Die Neurophilosophie

Die Neurophilosophie

Die Neurophilosophie – oder die Disziplinlosigkeit des Gehirns

1. Disziplin: „Was ist Neurophilosophie?!

Der Untertitel dieses Essays „die Disziplinlosigkeit des Gehirns“ bezieht sich auf ein Buch des Mediziners und Philosophen Georg Northoff:„Das disziplinlose Gehirn. Was nun, Herr Kant? Auf den Spuren des Bewusstseins mit der Neurophilosophie. (2012)“, das sich mit der Frage auseinandersetzt, wie der Geist in die Flasche oder besser gesagt in das Gehirn gelangt:

„Worum ich mich in dem Buch eigentlich bemühe: Ich versuche an dem Boden selbst anzugreifen und ich glaube, diese Grabenkämpfe setzen voraus, dass man einen bestimmten Begriff des Gehirns hat, nämlich das Gehirn als rein physikalisches Organ, als quasi maschinenähnlich. Und ich glaube die letztere Voraussetzung, die maschinenähnliche Auffassung des Gehirns, ist nicht plausibel, wenn man sich die neurowissenschaftlichen Daten anguckt.“

Das „Apollo-Projekt des Geistes“

Dann wollen wir uns mal die neurowissenschaftlichen Daten angucken. Das Gehirn gilt gemeinhin wohl als die komplexeste Struktur im Universum, die auch weiterhin noch eine Menge Rätsel aufgibt und die Wissenschaften (Geisteswissenschaften & Naturwissenschaften) vor scheinbar unlösbare Probleme stellt. Die Erforschung der Funktionsweise des Gehirns wird daher auch schon einmal gerne als das „Apollo-Projekt des Geistes“ bezeichnet, da es ähnlich wie die damalige Raumfahrt-Mission der NASA, immense materielle aber auch mentale Ressourcen benötigt.

Die gewaltigen Herausforderungen, die ein solcher Forschungsbereich darstellt, kann man allein schon an dem Projekt der EUHuman Brain Project (HBP) erkennen, das mit 131 europäischen Partnerinstitutionen aus 19 Ländern und mit 1,19 Milliarden Euro Kosten (2013–2023) eines der größten je von der EU finanzierten Projekte ist. Wie sich aber bereits herausgestellt hat, benötigt es die „gebündelten Kräfte“ aller wissenschaftlichen Disziplinen, um diesen Kraftakt leisten zu können und der Funktionsweise des Gehirns auf die Schliche zu kommen.

Die Geschichte der Philosophie des Geistes

Eine einzelne Disziplin wäre hierzu nicht in der Lage. Denn wie ich bereits in meinem vorherigen Essay (s. den „UEPhA-Cup der Ismen„) dargestellt habe, haben sich sowohl die Geisteswissenschaft als auch die Naturwissenschaft in der Geschichte der Philosophie des Geistes nicht unbedingt „mit Ruhm bekleckert“. Die Historie der Philosophie des Geistes und den hieraus entstandenen Neurowissenschaften liest sich wie eine Geschichte der Irrungen und Wirrungen, der Missverständnisse und Fehldeutungen . Der dort geschilderte „Grabenkampf“ ist – wie sich herausgestellt hat – zur Lösung dieses Problems denkbar ungeeignet, da eine solch komplexe Struktur, wie es die Disziplinlosigkeit des Gehirns nun einmal darstellt, nur mit einer Interdisziplinarität zwischen den Wissenschaften „entschlüsselt“ werden kann.

Meines Erachtens könnte der bereits erwähnte epistemologische „Kitt/Zement“ zum ontologischen „Verbinden/Füllen dieses Riss/Grabens“ in der nichtreduktiven, bidirektionalen Neurophilosophie  gegeben sein. Im Folgenden möchte ich daher diese relativ junge Disziplin einmal kurz vorstellen und anschließend an einem Beispiel darlegen, in wieweit sie zur Aufklärung der Funktionsweise des Gehirns beitragen kann, um solche Begriffe wie „das Selbst„, „das Bewusstsein“ und „das Ich“ genauer zu beschreiben. Ich werde mich in der folgenden Definition der Neurophilosophie  hauptsächlich auf den Artikel eines von mir sehr geschätzten Neurophilosophen Philipp Klar:What is neurophilosophy: Do we need a non-reductive form? (2020)“  beziehen, in welchem er eine sehr präzise Einordnung der Disziplin in die Neurowissenschaften und der Philosophie des Geistes vornimmt.

Die Neurophilosophie – kurze Einführung

Die Frage, die aber im Vorfeld zu klären ist, ist wozu denn überhaupt eine neue Disziplin in der Philosophie des Geistes oder den Neurowissenschaften benötigt wird. Dies lässt sich – aus meiner Sicht – mit der wissenschaftshistorischen Genese und Emanzipation der Neurowissenschaften aus der Philosophie des Geistes begründen.

Noch einmal kurz zur Rekapitulation (s. „Die Philosophie des Geistes“  und „Der Geist in der Materie“ ). Zu lange steckte die Philosophie des Geistes in einer Sackgasse, da alle Versuche das Mentale mit Hilfe des Materiellen erklären zu wollen, gescheitert waren. Der „Geist in der Materie“ konnte beim besten Willen einfach nicht gefunden werden; so sehr man sich auch anstrengte.

Das Dilemma der cartesischen Dichotomie

Damit sollte nun endlich Schluss sein. Schluss mit dem vermeintlich scholastischen „Denken im dunklen Kämmerlein“ der Philosophie, hin zum angeblich objektiven „Beobachten im hellen Labor“ der Naturwissenschaften. Schluss mit dem Dilemma der cartesischen Dichotomie in Form des unsäglichen Substanzdualismus, hin zum vermeintlich alternativlosen Monolemma (Neologismus: eine vermeintliche Wahl, bei der es aber keine Wahlmöglichkeit gibt) in Gestalt der Vereinheitlichung aller divergierenden Bestandteile in der Identitätstheorie von Place und Smart (1950). Der Materialismus mit seiner äquivalenten Spielform dem Physikalismus bricht sich hier Bahn, da die zentrale These der Identitätstheorie lautet: mentale Zustände sind mit neuronalen Zuständen identisch. Also wenn man so will ein Substanzmonismus, der alles Mentale auf das Materielle reduzieren möchte.

Die „Naturalisierung des Geistes“

Diese „Naturalisierung des Geistes“ zielt natürlich auf die naturwissenschaftliche Methodik der Reduktion von Parametern ab, um hierdurch mit Hilfe der Induktion zu präziseren Modellen und Theorien zu dem Entstehen von Bewusstsein zu gelangen. Der Begriff „Geist“ wird bei dem naturwissenschaftlichen Diskurs im Zuge einer sprach-analytischen Kritik mehr und mehr durch den Begriff „Bewusstsein“ ersetzt (zu der Sprachkritik später mehr in der „parallelen Neurophilosophie“). Der Fokus der Forschung/Untersuchung wird monokausal und monistisch auf das Gehirn und seine bio-/elektro-/ chemischen Aktivitäten und physiologischen Funktionen gelegt. Das Gehirn und alle seine mentalen Zustände sollte schließlich und allein nur auf seine neuronalen Zustände reduziert und damit berechenbar und messbar werden.

Das „Joint-Venture“

Die sich nun neu formierende Neurowissenschaft wollte sich damit selber als Teildisziplin der Naturwissnschaft von der Geisteswissenschaft emanzipieren. Aus diesem „Geist“ heraus 😉 wird dann vielleicht auch der Versuch eines „Joint-Venture“ zwischen der Philosophie des Geistes und der Neurowissenschaft in Form der Neurophilosophie verständlich. Denn ursprünglich ging der Begriff „Neurophilosophie“ auf ein Buch von Patricia Churchland: „Neurophilosophy: Toward a Unified Science of the Mind/brain (Computational Models of Cognition and Perception)“ von 1986 zurück. Wobei es ihr und ihrem Mann Paul Churchland „Neurophilosophy at Work“ von 2007 im Zuge des eliminativen Materialismus  vornehmlich darum ging, den so ungeliebten, unpräzisen Begriff „Geist“ aus der „Materie“ (s. „Der Geist in der Materie„) endlich zu entfernen, zu eliminieren.

Dieses kühne Vorhaben wurde durch die großen Erfolge der Neurowissenschaften ab den 70er Jahren und durch das Buch „Das Ich und sein Gehirn“ (1977) der nicht-dualistischen Philosophen Karl Popper und John C. Eccles geradezu beflügelt. Besonders durch die nicht-invasiven, bildgebenden Messmethoden wurden neue, entscheidende Impulse für die Hirnforschung geliefert, die ebenfalls zu einer neuen Teildisziplin – der Kognitionswissenschaft  – in der Neurowissenschaften führten. Endlich schien es in greifbarer Nähe zu rücken, dass man – dem Gedanken des Positivismus folgend – mit Hilfe empirisch-gesicherter Daten der „grauen Substanz“ („Substantia grisea“ = Cortex cerebri = Großhirnrinde) „zu Leibe“ oder besser gesagt „zu Geiste“ rücken konnte.

Die „wissenschaftliche Armada“

Eine ganze „wissenschaftliche Armada“ beschäftigte sich nun mit dem Großprojekt des 20./21.Jahrhunderts der „Vermessung bekannter Areale“ und „Entdeckung neuer Gebiete“ zur „Erstellung einer Landkarte“ des Gehirns. Als Beispiele für die Messmethoden der Hirnforschung seien hier nur exemplarisch die bereits in den 1970er Jahren von Paul Christian Lauterbur und Peter Mansfield entwickelte „Magnetresonanztomographie“ (MRT), für die sie 2003 den Nobelpreis erhielten. Eine Weiterentwicklung stellt die „funktionelle Magnetresonanztomographie“ (fMRT/ fMRI für englisch functional magnetic resonance imaging ) in den 1980er und 1990er Jahren dar, mit der indirekt eine Aktivierung von Hirnzentren sichtbar gemacht werden kann, also Gehirnfunktionen auch prozessural sichtbar macht.

Einen ähnlichen Ansatz aus den 1980er Jahren mit anderen Methoden verfolgt die „Positronenemissionstomographie“ (PET). Aus der Kombination der Messergebnissen mittels MRT und „Elektroenzephalografie“ (EEG) oder PET und „Computertomographie“ (CT) wird seit den 2000er Jahren versucht mögliche Korrelationen zwischen kognitiven Funktionen und bestimmten Hirnaktivierungen oder Hirnarealen herzustellen.

Ergänzt wird die fMRT neuerdings durch sogenannte intelligente Kontrastagenten, um die Konzentration (und deren Änderung) beliebiger Substanzen im Gehirn messbar zu machen. In der aktuellen Hirnforschung wird zur Zeit primär eine Kombination aus fMRT und EEG zur Ermittlung von Daten verwendet. Das EEG hat eine zeitliche sehr gute, dafür aber eine räumliche sehr schlechte Auflösung. Beim fMRT ist es umgedreht, es hat eine räumlich sehr gute, bei zeitlich eher schlechter (das BOLD = „blood oxygenation level dependent“-Signal peaked erst nach ca. 6-8 Sekunden, während das EEG im ms Bereich liegt) Auflösung. Die Kombination beider Messverfahren gleicht folglich die Nachteile des jeweiligen Messinstrumentes aus.

Das „Blue-Brain-Projekt“

Einen Versuch das Gehirn in seiner Funktionalität mit Hilfe der ermittelten Messdaten aus den oben erwähnten, verschiedenen Messinstrumenten künstlich nachzubilden, stellt das sogenannte Blue-Brain-Projekt dar. Am Brain Mind Institut in Lausanne ist einer der 100 schnellsten Computer weltweit, ein Blue-Gene-Supercomputer mit 360 Teraflops, angeschafft worden, um die gewonnenen Erkenntnisse in einem gigantischen Computermodell zusammenzufassen. Das Projekt basiert auf dem Konzept des „künstlichen neuronalen Netzes“, das eine Simulation einer neokortikalen Säule auf zellulärer Ebene anstrebt und somit an das anfangs erwähnte „Humain Brain Project“ (HBP) anknüpft. Man könnte es folglich auch mit einer gewissen Ironie als „Homunktionalismus“ (W. Lycan) als eine Verballhornung aus Homunkulus und Funktionalismus bezeichnen, was aber die Sache ganz gut trifft.

Die „künstliche Intelligenz“

Hiermit findet man einen nahtlosen Übergang zu einem weiteren Großprojekt des 21. Jahrhunderts, der Schaffung von künstlicher Intelligenz (KI). Ein Ur-Vater der KI-Forschung, Marvin Minsky, meinte schon früh: „Geist ist nichts weiter als ein Produkt aus geistlosen, aber intelligent ineinandergeschachtelten Ober- und Unterprogrammen.“ Die KI-Forschung und die damit verknüpfte Teildisziplin „Kybernetik“ hat auf diesem Gebiet auch schon beachtliche Erfolge erreicht. Im technologisch-wirtschaftlichen Bereich des Internets hat zum Beispiel die Implementierung der KI „RankBrain“ die Verbesserung des selbstlernenden Google-Algorithmus erst möglich gemacht.

Die „First Person Science of Consciousness“

Doch von einem entschiedenem Durchbruch hinsichtlich des Verständnisses der Funktionsweise des menschlichen Gehirns ist man auch zum heutigen Tage noch Lichtjahre entfernt, auch wenn immer wieder gerade aus positivistischen und naturalistischen Kreisen ganz gerne das Gegenteil behauptet wird. Keinen Schritt weiter ist man in dem epistemologischen Ausgangsproblem von der Erklärung zu dem „Geist in der Materie“ und der damit verknüpften ontologischen Frage nach dem „Sein von Bewusstsein“ oder „First Person Science of Consciousness„, das man dann schon eher als „blinden Fleck“ oder „schwarze Materie“ in der positivistisch-naturalistischen Sichtweise betrachten kann.

Der Konsens in den Neurowissenschaften

Demgegenüber macht sich doch allmählich ein Konsens in den Neurowissenschaften breit:

„There is an increasing consensus in the mind sciences that intentionality, phenomenal states and subjectivity cannot be reduced to brain states without sacrificing consciousness as a field of research altogether. This raises the question of how first-person methods can be integrated more thoroughly into the study of consciousness.“ (Prof. Ulrich Weger, PhD, PD Dr. Christian Tewes, Prof. Dr. Johannes Wagemann, Dr. Terje Sparby and Dr. Anna-Lena Lumma:“First-Person Science of Consciousness – Methodological Issues and Fields of Application“, Universität Witten/Herdecke, May 6-8, 2021)

Die Interdisziplinarität

Dieses Symposium war Bestandteil des Projektes „KI-Bewusstsein“ am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), an dem zu dieser Thematik stark interdisziplinär zusammengearbeitet wird. Es setzt sich immer mehr – sowohl in der Philosophie des Geistes als auch in der Neurowissenschaft – die Erkenntnis durch, dass die Hirn- oder KI-Forschung trotz immer größerer Mengen an empirischem Datenmaterial immer noch kein konkretes Modell zum Bewusstsein liefern kann und auch wohl auch nicht liefern wird. Der Positivismus oder Szientismus gelangt hier an seine Grenzen, da das „wissenschaftliche Großprojekt Bewusstsein“ mit den althergebrachten reduktiven, induktiven Instrumentarium an der Komplexität des Untersuchungsobjektes scheitert (s. z. B. „Emergenz“).

Insofern wird der Ruf nach einem nicht-reduktiven, bi-direktionalen Vorgehen immer lauter und deutlicher zum Beispiel in Thomas Fuchs: „Brain mythologies. Jaspers’ critique of reductionism from a current perspective.“ (in Karl Jaspers: Philosophy and Psychopathology. (2013), in dem er sich für einen Paradigmenwechsel in der Philosophie des Geistes und Neurowissenschaft ausspricht (s. späterer Essay „Der Paradigmenwechsel„).
Das Paradigma des Reduktionismus und Dualismus hat in diesem, aber auch in anderen wissenschaftlichen Bereichen ausgedient und könnte problemlos durch das ein neues Paradigma in der Neurophilosophie ersetzt werden, da sie aufgrund ihrer Interdisziplinarität – sowohl als Teildisziplin der Philosophie des Geistes als auch der Neurowissenschaft – eine „Scharnierstelle“ einnimmt.

2. Disziplin: „Wie unterscheidet sich die Neurophilosophie?“

Die Klassifizierung der Neurophilosophie

Um diese Scharnierstelle der Neurophilosophie zwischen der Philosophie des Geistes und der Neurowissenschaft und ihre eigenen verschiedenen Strömungen und Ansatzpunkte genauer zu verorten, orientiere ich mich im Folgenden an dem Essay von Philipp Klar:What is neurophilosophy: Do we need a non-reductive form?„(2020)

Die Neurophilosophie kann zum einen mit Hilfe der Methodik in:
1) reduktive Neurophilosophie ,
2) parallele Neurophilosophie und
3) nicht-reduktive Neurophilosophie

und zum anderen mit Hilfe des Grades der Interdisziplinarität in:
a) uni-direktionale Neurophilosophie oder
b) bi-direktionale Neurophilosophie klassifiziert werden.

Zu 1): Die reduktive Neurophilosophie

geht – wie anfangs beschrieben – auf die Churchlands zurück und stellt den Versuch dar, die Philosophie des Geistes mit Hilfe der Empirie als eliminativen Materialismus auf Basis einer beobachtend-experimentellen Methodik zu betreiben. Somit stellt sie zugleich auch eine a) uni-direktionale Neurophilosophie dar, da die Neurowissenschaft die Daten, Fakten, Modelle und Theorien liefern und die Philosophie des Geistesdiese Ergebnisse nur noch assimilieren soll. Dieser Ansatz wird heutzutage nur noch im anglo-amerikanischen Sprachraum, wie zum Beispiel von Bickle: „Philosophy and neuroscience: A ruthlessly reductive account.“ (2003) und „Reducing mind to molecular pathways: Explicating the reductionism implicit in current cellular.“ (2006) vertreten.

Das „Ich“ oder „Selbst“ als Konstrukt

Die Philosophen und Neurowissenschaftler der reduktiven Strömung glauben nach wie vor – auch trotz der oben genannten dünnen Datenlage – immer noch daran, dass nur die Neurowissenschaft in der Lage sei doch noch eines Tages den „Stein der Weisen“ zu finden. Der deutsche Philosoph Thomas Metzinger:“Being no one. The self-model theory of subjectivity.“ (2003) und „The ego tunnel. The science of the mind and the myth of the self “ (2009) bläst in dasselbe Horn und verfolgt ebenfalls in seinen Büchern den eliminativen Materialismus, der dem „Ich“ oder dem „Selbst„, als illusionäres Konstrukt der Hirntätigkeit, keine neurowissenschaftliche Entität zuschreibt.

Dies stellt natürlich auch wieder eine radikale Form des Reduktionismus dar, indem man alles was stört, einfach leugnet, um es dadurch loszuwerden. Der Beweis des Ansatzes folgt dann einfach aus dem Negativbeweis, dass man keine empirischen Daten gefunden hat, die eine wie auch immer geartete mentale Ebene ermöglichen könnte. Der Haken ist nur, dass man diese durch die Untersuchungsmethodik der Neurowissenschaft , wie ich später noch darstellen möchte, aber auch nie finden wird. Es gleicht dem Zerlegen einer Spieluhr und der eingeschlossenen Verwunderung, dass die zerlegten Teile trotz Zusammenlegens nicht mehr funktionieren wollen.

Zu 2) Die „parallele Neurophilosophie“

stellt demgegenüber aber auch keine echte Alternative dar, da sie ebenso ebenso eine methodische Einbahnstraße in Gestalt einer a) uni-direktionalen Philosophie des Geistes darstellt, nur diesmal aus der entgegengesetzten Richtung. Die Vertreter (z.B. Bennett/Hacker) dieses Ansatzes würde sich eher verwehren mit dem Etikett „Neurophilosophie“ versehen zu werden, da sie sich klar im Lager der Philosophie des Geistes verorten würden. Die Verteidiger der Philosophie des Geistes möchten sich daher auch nicht „die Butter vom Brot nehmen“ und die Neurowissenschaft einfach „weiter wursteln“ lassen; frei nach der Devise: „so gebet der Philosophie des Geistes, was der Philosophie ist und der Neurowissenschaft, was der Wissenschaft ist“.

Die sprachlichen Probleme

Sie argumentieren eher, dass das Ganze doch nur ein sprachliches Problem sei. Die angebliche Kontroverse beruhe aus ihrer Sicht lediglich auf Missverständnissen und Fehldeutungen, die aufgrund unterschiedlicher semantischer Sprachfelder und Konnotationen in der Verwendung von Begriffen, wie „Geist“ oder „Bewusstsein“ entstanden seien, da diese zu unscharf und vieldeutig wären. Zudem würden je nach Disziplinzugehörigkeit (Philosophie des Geistes oder Neurowissenschaft) unterschiedliche Konzepte zum gleichen Begriff aufgerufen werden und so eine Verständigung über den Sachinhalt im Wege stehen. Da verwundert es auch nicht, dass sich zur Formulierung dieses Ansatz zwei Fachleute aus den diametralen Lagern, der australische Neurowissenschaftler Maxwell Bennett und der englische Philosoph Peter Hacker, zusammengetan haben, um ihr gemeinsames Buch „Philosophical foundations of neuroscience“ (2003) zu veröffentlichen. Hierin beziehen sie sich auch ausdrücklich auf den sprachkritischen Ansatz der Analytischen Philosophie Wittgensteins in seinem Hauptwerk „Tractatus logico-philosophicus“ (1921).

Der mereologischen Fehlschluss

In seiner Ontologie versucht Wittgenstein die Grenzen der Erkenntnisfähigkeit anhand der Sprachgrenzen aufzuweisen:“Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ (ebd. Satz 5.6). In diesem Sinne argumentieren Bennett/Hacker ebenfalls, wenn sie von den Kategorienfehlern in Form des vielzitierten „lokalisatorischen“ oder „mereologischen Fehlschluss“ als „Teil-Ganzes-Verwechslung“ sprechen. Diesen Fehlschluss könnte man vereinfacht als „das Ganze ist immer mehr als die Summe seiner Teile“ umschreiben und daher gehört dies zu diesen klassischen Verwechslungen, wenn das „Gehirn“ schon gerne mit dem „denkenden Subjekt“ gleichgesetzt wird, wie z. B. in dem „Manifest‘‘ namhafter Neurowissenschaftler postuliert:

„… dass sämtliche innerpsychischen Prozesse … zum Beispiel, Imagination, Empathie, das Erleben von Empfindungen und das Treffen von Entscheidungen …grundsätzlich durch physikochemische Wechselwirkungen beschreibbar sind. …Geist und Bewusstsein – wie einzigartig sie auch von uns empfunden werden – fügen sich also in das Naturgeschehen ein und übersteigen es nicht‘‘ (Monyer et al. 2004, 33).

Die Neurowissenschaft solle sich laut Hacker allein auf das Gehirn konzentrieren, z.B. auf die Erforschung von neurologischen Krankheiten, denn die Vermischung des Mentalen mit der empirischen Neurowissenschaft sei methodologisch und ontologisch fehlerhaft. Für Hacker ist jegliche Form der Neurophilosophie schlichtweg Unsinn.

Das Gehirn und seine Beziehung zum Körper und der Umwelt

Das Gehirn in seiner physiologischen und neuronalen Funktion stellt aber als solches aber nur ein Organ als integraler Bestandteil des Körpers dar. Daher muss der Körper als wesentlicher Bestandteil – und wie später noch darzustellen ist – auch die Umwelt mit in das Konzept von „Bewusstsein“ oder „denkenden Subjekt“ miteinbezogen werden:

„Das, was Geist genannt wird, ist wahrscheinlich in der Beziehung zwischen Gehirn, Körper und Umwelt, das heißt das „Geist-Gehirn-Problem“ wird auf die Frage der verschiedenen Formen der Relation zwischen Gehirn, Körper und Umwelt verlagert. Und damit ist die klassische Dichotomie „Geist und Gehirn“ unterminiert.“ (Georg Northoff: Das disziplinlose Gehirn. Was nun, Herr Kant? Auf den Spuren des Bewusstseins mit der Neurophilosophie, 2012)

Reduziert man die empirische Untersuchung und die spätere epistemologische Modellierung allein auf die physiologisch-neuronale Ebene des Gehirns läuft man geradewegs in diesen oben erwähnten mereologischen Fehlschluss und die mentale Ebene verschwindet aus dem Blickwinkel. Der Aussichtspunkt allein von der mentalen Warte, hat sich – wie in der Philosophie des Geistes beschrieben – ja auch nicht als weitblickend erwiesen. Damit einem die beiden Ebenen nicht abhanden kommen, wäre hier eine phänomenologische Betrachtungsweise sehr hilfreich, die meines Erachtens die nicht-reduktive NeuroP mitbringt.

Zu 3) Die nicht-reduktive Neurophilosophie

Die ersten Versuche die Neurowissenschaften mit der Philosophie des Geistes als „Neurophenomology“ zu kombinieren, gehen auf Francisco Varela und Humberto MaturanaAutopoiesis and cognition: The realization of the living“ (1980) und „The tree of knowledge: The biological roots of human understanding.“ (1987) zurück, die sich dem Thema aus einer systemtheoretischen Sichtweise genähert haben (dazu später mehr in dem nächsten Essay „Die Struktur im System“). Dieser Ansatz intendierte die phänomenologische Methodik in Form einer bi-direktionalen Interaktion zwischen der Neurowissenschaft und der Philosophie des Geistes zu etablieren, um die „Körper-Geist“-Probleme aus der vorherigen einseitigen Betrachtungsweise zu lösen.

Die „Gehirn-Körper“- und die „Gehirn-Welt“-Relationen

Besonders der von Varela begründete Enaktivismus betont mit seinem „embodiment„-Konzept deutlich eine empirisch-ontologische „Gehirn-Körper-Relation„, bei der die empirische mit der logischen Plausibilität als methodischer Pluralismus koexistieren und auch durch ein „embeddedness“ als Gehirn-Welt-Relation päter noch ergänzt werden kann. Diese Interdisziplinarität vertritt auch der deutsche Mediziner, Neurowissenschaftler und Philosoph Georg Northoff in „What is neurophilosophy? A methodological account (2004)“ oder „Minding the brain. A guide to philosophy and neuroscience.“ „Unlocking the brain. Volume 1: Coding/Volume 2: Consciousness.“ (2014), in denen er sich für einen kooperativen Naturalismus in Form einer bi-direktionalen, nicht-reduktiven Neurophilosophie ausspricht:

„In short, I claim for a methodological strategy I designate as “concept-fact iterativity” as a continuous methodological and iterative movement between philosophical concepts and empirical data/facts. Historically, such concept-fact iterativity stands on the shoulders of Kant who argued that “concepts without intuitions are empty and intuitions without concepts are blind” – one can conceive my method of concept-fact iterativity as development towards a systematic relationship between concepts and facts/intuitions in methodological regard.“ („Solving the World-Brain Problem – Interview with Georg Northoff“ (2019) https://piatepietro.files.wordpress.com/2019/09/northoff_interview.pdf)

Das methodische Dilemma der Hirn- und Kognitionsforschung

Das Dilemma, in dem sich die moderne Hirn- und Kognitionsforschung und damit auch die Neurowissenschaft befindet, ist eigentlich ein methodisches und kein ontologisches Problem. Das Untersuchungsobjekt Gehirn mit seiner neuronalen Funktionalität lässt sich relativ klar und deutlich auf dem „Objektträger“ der bildgebenden Messinstrumente fokussieren, nur die Untersuchungsmethodik und die daraus resultierenden empirischen Daten lassen sich immer noch nicht wirklich kohärent zu einem Gesamtbild zusammenfügen; vergleichbar einem Interferenzmusters, das erst bei Phasengleichheit der Schwingungen zu kohärenten Wellen führt.

Bei der reduktiven Neurophilosophie ist diese „Phase“ uni-direktional in Richtung beobachtend-experimenteller Untersuchungsmethodik verschoben. Es findet keine konzeptuell-logische Überprüfung der ermittelten Daten zu den neuronalen Zuständen hinsichtlich der Möglichkeiten einer kritisch-methodischen Modellbildung für die mentalen Zustände durch die andere „Phase“ statt. Diesen Mangel an konzeptuell-logischer Überprüfung versucht die nicht-reduktive, bi-direktionale Neurophilosophie durch „Phasenverschiebung“ auszugleichen. Daher bedürfen die zur Erklärung der Phänomene benötigten Konzepte wieder einer empirischen Überprüfung.

Die „concept-fact iterativity“

Insofern ergänzen sich beide Disziplinen Neurowissenschaft und Neurophilosophie bi-direktional als gleichberechtigte Partner in einer iterativen Schleife aus Konzepten und Fakten zu einem kohärenten Gesamtmodell. Georg Northoff hat hierfür den Terminus „concept-fact iterativity“ geprägt. Die methodischen Schritte hat Philipp Klar in seinem Essay folgendermaßen zusammengefasst:

„(1) Firstly, there is an initiating philosophical-conceptual input for neuroscience;

(2) neuroscience then returns an empirically plausible concept as output;

(3) this output serves as input for neurophilosophical re-defintion and investigation; and finally

(4) the interdisciplinary re-defined neurophilosophical concept is taken as the vantage point for further investigation within new research-loops.“ (Philipp Klar:“What is neurophilosophy: Do we need a non-reductive form?“ S. 16)

Durch diese methodischen Rückkopplungs-Effekte beider Disziplinen gelangt man zu einer Beschreibung der mentalen Zustände hinsichtlich ihrer strukturellen und prozessbasierten Funktionalität sowohl auf phänomenologischer als auch auf ontologischer Basis.

3. Disziplin: „Was kann man mit Neurophilosophie machen?“

Anwendung der Neurophilosophie-Methodik auf ein konkretes Beispiel aus der Neurowissenschaft-Forschung: Modelle zur Entstehung von Bewusstsein

Im Folgenden möchte ich die Methodik der nicht-reduktive, bi-direktionale Neurophilosophie an einem klassischen Beispiel der Philosophie des Geistes, den Erklärungsversuchen zur Entstehung von Bewusstsein verdeutlichen. Als Ausgangspunkt der Untersuchung kann als konkretes Beispiel das „Qualia-Problem“ genannt werden. Die Qualia (gleicher Wortstamm wie Qualen) oder das phänomenale Bewusstsein bezeichnen den subjektiven Erlebnisgehalt eines mentalen Zustandes, wie z. B. „Schmerz“. Diese mentalen Zustände entziehen sich aber der Beschreibung über die neuronalen Zustände, da sie mithilfe der beobachtend-empirischen Methodik nicht vollständig erfasst werden können. Es lässt sich kein konzeptuell-logischer Zusammenhang herstellen, geschweige denn ein kritisch-methodisches Modell hieraus ableiten.

Die Ansätze der Philosophie des Geistes zur Lösung des Problems

Der Funktionalismus

Hieran ist der von Putnam/Fodor postulierte Funktionalismus, der auf kybernetischer Basis durchaus funktioniert und zu der „Computer-Gehirn-Analogie“ oder Computationalismus geführt hat, ebenfalls gescheitert. Das Gehirn verhält sich nun mal nicht wie ein Computer, auch wenn das anfangs erwähnte „Blue-Brain“-Projekt in Lausanne von einer positivistischeren Prämisse ausgeht, der zufolge es nur eine Frage der Rechenleistung und der Komplexität der neuronalen Netzwerke sei bis so etwas wie kognitive Fähigkeiten, also auch Bewusstsein künstlich hergestellt werden kann. Bisher sieht es aber nicht danach aus, als ob es lediglich ein Hardware-Problem sei. Hier fehlt definitiv der konzeptuelle Input über die logisch-sprachlichen Konzepte der Neurophilosphie.

Der nicht-reduktiven Materialismus

Zur Beschreibung des oben genannten Problems wurde im nicht-reduktiven Materialismus (Davidson) der Begriff der „Emergenz“ eingeführt haben, um hierdurch das Phänomen und das damit verbundene Problem fassbarer zu machen. Das Konzept der Emergenz postuliert, das bestimmte Phänomene nur auf der Makroebene eines Systems erscheinen, aber nicht auf der Mikroebene der Systemkomponenten beobachtet werden können; auch bekannt als „Supervenienz-Prinzip“ (David Chalmers). Insofern spielt die Emergenz eine herausragende Rolle bei der Bildung eines kohärenten Modells. Sie versucht das Problem mit der Entstehung von Bewusstsein dadurch zu erklären, dass dieser mentale Zustände auf der Makroebene der menschlichen Kognition erscheint, aber nicht in den neuronalen Zuständen der Gehirnaktivitäten nachzuweisen ist; frei nach der Devise „das Ganze ist eben doch mehr, als die Summe seiner Teile“.

Die Methodik der Neurophilosophie

Hier kommen zweifelsohne die logisch-sprachlichen Vorteile der Neurophilosophie voll zum Zuge, da sie der Neurowissenschaft bei der Modellbildung die notwendige begriffliche Munition liefert. Somit wäre dies folglich ein Beispiel für eine gelungene concept-fact iterativity. Da nun das Konzept „Emergenz“ der Neurowissenschaft als Input neue Untersuchungsmöglichkeiten zur Bildung neuer Fakten als Output liefert. Der Haken liegt nur meist darin, dass sich die aktuelle Kognitionswissenschaften in ihrer derzeitigen reduktiven Form immer noch auf eine „Dritten-Person-Perspektive“ beschränken. Das bedeutet, dass die gemessenen, neuronalen Aktivitäten des Gehirns nur mit empirischen Konstrukten der Kognition und des Verhaltens (behavioralen Daten) verbunden werden. Man ist insofern von einer richtigen Ontologie unter Berücksichtigung der Phänomenologie, beziehungsweise dem phänomenalen Erleben der Ersten-Person-Perspektive noch meilenweit entfernt.

„Spontanaktivität“ und „stimulierte Aktivität“

Diese Lücke versucht aber die Neurophilosophie zu schließen, indem sie den Fokus auf die Suche nach möglichen Supervenienz-Phänomenen als Kopplung zwischen neuronaler und mentaler Ebene legt. Solche Kopplungsmechanismen hat man nach aktuellem Forschungsstand offensichtlich in der „Ruhezustandsaktivität“ („the resting-state„) oder auch „Spontanaktivität“ (im Folgenden verwende ich lieber den Begriff Spontanaktivität, da der andere zu passiv klingt) des Gehirns finden können:


„Es gibt starke Hinweise darauf, dass das Gehirn in der Tat ich sage einmal eine Eigenaktivität besitzt : Das kann auch selber beeinflussen, wie der Stimulus im Gehirn prozessiert wird.“[…]
„Wenn zum Beispiel die Ruhezustandsaktivität sehr hoch ist, löst der Stimulus weniger Aktivität im Gehirn aus und dann erleben wir den Stimulus auch nicht so stark und können auch nicht entsprechend reagieren. Umgekehrt, wenn die Ruhezustandsaktivität niedriger ist, löst der Stimulus mehr Aktivität aus, aus dem einfachen Grund weil da einfach mehr Spielraum nach oben ist und dann erleben wir den Stimulus auch stärker. Das heißt, jeder einkommende Stimulus wird in Relation zu dem aktuellen Ruhezustandsniveau prozessiert und löst entsprechende Aktivität aus.“[Georg Northoff: Das disziplinlose Gehirn. Was nun, Herr Kant? Auf den Spuren des Bewusstseins mit der Neurophilosophie.(2012)]

Diese Kopplung von neuronaler Aktivität aufgrund eines von außen kommenden Stimulus mit der eigenen Spontanaktivität des Gehirns könnte auch der Grund für die Entstehung von so etwas wie Bewusstsein oder bewusste Erfahrung sein, so Northoff. Diese Konzept der Kopplung von Spontanaktivität und stimulierter Aktivität lässt sich empirisch durch die Neurowissenschaft belegen.

Die empirischen Befunde

So hat man bereits Hans Berger, der Entwickler des EEG, in den 1920er Jahren die Spontanaktivität messen können. Der zu der damaligen Zeit aber noch vorherrschende amerikanische Behaviorismus in der Philosophie des Geistes verhinderte aber, dass sich derlei Erkenntnisse durchsetzen konnten, da sie „zuviel Licht“ in ihre „Black-Box“ gebracht hätten. Dies hätte dann zweifelsohne auch zu mehr „spontaner Aktivität“ in den Wissenschaftskreisen geführt. Da man sich aus der oben erwähnten, bequemen „Dritten-Person-Perspektive“ hätte herausbewegen müssen und die passive Sichtweise auf das Gehirn im Behaviorismus durch eine aktive „Erste-Person-Perspektive“ des Gehirns ersetzen müssen.

Die Synchronisation von Spontanaktivität und stimulierter Aktivität

Diese reduktive Sichtweise in den Neurowissenchaften hat sich bis heute – trotz des Untergangs des Behaviorismus – erhalten, vielleicht weil sie so bequem ist. Als dann aber 2001 Marcus Raichle und seine Gruppe 2001 die Spontanaktivität als sogenannte „Ruhezustandsnetzwerke“ (engl. „Default Mode Network (DMN) mit bildgebenden Messinstrumenten (z. B. fMRT und EEG) nachweisen konnten, kam zur Wiedervorlage des Falls, man diese Tatsachen nun nicht mehr leugnen konnte. Die Messungen ergaben, dass der mediale präfrontale CortexPraecuneus, Teile des Gyrus cinguli sowie – schwächer angebunden – der Lobulus parietalis superior des Scheitellappens und der Hippocampus zu den beteiligten Hirnregionen gehören. Also alles Bereiche des Gehirns, die in Verbindung mit bewussten Erleben und Selbstbezug gebracht werden können, folglich bei der Entstehung von Bewusstsein eine Rolle spielen können. Ebenso konnte nachgewiesen werden, dass die Kopplung der funktionalen und physiologischen Konnektivität des Gehirns in diesen DMN am größten ist. In Phasen der Sponatanaktivität „richtet“ das Gehirn seinen „Fokus“ nach innen, um ihn in Phasen der durch die Umwelt stimulierten Aktivität mit diesem abzugleichen, zu synchronisieren.

Der Paradigmenwechsel

Im Zuge dieser neuen Erkenntnisse kam es dann in den Jahren 2001 – 2015 zu einem Paradigmenwechsel hinsichtlich des Forschungsbereichs. Der Schwerpunkt lag nun auf der Untersuchung der „resting state functional connectivity“ oder „effective connectivity„. Der Boom ist zwischenzeitlich ein wenig abgeebbt, was man auch an Äußerungen, wie folgt aus der reduktiv-materialistische Fangemeinde ablesen kann: „lazy research without active task designs“. Was hier dringend notwendig wäre, ist also ein Konnektivität von „resting-state research“ und „task-paradigm research“, die eine besagte nicht-reduktive, bi-direktionale Neurophilosophie liefern könnte.

Die Sackgasse der kognitiven Neurowissenschaften

Die Sackgasse, in die sich der Mainstream der kognitiven Neurowissenschaften bewegt hat, wurde auch durch Vertreter der hiesigen Philosophie des Geistes schon des Häufigeren kritisiert. So spricht zum Beispiel Thomas Fuchs in seinem Essay „Hirnwelt oder Lebenswelt?- Zur Kritik des Neurokonstruktivismus (2011)“ von einem „Neurokonstruktivismus“ und Markus Gabriel nennt dies „Neurozentrismus“ in seinem Buch „Ich ist nicht Gehirn“ (2015). Beiden Autoren gemeinsam ist die Kritik, die sie mit Hackers Vorwurf des „Neo-Cartesianismus teilen, das man dann kein Stück weiter gekommen ist, sondern eigentliche wieder eine Rolle rückwärts in Richtung dualistischenres cogitans“ und „res extensa“ macht nur diesmal mit des Kaisers neuen Kleidern im Gewande der kognitiven Neurowissenschaften.

Die „Temporo-spatial Theory od consciousness (TTC)“

Demgegenüber versucht die Neurophilosophie die vermeintliche Dichotomie etwas vielschichtiger und komplexer zu sehen; vielleicht mit einem kantschen Begriff als „Polytomie“ (Kant:“§ 113. Dichotomie und Polytomie“) zu bezeichnen. Und die vielfältigen Relationen des Gehirns zu seiner Umwelt, die nun einmal messbar vorhanden sind in ihrer Komplexität mit zu berücksichtigen. Im Zuge der „concept-fact iterativity“ geht Northoff zum Beispiel in seinem weiteren Konzept über das reine „embodiment“ hinaus und postuliert zudem noch eine fundamentale „World-brain-relation“ (Northoff 2018b, 2019a) als „embeddedness„. Dieses neue Konzept zur Bildung von Bewusstsein soll mit Hilfe einer raum-zeitlichen Theorie des Bewusstseins [„Temporo-spatial Theory od consciousness (TTC)„] und einer neuro-ökologischen (Friston’s „free energy principle“) Sichtweise beschrieben werden. Zur weiteren Untersuchung dieser Korrelationen wird allerdings ein Paradigmenwechsel vergleichbar einer „kopernikanischen Wende“ und vielleicht auch eine neuen Metaphysik für die Neurowissenschaft notwendig werden. Dieses Vorhaben möchte ich gerne in meinem weiteren Essay „Der Paradigmenwechsel“ versuchen zu beschreiben.

Ich bin immer mit meiner „Diogenes-Lampe“ unterwegs, um Menschen zu finden, die sich auch nach ein wenig „Licht der Erkenntnis“ sehnen. Also wenn Ihr eigene Beiträge oder Posts für meinen Wissenschaft-/Philosophie-Blog habt, immer her damit. Sie werden mit Eurem Namen als Autor auf meiner Seite veröffentlicht, so lange sie den oben genannten Kriterien entsprechen. Denn nur geteiltes Wissen ist vermehrtes Wissen.
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Philo Sophies
7 Monate zuvor

Dear M. T.,

thank you for your very insightful comment, to which I would like to respond with a few sentences.

First of all, your comments reflect very nicely the dilemma we are currently facing on the subject of „consciousness“.

The philosophy of mind simply denies the empirical evidence that emerges from the research findings of cognitive neuroscience, as you write: „These mental states, however, elude the description of neural states because they cannot be fully captured by the observational-empirical method.“

Cognitive neuroscience simply denies the phenomenological evidence derived from logical concepts of philosophy of mind, as you write: „Qualia or phenomenal consciousness denote the subjective experience of a mental state.“

I think that both diametrical positions must lead to a dead end, since the „construction error“ is already in the assumption of the paradigm of dualism. Therefore, I have proposed a solution to the „pseudo-problem“ of „body-mind dualism“ in the following essay, „The Paradigm Shift – or the Rehabilitation of the Dualistic Science Building,“ which I have also already published in this group.

Thank you very much for your interest and
many greetings

Philo Sophies