entgehen, plädiere ich dafür, dass man den Anspruch, die Ontologie, von der man spricht realistisch, wahr, annähernd wahr, oder durch den Filter unseres Geistes verzerrt zu beschreiben, aufgibt, und nur den minderen Anspruch hat, eine logische und konsistente Beschreibung an sich zu geben. Das ist sozusagen eine Minimalposition, auf die man sich einigen könnte. Denn unter dieser Position haben alle Platz, der ontologische Realist, der semantische Realist, der epistemische Realist, der Konstruktivist, und alle die anderen -isten. Oder ? Es würde mich sehr interessieren, was Sie davon halten. Ob das eine Lösung ist?

Grüße Bernd

1wolfgangstegemannWolfgang Stegemann

Lieber Herr Stein,
wenn das so einfach wäre. Der semantische Realist hat einen anderen Realitätsbegriff als der Konstruktivist. Und von welcher Realität sollen wir sprechen, der Realiät an sich, die nach Kant nicht erkennbar ist und die es für mich zwar gibt, aber nicht für uns. Oder sprechen wir von der Realität für uns, die empirisch ist und durch Gedankenkonstruktionen zu theoretischer Wissenschaft und Philosophie wird. Es fängt ja schon bei erkenntnistheoretischen Fragen an.
Wenn ich z.B. sage, wir trandformieren Realität, egal, was man darunter verstehen will, in unsere neuronale Realität, so dass Realität für uns von vornherein eine spezifische Art und Weise ist, dann schließt das ja schon eine ‚objektive‘ Erkenntnis an sich aus – eine auf Augenhöhe mit dem lieben Gott (auch eine Konstruktion von uns).
Und das zieht sich dann durch jede Diskussion hindurch bis zum Sanktnimmerleinstag.

Dirk Boucsein
1 Jahr zuvor

Lieber Bernd,

wenn man schon über „Gott und die Welt“ philosophiert, würde ich gerne Dein Du sehr gerne annehmen.

Ja, ja das ist das Schöne und das Schreckliche an der Sprache, dass sie so mehrdeutig sein kann, das wäre vielleicht auch noch einmal einen Essay wert. Ich glaube aber, dass zu diesem Thema eigentlich auch schon alles gesagt worden ist. Daher lasse ich einfach mal ein paar Philosophen (besonders der alters-/sprachmüde 😉 Ludwig Wittgenstein und konstruktivistische Sprachwissenschaftler wie Paul Watzlawick zu „Sprache & Wirklichkeit“ zu Worte kommen, auch wenn die Zitate schon sehr „abgedroschen“ sind:

Ludwig Wittgenstein:

„Alles, was überhaupt gedacht werden kann, kann klar gedacht werden. Alles, was sich aussprechen lässt, lässt sich klar aussprechen.“ (Satz 4.116)

„Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ (Satz 7)

„Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.“

„Wir fühlen, dass, selbst wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind.“

„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ (Satz 5.6)

„Alle Philosophie ist Sprachkritik.“

„Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache.“

Paul Watzlawick:

„Gerade die Gemeinsamkeit der Sprache erzeugt die Illusion, dass der Partner die Wirklichkeit selbstverständlich so sehen muss, wie sie ist – das heisst, wie ich sie sehe.“´(aus: Vom Schlechten des Guten)

„Jeder meint, dass seine Wirklichkeit die wirkliche Wirklichkeit ist.“

„Wie man an die Wirklichkeit herangeht, ist für das ausschlaggebend, was man finden kann.“

„Die wichtigste Erkenntnis jedoch ist, dass es zwei Arten von Wirklichkeit gibt: 1. die Wirklichkeit experimenteller, wiederholbarer Nachweise; 2. das, was diese Tatsachen für uns bedeuten. Im Bereich der „Wirklichkeit zweiter Ordnung“ ist es absurd, darüber zu streiten, was „wirklich“ ist. Die Vermischung dieser beiden Wirklichkeitsbegriffe führt zu der Wahnidee, man müsse andere zu der eigenen „Wirklichkeit“ bekehren.“

Daher kann ich Deine „Minimalposition“ „die Ontologie, von der man spricht realistisch, wahr, annähernd wahr, oder durch den Filter unseres Geistes verzerrt zu beschreiben, aufgibt, und nur den minderen Anspruch hat, eine logische und konsistente Beschreibung an sich zu geben.“ durchaus unterstützen. Wenn ich hier noch einmal aus einem älteren Essay „Der Pardigmenwechsel“ als Beleg zitieren darf:

Die Wahrheit als Standardanalyse des Wissens

Dieser proklamierte Anspruch auf Wahrheit muss allerdings erst einmal verdient werden, damit man von einem allgemein-anerkannten Wissen sprechen kann („alternative Fakten“ gehören folglich nicht zu dieser Kategorie ;-). Die klassische Analyse, Standardanalyse des Wissens (KAW), mit deren Hilfe man von einer gerechtfertigten wahren Meinung sprechen kann, ist hinlänglich bekannt […]

Nur worin sollen denn nun diese in (iii) genannten „guten Gründe“ zur Rechtfertigung liegen? Sollen sie ontischer Natur (s. Heideggers „ontisch-ontologische Differenz„), also in den Dingen selber und ihrer vom Menschen unabhängigen Realität begründet sein, wie es der Materialismus/Physikalismus vorsieht? Oder sollen sie doch eher durch epistemologische Erkenntnis (kritischer Rationalismus) und logisch-empirische Überprüfung (logischer Empirismus), also durch die verstandesmäßige Vermittlung wirksam werden?

Kritik erfährt hierbei insbesondere die oben genannte (iii) Rechtfertigungsbedingung, auf die Hans Reichenbach (s. o. „Wiener Kreis“) den Verifikationismus begründet, um hierdurch „Anti-Metaphysik“ betreiben zu können. Bei dem Verifikationismus sollen wissenschaftlich bedeutsame Aussagen von metaphysischen Aussagen unterschieden werden, um solche Sätze, die sich nicht verifizieren lassen, als sinnlos von vornherein auszuscheiden (s. o. Poppers „Abgrenzungskriterium“).

Auf der jeweiligen, präferierten Stützkonstruktion des Wahrheitsbegriffs werden dann aber ganze, tragende Bauteile der Wissenschaftstheorie über diese Rechtfertigungsbedingung (iii) errichtet. So sieht der (naive) Realismus seine guten Gründe für den Anspruch auf Wahrheit in der postulierten Korrespondenz („Korrespondenztheorie„) oder Adäquatheit („Adäquationstheorie„) von Aussagen, die mit den Tatsachen der „objektiven Welt“ übereinstimmen sollen. Die „Bildtheorie“ geht noch einen Schritt weiter und setzt noch die „Semantische Gegebenheit“ und „Strukturgleichheit“ gemäß einer „adäquaten Abbildung“ von Aussagen über die Tatsachen oben drauf.

Dem gegenüber geht der Antirealismus eher von einer „Kohärenztheorie“ aus, die durch den semantischen oder auch strukturalen Zusammenhang (Kohärenz) von mehreren Aussagen entsteht. „Danach ist eine Aussage wahr, wenn sie Teil eines kohärenten Systems von Aussagen ist.“ (Peter Baumann: „Erkenntnistheorie“ 2006, S. 175) Hieran anknüpfend gibt es auch noch weitere Konstruktionen in Form der „Redundanztheorie“ oder auch der „Konsenstheorie“, auf die ich aber im Einzeln hier nicht eingehen werde, da sie auf demselben Fundament stehen.“

Da Du mich gefragt hast, was ich davon halte, kann ich gut Deine Vorstellung nachvollziehen und würde daher auch eher von einer Kohärenztheorie ausgehen. Aber letzendlich wissen, kann man es mit Bestimmtheit natürlich nicht.

Daher muss ich leider Wolfgang auch Recht geben, wenn er schreibt „Und von welcher Realität sollen wir sprechen, der Realiät an sich, die nach Kant nicht erkennbar ist und die es für mich zwar gibt, aber nicht für uns. […] dann schließt das ja schon eine ‚objektive‘ Erkenntnis an sich aus – eine auf Augenhöhe mit dem lieben Gott (auch eine Konstruktion von uns).“

Genau das hatte ich lustigerweise auch mit der Auflösung des „Subjekt-Objekt-Dualismus“ gemeint, was ich aber scheinbar auch nicht sprachlich kohärent transportieren konnte, sonst wären nicht so viele Missverständnisse entstanden ;-).

Und bevor sich die „Diskussion hindurch bis zum Sanktnimmerleinstag“ zieht, höre ich an dieser Stelle lieber auf ;-).

Viele Grüße
Dirk

Philo Sophies
1 Jahr zuvor

Lieber p.,

vielen Dank für Deinen sehr interessanten Kommentar und Dein bemerkenswertes Zitat.

Ich bedanke ich mich auch ausdrücklich für den Tipp mit dem Essay von F. William Lawvere „Categorical algebra for continuum micro physics“(https://github.com/mattearnshaw/lawvere/blob/master/pdfs/2001-categorical-algebra-for-continuum-micro-physics.pdf), den ich mal recherchiert habe.

Der ist für mich sehr interessant, da ich lustigerweise auch momentan an einem neuen Essay zur „Metamathematik“ oder der „Ontologie von Mathematik“ arbeite. Dein erwähnter Essay verfolgt meines Erachtens ein ähnliches Projekt zum strukturenrealistischen Formalismus, wie ihn beispielsweise Steven French verfolgt, von dem ich etwas gelesen habe.

Auf alle Fälle halte ich „die Idee von gesetzmäßigen Bewegungen als Morphismen in einer Kategorie zu klären, deren Objekte Gesetze sind der Bewegung auf Zustandsräumen und in Teil II die Entwicklung spezifischer Beziehungen zwischen Zuständen, Körpern und Partikel.“ ( F. William Lawvere, „Categorical algebra for continuummicro physics“, p. 1) für sehr zielführend, da sie sich auch mit meinem Ansatz in meinem Essay zur Zeit deckt.

Dies findet sich auch in Deinem erwähnten Zitat „the abstract time is a dialectical negation of the idea of time as the rich environment of external conditions that may influence our system, but which we can influence only negligibly.“ wieder.

Herzlichen Dank für Deinen sehr interessanten Input
und viele Grüße

Philo Sophies

José Ignacio Mansilla
José Ignacio Mansilla
1 Jahr zuvor

Hola, ¿es posible entender el „tiempo“ como una ilusión derivada del movimiento? ¡Gracias por compartir!

José Ignacio Mansilla
José Ignacio Mansilla
1 Jahr zuvor

Danke für deine Antwort! Um diese Angelegenheit besser zu verstehen, stelle ich Ihnen eine weitere Frage: Wenn die grundlegende Prämisse der Forschung darin besteht, dass Raum und Zeit zwei Seiten derselben Medaille sind, ist es unvermeidlich, basierend auf den Ergebnissen der Forschung zu theoretisieren, dass „Zeit“ Es ist konstitutiv für den Raum. Da stellt sich die Frage: Was, wenn das Gehirn den Raum nur wahrnimmt, weil es das kann und weil die Realität so ist? Angesichts dieser Annahme könnte es möglich sein zu beweisen, dass Zeit eine Illusion ist, richtig? Darüber hinaus basieren die von Dr. Northoff getroffenen Annahmen auf der aktuellen physikalischen Theorie, nämlich: „Raumzeit ist eins“. Aber die Tatsache, dass diese Theorie für die moderne theoretische Physik nützlich ist, bedeutet nicht, dass sie nützlich ist, um zu erklären, ob Zeit im Tierreich als solche wahrgenommen wird. In diesem Zusammenhang und aus diesem Grund frage ich mich, ob die Zeit eine von der Bewegung abgeleitete Illusion ist. Was denkst du darüber? Da es keine Beweise dafür gibt, dass Zeit tatsächlich existiert, aber Raum existiert, ist es auch möglich, dass die Wahrnehmung von Zeit kein physiologisches Korrelat hat. Daher die „Illusion“.
Sorry für die Länge der Antwort. Aber ich würde gerne eure Meinung dazu wissen. Danke noch einmal! Dein Blog ist großartig!

Español:

¡Gracias por su respuesta! Para entender mejor este asunto, les hago otra pregunta: si la premisa básica de la investigación es que el espacio y el tiempo son dos caras de una misma moneda resulta inevitable teorizar, con base en los resultados de la investigación, que el „tiempo“ es constitutivo del espacio. Esto plantea la pregunta: ¿Qué pasa si el cerebro solo percibe el espacio porque puede y porque la realidad es así? Dada esa suposición, podría ser posible probar que el tiempo es una ilusión, ¿verdad? Además, las suposiciones hechas por el Dr. Northoff parten de la teoría física actual, a saber: „el espacio-tiempo es uno“. Pero el hecho de que esta teoría sea útil para la física teórica moderna no significa que sea útil para explicar si el tiempo se percibe como tal en el reino animal. En este contexto y por ello me pregunto si el tiempo es una ilusión derivada del movimiento. ¿Qué piensan ustedes al respecto? Dado que no hay evidencia de que el tiempo realmente exista, pero el espacio sí, también es posible que la percepción del tiempo no tenga un correlato fisiológico. De ahí la „ilusión“.
Perdón por la extensión de la respuesta. Pero me gustaría saber su opinión al respecto. ¡Gracias de nuevo! ¡Su blog es genial!

Wolfgang Stegemann
Wolfgang Stegemann
1 Jahr zuvor

Wir machen immer denselben Fehler, indem wir unsere Phänomenologie ontologisieren, d.h. wir glauben, dass unsere aktuellen Gedanken Grundlage für ein Weltmodell sein können.
Wir müssen schon von unserer Phänomenologie abstrahieren und versuchen, Prinzipien zu finden, nach denen wir Modelle entwickeln können.
Der zweite Fehler ist, dass wir immer noch an eine objektive Wahrheit glauben, also quasi an den lieben Gott.
Wenn wir vom Urknallmodell ausgehen – ein besseres haben wir derzeit nicht – dann liegt es doch nahe, dass mit dem Aufspannen des Raumes auch die Zeit aufgespannt wurde. So gesehen sind Raum und Zeit ein und dasselbe.
Wir dürfen diese Raumzeit allerdings nicht verwechseln mit etwas völlig anderem, nämlich unserer subhjektiven Systemzeit, die letztlich nur das Wort gemeinsam hat.
Verwechselt man diese Perspektiven, entsteht Chaos im Kopf. 😉

Dirk Boucsein
1 Jahr zuvor

Estimado José Ignacio Mansilla,

muchas gracias por su pregunta.

Si he entendido bien su pregunta, usted quiere ir en la dirección de un „constructivismo biológico“, según el cual el cerebro debe construir primero la realidad, como el espacio o el tiempo.

Esta es (por desgracia) también la doctrina actual de las neurociencias cognitivas, como Gerhard Roth o Wolf Singer, pero también de la filosofía de la mente, como Thomas Metzinger y Daniel C. Dennett. Ambos campos argumentarían de forma similar a la suya aquí:

„¿Y si el cerebro sólo percibe el espacio porque puede y porque la realidad es así? Dada esta suposición, sería posible demostrar que el tiempo es una ilusión, ¿no? Yo lo describiría más bien como una forma de neurocentrismo.

„El investigador estadounidense del cerebro Antonio Damasio adopta una postura similar, llamando a esta forma de „proyección“ un „espectáculo multimedia mental“ que las neuronas del cerebro producirían al procesar las señales eléctricas de los estímulos internos y externos.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Neurozentrismus#Kritik_an_der_Verwendung_des_Begriffes)

Por supuesto, se pueden sostener tales posiciones. Lo que ocurre es que hay una necesidad constante de pruebas, ya que las pruebas de ello sencillamente no son empíricamente determinables y, en mi opinión, probablemente nunca puedan encontrarse, ya que la cuestión está mal planteada. Si se me permite exponer esto desde mi posición Estoy convencido de que el cerebro no se limita a „percibir“ la realidad, sino que ya es parte integrante de la „realidad“ y no tiene que separarse primero artificialmente de ella para luego volver a ensamblar la realidad de forma constructivista.

Correcto, „porque puede y porque la realidad es así“. Por lo tanto, no necesita una „ilusión de tiempo“ porque también está incrustada de nuevo en el tiempo („nestedness“) y no puede separarse artificialmente de él para luego dejar que vuelva a existir constructivamente. Es la incrustación espacio-temporal en el proceso lo que permite que surja algo como la conciencia y no al revés.
Si se me permite citar aquí de nuevo el TTC para mayor claridad:

„Northoff, junto con otros autores, propone una „neurociencia espacio-temporal“[6][7] y reclama un cambio de paradigma en la filosofía de la mente, sustituyendo el problema cuerpo/cerebro-mente (¿Cómo se relacionan cuerpo/cerebro y mente?) por el problema mundo-cuerpo/cerebro (¿Cuál es la relación entre mundo y cuerpo/cerebro?). […] Cuando el cerebro percibe determinados estímulos de la realidad espacial, diferentes redes nerviosas del cerebro establecen contacto espacial entre sí y se activan. Al mismo tiempo, los estímulos se integran temporalmente en el cerebro. […] Un estado mental sólo existe para él dentro de esta dinámica espaciotemporal que tiene lugar entre el cerebro y el mundo exterior. Así pues, la mente y la conciencia dependen directamente de la medida en que el cerebro y el mundo exterior se relacionan dinámicamente entre sí.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Northoff#Raum-Zeit-Neurowissenschaft_und_kopernikanische_Wende_zum_%E2%80%9EWelt-Gehirn-Problem%E2%80%9C)

A este respecto, su comentario de que „La percepción del tiempo no tiene un correlato fisiológico. Por lo tanto [una] „ilusión“ no es practicable en mi opinión, ya que la búsqueda de los „correlatos fisiológicos“ a las ideas de, por ejemplo, „tiempo“, „espacio“ o en conjunto „conciencia“ no ha sido muy útil hasta ahora, sino que siempre termina en un „callejón sin salida“, que es el materialismo o el idealismo.

Volviendo a tu pregunta „si el tiempo es una ilusión derivada del movimiento“, yo diría que „no“. Pero el tiempo está definitivamente unido al movimiento, aunque independientemente de nosotros como „observadores“. El tiempo no tiene por qué „nacer“ primero, sino que es el proceso mismo, en el que también puede desarrollarse el espacio.

Al contrario, gracias por su „larga respuesta“. Lamentablemente, mi respuesta también ha vuelto a ser „un poco“ más larga 😉 Me alegraría mucho que participaras en nuestras discusiones aquí; estás cordialmente invitado a hacerlo.

Gracias por el cumplido y
un cordial saludo

Dirk Boucsein

Lieber José Ignacio Mansilla,

gerne, vielen Dank für Ihre weitere Rückfrage.

Wenn ich Ihre weitere Nachfrage richtig verstanden habe, wollen Sie in Richtung eines „biologischen Konstruktivismus“ gehen, dass erst das Gehirn die Realität, wie z. B. den Raum oder die Zeit konstruieren muss.

Dies ist ja (leider) auch die momentane Lehrmeinung der kognitiven Neurowissenschaften, wie z. B. bei Gerhard Roth oder Wolf Singer, aber auch die Philosophie des Geistes, wie z. Thomas Metzinger und Daniel C. Dennett. Beide Lager würden hier ähnlich wie Sie argumentieren:

„Was, wenn das Gehirn den Raum nur wahrnimmt, weil es das kann und weil die Realität so ist? Angesichts dieser Annahme könnte es möglich sein zu beweisen, dass Zeit eine Illusion ist, richtig? Ich würde dies eher als eine Form des Neurozentrismus beschreiben.

„Der US-amerikanische Hirnforscher Antonio Damasio geht von einer ähnlichen Position aus und nennt diese Form der „Projektion“ eine »geistigen Multimediashow«, welche die Neuronen im Gehirn bei der Verarbeitung der elektrischen Signale der inneren und äußeren Reize erzeugen würde.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Neurozentrismus#Kritik_an_der_Verwendung_des_Begriffes)

Natürlich, kann man derlei Positionen vertreten. Man hat nur ständig eine Beweis-Notlage, da die Evidenzen hierfür empirisch einfach nicht ermittelbar sind und wahrscheinlich meines Erachtens auch nie gefunden werden können, da die Frage falsch gestellt ist. Wenn ich dies einmal aus meiner Position darstellen darf. Ich bin der Überzeugung, dass das Gehirn die Realität nicht einfach nur „wahrnimmt“, sondern bereits schon integraler Bestandteil der „Realität“ ist und nicht von dieser erst künstlich getrennt werden muss, um die Realität dann wieder konstruktivistisch zusammen zu setzen.

Richtig, „weil es das kann und weil die Realität so ist“. Daher benötigt es auch keiner „Illusion von Zeit“, da es ebenfalls wieder in der Zeit eingebettet („nestedness“) und nicht von dieser künstlich zu trennen ist, um sie dann wieder konstruktivistisch entstehen zu lassen. Die raumzeitliche Einbettung in den Prozess lässt erst so etwas wie Bewusstsein entstehen und nicht umgekehrt.
Wenn ich hier noch einmal aus der TTC zur Erläuterung zitieren darf:

„Northoff schlägt gemeinsam mit anderen Autoren eine „Raum-Zeit-Neurowissenschaft“[6][7] vor und fordert einen Paradigmenwechsel in der Philosophie des Geistes, der das Körper/Hirn-Geist-Problem (Wie hängen Körper/Gehirn und Geist zusammen?) durch das Welt-Körper/Hirn-Problem (Welche Beziehung besteht zwischen Welt und Körper/Gehirn?) ersetzen soll. […] Wenn bestimmte Reize aus der räumlichen Realität vom Gehirn wahrgenommen werden, treten unterschiedliche Nervennetzwerke im Gehirn räumlich miteinander in Kontakt und werden aktiv. Gleichzeitig werden die Reize zeitlich in das Gehirn integriert. […] Ein geistiger Zustand existiert für ihn nur innerhalb dieser raumzeitlichen Dynamik, die zwischen Gehirn und Außenwelt stattfindet. Geist und Bewusstsein sind damit direkt abhängig von dem Ausmaß, in dem Gehirn und Außenwelt dynamisch miteinander in Beziehung treten.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Northoff#Raum-Zeit-Neurowissenschaft_und_kopernikanische_Wende_zum_%E2%80%9EWelt-Gehirn-Problem%E2%80%9C)

Insofern würde Ihr Hinweis, dass „Wahrnehmung von Zeit kein physiologisches Korrelat hat. Daher [eine] „Illusion“ ist aus meiner nicht Sicht praktikabel sein, da die Suche nach den „physiologischen Korrelaten“ zu den Vorstellungen z. B. von „Zeit“, „Raum“ oder insgesamt „Bewussstsein“ bisher nicht sehr zielführend war, sondern immer in einer „Sackgasse“ endet, die entweder Materialismus oder Idealismus heißt.

Zurück zu kommen auf Ihre Frage „ob die Zeit eine von der Bewegung abgeleitete Illusion ist“, würde ich sagen „nein“. Aber die Zeit ist an bestimmt an Bewegung gekoppelt, allerdings unabhängig von uns als „Beobachter. Die Zeit muss nicht erst „entstehen“, sie ist der Prozess selber, wobei auch der Raum sich in diesem Prozess mit entfalten kann.

Im Gegenteil, vielen Dank für Ihre „lange Antwort“. Meine Antwort ist ja (leider) auch wieder „etwas“ länger geworden 😉 Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie sich an unseren Diskussionen hier beteiligen würden; Sie sind hierzu herzlich eingeladen.

Danke für das Kompliment und
mit den besten Grüßen

Dirk Boucsein

José Ignacio Mansilla
José Ignacio Mansilla
1 Jahr zuvor

Ich verstehe. Vielen Dank für die erneute Antwort. In der Tat lag ich falsch, als ich dachte, dass Dr. Northoffs Annahme bezüglich der Raumzeit die gleiche sei wie die, die von der gegenwärtigen theoretischen Physik verwendet wird. Der Grund für die Verwirrung ist, dass sie in der Definition sehr ähnlich zu sein scheinen. Nun, vom metaphysischen Standpunkt aus denke ich, dass mein Kommentar nicht falsch sein kann. Das heißt. Warum muss es eine notwendige Beziehung zwischen Raum und Zeit geben, um unser Bewusstseinsverständnis zu formen? Und wenn es ein solches Bedürfnis gibt, was rechtfertigt es? Ich weiß nicht … die Antwort auf diese Frage ist in Ihrer Darstellung des Zeitproblems nicht klar. Es tut mir leid, wenn ich darauf bestehe, aber ich möchte den Punkt klarstellen, mich in Frieden mit mir selbst zu verabschieden. einen herzlichen gruß!

Español:
Entiendo. Muchas gracias por la respuesta, nuevamente. Ciertamente, me equivoqué al pensar que el supuesto del Dr. Northoff con respecto al espacio-tiempo era el mismo que el que utilizala fisica teorica actual. la razon de la confusión es que parecen ser muy similares en su definición. ahora, desde el punto de vista metafísico, creo que mi comentario puede no ser errado. Es decir. ¿por qué tiene que haber una relación necesaria entre espacio y tiempo para modelar nuestro entendimiento de la conciencia? Y si existe esa necesidad, ¿qué la justifica? No sé… la respuesta a esa pregunta no queda clara en su exposición del problema del tiempo. Siento si molesto insistiendo, pero quiero aclarar el punto para despedirme en paz conmigo mismo. un cordial saludo!

Dirk Boucsein
1 Jahr zuvor

Estimado José Ignacio Mansilla,

con mucho gusto, también es una preocupación personal mía.
Por lo tanto, me alegro mucho de sus preguntas. Por supuesto, no sé si podré responderlas en grado suficiente, pero puedo intentarlo.

Tiene usted toda la razón. La concepción física del „espacio-tiempo“ no es absolutamente idéntica a la concepción neurofilosófica del „espacio-tiempo“.

También estoy completamente de acuerdo contigo en que „desde un punto de vista metafísico, no creo que mi comentario pueda ser erróneo“. El argumento de tu comentario tampoco es erróneo en absoluto, nunca afirmaría eso. Pero tampoco se trata de la argumentación, sino de la aplicación práctica o más bien verificabilidad de una teoría en el sentido del racionalismo crítico.

Si fuera cierto que „el tiempo es una ilusión derivada del movimiento“, al menos debería existir la posibilidad de falsarla. Sin embargo, no veo realmente esa posibilidad aquí.

Si, por otro lado, uno asume la incrustación espacio-temporal como una condición suficiente pero no inmediatamente necesaria para la conciencia, uno puede al menos probar esto en un experimento. Sin embargo, creo que la incrustación espacio-temporal es de hecho una condición necesaria, sólo que esto sería más difícil de probar en un segundo paso, ya que nosotros como sujetos de investigación no podemos, después de todo, situarnos fuera del objeto de cognición, ya que también somos un componente sistema-teórico de esta realidad espacio-temporal.

Espero haber podido darte „paz“ y responder a tus preguntas.

Saludos cordiales

Dirk Boucsein

Lieber José Ignacio Mansilla,

gerne, es ist mir ja auch ein persönliches Anliegen. Daher freue ich mich sehr über Ihre Rückfragen. Ich weiß natürlich nicht, ob ich sie in einem ausreichenden Maße beantworten kann, aber ich kann es schon einmal versuchen.

Das sehen Sie vollkommen richtig. Die physikalische Konzeption von „Raum-Zeit“ ist nicht absolut identisch mit der neurophilosophíschen Konzeption von „Raum-Zeit“.

Ich gebe Ihnen auch vollkommen Recht, dass „vom metaphysischen Standpunkt aus denke ich, dass mein Kommentar nicht falsch sein kann.“ Ihre Argumentation in Ihrem Kommentar ist auch keinesfalls falsch, das würde ich niemals behaupten. Aber es geht auch nicht um die Argumentation, sondern um die praktische Umsetzung oder besser gesagt Überprüfbarkeit einer Theorie im Sinne eines kritischen Rationalismus.

Falls es nämlich stimmen sollte, dass die „ Zeit eine von der Bewegung abgeleitete Illusion“ sei, so müsste es zumindest die Möglichkeit einer Falsifikation geben. Die Möglichkeit sehe ich hier allerdings nicht wirklich gegeben.

Wenn man andersherum die raum-zeitliche Einbettung als eine zunächst einmal als eine hinreichende, aber nicht sofort notwendige Bedingung für das Bewusstsein annimmt, kann man dies zumindest im Versuch überprüfen. Ich denke allerdings, dass die raum-zeitliche Einbettung tatsächlich eine notwendige Bedingung ist, nur wäre dies in einem zweiten Schritt schwieriger zu beweisen, da wir uns als Forschersubjekt schließlich nicht außerhalb des Erkenntnisobjektes stellen können, da wir ebenfalls systemtheoretischer Bestandteil dieser raum-zeitlichen Realität sind.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen „Frieden“ schenken und Ihre Fragen beantworten.

Herzliche Grüße
Dirk Boucsein

José Ignacio Mansilla
José Ignacio Mansilla
1 Jahr zuvor

Vielen vielen Dank! Für dieses bereichernde und anregende Gespräch. Grüße aus Chile!

Español:

Muchas, muchas gracias! Por esta conversación tan enriquecedora y estimulante. Saludos desde Chile!

Dirk Boucsein
1 Jahr zuvor

Estimado José Ignacio Mansilla,

tengo que darle las gracias. Muchas gracias por sus apasionantes e interesantes preguntas.

Estaré encantado de volver a leerle o saber de usted.

Saludos cordiales a Chile

Dirk Boucsein

maria reinecke
11 Monate zuvor

20.04.2023
@ Dirk Boucsein und @ José Ignacio Mansilla

Zunächst: Gracias, gracias für Euer feines, fruchtbares Zeitgespräch, que alegria!… obwohl mir der Gedanke, dass Zeit eine Illusion sein könnte, nie wirklich gekommen ist – brauche nur mal in den Spiegel zu gucken! 🙂

Euer Gespräch ermuntert zu einem neuen Kommentar. Da es hier in Dirks Beitrag um die Zeit aus Whiteheads prozessphilosophischer Sicht geht, zunächst eine Anmerkung dazu.

Danach ein kritischer Gedankenimpuls zur Zeit von Spyridon Koutroufinis, griechischer Philosoph, TU Berlin (Spezialgebiet u.a. Whitehead) https://de.wikipedia.org/wiki/Spyridon_Koutroufinis

I. Zeit bei A.N. Whitehead
Whitehads Konzeption von Raum und Zeit beginnt mit seiner „Kritik der einfachen Lokalisierung“. Er verwirft die Vorstellung eines Koordinatensystems von Raum und Zeit, in dem der Raum ein „Gefäß“ und die Zeit ein „Maßband“ sei.
Whitehead geht grundlegend von der Ausgedehntheit wirklicher Ereignisse/wirklicher Einzelwesen aus; alle wirklichen, elementaren Prozesse sind mit einem Quantum allgemeiner Ausgedehntheit versehen, die unter bestimmten Umständen den Charakter von räumlicher und zeitlicher Ausdehnung annehmen. Weder Raum noch Zeit sind kontinuierlich, sondern bestehen aus „irreduziblen Quanten von Raumzeit“. Die elementaren Prozesse finden demnach nicht in Raum und Zeit statt, sondern Raum und Zeit, so wie sie uns vertraut sind, entstehen erst aus den Relationen der wirklichen Ereignisse und ihrer raumzeitlichen Quantennatur.
Wirkliche Ereignissen sind unteilbare, physikalisch nicht mehr zerlegbare Einheiten; sie sind abrupt, epochal und nicht konstant.
Wirkliche Ereignisse/Einzelwesen haben ihre eigene wirkliche Zeit des inneren Werdens, und erst wenn sie geworden sind, sind sie in der physikalischen Realität erkennbar, messbar; solange sie im Werden sind, sind sie noch nicht, auch nicht physikalisch messbar.
Das Werden ist nicht in der (physikalischen) Zeit, wohl aber das Gewordensein.

II. Spyridon Koutroufinis/Henri Bergson: Die physikalische Zeit
In seiner unveröffentlichten Studie „Über die Affinität der Zeitphilosophie Henri Bergsons zum Ammonschen Verständnis von Zeiterleben“ setzt sich Koutroufinis u.a. mit Bergsons Kritik an dem abstrakten, physikalisch-mathematischen Zeitbegriff auseinander (in Zusammenhang mit dem Begriff der Dauer).

Zusammenfassung (aus der o.g. Studie Koutroufinis/Bergson):

Die Logik der abstrakten Zeit ist das Resultat einer spezifischen Zeit-Ontologie der Physik, Mathematik, Naturwissenschaft allgemein.

Die abstrakte physikalisch-mathematische Zeit ist homogen; ein qualitätenloser Träger von Ereignissen.

Die abstrakte Zeit ist unendlich zerlegbar; d.h. der mathematische Zugriff definiert den Träger ‚Zeit‘ als klassisches Kontinuum, dessen Teile infinitesimal klein sind (dt). Ein endlicher Zeitabschnitt besteht demnach aus einer unendlichen Zahl unendlich kleiner Zeit-„Stücke“. Die Zerlegbarkeit der Zeit folgt aus ihrer Qualitätenlosigkeit.

Die physikalische Zeit ist unbewegt; ihre unendlich kleinen, scharf voneinander getrennten Zeitabschnitte sind ohne Zusammenhang, durchdringen sich nicht, können sich nicht durchdringen: die Gegenwart ist ein unendlich kleines Zeitstück, das Vergangenheit und Zukunft scharf voneinander isoliert. Jedes Zeitintervall dt verhält sich als eine vollkommen separate, unabhängige Einheit und bleibt undurchdringbar neben den anderen bestehen. Jedes Zeitintervall ist in sich vollkommen ruhend, ohne Antrieb, ohne Grund zur Bewegung.

Zeit-Paradoxie: Wie können Zeitmomente addiert werden? Nur Identisches kann miteinander addiert werden. Identität aber setzt Vergleichbarkeit voraus, was wiederum Gleichzeitigkeit verlangt. Das ist bei materiellen und ideellen Entitäten, die immer gleichzeitig anwesend sind, keine Schwierigkeit. Bei Zeitmomenten ist das anders. Der vergangene Moment hinterlässt nichts von sich selbst in der abstrakten ‚Gegenwart’; er ist vollkommen abwesend und kann nicht zu dem gegenwärtigen dt hinzugefügt werden. Die Wesensbestimmung der abstrakten Zeit besteht ja gerade im Verlassen der ‚Gegenwart’, in ihrem nicht-vorhanden-Sein im jeweiligen aktuellen Zeitpunkt.
Das reine Nacheinander der abstrakten Zeit als die Erfindung eines perfekten Gegensatzes zum reinen Nebeneinander des Raumes…? etc…
(Koutroufinis/Bergson Ende)

Zum Schluss:
„Aber was ist denn nun die Zeit,“ fragst du den Mann, von dem du weißt, dass er ein berühmter Wissenschaftler ist, „du musst das doch wissen!“
„Zeit ist das, was man an der Uhr abliest,“ sagt der kluge Mann schmunzelnd. (Albert Einstein)

Wie jetzt? Ist Einsteins Aussage nun ironisch gemeint oder gar weise/wissend oder einfach nur die Verweigerung einer Antwort? Keine Ahnung…

Dirk Boucsein
11 Monate zuvor

Liebe Maria,

vielen Dank für Deinen sehr inspirenden, profunden Input zum Whiteheadschen Verständnis von „Zeit“ und Koutroufinis/Bergson Konkretisierungen hierzu, die ich sehr spannend fand. Daher wollte ich auch nur ein paar kurze Anmerkungen hierzu hinterlassen, die hoffentlich nicht zu „zeit-intensiv“ werden ;-).

Deinen Hinweis „Whitehads Konzeption von Raum und Zeit beginnt mit seiner „Kritik der einfachen Lokalisierung“. Er verwirft die Vorstellung eines Koordinatensystems von Raum und Zeit, in dem der Raum ein „Gefäß“ und die Zeit ein „Maßband“ sei.“, kann ich auch voll und ganz unterstützen. Wenn ich hierzu einen altbekannten Philosophen, den Du auch schon erwähntest einmal zu Worte kommen lassen darf:

„Eine katastrophale Angst vor der Metaphysik [ist die] Krankheit der heutigen empiristischen Philosophie. […] Diese Angst scheint das Motiv dafür zu sein, beispielsweise ›ein Ding‹ als ›ein Bündel von Eigenschaften‹ zu interpretieren, – ›Eigenschaften‹, die wir, wie man glaubt, im Rohmaterial unserer Sinne entdecken können. […] Ich hingegen sehe keine ›metaphysische Gefahr‹ darin, die Vorstellung von einem physikalischen Ding (oder einem physikalischen Objekt) zusammen mit den zugehörigen Raum-Zeit-Strukturen als autonomen Begriff innerhalb des Systems zuzulassen.“ (Albert Einstein)

Wenn schon Herr Einstein die „Eigenschaften‹, die wir, wie man glaubt, im Rohmaterial unserer Sinne entdecken können.“, die man zum Beispiel mit einem „Gefäß“ und „Maßband“ „entdecken“ könnte verwirft und eine „Metaphysik“ eines „physikalischen Ding (oder einem physikalischen Objekt) zusammen mit den zugehörigen Raum-Zeit-Strukturen als autonomen Begriff innerhalb des Systems“ zulässt, dann ist der Schritt zu Whiteheads „wirklichen, elementaren Prozessen“ als „irreduziblen Quanten von Raumzeit“ doch auch nicht mehr weit.

Dies hatte ich in meinem Essay „Eine strukturierte Geschichte der Zeit“ ja auch bereits erwähnt, wenn ich dies nochmal zitieren darf:

„[…] Raum, Zeit und Materie sind Attribute der Ereignisse. Nach der alten Theorie der Relativität sind Raum und Zeit Relationen zwischen Materiepartikeln; nach unserer Theorie sind sie Relationen zwischen Ereignissen.“ (An Enquiry into the Principles of Natural Knowledge, S. 25)
Es soll hier also ausdrücklch der „Irrtum einfacher Lokalisierung“ ausgeschlossen werden, wie er so oft in Bezug auf den Raum Verwendung findet und auf den Umgang mit dem Zeitbegriff in Analogie angewendet werden. Das schon häufiger verwendete Einsteinsche „Loch-Argument“ wäre hier als ein prima Beispiel für einen „Raum“-Begriff zu nennen. Der zu konstituierende Raum bildet sich hier nicht aufgrund von „entitätsbasierten Materie-Partikeln“, sondern den Raum muss erst aufgrund seiner „prozessbasierten Struktur-Relationen“ als potentielle Möglichkeiten zur Realisierung aufgespannt werden. Bei dem einen Raum ist schon alles in Beton gegossen und alle „Freiheitsgrade“ oder „Möglichkeiten“ verbraucht, der andere enthält nur die „Stützkonstruktionen“ und kann daher noch gestaltet werden und seine „Freiheitsgrade“ ausnutzen.“

Interessanterweise lässt Planck ja auch bedingt eine „Quantelung der Zeit“ zu:

„Die Planck-Zeit ist eine Planck-Einheit und beschreibt das kleinstmögliche Zeitintervall, für das die bekannten Gesetze der Physik gültig sind. Sie ergibt sich aus der Zeit, die Licht benötigt, um eine Planck-Länge zurückzulegen und eine theoretische Zustandsveränderung zu bewirken. Benannt wurde sie nach Max Planck.
Das bedeutet allerdings nicht zwingend, dass Zeit unterhalb der Planck-Zeit in diskreten Sprüngen verläuft. Erst eine Theorie der Quantengravitation könnte Antworten darauf geben, ob die Zeit auf dieser Ebene diskret oder kontinuierlich ist.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Planck-Zeit)

Darauf verweist auch Dein Zitat aus der Studie von Koutroufinis/Bergson: „Die abstrakte Zeit ist unendlich zerlegbar; d.h. der mathematische Zugriff definiert den Träger ‚Zeit‘ als klassisches Kontinuum, dessen Teile infinitesimal klein sind (dt). Ein endlicher Zeitabschnitt besteht demnach aus einer unendlichen Zahl unendlich kleiner Zeit-„Stücke“. Na dann hoffen wir mal, dass unser „endlicher Zeitabschnitt“ genügend „Zeit-„Stücke“ besitzt ;-).

Wenn schon „Der vergangene Moment hinterlässt nichts von sich selbst in der abstrakten ‚Gegenwart’; er ist vollkommen abwesend und kann nicht zu dem gegenwärtigen dt hinzugefügt werden.“, dann müssen wir als Menschen doch wenigstens etwas „hinterlassen“ in „der abstrakten Gegenwart“. Vielleicht ist das doch die „Information“, aber dieses Thema hatte ich ja schon bei der Diskussion zur „Informationstheorie“ hinterlassen. Vielleicht gibt es doch ein „rest in bits“, statt ein „rest in peace“ ;-).

Meine Uhr sagt jetzt, die „Zeit ist abgelaufen“. Also hatte Einstein doch schon wieder mal Recht, wenn er, wie Du zitierst: „Zeit ist das, was man an der Uhr abliest,“

Also „Carpe Diem“ und
viele Grüße
Dirk

maria reinecke
11 Monate zuvor

@ Dirk Boucsein

Danke für Deinen Gedankenimpuls, Dirk, dass wir doch etwas (an Information) hinterlassen müssen in der eigentlich nicht vorhandenen Gegenwart:

„Wenn schon „Der vergangene Moment hinterlässt nichts von sich selbst in der abstrakten ‚Gegenwart’; er ist vollkommen abwesend und kann nicht zu dem gegenwärtigen dt hinzugefügt werden.“, dann müssen wir als Menschen doch wenigstens etwas „hinterlassen“ in „der abstrakten Gegenwart“. Vielleicht ist das doch „Information“, aber dieses Thema hatte ich ja schon bei der Diskussion zur „Informationstheorie“ hinterlassen. Vielleicht gibt es doch ein „rest in bits“, statt ein „rest in peace“ ;-). (Zitat Dirk)

Und nicht nur wir Menschen müssen dann etwas hinterlassen, nicht wahr? Das ganze Surrounding muss ja immerzu mitgeschleppt werden irgendwie; alles muss über die winzigen Zeitgaps hinaus seine Spuren hinterlassen, von Augenblick zu Augenblick; nichts ist ja statisch und liegt einfach nur tot da.

Könnten wir nicht sagen, dass sich der Prozess, die Ereignishaftigkeit der Wirklichkeit soz. in den Lücken der infinitesimal kleinen Zeitstücke (dt) vollzieht, vollziehen muss? Die „wirkliche Zeit des Werdens“ – Whitehead – vollzieht sich in den Zwischenräumen des physikalisch-mathematisch Messbaren?………
……..

Vielleicht ist in diesem Zusammenhang Henri Bergsons Gegenentwurf „Zeit als Dauer“ (Durée) von Interesse –
(kurz skizziert von Spyridon Koutroufinis, Fortsetzung der Zusammenfassung von Spyridon Koutroufinis zu Henri Bergson; aus seiner unveröffentlichten Studie „Über die Affinität der Zeitphilosophie Henri Bergsons zum Ammonschen Verständnis von Zeiterleben“, s. mein Kommentar oben v. 20.04.2023):

Zeit als Dauer – durée.
Dauer hat (nach Bergson) wohl Ausdehnung, ohne jedoch zerlegbar und addierbar zu sein. Ihre Ausdehnung ist inhaltliche Fülle, die das menschliche Gedächtnis kennzeichnet.

Unser Gedächtnis ist unser wichtigstes Wahrnehmungsorgan, ein ‚Zeitorganismus’,
der das Vergangene enthält und erhält (!) und mit anderen zeitlichen Inhalten verschmilzt.

Dauer als Sukzession unserer Bewusstseinsvorgänge; vom Subjekt als ständige Kreation von Empfindungsqualitäten erlebt; Dauer als Sukzession qualitativer Veränderungen, die miteinander verschmelzen, sich durchdringen; die keine präzisen Umrisse haben, auch nicht die Tendenz, sich voneinander abzugrenzen; und die mit der Zahl keinerlei Verwandtschaft aufweisen.

Koutroufinis folgert daraus aus prozessphilosophischer Sicht: dass dadurch z.B. das reduzierte Verständnis von Erinnerung als bloß inneres Bild hinfällig wird. Die Erinnerung wird vielmehr zur reinen Kreativität, zur Neuschöpfung der angeblich vergangenen Zeit; denn das Vergangene ist nicht von den damaligen Inhalten zu trennen. In jeder Erinnerung ist das gesamte Gedächtnis enthalten (Durchdringung, Spiegelung); jede Erinnerung ist eine perspektivische ‚Verkörperung’, Herauskristallisierung des gesamten Gedächtnisses; das Gedächtnis ist ein sich selbst erhaltender Organismus, in dem sich die Erinnerungen aus der Vergangenheit organismisch durchdringen und das Vergangene aufrechterhalten wird.
Diese prozesshafte Sicht des Gedächtnisses steht im Gegensatz zu der gängigen Auffassung, dass das Gedächtnis eine Art Speicher sei.

Koutroufinis fragt sich, wie und warum unser eigenes defizitäres Zeiterleben (nicht nur das von psychisch Kranken) möglicherweise als eine (unbewusste) direkte Übernahme der „Symptomatik“ der abstrakten, erstarrten, mathematisch-physikalischen Zeit gesehen werden kann; angefangen bei der Begrenzung unseres frühkindlichen Erlebens/Handelns durch Invasion der abstrakten, gemessenen Zeit, die ein qualitatives Zeiterleben erschwert/verunmöglicht hat.

Symptome eines erstarrten Zeiterlebens – Unbewegtheit der erlebten Zeit (nach Günter Ammon, zitiert bei Sp. Koutroufinis):

Ein Beispiel aus der ‚dynamischen Psychiatrie‘ von Günter Ammon („Der mehrdimensionale Mensch“, Berlin1995)
Ein Patient berichtet:
„Mir wurde alles unsagbar gleichgültig. Eine fremde Zeit dämmerte auf… Dass die Zeit vergeht und die Uhr sich dreht, kann ich mir nicht mehr so recht vorstellen… Die Zeit steht still, man schwankt sogar zwischen Vergangenheit und Zukunft. Es ist alles so eingesessen. Alles ist wie eine Uhr. Die Zeit läuft wie eine Uhr ab; das Lebensziel ist wie eine Uhr. Gibt es denn eine Zukunft? Früher hat es für mich eine Zukunft gegeben, jetzt schrumpft sie immer mehr zusammen…“ (er betrachtet den Uhrzeiger an der Wanduhr)
„Ich bin ganz erstaunt. Ich habe noch nie etwas Ähnliches erlebt. Der Zeiger ist immer wieder anders, jetzt ist er da, dann springt er gewissermaßen vor und dreht sich so. Ist es immer wieder ein anderer Zeiger? Vielleicht steht jemand hinter der Wand und steckt immer einen neuen Zeiger hinein, jedesmal an einer anderen Stelle…“ (Zitat: Günter Ammon, a.a.O.)

Dieser unglückliche Mensch ist/hat sich offenbar ganz der abstrakten Zeitvorstellung ausgeliefert.
Was der Patient in diesem Beispiel konkret erlebt, beschreibt Bergson hypothetisch, wenn er über das Phänomen der Bewegung des Zeigers nachdenkt:

„Verfolge ich auf dem Ziffernblatt einer Uhr mit den Augen die Bewegung des Zeigers, die den Schwingungen des Pendels entspricht, so messe ich keine Dauer, wie man zu glauben scheint; ich beschränke mich vielmehr darauf, Simultanitäten zu zählen, was etwas ganz anderes ist. Außerhalb meiner, im Raume, gibt es immer nur eine einzige Stellung des Zeigers und des Pendels; von den vorangegangenen Lagen bleibt ja nichts erhalten… Schalten wir nun einen Augenblick das Ich aus, das diese sukzessiven Schwingungen denkt, so wird es immer nur eine einzige Pendelschwingung geben, sogar nur eine einzige Stellung dieses Pendels und folglich keine Dauer.“ (H. Bergson, aus ‚Zeit und Freiheit‘, Hamburg 1994)

Damit beschreibt Bergson, was der Patient fühlt: die Ausschaltung des Ich und seiner Dauer, wobei sich der Fluss der Welt in unabhängige, voneinander getrennte, abgeschlossene, zueinander vollkommen fremde Gleichzeitigkeiten auflöst, von denen jede ohne Dauer ist; infinitesimale kurze Zeitstücke (dt)…

Ich referiere diese Textstellen nur; vielleicht als weiterführende Diskussionsimpulse zu dem Thema Zeit – Zeiterleben.
Vielen Dank,
Maria

Dirk Boucsein
11 Monate zuvor

Liebe Maria,

vielen Dank für Deinen weiteren sehr interessanten und bemerkenswerten Input zur prozessphilosophischen Betrachtung der Zeit.

Ich würde hier gerne exemplarisch Deinen Hinweis zu „Koutroufinis fragt sich, wie und warum unser eigenes defizitäres Zeiterleben (nicht nur das von psychisch Kranken) möglicherweise als eine (unbewusste) direkte Übernahme der „Symptomatik“ der abstrakten, erstarrten, mathematisch-physikalischen Zeit gesehen werden kann“ und zur „dynamischen Psychiatrie‘ von Günter Ammon“ aufgreifen.

Dies hat mich nämlich sehr stark an die Forschungsarbeiten von Philipp und Georg Northoff mit seiner „Temporo-spatial Theory of Consciousness (TTC)“ erinnert, da auch hier von einem „nestededdness“ des Bewusstseins in der Zeit ausgegangen wird. Dies hat auch weitreichende Folgen für einen möglichen Paradigmenwechsel in der Psychologie, wie ihn beispielsweise der von Dir zitierte Günter Ammon in seiner dynamischen Psychiatrie vorschlägt, so weit ich dies recherchieren konnte. Wenn ich dies hier auch noch einmal kurz vorstellen darf.

Die derzeitige Psychologie hat besonders seit dem erwähnten „“neuroscientific turn“ den Hauptfokus auf das „Zentralorgan der Psyche“ – das Gehirn – verschoben. Alles steht und fällt mit der Gesundheit des Gehirns. Daher zielen bislang alle psychologischen Therapieansätze entweder auf eine somatische Behandlung der neurochemischen Transmitter im Gehirnstoffwechsel oder auf eine konditionalen Behandlung der Verhaltensmuster der neuronalen Strukturen im Gehirn ab.

Aber egal, wie man es dreht oder wendet. Es geht letztenendes nur immer um einen „Neurozentrismus“ (Markus Gabriel) oder „Neurokonstruktivismus“ (Thomas Fuchs); übersetzt „Ich = Gehirn“. Hiebei werden aber ganz wesentliche Aspekte zur Konstitution von Bewusstsein (auch pathologischen Bewusstsein) ausgeklammert.

Das Konzept des extended mind „ausgedehntes Bewusstsein“, des embodiment „Verkörperung“, des embededdness „Einbettung“ und des enactivism „Enaktivismus“, die auch als die 4E-THeorie der Philosophie der situierten Kognition (PSK) bekannt sind, geht von einem ganz anderen Standpunkt aus. Die Erläuterung der einzelnen Konzepte würde hier allerdings den Rahmen sprengen; interessanter sind für Euch denke ich, daher eher die praktische Umsetzung der Neurophilosophie in Form einer therapeutischen Neuropsychatrie.

Hierzu kann man bei Georg Northoff von der The Royal’s Institute of Mental Health Research University of Ottawa auf seiner Seite http://www.georgnorthoff.com/neuropsychiatry oder in seinem Buch „Neuropsychodynamische Psychiatrie“ (2016) einiges nachlesen. Oder, wenn man es kürzer mag, seinen Artikel „NEUROPHILOSOPHIE ALS THERAPIE?“ (https://www.hss.de/download/publications/AMZ_87_Homo_Neurobiologicus_04.pdf) durchlesen, auf den ich an dieser Stelle für den interessierte Leser auch gerne hinweisen möchte.

These: Der neuropsychatrische Ansatz wirft eine ganz neue Sicht auf psychische Erkrankungen, wie z. B. Depression und Schizophrenie und dementsprechend auch deren Behandlungsmethoden.
Die Tendenz des neurophilosophischen Ansatzes geht weg von dem Reduktionismus einer physikalistisch-materialistischen Sichtweise der klassischen Psychotherapie mit Hilfe von Psychopharmaka, hin zu einer struktural-holistischen Sichtweise, die eine strukturale Kopplung der Psyche mit ihrem Körper und der Umwelt propagiert. Dies kann man an der „zeitlichen Einbettung“ des Bewusstseins auch empirisch untersuchen und nachweisen.

Es gibt tatsächlich ernstzunehemde Therapieansätze, die von einer Modulation der Gehirnaktivität durch die Berücksichtigung der situierten Kognition ausgehen. Dieses beobachtete Phänomen kann man an einem einfacheren Beispiel, dem „Mitnahme-Phänomen“, erläutern. Der Rhythmus oder die Tonfolge von Musik führt irgendwann zum unbewussten Wippen der Füße, da diese sich dem Rhythmus der Musik anzupassen versuchen (Lakatos et al., 2013; van Atteveldt et al., 2015). Gleich einer Synchronisation passt sich die zeitlich-räumliche Dynamik der neuronalen Aktivität des Gehirns der zeitlich-räumlichen Dynamik der Umgebung an, was Northoff (2013, 2014a,b, 2016a,b,c,d, 2018) mit seiner „Temporo-spatial Theory of consciousness“ (TTC) zu umschreiben versucht.

So können z. B. Depressionen mit Hilfe von Musik mit einer erhöhten bpm-(beats per minutes) Zahl therapiert werden. Allerdings nur im Sinne einer Synchronisation; heißt „Techno“-Musik erhöht nicht automatisch den Serotonin-Spiegel bei depressiven Menschen, aber die zeitlich-räunlichen Rückkopplungsmuster führen auf Dauer zu einer messbaren Verbesserung des Tonus. Das ist doch auf alle Fälle besser als Antidepressiva zu verabreichen, die nur die Symptome, aber nicht die Ursachen bekämpfen.

Das scheint also alles auf das von Dir zitierte Phänomen von Bergson hinzuweisen: „Damit beschreibt Bergson, was der Patient fühlt: die Ausschaltung des Ich und seiner Dauer, wobei sich der Fluss der Welt in unabhängige, voneinander getrennte, abgeschlossene, zueinander vollkommen fremde Gleichzeitigkeiten auflöst, von denen jede ohne Dauer ist; infinitesimale kurze Zeitstücke (dt)…

Die gelungene oder fehlende Einbettung in die Zeit könnte also auch verantwortlich sein für die Gesundheit unserer Psyche. Also soll noch mal einer sagen, dass die „Zeit“ nur auf der „Armbanduhr“ steht ;-).

Viele Grüße
Dirk

maria reinecke
11 Monate zuvor

@ Dirk Boucsein und alle Philosophies

DANKE, Dirk! für diesen super weiter’gesponnenen‘, bereichernden, erhellenden Gedankenfaden!
Das ’nestededdness‘ wird mich beschäftigen, und nicht nur das.

Zwischendurch kurz ein – wie ich finde – sensationeller Link „Schweizerische Ärztezeitung“
mit einer prozessphilosophischen Grundsatzerklärung für die neue Medizinische Forschung:

https://saez.ch/article/doi/saez.2020.19049

basierend auf dem ‚Prozessdenken‘ von A.N. Whitehead,
biophilosophisch interpretiert von S. Koutroufinis in seiner neuen Arbeit ‚Organismus als Prozess‘, 2019

Gruß,
Maria

Richard Kinseher
Richard Kinseher
9 Monate zuvor

Gedanken zum Thema ́ZEIT ́

„Das Ticken von Uhrwerken und die Bewegung von Zeigern über dem Ziffernblatt von Uhren werden oft als Symbol für das Vergehen von Zeit betrachtet. Aber weder Philosophie noch die Physik haben bisher eine brauchbare Definition für ́ZEIT ́ vorgestellt.

Mit diesem Beitrag soll dazu angeregt werden, über das Thema ́ZEIT ́ nachzudenken. Zunächst wenden wir uns den Uhren zu, weil diese vielfach als Zeitmesser betrachtet werden – ohne dass diese Sichtweise ernsthaft hinterfragt wird: „

Was ist – Der Zweck von Uhren?

„Unsere Vorfahren haben bemerkt, dass sich manche Ereignisse ihrer Umwelt wiederholen – z.B. Jahreszeiten, Mondphasen, Ebbe und Flut.“

„Um solche wiederkehrenden Ereignisse in einer Struktur einordnen zu können – hat man verschiedene KALENDER entwickelt. Am weitesten verbreitet ist der Gregorianische Kalender: Dieser ist ein Solarkalender bei dem die Dauer eines Umlaufs der Erde um die Sonne als Grundlage genommen wird.
Um Kalenderdaten anzeigen zu können, hat man technische Lösungen entwickelt – wozu vermutlich die Steinkreise von Stonehenge und die Himmelsscheibe von Nebra gehören.
Mittlerweile gibt es tragbare Kalender – z.B. in Form von Armbanduhren.“

Ein JAHR – ist die Dauer eines Umlaufs der Erde um die Sonne (Das Jahr ist in 12 Monate mit je 28-31 Tagen untergliedert)
Ein TAG – ist die Dauer für eine vollständige Umdrehung der Erde um sich selbst
Eine SEKUNDE – ist der 86400-ste Teil einer mittleren Tageslänge
Als Startpunkt für diesen Kalender wurde die Geburt Christi festgelegt – und zur Korrektur von Abweichungen können SCHALTTAGE zusätzlich eingefügt werden.

Der Zweck von Uhren – ist eine international einheitliche Darstellung von Kalenderdaten. Von Uhren kann man daher als ́UHRZEIT ́ nur Kalenderdaten ablesen.

(ACHTUNG: Von Uhren kann man keine ́ZEIT ́ ablesen – denn dafür gibt es noch keine Definition: Denn wenn man nicht weiß was ́ZEIT ́ ist, kann man diese weder messen noch irgendwo ablesen!)

Wie ist – Die Funktionsweise von Uhren?

Am Beispiel mechanischer bzw. elektronischer Uhren kann man die Funktionsweise von diesen Geräten recht gut erklären:
Uhren sind Maschinen, die nach den Gesetzen der Thermodynamik funktionieren. Zieht man ein Federwerk auf bzw. legt man eine Batterie ein – dann fügt man damit potentielle Energie zu.
Wenn die Uhr läuft wird diese potentielle Energie in kinetische Energie umgewandelt und treibt dabei ein getaktetes Uhrwerk mit angefügter Anzeige an – wo man Kalenderdaten als ́Uhrzeit ́ ablesen kann. Wenn die zugefügte Energie verbraucht ist, dann bleibt die Uhr stehen.

Uhren sind daher als Maschinen zu betrachten, die durch einen einseitig gerichteten Fluss von Energie angetrieben werden. Betrachtet man diesen einseitig gerichteten Fluss von Energie als das ́Vergehen von Zeit ́ – d.h. Was vergeht, wenn ́ZEIT ́ vergeht: dann ist ́ZEIT ́ nichts anderes als Energie.

Uhren sind Maschinen – die durch einen einseitig gerichteten Fluss von Energie angetrieben werden.
Wenn man diesen einseitig gerichteten Fluss von Energie als das ́Vergehen von Zeit ́ betrachtet, dann bedeutet dies, dass ́ZEIT ́ nichts anderes als Energie ist. D.h. Das Wesen von ́ZEIT ́ ist Energie!

Wenn man Zweck und Funktionsweise von Uhren betrachtet, dann kommt man zu zwei Aussagen :
A) Uhrzeit – sind von einer Anzeige ablesbare Kalenderdaten
B) Zeit – ist Energie bzw. Das Wesen von ZEIT ist Energie
Mit der Annahme ́ZEIT ist Energie ́ haben wir eine konkrete
Definition für ́ZEIT ́:
Diese kann man in weitere Überlegungen einfließen lassen:

Unser Universum hatte beim Urknall seine größte Energiedichte. Seitdem nimmt der Energiegehalt_pro_Volumeneinheit wegen der Ausbreitung des Universums immer mehr ab.
Dies bedeutet, dass man unser Universum in seiner Funktionsweise als Maschine betrachten muss – die durch einen einseitig gerichteten Fluss von Energie angetrieben wird.

Weil es kein Perpetuum Mobile geben kann – darf man jedes einzelne Atom im Universum ebenfalls als Maschine betrachten – die bei ihrer Funktion Energie abgeben muss (wodurch der Energiegehalt abnimmt). Nimmt man nun aber – theoretisch – zusätzlich an, dass wegen dieser Verringerung des Energiegehalts als Nebeneffekt eine extrem winzige abstoßende Wirkung
entsteht – dann könnte dieser Abstoß-Effekt langfristig eine gleichmäßig beschleunigte Expansions-Bewegung erzeugen: welche bewirkt, dass unser Universum mit zunehmender Geschwindigkeit expandiert. (D.h. Die Expansion des Universums ergibt sich als Kombination

Script_Thema_ZEIT von Kinseher Richard, Schlesier Str. 11, 93309 Kelheim, BRD
Ein Entwurf für einen TV-Beitrag zum Thema ́ZEIT.

Philo Sophies
3 Monate zuvor

Lieber Herr L.,

vielen Dank für Ihren Kommentar. Schön von Ihnen auch auf linkedIn etwas zu lesen. Wenn es gestattet ist, wollte ich hier nur kurz antworten.

Ja, ja da waren sie wieder die „zwei Lager“ ;-), die sich wie bei dem „Universalienstreit“ durch die Philosophiegschichte ziehen. Daher hatte ich ja in diesem, wie in den zahlreichen anderen Essays bereits scheinbar vergeblich versucht, hier zu vermitteln, da dieser Dualismus zu nichts geführt hat und auch zu nichts führen wird. Warum eigentlich nicht mal die propagierte Neue Metaphysik im Sinne einer Prozessphilosophie, z. B. à la Whitehead nutzen und mit Hilfe eines Strukturenrealismus à la Ladyman fruchtbar machen?

Daher nehme ich Sie gerne beim Wort und vielleicht könnten man den „Schwarz-Film“ Metaphysik mal ein bisschen nachkolorieren. Dann wäre nämlich auch endlich mal der leidige „Subjekt vs. Obkekt“-Dualismus obsolet. Ich habe meine Buntmalstifte jedenfalls schon mal rausgelegt, vielleicht möchten Sie ja mitmalen.

Vielen Dank für Ihr Interesse und
viele Grüße
Philo Sophies

Heinz Luediger
Heinz Luediger
3 Monate zuvor

Essay und anschließende Debatte offenbaren einen für mich beängstigenden Verhau von inkompatiblen Theorien, Modellen, Meinungen, logischen Schlüssen und nicht selten Wunschdenken. Ich habe das in meinem kürzlich hier erschienenen Beitrag zum Problem der Zeit „die Verwilderung der Prämissen“ genannt. Die daraus resultierende und erwachsende Komplexität läßt sich meiner Meinung nach weder wissenschaftlich noch philosophisch, sondern nur noch literarisch verarbeiten. Das ist zwar weder sinnlos noch völlig unnütz, kann aber nicht substantiell über die Debatte als Selbstzweck hinausführen, weil die Prämissen nicht tragen. Sie tragen nicht mehr, weil sie nicht ursprünglich und fundamental sind, sondern auf Theorien über Theorien über Theorien… zurückgehen. Sie tragen nicht mehr, weil ihnen nichts mehr entspricht.

Das Kernproblem von theoretischer Wissenschaft und Philosophie liegt im degenerierten Begriff der Empirie und der daraus folgenden Verzeitlichung (Algorithmisierung) von allem und jedem. Ein Photon-Counter-Click z.B. ist aber kein empirisches Faktum, sondern ein maximal dekontextualisiertes und entsprachlichtes Ereignis in geschichtlicher Zeit. Die Quantisierung der klassischen Physik war hier als Theoriebildung in zweiter Instanz stilbildend. Es macht einen entscheidenden Unterschied ob man z.B. über die Beschleunigungsdaten einer Rakete spricht oder über die Sensordaten eines which-way Experiments.

Bas van Fraassen verlangt von der ‚Theorie’ nicht mehr als ihre Angemessenheit, welche er aber nicht weiter ausführen konnte, weil die Logik keinen Begriff der Angemessenheit kennt. Sie stellt entweder positiv fest oder sie verwirft, dazwischen gibt es nichts. Mit anderen Worten: die Logik ist prinzipiell ungeeignet mit Nichtwissen als Bedingung des Wissens umzugehen. Der Dualismus (allgemein die kategoriale Organisation des Wissens) hingegen ist die natürliche Form ‚Angemessenheit’ in nicht-trivialer Form zu behandeln. Obwohl er jedes Wissen in einen Gesamtkontext stellt, verlangt er nicht die analytische Herleitung des Zusammenhangs zwischen Phänomen und Theorie; es ist ausreichend wenn der sich z e i g t. Theorien bzw. Modelle in zweiter und n-ter Instanz sind damit automatisch ausgeschlossen.

Aber… zu viele Existenzen und Projekte in der Bildungsindustrie hängen an der Verwilderung der Prämissen, als daß wir aufhören könnten zu versuchen die Suppe mit der Gabel zu ‚löffeln‘.